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Veröffentlicht am 11.08.2022

Cui bono?...wie Ahmid sagt

Pirlo - Falsche Zeugen
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„Glücksspiel. Drogen. Prostitution. Das alles gibt es sowieso immer. Es kann von Vorteil sein, wenn man zumindest weiß, dass sich ordentlich darum gekümmert wird. Von ernst zu nehmenden Leuten, die wissen, ...

„Glücksspiel. Drogen. Prostitution. Das alles gibt es sowieso immer. Es kann von Vorteil sein, wenn man zumindest weiß, dass sich ordentlich darum gekümmert wird. Von ernst zu nehmenden Leuten, die wissen, was Respekt ist und wie man ihn zeigt.“ (S. 346)

Ingo Bott nimmt uns in „Falsche Zeugen“, dem zweiten Band der Pirlo-Reihe, mit ins Düsseldorfer Milieu, in dem der albanische Maliki-Clan und die Nazi-Rocker sich die genannten „Geschäftsfelder“ brüderlich teilen. Man respektiert sich und spuckt dem Gegenüber nicht in die Suppe, ist ja genug für alle da. Natürlich muss Mann immer wieder mal mit den Muskeln spielen, zeigen, wer der Herr im Ring ist, aber das ist Geplänkel. Ernsthafte Auseinandersetzungen oder Revierkämpfe sind eher selten.

Alles easy bis zu dem Abend, an dem Rainer Waßmer, Boss der Rocker, auf dem Parkplatz eines Bordells erstochen wird und Faruk Malikis Fingerabdrücke auf der Tatwaffe gefunden werden. Von da an bekommt die Aussage „Leben und leben lassen“ eine komplett andere Bedeutung. Die Mühlen der Justiz beginnen zu mahlen, was auch Faruk, dem Kronprinzen der Malikis, klar ist. Hier kommen Pirlo und seine Kollegin Sophie ins Spiel, bei denen er Hilfe sucht. Sie glauben seinen Unschuldsbeteuerungen und übernehmen den Fall trotz der dürftigen Beweislage.

Die Ermittlungen gestalten sich äußerst zäh, denn es gibt kaum Anhaltspunkte, wer ein Interesse daran haben könnte, Waßmer zu ermorden und Maliki an den Karren zu fahren. Nicht gut, denn Pirlo und Mahler arbeiten auf Erfolgsbasis, d.h. wenn Faruk schuldig gesprochen wird, sehen sie keinen müden Cent.

So plätschern die ersten 200 Seiten vor sich hin, kurz unterbrochen von Rückblicken auf den erfolgreichen Abschluss des Falls aus Band 1, Pirlos unbewältigte Familiengeschichte in Form seines Bruders Ahmid, der Sophie anbaggert, und dem Auftauchen von Alena, einer attraktiven Femme fatale (Verbeugung vor dem Malteser Falken ???), die Pirlo den Kopf dermaßen verdreht, dass er Sophie mit der gesamten Arbeit an dem Fall hängen lässt. Wer diese Durststrecke überwindet, wird mit einem zweiten Teil belohnt, der es in sich hat und Faruks Geschichte samt einigen interessanten Entwicklungen im Privaten der beiden Anwälte zufriedenstellend zum Ende bringt.

Wenn ich Sympathiepunkte verteilen müsste, würde das Pendel ohne Frage zu Sophies Seite hin ausschlagen, was vor allem den endlosen Wiederholungen geschuldet ist, mit denen ihr Chef beschrieben wird. Ja, wir haben zur Kenntnis genommen, dass er seinen Kaffee extrastark trinkt, alkoholischen Getränken nicht abgeneigt und von seinen Haaren fast schon besessen ist. Und dass er ein Problem mit seiner Herkunft hat. Wesentlich schwerer ins Gewicht fällt jedoch, wie er Sophie hängen lässt, obwohl er weiß, dass es brennt. Kein Charakterzug, der mich für ihn einnimmt. Aber bei einem Blick auf das Cover des dritten Bandes scheint es zumindest so, dass Pirlo endlich Sophies Qualitäten würdigt und sie zur Partnerin macht. Wir dürfen gespannt sein.

Kurze Kapitel und knappe Sätze forcieren das Tempo, und auch die nebenbei eingeflochtenen politischen Statements haben immer wieder für ein zustimmendes Kopfnicken meinerseits gesorgt. Beispiel gefällig?: „Irgendjemand dankt Sophie und Pirlo für den Beitrag zur Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Vielleicht bekommen sie sogar eine Auszeichnung. Man hat Obama den Friedensnobelpreis gegeben. Im Afghanistan-Krieg. Während das Lager von Guantanamo in Betrieb war.“ (S. 222)

Nach anfänglichen Zweifeln überwiegt dann doch der positive Gesamteindruck (mit kleinen Abstrichen) und lässt mich gespannt auf die Fortsetzung der Reihe warten.

Veröffentlicht am 10.08.2022

Wenn’s mal etwas einfacher gestrickt sein darf…

Die Hyänen
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Es beginnt wie immer. Greyhound-Fan Jack Reacher sitzt mit Kreditkarte und seiner Zahnbürste im Bus, fährt ziellos durch die Gegend und beobachtet die Fahrgäste. Aus der Tasche eines alten Mannes (Aaron ...

Es beginnt wie immer. Greyhound-Fan Jack Reacher sitzt mit Kreditkarte und seiner Zahnbürste im Bus, fährt ziellos durch die Gegend und beobachtet die Fahrgäste. Aus der Tasche eines alten Mannes (Aaron Shevick) ragt ein prall gefüllter Umschlag heraus, der offenbar eine größere Menge Bargeld erhält, was nicht nur Reacher sondern auch dem Kerl im Sitz vor ihm aufgefallen ist. Und der hat keine guten Absichten, folgt dem Mann, als er an der Haltestelle den Bus verlässt, passt eine günstige Gelegenheit ab und überfällt ihn. Hätte er besser nicht getan, denn natürlich ist unser einsamer Rächer als Retter in der Not zur Stelle und vereitelt den Überfall. So weit, so gut. Die klassische Einleitung, die den Boden bereitet für den Hauptteil, der den bekannten Mustern der Reihe folgt.

Reacher landet in einer nicht näher benannten Stadt, in der es von Kriminellen wimmelt. Rivalisierenden Albaner und Ukrainer tragen hier ihre Revierkämpfe aus, und natürlich gibt es da auch noch die Russen, die im Hintergrund auf ihre Chance lauern. Mittendrin jede Menge Unschuldige, die Reachers Hilfe benötigen, da die Polizei weitgehend tatenlos zuschaut. Unterstützung findet er bei seiner neuen Freundin, der Barkeeperin Abby, die ihn ohne groß Fragen zu stellen unterstützt und mit ihm in den Kampf zieht.

„Die Hyänen“ ist das vierundzwanzigste Buch und der letzte Band der Reihe, für den Lee Child allein verantwortlich zeichnet, bevor er die Fackel an seinen Bruder weiterreicht. Und er geht von Beginn an in die Vollen. Eine Actionszene reiht sich an die nächste, was zwar für Tempo sorgt, aber natürlich zu Lasten der Personen geht, die allesamt reichlich blass bleiben. Aber man weiß ja, was man bekommt, zumindest dann, wenn man die Vorgänger kennt. Wo Reacher draufsteht, ist Reacher drin, und diese Romane sind ja weder für den gewaltfreien Widerstand der Hauptfigur noch für deren filigran ausgearbeiteten Dialoge populär. Hier heiligt der Zweck die Mittel, und die Bösen bekommen am Ende das, was sie verdient haben. Basta.

Ein spannender Thriller mit jeder Menge Action, spannend erzählt, routiniert geschrieben und wie immer flüssig zu lesen. Wenn’s mal etwas einfacher gestrickt sein darf…

Veröffentlicht am 07.08.2022

Amateurdetektei Rizzoli

Mutterherz
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Amy Antrim, eine Jugendliche, wird von einem Auto angefahren. Der Fahrer kümmert sich nicht um das verletzte Mädchen und begeht Fahrerflucht.

Sofia Suarez, eine bei Nachbarn und Kollegen beliebte Krankenschwester, ...

Amy Antrim, eine Jugendliche, wird von einem Auto angefahren. Der Fahrer kümmert sich nicht um das verletzte Mädchen und begeht Fahrerflucht.

Sofia Suarez, eine bei Nachbarn und Kollegen beliebte Krankenschwester, wird nach Schichtende in ihrer Wohnung mit einem Hammer erschlagen.

Als wäre das nicht genug, tritt auch noch Angela, Jane Rizzolis Mutter, in die Fußstapfen von Miss Marple und beobachtet verdächtige Vorkommnisse in ihrer Nachbarschaft: Ein Mann und eine Frau, die bei Nacht und Nebel mit einem Umzugswagen vorfahren und das leerstehende Haus in der Straße beziehen, Gitter an den Fenstern einbauen und das Willkommensgeschenk, Angelas legendäres Zucchinibrot, nicht annehmen. Sehr verdächtig! Aber wozu hat man denn eine Tochter bei der Bostoner Mordkommission, soll die sich doch darum kümmern. Zu dumm nur, dass Jane, die mit ihrem Kollegen Barry Frost damit beschäftigt ist, den Mord an Sofia Suarez aufzuklären, und absolut keine Lust hat, sich mit den Ergebnissen von Hobby-Detektivin Angelas Schnüffeleien auseinanderzusetzen.

„Mutterherz“, der 13. Teil der Rizzoli & Isles Reihe hat mich überrascht, ähnelt die Story inhaltlich doch sehr stark dem, was wir von der mittlerweile eingestellten Fernsehserie kennen. Viel Familiengedöns und Drumherumgerede, die eigentlichen Ermittlungen im Fall der ermordeten Krankenschwester laufen eher nebenher.

Und dennoch, mich hat dieser Roman (Thriller würde ich ihn nicht unbedingt nennen) gut unterhalten, was den beiden sympathischen Protagonistinnen, in diesem Fall das Mutter-Tochter-Gespann, sowie den Fähigkeiten der Autorin geschuldet ist. Zum einen halten die Kapitel aus wechselnden Perspektiven das Interesse an dem Fortgang der Handlung hoch, zum anderen gelingt es Gerritsen, wie wir es von ihr gewohnt sind, die unterschiedlichen Baustellen der Handlung am Ende logisch und souverän zusammenzuführen.

Ein solider „Summer read“, den ich auch Leserinnen empfehlen kann, die es eher unblutig mögen.

Veröffentlicht am 03.08.2022

Warum in die Ferne schweifen...

Natürlich Schwäbisch
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Lange bevor die Themen Nachhaltigkeit und Regionalität in Mode kamen, war es mir als Landkind schon immer wichtig zu wissen, wo die Lebensmittel herkommen, die tagtäglich auf unseren Tellern landen, und ...

Lange bevor die Themen Nachhaltigkeit und Regionalität in Mode kamen, war es mir als Landkind schon immer wichtig zu wissen, wo die Lebensmittel herkommen, die tagtäglich auf unseren Tellern landen, und das ist bis heute so geblieben. Glücklicherweise hat dies in der Zwischenzeit auch viele Profiköche erreicht, die nicht auf möglichst exotische Zutaten sondern auf ausgezeichnete Qualität aus regionalem Anbau setzen.

Einer von ihnen ist Andreas Widmann, ein Kind der Schwäbischen Alb, der nach seinen Lehr- und Wanderjahren zurück in der Heimat gekommen ist und dort in der Nähe von Heidenheim (Ostalb) erfolgreich sowohl ein Gourmetrestaurant als auch ein klassisches Wirtshaus betreibt. Ihm ist der Spagat zwischen traditioneller Landküche und internationaler Haute Cuisine gelungen, denn auch bei seinen gehobenen Kreationen kommen die erstklassischen Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung und werden von ihm unter Einsatz traditioneller Techniken kreativ verarbeitet (Miso-Paste aus Alblinsen oder Ketchup aus fermentierten Tomaten). Oder Fleisch von Lämmern, die auf den Wacholderheiden der Alb ihr Futter finden und somit auch in die ökologische Landschaftspflege eingebunden sind. Wie auch die Rinder, die ihr Leben nicht angebunden in dunklen Ställe fristen sondern auf der Weide stehen. Alle diese regionalen Produkte garantieren höchste Qualität und führen einmal mehr den Beweis, dass man nicht in die Ferne schweifen muss, um von außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen überrascht zu werden.

„natürlich schwäbisch“ ist mehr als ein Kochbuch. Es ist gleichzeitig ein Lesebuch, in dem Widmann die vielen Facetten dieser Region zeigt, und es ist ein Bekenntnis zu seiner Heimat. Er macht uns mit seinen verschiedenen Lieferanten bekannt, stellt aber auch Menschen vor, die sich mit Leib und Seele ihrem Handwerk verschrieben haben, wie beispielsweise die Häfnerin oder den Schreiner.

Rezepte gibt es natürlich auch, und zwar in Hülle und Fülle. Dabei fehlen natürlich nicht die Klassiker der schwäbischen Küche: die Festtagssuppe und der Gaisburger Marsch, die Maultaschen und die Spätzle, der Ofenschlupfer und die süßen Flädle. Aber wir finden auch raffinierte Kreationen, so die gepökelten Schweinebäckle in Alblinsensoße, ein Hendl-Curry oder das Nudelrisotto mit confierten Tomaten und Bergkäseschaum. Alle nach dem speziellen „Alb.style“ von Andreas Widmann zubereitet, im Detail erklärt und leicht nachzukochen, setzen aber teilweise auch ein gewisses Maß an Vorkenntnis und Küchenerfahrung voraus.

Ein wunderschönes Koch- und Lesebuch und eine Liebeserklärung an die Schwäbische Alb und ihre Menschen.

Veröffentlicht am 29.07.2022

Nachtschwärmer

23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht
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„23 Uhr 12. Eine Autobahntankstelle in einer Sommernacht. Wenn man das Pferd mitrechnet, die Leiche aber nicht, sind zu diesem Zeitpunkt dreizehn Personen vor Ort (…)Wenn man die Leichen noch immer ausnimmt, ...

„23 Uhr 12. Eine Autobahntankstelle in einer Sommernacht. Wenn man das Pferd mitrechnet, die Leiche aber nicht, sind zu diesem Zeitpunkt dreizehn Personen vor Ort (…)Wenn man die Leichen noch immer ausnimmt, das Pferd aber mitzählt, sind zu genau diesem Zeitpunkt nur noch zehn Personen vor Ort. Es ist 23 Uhr 14 (…) Hier ist man nur auf der Durchreise.“

So Anfang und Ende in Adeline Dieudonnés neuem Roman in zwölf Geschichten „23 Uhr 12“, in dem wir in einer kurzen Momentaufnahme das Leben von Menschen streifen, die sich in der Nacht auf einem Rastplatz in den Ardennen begegnen. Die Szenerie wirkt wie aus der Zeit gefallen. Schatten, die das Neonlicht wirft, der Geruch nach Benzin und Auspuffgasen, die Geräusche der vorbeifahrenden Autos, alles bloß Kulisse für die kurze Unterbrechung, den Stopp in einer Welt zwischen Vorher und Nachher, in der jede/r seine eigene Geschichte im Gepäck hat. Zwei Minuten, die zur Ewigkeit werden.

Wie bereits in „Das wirkliche Leben“ brilliert Dieudonné einmal mehr mit ihrer Kompromisslosigkeit. Mit harter, direkter Sprache und einem gnadenlos entlarvenden Blick, mit groben Strichen beschreibt sie die Personen und deren Beziehungen, Eigenheiten, Obsessionen, Triebe und Ängste und schaut in die Abgründe der menschlichen Seele. Das wirkt stellenweise skurril und absurd, wirkt aber auch schockierend und verstörend. Dennoch gelingt es ihr trotz der Kürze tief in die einzelnen Schicksale einzutauchen und kompromisslos die Einsamkeit der Menschen und die kaum auszuhaltende Leere in deren Leben aufzuzeigen.

Ein kleiner großer Roman, trostlos, aber auch melancholisch, bei dem ich während des Lesens ständig „Nighthawks“, das bekannteste Gemälde Edward Hoppers, vor Augen hatte. Lesen!