Große Erzählkunst
Die Fletchers von Long IslandIm Nachwort überrascht die Autorin ihre Leserschaft mit dem Hinweis, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, weist aber ganz ausdrücklich darauf hin, dass die im Buch vorkommenden Figuren ...
Im Nachwort überrascht die Autorin ihre Leserschaft mit dem Hinweis, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, weist aber ganz ausdrücklich darauf hin, dass die im Buch vorkommenden Figuren nichts mit der Familie des wirklichen Entführungsopfers gemeinsam haben. Der Hinweis entbehrt nicht der höchsten Priorität, will die Autorin sicher gehen, nicht große Teile Ihres Romans wegen Verunglimpfung schwärzen zu müssen.
Warum?
Carl Fletcher, Erbe einer Produktionsfirma für Styropor, wird vor seiner Haustür entführt und 5 Tage festgehalten. Nach Zahlung eines nicht unerheblichen Lösegeldes, dessen Übergabe die hochschwangere Ehefrau des Entführungsopfers organisiert, kommt er tatsächlich frei. Damit hätte alles gut sein können. Wie das Leben der Familie durch diese Entführung korrodiert ist, erzählt der Roman von Taffy Brodesser Akner.
Mit brillianter Erzählkunst liest sich der "Long Island Compromise", kongenial ins Deutsche übersetzt durch eine inspirierte Sophie Zeitz, wie ein Parforce Ritt durch die Niederungen der amerikanischen Elite. Jedes Mitglied der Familie ist nach der Entführung 'completely lost' in mehr oder weniger dramatischen Ausprägungen.
Mehr als einmal bleibt der Leserschaft während der Lektüre die Luft weg, ist kaum in der Lage der Heftigkeit und dem Tempo der Szenen zu folgen und mehr als einmal wird das Tablet erschöft und fassungslos auf den Couchtisch, wahlweise das Nachkästchen zurückgelegt.
Am Ende des Buches folgt die eingangs bereits beschriebene Enthüllung, dass die Autorin durch eine wahre Begebenheit zu ihrer Story inspiriert wurde. Offen bleibt die Frage, wieviel reale Verderbtheit aus einer absurden Welt der reichen Eliten Amerikas noch in das Buch eingeflossen sind.
Ich vermute, jede Menge.