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Veröffentlicht am 24.06.2023

Nicht nur für Istrien-Urlauber empfohlen

Klippensturz
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Edith Kneifls „Klippensturz“ ist der dritte Band der Laura Mars-Reihe, und diesmal verschlägt es die Protagonistin im Zuge einer Erbschaftsangelegenheit nach Istrien. Von ihrer verstorbenen Großmutter ...

Edith Kneifls „Klippensturz“ ist der dritte Band der Laura Mars-Reihe, und diesmal verschlägt es die Protagonistin im Zuge einer Erbschaftsangelegenheit nach Istrien. Von ihrer verstorbenen Großmutter als Alleinerbin eingesetzt, hat sie dort einen Notartermin, aber als Laura die Kanzlei in Pula aufsucht, findet sie den Notar tot in einer Blutlache auf dem Boden liegend. Tatwaffe ist offenbar die Tito-Büste, mit der ihm der Schädel eingeschlagen wurde. Sie alarmiert die Polizei und durchwühlt bis zu deren Eintreffen auf der Suche nach dem Testament die Dokumentenmappen. Es scheint spurlos verschwunden zu sein. Aber in einer Spalte zwischen Bücherschrank und Tresor findet sie ein abgegriffenes Büchlein. Es ist das Tagebuch ihrer Großmutter, aber was hat das in dieser Kanzlei zu suchen? Und was wird Laura über ihre Familie erfahren, wenn sie in die Aufzeichnungen einer Großmutter eintaucht, die ihr eigentlich fremd ist?

Nun könnte man meinen, die Handlung bediene das übliche Konzept der speziell für Leserinnen geschriebenen Urlaubskrimis, und ja, das tut sie. Alle Zutaten sind vorhanden: Ein touristischer Hotspot als Hintergrund, eine attraktive Amateurdetektivin, die zufällig und ohne eigenes Zutun in eine mehr oder weniger spannende Krimihandlung samt Familiengeheimnis verwickelt wird, auf eigene Faust und stellenweise ohne Sinn und Verstand ermittelt (wer kontaminiert einen Tatort?), ein gutaussehender Profi, der anfangs nicht begeistert von dieser Einmischung ist, und zu guter Letzt, wie könnte es anders sein, die unvermeidliche Romanze.

Wahrscheinlich hätte ich diesen Krimi aus den oben genannten Gründen nicht in die Hand genommen, aber da ich im Urlaub gerne Bücher lese, deren Handlung am jeweiligen Ziel verortet ist, durfte mich „Klippensturz“ nach Opatija/Istrien begleiten. Über den konventionellen Plot konnte ich glücklicherweise schon nach kurzer Zeit hinwegsehen, denn zweifelsohne hat Edith Kneifl ein Gespür für Land und Leute, für die Beschreibung der malerische Landschaft und der pittoresken Städtchen, die die Urlauber auf der Suche nach kroatischer Authentizität natürlich besuchen. Aber nicht alles ist eitel Freud‘ und Sonnenschein im Paradies, und glücklicherweise scheut Kneifl auch nicht davor zurück, die tagtägliche Realität und ökonomischen Probleme der einheimischen Bevölkerung abzubilden. Und als Bonus gibt es zusätzlich einen höchst interessanten Ausflug in die Geschichte der Region, den sie anhand der großmütterlichen Aufzeichnungen unternimmt. Nimmt man all diese Punkte zusammen, ergibt sich daraus ein Kriminalroman, dessen Qualitäten man erst bei genauerem Hinsehen erkennt und den ich gerne als Ferienlektüre empfehle.

Veröffentlicht am 15.06.2023

Vielversprechender Reihenauftakt

Das Gebot der Rache
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Es gibt zahlreiche ehemalige Polizisten, die nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Kriminalromane schreiben. So auch Neil Lancaster, der nach sieben Jahren bei der Militärpolizei der Royal Air Force ...

Es gibt zahlreiche ehemalige Polizisten, die nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Kriminalromane schreiben. So auch Neil Lancaster, der nach sieben Jahren bei der Militärpolizei der Royal Air Force 1990 als Spezialist für verdeckte Ermittlungen zur Metropolitan Police wechselte. Seit seinem Ausscheiden 2015 lebt er in den schottischen Highlands und schreibt Kriminalromane.

Mein Interesse geweckt hat zum einen das Zitat „Grabbed me from the first page. Think Jack Reacher fronting Line of Duty“ des von mir sehr geschätzten Ian Rankin, zum anderen lohnt es sich immer, die Nominierten für den McIlvanney-Preis genauer unter die Lupe zu nehmen. Also dann: „Das Gebot der Rache“, Auftakt der DS Max Craigie-Reihe und nominiert als bester schottischer Kriminalroman 2021.

„Der Tote ist ein Gentleman namens Tam Hardie. Er ist vermutlich der größte Gangster Schottlands, und die Sache wird ziemlich hohe Wellen schlagen. Die Leiche eines Verbrecherbosses, versteckt in einem jahrhundertealten Grab – das wird auf der Titelseite jeder Zeitung stehen“ (S. 62).

Wer nun aber glaubt, dieser Krimi würde sich nur um die Tätersuche, die übrigens schnell erledigt ist, eine alte Familienfehde und die Nachfolgekämpfe in Glasgows Unterwelt drehen, täuscht sich. Natürlich spielt das vordergründig eine Rolle, aber das beherrschende Thema ist die Korruption in den Reihen der Polizei, denn je tiefer DS Max Craigie und seine Kollegin, die Anfängerin DC Janie Calder, in den Fall eintauchen, desto offensichtlicher wird es, dass jemand mit großem Einfluss schützend seine Hand über das organisierte Verbrechen hält.

Mit den Glasgow-Krimis von William McIlvanney, Alan Parks oder Denise Mina kann es Lancaster zwar nicht aufnehmen, hat aber mit diesem Reihenauftakt einen soliden Krimi abgeliefert. Die Handlung ist zwar komplex, aber gut nachvollziehbar und mit Tempo erzählt, verliert sich aber glücklicherweise nicht in allzu detaillierten Beschreibungen der einzelnen Ermittlungsschritte. Die Protagonisten sind sympathisch, haben zwar auch ihre persönlichen Probleme, aber diese überlagern glücklicherweise nicht die eigentliche Story. Und ihr Verhältnis ist jederzeit professionell ohne romantisches Geplänkel.

Ein spannender, lesenswerter Einstieg in die Reihe, von der im Original bereits vier Bände erhältlich sind. Ich freue mich auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 13.06.2023

Das einsame Grab im Moor

Die Gräber von Inverness
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Eine handgezeichnete Karte, eine menschenleere Landschaft, ein einsames Grab im Moor. Zutaten, die mit „Die Gräber von Inverness“, Band 3 der DI Kennedy-Reihe, einen spannenden Krimi erwarten lassen.

Als ...

Eine handgezeichnete Karte, eine menschenleere Landschaft, ein einsames Grab im Moor. Zutaten, die mit „Die Gräber von Inverness“, Band 3 der DI Kennedy-Reihe, einen spannenden Krimi erwarten lassen.

Als DI Monica Kennedy eine Nachricht aus Carselang erhält, läuten bei ihr sämtliche Alarmglocken, denn sie kommt von Pauline Tosh, die dort ihre Haftstrafe verbüßt. Tosh ist eine Serienmörderin, die Kennedy zu Beginn ihrer Laufbahn überführte und lebenslang hinter Gitter brachte, obwohl sie keinen der ihr zur Last gelegten Mord gestanden hatte. Ein Ermittlungserfolg, der ihr einige Schulterklopfer eingebracht hat. Aber warum möchte Tosh sie sehen? Ausgerechnet?

Das Versprechen auf Spannung konnte der schottischen Autors G.R. Halliday leider aber nur bedingt einlösen. Warum? Seine Krimis sind lupenreine Police Procedurals, in denen er die Polizeiarbeit der Ermittler bis ins kleinste Detail beschreibt. Das sorgt bei annähernd fünfhundert Seiten für Längen, speziell in diesen Cold Case, der einiges an Geduld und Durchhaltevermögen abverlangt. Glücklicherweise gibt es aber immer wieder Passagen, in denen passend zu der Story die abgeschiedenen Landstrichen der Highlands im schottischen Hinterland rund um Inverness und Black Isle beschrieben werden. Das schafft eine Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann, lässt es aber auch bei Schottland-Kennern die Faszination für diese außergewöhnliche Landschaft wieder aufflammen, besonders dann, wenn man die Gegend kennt. Die Rückblenden ins Jahr 1994 konnten mich leider nicht überzeugen. Der Cold Case, der diesem Fall zugrunde liegt, erzählt die Geschichte des späteren Opfers. Eine junge Frau, hungrig nach einem Leben voller Abenteuer, will die enge Heimat verlassen und hinaus in die Welt, bezahlt dafür aber mit dem Leben…ist nichts Neues, hat man schon oft gelesen, auch wenn diese Ebene zumindest die detaillierten Schilderungen der Ermittlungsarbeit etwas auflockert. Alles in allem aber eher dennoch leider nur Mittelmaß.

Veröffentlicht am 03.06.2023

Entschleunigende Urlaubslektüre

Tochter des Marschlands
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Marschkönigin, so hat ihr Vater Loni genannt, wenn sie mit ihm in der Natur unterwegs war und sich von der Vielfältigkeit der Tier- und Pflanzenwelt der Sumpflandschaft in Floridas Panhandle verzaubern ...

Marschkönigin, so hat ihr Vater Loni genannt, wenn sie mit ihm in der Natur unterwegs war und sich von der Vielfältigkeit der Tier- und Pflanzenwelt der Sumpflandschaft in Floridas Panhandle verzaubern ließ. Eindrücke, die sie geprägt und auch ihre berufliche Zukunft bestimmt haben, denn mittlerweile arbeitet sie als ornithologische Illustratorin am Smithsonian in Washington D.C. An ihren geliebten Vater, der von einer Tour in den Sümpfen nicht zurückgekommen ist und angeblich Selbstmord begangen, ist ihr nur die Erinnerung geblieben. Das Verhältnis zu ihrer Mutter Ruth und ihrem Bruder ist kühl und distanziert, eher nicht existent. Und doch ist es der Anruf ihres Bruders, der sie zurück in den Ort ihrer Kindheit holt. Es muss eine Entscheidung über die Zukunft ihrer verwirrten Mutter getroffen werden, die wegen eines Unfalls und ihrer fortschreitenden Demenz Betreuung benötigt. Widerwillig macht sich Loni auf den Weg, nicht ahnend, dass die Vergangenheit sie in Form einer kryptischen Notiz aus Ruth‘ Unterlagen einholen wird.

Eine Reise in die Vergangenheit, eine komplizierte Familiengeschichte, ein ungeklärter Todesfall, gut verborgene Kleinstadtgeheimnisse und die vorhersehbare Love Story. „Tochter des Marschlands“, das Debüt der amerikanischen Autorin Virginia Hartman, bietet eigentlich nichts, was man nicht schon mehrfach gelesen hat. Und dennoch hat dieser Roman ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn von anderen Büchern unterscheidet. Es ist die Art und Weise, in der hier das Verhältnis zwischen Mensch und Natur am Beispiel Lonis geschildert wird. Hier spielt Hartman nicht nur ihr Können aus, sondern vermittelt uns auch glaubhaft ihre emotionale Verbindung zu dieser Landschaft, ist sie doch, wie ihre Protagonistin, in Florida aufgewachsen. In der Beschreibung der Sümpfe spürt man die Schwüle und riecht das brackige Wasser, in den detaillierten Schilderungen der Vogelwelt hat man die farbenprächtige Vielfalt der Arten vor Augen. Dieses bildhafte Erzählen entschädigt, zumindest teilweise, für die langatmigen, redundanten und vorhersehbaren Passagen und die Romanze, die einen klaren Hinweis auf die angepeilte Zielgruppe gibt.

Empfohlen als entschleunigende Urlaubslektüre.

Veröffentlicht am 27.05.2023

Und dann war mal wieder so ein Tag…

Die unglaubliche Grace Adams
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„Die unglaubliche Grace Adams“ hat‘s nicht leicht. Ihr Mann ist ausgezogen, die Teenagertochter lebt mittlerweile bei ihm und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und auch beruflich läuft es nicht mehr ...

„Die unglaubliche Grace Adams“ hat‘s nicht leicht. Ihr Mann ist ausgezogen, die Teenagertochter lebt mittlerweile bei ihm und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und auch beruflich läuft es nicht mehr rund. Zu viele Fehltage kosten sie die Stelle als Teilzeit-Lehrerin und durch verpasste Abgabetermine ist sie nun auch ihren Nebenjob als Übersetzerin von Schundromanen los. Und dann sind da noch die Hitzewallungen und die Stimmungsschwankungen. Was ist geschehen? Wie konnte bloß alles so aus dem Ruder laufen?

Jetzt hockt sie bei brütender Hitze mit hochrotem Kopf in ihrem Auto, ist auf dem Weg zu der Geburtstagsfeier ihrer Tochter, obwohl sie dort nicht erwünscht ist. Um sie herum die Blechlawine des üblichen Staus in Nordlondon, hupende Autofahrer, glotzende Blicke. Sie hat die Nase voll, ist wütend, genervt, dreht den Zündschlüssel herum, öffnet die Autotür, steigt aus, lässt das Auto mitten auf der Straße stehen, kümmert sich nicht um das wütende Geschrei der anderen Autofahrer und macht sich zu Fuß auf den Weg. Fest entschlossen, ihr Leben und ihre Bezeihungen wieder in Ordnung bringen. Doch so einfach ist das nicht…

Fran Littlewood arbeitet in ihrem Roman mit Rückblenden, um uns Graces Geschichte näher zu bringen, und diese sind wesentlich besser gelungen als die Beschreibung ihres hektischen Fußmarschs durch die Londoner Straßen. Die Rückblenden sind humorvoll und mit feiner Ironie beschrieben. Im Gegensatz dazu ihr gegenwärtiges Verhalten, das von nur schwer nachvollziehbaren Wutanfällen, teilweise auch Gewaltausbrüchen geprägt ist, mit denen sie das Verhalten derjenigen quittiert, die ihr auf dem Weg dumm kommen. Unüberlegt und unverhältnismäßig, Menopause hin oder her. Mich konnte die Autorin mit dieser extremen Verhaltensänderung, die sie Grace als Befreiung von überholten Klischees in der Gegenwart zuschreibt, nicht überzeugen.