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Veröffentlicht am 31.07.2023

Am Zeitgeist

Kochen im falschen Jahrhundert
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Ein entspannter Abend mit Freunden. In der neuen Wohnung mit den schicken Holzböden. Der kürzlich erworbene dänische Designertisch muss ja eingeweiht werden. Wie die Gastgeber gehören auch die Gäste zu ...

Ein entspannter Abend mit Freunden. In der neuen Wohnung mit den schicken Holzböden. Der kürzlich erworbene dänische Designertisch muss ja eingeweiht werden. Wie die Gastgeber gehören auch die Gäste zu denen, die es geschafft haben. Ein Paar, das kürzlich Nachwuchs gekommen hat und ein Schweizer, seit kurzem in einer neuen Beziehung. Alle in gesicherten Verhältnissen und solvent mit guten Jobs. Jede/r bemüht, in puncto Selbstinszenierung besonders gut wegzukommen.

Wiesenblumen, stilvoll auf dem Tisch arrangiert, im Hintergrund läuft leise eine unaufdringliche Jazz-Playlist. In der Küche steht die Gastgeberin, die mit der Zubereitung des Essens heillos überfordert ist. Quiche und Sommersalat, das geht immer. So die Theorie, offenbar den Lifestyle-Magazinen entnommen. Die Realität sieht anders aus. Die Gastgeberin überfordert, der Gastgeber keine Hilfe. Kerzenwachs und Glasränder auf dem Tisch, ein Brandfleck im Trockentuch vom Designer. Banale Gesprächsinhalte, reduziert auf Oberflächlichkeiten. Und natürlich darf das Feelgood-Foto für Instagram nicht fehlen.

Präauer ist mit „Kochen im falschen Jahrhundert“ nah am Zeitgeist, beobachtet sehr kritisch und präzise, beschreibt pointiert und ironisch diesen Abend, der in verschiedenen Facetten, die sie auch anbietet, ablaufen könnte. Allen gemeinsam ist die Oberflächlichkeit und Selbstgefälligkeit der Teilnehmer, aber auch die Sprachlosigkeit, die die vordergründig angeregte Kommunikation der Tischgesellschaft beherrscht. Man spricht, ersetzt Inhalt durch Objekte, reiht Floskel an Floskel, hat sich aber nichts zu sagen.

Möchte ich mit diesen Menschen am Tisch sitzen und einen Abend verbringen? Nein. Niemals.

Veröffentlicht am 29.07.2023

Drei Freunde, drei Leben

Perlenbach
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In „Perlenbach“ nimmt uns Anna-Maria Caspari mit in die Eifel. Allerdings diesmal im ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen 1867 und 1904, und wie bereits in „Ginsterhöhe“ ist der Blick auf das Leben der ...

In „Perlenbach“ nimmt uns Anna-Maria Caspari mit in die Eifel. Allerdings diesmal im ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen 1867 und 1904, und wie bereits in „Ginsterhöhe“ ist der Blick auf das Leben der Menschen in diesem Landstrich rund um Wollseifen und Monschau (Monjoie) fokussiert. Zeitlich und inhaltlich gesehen ein Prequel, das das Fundament für die Familiengeschichte der Lintermanns legt.

Caspari verfolgt den Weg dreier Jugendlicher zwischen 1867 und 1904, die aus unterschiedlichen Verhältnissen kommen, und von denen jede/r deshalb auch seine Einschränkungen hinsichtlich der individuellen Lebensplanung hat.

Jacob, der Sohn eines Monschauer Tuchfabrikaten, bekommt von Kindheit an eingebläut, dass er später das familieneigene Unternehmen übernehmen muss. Seine Zukunft scheint gesichert, wäre da nicht eine große Liebe, die nicht sein darf.

Wilhelm, das Bauernkind aus Wollseifen, lernt durch seine Freundschaft mit Jacob ein Leben jenseits von Hunger und Knochenarbeit kennen und möchte das enge und von Armut geprägte Leben in seinem Heimatdorf hinter sich lassen.

Luise, die Arzttochter, hat nur einen Wunsch. Sie will studieren, Ärztin wie ihr Vater werden, aber das ist für Frauen in der damaligen Zeit ein schier aussichtsloses Unterfangen.

Drei Leben, drei Freunde und jede Menge Träume in einer Zeit, in der Lebenswege durch Herkunft und Konventionen vorbestimmt sind und Wünsche und Hoffnungen kaum etwas zählen. Dies beschreibt Caspari mit viel Einfühlungsvermögen und vernachlässigt dabei nicht die gesellschaftlichen Veränderungen, die diesen Zeitraum bestimmen. Seien es die Lebensbedingungen, der technische Fortschritt, die starren Konventionen oder die politische Situation am Vorabend des Ersten Weltkriegs, alles findet seinen Platz in diesem gut recherchierten und an die damalige Realität glaubhaft angelehnten historischen Roman.

Veröffentlicht am 27.07.2023

Spannender Reihenauftakt aus Nordschweden

Apfelmädchen
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Wo in der luxuriösen Villa sonst die Flurlampe hängt, baumelt eine Leiche. Eva Vendel, gequält, ermordet und zur Schau gestellt. Eine Lehrerin, die alle mochten. Wer tut so etwas? Und warum? Dann wird ...

Wo in der luxuriösen Villa sonst die Flurlampe hängt, baumelt eine Leiche. Eva Vendel, gequält, ermordet und zur Schau gestellt. Eine Lehrerin, die alle mochten. Wer tut so etwas? Und warum? Dann wird ein Mädchen aus der Vorschule entführt. Die Zeit drängt, denn das Kind leidet an Diabetes. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Mord an Eva Vendel?

Fragen, die Kommissarin Idun Lund und ihr langjähriger Kollege Kommissar Calle Brandt klären müssen, die bei der der Mordkommission im nordschwedischen Boden arbeiten und mit dem Fall betraut werden. Mit im Team sind Svetlana Moritz, die Gerichtsmedizinerin und Siv Liv im Büro, die die Koordination übernimmt. Verstärkt wird die eingeschworene Truppe später durch Tareq Shaheen aus Stockholm. Allesamt sehr interessante Charaktere, wobei insbesondere Calle Brandt durch seine unkonventionelle Art heraussticht und stellenweise eine besondere Dynamik in die Ermittlungen bringt.

Wie aktuell in so vielen skandinavischen Thrillern erzählt auch Tina Martin in ihrem Erstling und Reihenauftakt die Story auf zwei Ebenen, kenntlich gemacht durch säuberlich getrennte und abwechselnde Kapitel, die sowohl das Tempo als auch die Spannung befeuern. Und je tiefer sich das Team in den Fall einarbeitet, umso klarer kristallisiert es sich heraus, dass es traumatische Geschehnisse in der Vergangenheit sind, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Dabei konstruiert die Autorin aber nicht eindimensional, sondern legt verschiedene Spuren, die sich intelligent verflechten, mit Wendungen punkten und schlussendlich zu einem stimmigen Bild ergänzen.

„Apfelmädchen“ ist ein gelungenes Debüt, spannend geplottet und mit einem sehr gut charakterisierten, sympathischen Team, dessen Fälle ich auch zukünftig weiterverfolgen werde. Der Nachfolgeband „Gewittermann“ erscheint Mitte Januar 2024.

Veröffentlicht am 26.07.2023

Schillernd, flirrend, lebendig und dabei doch informativ

An der Seite van Goghs
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Leuchtende Farben, kraftvolle Pinselstriche. Motive, wie im Rausch auf die Leinwand gebannt. Bilder, die das Innerste des Betrachters berühren.

Vincent van Gogh. Der Geniale, Verzweifelte, Besessene, ...

Leuchtende Farben, kraftvolle Pinselstriche. Motive, wie im Rausch auf die Leinwand gebannt. Bilder, die das Innerste des Betrachters berühren.

Vincent van Gogh. Der Geniale, Verzweifelte, Besessene, Suchende, Mythos. Postimpressionist und Wegbereiter für die Fauves und die Expressionisten, der gerüchtehalber während Lebzeiten nur ein einziges Bild verkaufen konnte, und das blieb innerhalb der Familie bei seinem Bruder und treuen Unterstützer Theo.

Heute erzielen seine Gemälde auf Auktionen Höchstpreise. Ein Verdienst, den man zweifelsohne Johanna van Gogh-Bonger zusprechen muss, der Frau von Vincents Bruder Theo, die nicht locker ließ und dafür sorgte, dass 1901 die Galeristen Bernheim-Jeune van Gogh eine große Ausstellung widmeten und damit Wegbereiter für seinen Erfolg wurden.

Dieser außergewöhnlichen Frau widmet sich Caroline Cauchi in ihrem Roman „An der Seite Van Goghs“ mit großem Sachverstand und eingehender Recherche. Im Wesentlichen bezieht sie die zugrunde liegenden Informationen aus dem umfangreichen Briefwechsel zwischen Vincent und seinem Bruder Theo und füllt diese mit fiktionalen Geschehnissen auf.

Dies vermittelt zum einen ein sehr interessantes Bild über die Frauen im Kunstbetrieb, die mehr sein wollen als bloße Musen der Maler, zum anderen aber nimmt sie uns auch mit in die Pariser Künstlerszene mit ihren schillernden Vertretern wie Auguste Rodin, Camille Claudel und Paul Gaugin. Und sie zeigt uns die verschiedenen Facetten der Persönlichkeiten Van Goghs, ein Einzelgänger, der nicht dafür geschaffen ist, sich in dieser Szene wohl zu fühlen, sondern damit zufrieden ist, wenn ihm seine Staffelei und seine Farben zur Verfügung stehen.

Ein schillernder, flirrender, lebendiger und dabei doch informativer Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 23.07.2023

Enttäuschend uninspiriert

1989 - Wahrheit oder Tod
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Die Pressekonzentration hat Ende der achtziger Jahre rasant zugenommen, fast alle Printmedien befinden sich mittlerweile in den Händen zweier einflussreicher Mogule. Einer ist Ace Lockhart, Allie Burns‘ ...

Die Pressekonzentration hat Ende der achtziger Jahre rasant zugenommen, fast alle Printmedien befinden sich mittlerweile in den Händen zweier einflussreicher Mogule. Einer ist Ace Lockhart, Allie Burns‘ neuer Chef. Skrupellos, nur den Verkaufszahlen und dem Profit verpflichtet. Auch das Nachrichtenmagazin, für das sie arbeitete, ist im Besitz Lockharts und zu dem typischen Tabloid mit den reißerischen Schlagzeilen verkommen. Investigativer Journalismus ist nicht mehr gefragt, was die mittlerweile in Manchester lebende Allie schmerzhaft feststellen muss. Eine ihrer Reportagen, die die unhaltbaren Zustände in der (Nicht-)Behandlung von HInfizierten in Schottland, deren Übersiedlung nach England und den Machenschaften der Pharmaindustrie schildert, erscheint zwar, wurde allerdings auf Anweisung des Herausgebers stark modifiziert und hat nichts mehr mit Allies eigentlichem Artikel zu tun.

Es hätte dem Roman mit Sicherheit nicht geschadet, wenn McDermid tiefer in diese Themen eingestiegen wäre. Ob das nun die Pressekonzentration und ihre Auswirkungen, die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen in den überwiegend männlich geprägten Redaktionen, die verheerenden Auswirkungen, die Thatchers Politik für GB hatte, Aids im Spiegel der Öffentlichkeit, die Katastrophen von Lockerbie und Hillsborough (werden zumindest am Rande erwähnt) und…und…und

Stattdessen schickt McDermid ihre Protagonistin nach Ost-Berlin, wo diese sich in eine mehr als lächerliche Fluchtgeschichte verwickeln lässt, die sie – natürlich – in den Stasiknast bringt. Aber es geht noch wesentlich schlimmer. Die gefakte Entführung von Tycoons Töchterlein.Was sich die Autorin dabei gedacht hat, lässt sich noch nicht einmal vermuten. Für die Handlung war dies jedenfalls meiner Meinung nach überflüssig wie ein Kropf.

Langer Rede, kurzer Sinn:1989“ ist enttäuschend uninspiriert und hält dem Vergleich mit dem Vorgänger leider in keinster Weise stand. Von der gelernten Journalistin Val McDermid erwarte ich mehr als eine Aneinanderreihung uninteressanter Ereignisse und eine Playlist am Ende des Buches.