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Veröffentlicht am 28.02.2021

Ein Reihenauftakt nach Maß

Der Libanese
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Clan-Kriminalität ist ein Thema, das in der deutschen Spannungsliteratur deutlich unterrepräsentiert ist, obwohl diese Form der organisierten Kriminalität mittlerweile auch im deutschen Alltag angekommen ...

Clan-Kriminalität ist ein Thema, das in der deutschen Spannungsliteratur deutlich unterrepräsentiert ist, obwohl diese Form der organisierten Kriminalität mittlerweile auch im deutschen Alltag angekommen ist. Zentren dieser hierarchisch organisierten und ethnisch abgeschotteten Parallelgesellschaften sind aktuell Berlin und Bremen, die Wurzeln der Clanfamilien sind überwiegend im Nahen Osten zu finden.
Clemens Muraths „Libanese“ ist Arslan Aziz, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich auch auf dem gesellschaftlichen Parkett sicher bewegt und die richtigen Verbindungen hat. Mit seinem Bruder Tarik und zahlreichen Helfern kontrolliert er nicht nur die Berliner Drogenszene, sondern mehrt auch mit Schutzgelderpressung und Prostitution das Vermögen der Familie. Gewaschen wird das Geld in seiner Immobiliengesellschaft, deren neuestes Projekt der Bau einer großen Shopping Mall ist. Er ist der Denker und Stratege, der Kopf des Clans. Sein Bruder hingegen ist ein impulsiver Gewalttäter, dessen unüberlegtes Verhalten immer wieder Probleme schafft und der auch vor der Ermordung eines Konkurrenten in aller Öffentlichkeit nicht zurückschreckt.
Auf Seiten des Berliner LKA steht „Shooter“ Frank Bosman, der seine Truppe eher unkonventionell führt, seit er mit seinem Kollegen Schuster im Kosovo als Polizeiausbilder für die EULEX tätig war und seither einen etwas anderen Blick auf seine Arbeit hat. Er tut, was getan werden muss, hat keine Skrupel, im Kiez kommt man mit Samthandschuhen nicht weit. Sein moralischer Kompass scheint außer Betrieb. Informanten werden bezahlt, mit Cash oder Drogen, die im Einsatz beschlagnahmt wurden. Aber er weiß auch, wer in seinem Revier auf Hilfe angewiesen ist, steckt schonmal einer alleinerziehenden Mutter Geld für die Klassenfahrt ihres Sohnes zu und unterstützt eine private Tafel mit großzügigen Geldspenden. Sein Vorgesetzter? Nicht ahnungslos, aber hält die Füße still, könnte ja hinderlich für seine Ambitionen sein. Und letztendlich zählt nur der Erfolg, nicht der Weg dorthin. Und der gibt dem Shooter recht.
Clemens Murath ist Drehbuchschreiber, weiß also, wie man eine spannende Geschichte plottet. Seine Milieuschilderungen sind großartig, aber auch das Personal hat einiges zu bieten. Der Filme machende Schwager, der mit 200.000 Euro bei Tarik in der Kreide steht, der korrupte Banker, der Arslans Konten frisiert, die junge Augenzeugin, die ihre devoten Neigungen entdeckt und noch einige mehr. Daraus ergeben sich zahlreiche Nebenhandlungen, die jede für sich einen Blick wert und für das hohe Tempo verantwortlich sind. Ein rauer Thriller, der nicht mit Gewaltdarstellungen geizt, die Sprache oft rotzig und deshalb dem Milieu angemessen, die Dialoge geprägt von schwarzem Humor. Hat etwas von Pulp Fiction, und könnte locker verfilmt werden. Ein Reihenauftakt nach Maß, der mich ungeduldig auf die Fortsetzung warten lässt.

Veröffentlicht am 26.02.2021

Authentischer Kriminalroman jenseits der Klischees

Frostmond
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Die verweste Leiche einer jungen Frau wird am Urban Beach in Montreal angespült. Die Obduktion ergibt, dass sie indianischer Herkunft ist. Die zuständige Sûreté du Québec sieht sich immer wieder mit der ...

Die verweste Leiche einer jungen Frau wird am Urban Beach in Montreal angespült. Die Obduktion ergibt, dass sie indianischer Herkunft ist. Die zuständige Sûreté du Québec sieht sich immer wieder mit der Unterstellung konfrontiert, bei indigenen Opfern schlampig und ohne Nachdruck zu ermitteln. Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist, denn auch in den Fällen der ermordeten Indianerinnen entlang des Transcanada-Highways, der wegen dieser Morde von Interessenverbänden der First Nations auch als „Highway of tears“ bezeichnet wird, konnte bislang kein Schuldiger dingfest gemacht werden. Deshalb bekommen sie Ted Garner, einen Profiler aus Regina, Saskatchewan zugeteilt, der sie für die Thematik sensibilisieren und bei ihren Ermittlungen unterstützen soll. Er bildet ein Zweierteam mit Jean-Baptiste LeRoux, und Zusammenarbeit der beiden führt - natürlich – zum Erfolg. Der Highway-Mörder wird dank Ermittlungsarbeit überführt, bei der Entlarvung des Mörders der jungen Indianerin hingegen kommt ihnen der Zufall zu Hilfe und offenbart schockierende Details über deren Leben und Sterben in der großen Stadt.

Es sind drei, eigentlich nur zwei Perspektiven, die diesen Kriminalroman prägen. Zum einen die „weiß-kanadische“ des Ermittlerteams LeRoux/Garner, zum anderen die Indigene von Leon Maskisin, Cousin des getöteten Cree-Mädchens, wobei diese unbestreitbar die Interessantere ist.

LeRoux ist mehr mit sich selbst und seinen außerehelichen Liebschaften beschäftigt, als sich um die Ermittlung zu kümmern. Garner mag wohl fähig sein, gefällt sich aber meiner Meinung nach zu sehr in der Rolle des Schopenhauer lesenden Intellektuellen, der mit jeder Menge Zitate LeRoux‘ Angetraute beeindrucken will. Sinn und Zweck in diesem Krimi erschließt sich mir jedenfalls nicht. Teamarbeit findet nur teilweise statt, im Großen und Ganzen macht jeder sein eigenes Ding. Beiden gemein ist jedoch die typisch weiße Überheblichkeit.

Maskisin hingegen lebt das traditionelle Leben der Cree, orientiert sich an den Werten, die ihm sein Großvater beigebracht hat. Er reinigt Körper und Geist in der Schwitzhütte, legt Fallen aus, in denen er Pelztiere fängt, und lebt von dem Erlös der Häute. Und er setzt alles daran, den Tod seiner Cousine zu rächen.

Wenn eine deutsche Autorin einen Roman schreibt, in dem Kultur und Leben der Indigenen Thema sind, bin ich zuerst einmal skeptisch, denn noch immer geistert in vielen dieser Machwerke (meist aus der Schnulzenecke) das über Jahrzehnte vermittelte Bild des Naturburschen herum, der mit wehenden Haaren spärlich bekleidet über die Prärie reitet.

Die Sorge ist bei Frauke Buchholz unberechtigt, hat sie doch im Zuge ihres Studiums quasi Feldforschung in diversen Reservaten betrieben sowie auch einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht und sich dort umfassend über deren Kultur und Lebensbedingungen informiert. Und so ist es kein Zufall, dass ausgerechnet diese „First Nation“ im Zentrum ihres authentischen Kriminalromans „Frostmond“ steht, den ich an dieser Stelle all jenen empfehle, die sich für die indigenen Völker Kanadas und der Vereinigten Staaten interessieren.

Veröffentlicht am 24.02.2021

Zeitreise in die Sechziger

Die Wunderfrauen
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Stephanie Schuster schreibt die Geschichte der vier Freundinnen fort und nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die sechziger Jahre.

Allmählich verändert sich das Leben in Deutschland, die Schwere der Nachkriegsjahre ...

Stephanie Schuster schreibt die Geschichte der vier Freundinnen fort und nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die sechziger Jahre.

Allmählich verändert sich das Leben in Deutschland, die Schwere der Nachkriegsjahre weicht allmählich der Lockerheit, mit der sich die Swinging Sixties auch in Deutschland ankündigen. Auf den Tanzflächen haben Walzer und Foxtrott ausgedient, Rock’n’Roll verkörpert das neue Lebensgefühl.

Und auch in Starnberg gibt es Veränderung: Luises Geschäfte gehen gut, Helga hat mittlerweile ihr Medizinstudium in München abgeschlossen und kehrt mit ihrem Sohn David nach Starnberg zurück, um eine Stelle als Frauenärztin in der Klinik am See anzutreten, Marie hat mit ihren drei Kindern und der Arbeit auf dem Hof kaum noch Zeit zum Atmen und Annabels Neugeborenes setzt in ihr ungeahnte Kräfte frei.

Wie bereits in dem Vorgänger punktet die Autorin in den Schilderungen des täglichen Lebens ihrer Protagonisten nicht nur mit jeder Menge Zeitkolorit, sondern zeigt auch deren allmähliches „Erwachen“. Auch wenn sich die Gesetzgebung noch längst nicht den gesellschaftlichen Veränderungen stellt, kleine Schritte hin zu einem gleichberechtigteren Umgang der Geschlechter sind bereits zu erkennen. Fast hat man das Gefühl, als ob die Frauen allmählich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Aber auch Themen, die die Gesamtgesellschaft betreffen, erhalten Raum, wie beispielweise die Contergan-Affäre, die Verfügbarkeit einer Pille zur Geburtenkontrolle, das neue Lebensgefühl der Jugend, das sich in der Flower Power Bewegung Bahn bricht, aber natürlich auch in ersten Demonstrationen gegen das Establishment zeigt.

Ein gelungener und höchst unterhaltsamer Ausflug in die Vergangenheit, in dem - gewollt oder ungewollt – auch ein kleiner Seitenhieb auf unsere aktuelle Situation versteckt ist: „Alles, was mit C begann, war gefährlich, Cholera, Cholesterin. Mal sehen, was die Zukunft noch Schlimmes mit C hervorbrachte.“ (S. 267)

Veröffentlicht am 18.02.2021

So viele Leben, so viele Denkanstöße

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
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Der britische Man Booker Prize wird seit 1969 verliehen, und Bernadine Evaristo war die erste schwarze Autorin, die ihn 2019 erhalten hat. Allerdings musste sie ihn sich mit Margaret Atwood teilen. Bereits ...

Der britische Man Booker Prize wird seit 1969 verliehen, und Bernadine Evaristo war die erste schwarze Autorin, die ihn 2019 erhalten hat. Allerdings musste sie ihn sich mit Margaret Atwood teilen. Bereits das zeigt, wie wichtig ihr Roman „Mädchen, Frau etc.“, in welchem sie die Lebenswirklichkeit schwarzer Frauen in der britischen Gesellschaft beschreibt.

Auf über 500 Seiten kommen 12 Frauen zwischen 19 und 93 zu Wort und erzählen ihre Geschichten. Sie kennen sich, ihre Leben sind miteinander verknüpft, sie haben Ziele, Wünsche, Träume. Suchen nach Orientierung, nach Akzeptanz und Liebe, wollen Selbstbestimmung, Gender und Feminismus leben, Rassismus und Unterdrückung hinter sich lassen. Sie sind so verschieden wie ihre Lebensentwürfe. Aber sie haben eines gemeinsam, und das ist ihre Hautfarbe und daraus resultierend die kollektiven Erfahrungen, die sie unabhängig von Herkunft, Bildung, persönlichem und gesellschaftspolitischem Hintergrund während ihres Lebens gemacht haben. Dennoch ist diese Sammlung nicht exemplarisch, bildet keinen Querschnitt ab, sondern zeigt nur einen kleinen Ausschnitt des variantenreichen Lebens schwarzer Frauen in Großbritannien.

Der Stil ist locker, leicht lesbar, die Geschichten fließen ineinander, sind nur durch Absätze getrennt. Satzzeichen werden nur spärlich eingesetzt, Zeilenumbrüche ersetzen den Punkt, den es nur am Ende des jeweiligen Kapitels gibt. Man könnte vermuten, dass das auf Kosten der Lesbarkeit geht, aber dem ist nicht so. Es wird nie unübersichtlich, im Gegenteil, dadurch nehmen die Schilderungen Tempo auf, zwingen förmlich zum Weiterlesen, aber auch zum Zurückblättern, wenn ein Name auftaucht, den man schon einmal in anderem Zusammenhang gelesen hat.

Ich bin ein Fan von Episodenromanen, mag die verschiedenen Stimmen, die Vielfältigkeit und die daraus resultierende Abwechslung, die geboten wird. Und wenn mich dann noch eine Autorin an die Hand nimmt und in diverse Lebenswirklichkeiten hineinschnuppern lässt, ist das umso besser. So viele Leben, so viele Denkanstöße. Lesen!

Veröffentlicht am 17.02.2021

Vorhang auf für John Adderley

Der andere Sohn
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Autorenduos sind in Skandinavien gang und gäbe. Natürlich fallen mir da als erstes die genialen Maj Sjöwall und Per Wahlöö ein, aber auch Michael Hjorth & Hans Rosenfeldt oder die Deutsch-Schweden Roman ...

Autorenduos sind in Skandinavien gang und gäbe. Natürlich fallen mir da als erstes die genialen Maj Sjöwall und Per Wahlöö ein, aber auch Michael Hjorth & Hans Rosenfeldt oder die Deutsch-Schweden Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson. Nun also Peter Mohlin und Peter Nyström, der eine Journalist, der andere Drehbuchautor, die mit „Der andere Sohn“ einen Reihenauftakt vorlegen, der sich durchaus sehen lassen kann.

Im Mittelpunkt der Handlung steht John Adderley, FBI-Agent aus Baltimore, der nach einem missglückten Undercover-Einsatz gegen ein Drogenkartell eine neue Identität benötigt und zu seiner eigenen Sicherheit von der Bildfläche verschwinden muss. Er entscheidet sich für seine alte Heimat Karlstad im schwedischen Värmland. Ein Entschluss, der sich nicht auf nostalgische Gefühle gründet, sondern dem Umstand geschuldet ist, dass seinem Halbbruder Billy der Prozess gemacht wird. Vor zehn Jahren wurde dieser bereits beschuldigt, für das Verschwinden einer jungen Frau verantwortlich zu sein, aber aus Mangel an Beweisen freigelassen. Die Leiche der Frau wurde zwar nie gefunden, aber offenbar können die Ermittler Fortschritte vorweisen, die es rechtfertigen, den alten Fall wieder aufzurollen. Eingeschleust in das Ermittlungsteam hat Adderley alias Fredrik Adamsson schnell Zweifel an den Methoden und Ergebnissen seiner schwedischen Kollegen, vermutet sogar, dass der wahre Täter aus Polizistenkreisen kommt und Billy als willkommenes Opfer benötigt wird, damit der wahre Täter davonkommt.

Die Story ist komplex, bedient sich zweier Zeitebenen, 2009 und 2019, um zum einen die zurückliegenden Ereignisse als auch die Ermittlungsarbeit in diesem Fall zu schildern. Das sorgt für eine ganz spezielle Dynamik, erzeugt sowohl Abwechslung als auch Spannung, hier merkt man ganz klar den Drehbuchschreiber. Die Personen sind mit ihren Stärken und Schwächen gut und glaubhaft charakterisiert, bieten dann und wann auch immer wieder Situationen zum Schmunzeln, die sich im Wesentlichen aus den kulturellen Unterschieden zwischen dem Amerikaner und den Europäern speisen.

Auch wenn die beiden Autoren das Rad nicht neu erfunden haben, ist „Der andere Sohn“ doch ein solider Kriminalroman und ein lesenswerter Reihenauftakt, weshalb ich John Adderley auch im Auge behalten werde.