Was wäre, wenn...
10 Tage in Vancouver - Jahre später / 10 Tage in VancouverMeine anfängliche Begeisterung ist leider innerhalb weniger Seiten verflogen... Dabei hat Jutie Getzler eine tolle Vorlage in Form eines interaktiven Romans geliefert.
Das Buch stand schon länger in meinem ...
Meine anfängliche Begeisterung ist leider innerhalb weniger Seiten verflogen... Dabei hat Jutie Getzler eine tolle Vorlage in Form eines interaktiven Romans geliefert.
Das Buch stand schon länger in meinem Regal und vermutlich bin ich mit 37 Jahren einfach nicht mehr die richtige Zielgruppe. Sowohl New Adult als auch Young Adult sind aus diesem Grund nicht meine bevorzugten Genres und ich hätte den Roman - aufgrund des Alters der Hauptprotagonisten (ca. 25-30 J.) - auch nicht in einer dieser Kategorien erwartet.
Die unterschiedlichen Ansätze sind charmant: zufällige, unbewusste Entscheidungen (wie z.B. die Wahl eines Taxis) können unverhoffte Folgen haben... Die Ausgestaltung der einzelnen Verläufe hätte für meinen Geschmack ein wenig kreativer bzw. diverser ausfallen dürfen, teilweise wurden vermeintlich nur die Rollen vertauscht. Zu meinem Missfallen verhalten sich die meisten Handelnden wie Teenager, was den Mangel an Tiefgang verstärkt. Man erfährt wenig aus dem Alltag und bisherigen Leben der Beteiligten. Innerhalb der 10 Tage richten alle Beteiligten den Fokus auf (die ihnen bis dato unbekannte) Lara. Eigene Pläne oder gar Verpflichtungen: Fehlanzeige...
Leider haben alle Versionen einen gemeinsamen Nenner: widersprüchliches Verhalten. "...ich hätte lieber zentraler - irgendwo in Downtown gewohnt..." Sechs Sätze weiter: "Ich kann es mir vorstellen, wollte dort [in New York] nicht wohnen. In der Beziehung bin ich ein Landei."
Auch die sprunghaften Meinungsänderungen verringern die Glaubwürdigkeit, wenn z.B. eine zufällige Entdeckung "der Hammer ist", um zwei Absätze weiter als "langweilig" bezeichnet zu werden - mit der festen Absicht nach kurzer Zeit zu besagter Attraktion zurückkehren zu wollen.
Oder die Erkenntnis "Erstaunlich, wie die Gewohnheit Dinge verändert" - die Rede ist von einem Zeitraum von 24 Stunden! Lara blieb mir dadurch über alle Handlungsstränge hinweg fremd. Die Handlung ist über weite Strecken meilenweit entfernt von jeglicher Realität. Da verwundert es auch nicht, dass Lara die Reise völlig unvorbereitet angetreten hat...
Die drei Geschichten umfassen 120 bis 200 Seiten, wobei vor allem die kürzeste Version zu Lasten der Substanz geht, indem einige Tage komplett ausgespart werden. Inhaltlich kommt es auf den wenigen Seiten zu Wiederholungen des gerade Erlebten. Alle Geschehnisse und Worte werden peinlich genau aus Lara's Perspektive analysiert und es bleibt kaum Raum für eigene Gedanken. ("Ich denke, er freut sich wirklich, dass ich hier bin. Es ist bestimmt doof, mit Mitte zwanzig ausschließlich Senioren um sich zu haben. Wie alt mag er sein?") Diese Zwiegespräche nehmen viel Raum ein und unterbrechen für mich persönlich den Lesefluss.
Tag 2 nach der Ankunft in Vancouver: "Sein Dackelblick trifft mitten in mein Herz. Lachend schaue ich in seine schönen Augen und fühle mich eigenartigerweise wie von einer schweren Last befreit. Ich bin mir sicher, was auch immer er mir nicht sagen kann oder will, was auch immer es ist, wir zwei überstehen das, denn wir gehören zusammen. Er scheint erleichtert, nimmt mich unglaublich sehnsüchtig in seine Arme."
Belanglosigkeiten enden in überbordenden emotionalen Beschreibungen, Kleinigkeiten werden ständig bereut oder direkt entschuldigt. Sobald Lara nur einen Blick zugeworfen bekommt (was des Öfteren geschieht), kann sie keinen klaren Gedanken mehr fassen... Ich möchte es am liebsten nicht erwähnen, aber hier ist gelegentlich Fremdschämen angesagt.
Insgesamt würde ich das Buch als Sammlung von drei Szenarien der gleichen Hauptprotagonistin in Episodenform beschreiben. Ohne zu viel verraten zu wollen: im Hinblick auf den kurzen Zeitraum der Handlung sind alle ziemlich unrealistisch. In Kombination mit der stetigen "Unsicherheit" und den "Geheimnissen" ist das Konzept leider wenig überzeugend. Des Weiteren war für mich die "Interaktivität" enttäuschend. Ein einziger Auswahlpunkt zu Beginn der Handlung? Hier wurde viel Potential verschenkt. 2-3 weitere Wahloptionen hätte ich mir in jedem Fall gewünscht, war dies doch mein Hauptgrund zu diesem Roman zu greifen. Tatsächlich erscheint mir die Umsetzung aufgrund der parallelen Handlungsstränge und verschiedenen Protagonisten jedoch sehr komplex. Das wäre mit einem linearen Erzählstrang einfacher umzusetzen. Der Schauplatz ist gut gewählt, spielt aber keine große Rolle.
Mit der eigentlich einfachen Sprache bin ich nur schwer warm geworden, vor allem die häufige Verwendung von Adjektiven sticht hervor und bauscht Nebensächlichkeiten übertrieben auf. Dafür das Lara's Englisch vermeintlich schlecht ist, drückt sie sich sehr wortgewandt in der ungewohnten Fremdsprache aus. Die Ausdrucksweise wirkt jedoch des Öfteren unpassend, teilweise kindlich. ("...ich schmelze in seinen Armen dahin wie ein Stück Wachs, dass jemand in eine Flamme geworfen hat.") Hinzu kommt eine hohe Anzahl von Wortwiederholungen und Ausdrucksweisen, die ich nicht anders als schwülstig bezeichnen kann. (scheue Lächeln, verzeihendes Grinsen, Verängstigung, Verwunderung) Fremde Menschen interagieren ab dem Moment des Kennenlernens ausschließlich "behutsam", "sanft", "liebe- und rücksichtsvoll" und sind überaus "empfindsam".
Hier ein Beispiel: "Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut, im nächsten Moment seine Lippen, die unablässig meine küssen. Meine Beine fühlen sich watteweich an, die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen Rumba und mein Herz trommelt wie die Buschtrommeln einer Sippe australischer Eingeborener, die eine Hochzeit feiern. Niemand anders hat solch ein Gefühl im Blick und küsst dermaßen hingebungsvoll"
Für die Prüfung von Wortwahl, Rechtschreibung und Interpunktion trägt ganz klar das Lektorat die Verantwortung. Zwischenzeitlich wurden zu allen Konstellationen Folgeromane veröffentlicht. Bei einer Entstehungszeit von 11 Jahren stellt sich mir die Frage, ob hier eventuell zu viele Überarbeitungen das Ergebnis geschmälert haben könnten...
Warum ich das Buch nicht abgebrochen habe? Ich möchte mir ein vollständiges Bild machen und habe in diesem Fall auf Besserung gehofft... Und tatsächlich hat mich meine zuletzt aufgesparte Version sowohl stilistisch als inhaltlich am meisten angesprochen. Diese hebt sich ganz klar von den zuvor genannten Kritikpunkten ab. (Hier treten Lara's umfangreiche Gedankengänge etwas in den Hintergrund und der Handlungsverlauf ist etwas offener gestaltet.)
Das Durchhalten hat sich also gelohnt, allerdings bleibt mein Gesamteindruck mittelmäßig.