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Veröffentlicht am 16.02.2021

Sydney in Dunkelschwarz

Winter Traffic
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Sydney, Mitte der Neunziger: Ein Richter wird brutal ermordet, die Ermittlungen gehen nicht voran, das Team wird ausgewechselt. Karen Millar von der Internen übernimmt, unterstützt von DS Rawson, der zwar ...

Sydney, Mitte der Neunziger: Ein Richter wird brutal ermordet, die Ermittlungen gehen nicht voran, das Team wird ausgewechselt. Karen Millar von der Internen übernimmt, unterstützt von DS Rawson, der zwar mit dem Fall vertraut, aber mit den Gedanken nicht bei der Sache ist, was seinem chaotischen Privatleben geschuldet ist. Hochverschuldet durch seine Zockerei, zwangsgeräumt, Familienprobleme. Seinem Gangster-Kumpel Sutton geht’s nicht besser, denn er hat sich mit den Falschen angelegt und wird jetzt von üblen Typen verfolgt. Das könnte ihren letzten Coup, der Geld, viel Geld, in die leeren Kassen spülen soll, durchkreuzen.

Alles, was wir von dem Genre kennen, ist vorhanden: Korrupte Cops, brutale Gangster, Drogen, Prostitution, Glücksspiel, mehrere Morde, blutige Schlägereien, Gewalt in jeder Form, aber auch Freundschaft, Loyalität, Moral und Gerechtigkeit. Die ungewöhnliche Form, die vielen Handlungsstränge und Andeutungen erfordern Aufmerksamkeit, aber Greenall verwebt sie sorgfältig und macht daraus eine runde Story, deren kantiges Personal und schwarze Ironie mir noch länger im Gedächtnis bleiben wird.

Stephen Greenalls Debütthriller als leichte Lektüre zu bezeichnen, die man so nebenbei wegliest, wäre vermessen. Bereits der Aufbau ist ungewöhnlich: drei Handlungsblöcke - Alpha, Beta und Omega – jeder für sich abfallend durchnummeriert, teilweise doppelt oder ins Minus gehend, die Ereignisse nicht linear erzählt. Personen verschwinden unvermittelt aus der Handlung und tauchen später wieder auf, als wenn nichts gewesen wäre, sie führen Selbstgespräche, aber auch innere Dialoge, dazu noch reichlich Verweise auf Musik und Literatur Ein ungewöhnlicher Stil, den sich so noch nie gelesen habe. Es braucht Zeit, bis man damit warm wird und sich in dem geordneten Chaos zurechtfindet. Aber man sollte sich darauf einlassen.

Veröffentlicht am 15.02.2021

Nora beschließt zu sterben...

Die Mitternachtsbibliothek
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Es ist der Tag, der Nora Seed den Boden unter den Füßen wegzieht. Ihr Kater wird überfahren, sie verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch noch ihren Nebenjob. Sie zieht Bilanz: Erwähnenswerte Freunde ...

Es ist der Tag, der Nora Seed den Boden unter den Füßen wegzieht. Ihr Kater wird überfahren, sie verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch noch ihren Nebenjob. Sie zieht Bilanz: Erwähnenswerte Freunde hat sie nicht, ihre Eltern sind tot, zu ihrem Bruder hat sie kaum Kontakt. Kurz, sie fühlt sich einsam, alleingelassen in einer Welt, die nichts Schönes für sie zu bieten hat. Warum also weiterleben? Also beschließt Nora zu sterben, schluckt ihre Antidepressiva. Aber offenbar will selbst der Tod sie nicht haben, ist ihre Zeit noch nicht abgelaufen. Und so landet sie an einem Ort zwischen Leben und Tod, in der Mitternachtsbibliothek, wo sie eine alte Bekannte aus ihrer Kindheit empfängt. Mrs Elm, die Bibliothekarin, führt sie herum und zeigt ihr die Bücher, die allesamt die Möglichkeiten in Noras Leben verkörpern, die sie nicht ergriffen hat und die sie an diesem Ort nun nachholen kann. Ein verlockender Gedanke, mit dem wohl jede/r spielt, der im Rückblick auf sein/ihr Leben mit getroffenen Entscheidungen hadert. Auch für Nora, die natürlich diese Gelegenheit ergreift und ihre alternativen Lebensentwürfe ausprobiert. Und es überrascht nicht, dass sie aus diesen Erfahrungen ihre Lektionen lernt.
Schon die Rahmenbedingung „Mitternachtsbibliothek“ dieses Romans lässt den Schluss zu, dass wir es hier mit einem Märchen zum Thema Depression und Selbstmord zu tun haben. Natürlich kann man die eine oder andere Erkenntnis in das reale Leben übernehmen, zumindest gibt Haig Denkanstöße. Allerdings gleitet er nicht in den Lebenshilfe/Ratgeber-Modus ab, sondern bleibt durch die Konzentration auf seine Hauptfigur in der Fiktionalität. Und das ist auch gut so, denn unterm Strich feiert er mit diesem Roman das Leben mit seinen Schwächen und Stärken.

Veröffentlicht am 15.02.2021

Nora beschließt zu sterben...

Die Mitternachtsbibliothek
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Es ist der Tag, der Nora Seed den Boden unter den Füßen wegzieht. Ihr Kater wird überfahren, sie verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch noch ihren Nebenjob. Sie zieht Bilanz: Erwähnenswerte Freunde ...

Es ist der Tag, der Nora Seed den Boden unter den Füßen wegzieht. Ihr Kater wird überfahren, sie verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch noch ihren Nebenjob. Sie zieht Bilanz: Erwähnenswerte Freunde hat sie nicht, ihre Eltern sind tot, zu ihrem Bruder hat sie kaum Kontakt. Kurz, sie fühlt sich einsam, alleingelassen in einer Welt, die nichts Schönes für sie zu bieten hat. Warum also weiterleben? Also beschließt Nora zu sterben, schluckt ihre Antidepressiva. Aber offenbar will selbst der Tod sie nicht haben, ist ihre Zeit noch nicht abgelaufen. Und so landet sie an einem Ort zwischen Leben und Tod, in der Mitternachtsbibliothek, wo sie eine alte Bekannte aus ihrer Kindheit empfängt. Mrs Elm, die Bibliothekarin, führt sie herum und zeigt ihr die Bücher, die allesamt die Möglichkeiten in Noras Leben verkörpern, die sie nicht ergriffen hat und die sie an diesem Ort nun nachholen kann. Ein verlockender Gedanke, mit dem wohl jede/r spielt, der im Rückblick auf sein/ihr Leben mit getroffenen Entscheidungen hadert. Auch für Nora, die natürlich diese Gelegenheit ergreift und ihre alternativen Lebensentwürfe ausprobiert. Und es überrascht nicht, dass sie aus diesen Erfahrungen ihre Lektionen lernt.

Schon die Rahmenbedingung „Mitternachtsbibliothek“ dieses Romans lässt den Schluss zu, dass wir es hier mit einem Märchen zum Thema Depression und Selbstmord zu tun haben. Natürlich kann man die eine oder andere Erkenntnis in das reale Leben übernehmen, zumindest gibt Haig Denkanstöße. Allerdings gleitet er nicht in den Lebenshilfe/Ratgeber-Modus ab, sondern bleibt durch die Konzentration auf seine Hauptfigur in der Fiktionalität. Und das ist auch gut so, denn unterm Strich feiert er mit diesem Roman das Leben mit seinen Schwächen und Stärken.

Das Hörbuch „Die Mitternachtsbibliothek“ ist eine gekürzte Fassung des Romans von Matt Haig, angenehm unaufgeregt und unsentimental gelesen von Annette Frier.

Veröffentlicht am 14.02.2021

Erwachsenwerden in einer rauen Welt

Big Sky Country
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August wächst auf einer Milchvieh-Farm in Michigan auf. Es gibt viel zu tun, jede Hand wird gebraucht. Darwin, der Vater ist ein wortkarger, pragmatischer Typ, tut, was getan werden muss. Und wenn die ...

August wächst auf einer Milchvieh-Farm in Michigan auf. Es gibt viel zu tun, jede Hand wird gebraucht. Darwin, der Vater ist ein wortkarger, pragmatischer Typ, tut, was getan werden muss. Und wenn die Katzen auf dem Hof überhand nehmen, muss man sie eben erschlagen. So kommt August zu seinem ersten bezahlten Job: Katze erschlagen, Schwanz abschneiden, auf ein Brett nageln. Pro Schwanz 1 Dollar. Bonnie, die Mutter, ist nicht glücklich mit diesem Leben, träumt sich mit ihren Büchern und Filmen davon und hat sich auch räumlich distanziert. Ist in ein leerstehendes Haus auf dem Grundstück gezogen. Sie wünscht sich ein anderes Leben für ihren Sohn. Deshalb packt sie eines Tages ihre Sachen und überzeugt August, dass er mit ihr geht. Ihr Ziel ist Montana, Big Sky Country, so der Beiname des US Bundesstaates im Nordwesten, wo sie eine Stelle als Bibliothekarin annimmt. August geht zur Schule, spielt Football, erfährt Ablehnung und Freundschaft, die erste Liebe. Ein typisch amerikanisches Teenagerleben. Seine Mutter wünscht sich, dass er aufs College geht, aber er verdingt sich nach seinem Schulabschluss als Hilfsarbeiter auf einer Farm. Die harte Arbeit macht ihm nichts aus, er liebt das menschenleere Land und den weiten Himmel ohne Grenzen. Ist es dieser grenzenlose Himmel, der ihn dazu bringt, sein Leben und seine Möglichkeiten zu reflektieren?

„Big Sky Country“ ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden in einer rauen Welt, einer Männerwelt, in der die Väter ihre Söhne auf das spätere Leben vorbereiten, allerdings ohne Hinweis auf die Möglichkeiten, die noch auf sie warten könnten.

Ein ruhiger Roman, stellenweise melancholisch, es passiert nicht viel, eine lethargische Abfolge wiederkehrender Tätigkeiten. Selten geschieht etwas, aber wenn doch, verwundert den/die Leser/in die Empathielosigkeit der Beteiligten, die des Protagonisten nicht ausgenommen. Das Bild des „harten“ Mannes in der ländlichen Umgebung, das hier transportiert wird, entspricht dem, wie wir es aus den alten Western kennen, Frauen sind quasi nicht existent, und wenn doch, haben sie keinen Einfluss. Die Sprache des Autors ist präzise und klar, meist lakonisch, wenn es um Zwischenmenschliches geht. Zumindest in Ansätzen poetisch wird sie nur dann, wenn es um die Beschreibung der Landschaft geht. Und die Story? Langatmig und ohne Fortschritte, ohne besondere Höhepunkte, alles in allem eher enttäuschend. Aber vielleicht habe ich die Genialität des Autors auch nicht erkannt…

Veröffentlicht am 13.02.2021

Die Polícia Judiciária ermittelt wieder

Die Mauern von Porto
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Bairro da Sé ist eines der ältesten Viertel von Porto, der Stadt am Ufer des Douro. Verwinkelte Ecken, enge Straße, heruntergekommene Häuser. Als dort ein Feuer ausbricht, ist die Hölle los, das brennende ...

Bairro da Sé ist eines der ältesten Viertel von Porto, der Stadt am Ufer des Douro. Verwinkelte Ecken, enge Straße, heruntergekommene Häuser. Als dort ein Feuer ausbricht, ist die Hölle los, das brennende Haus nicht mehr zu retten. Es greift auf das unbewohnte Nachbargebäude über. Bei dessen Inspektion durch die Feuerwehr werden hinter einer Vormauerung zwei weibliche Skelette entdeckt, die bereits über einen längeren Zeitraum dort liegen. Ein Fall für das Team um Chefinspektor Fonseca, denn der eingeschlagene Schädel des einen und das gebrochene Zungenbein des anderen Opfers lassen vermuten, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen sind. Das Ergebnis der forensischen Untersuchungen ist auch nicht ermutigend, denn es stellt sich heraus, dass die Morde vor 22 Jahren begangen wurden.

„Die Mauern von Porto“ ist ein astreiner Polizeiroman. Der/die Leser/in ist dem Team immer voraus, kennt sowohl die Identität des Täters als auch die der beiden Opfer von Beginn an, während sich die Ermittlungen der PJ dazu sehr schwierig gestalten. Es gibt keine passenden Vermisstenmeldungen, die Nachbarn halten es eher mit den drei Affen (nichts sehen, nichts hören, nichts sagen), der einzige Hinweis ist eine Kette, die bei den Skeletten gefunden wird. Einen Durchbruch gibt es erst, als auf dem Gelände einer dubiosen Stiftung eine Leiche gefunden wird, die sowohl Verbindungen zu dem Viertel als auch zu Personen hat, die im Laufe der Befragungen auf Fonsecas Radar aufgetaucht sind.

Wie bereits in den beiden Vorgängern sind es die Beschreibungen der verschiedenen Viertel Portos sowie die Interaktionen der Ermittler, die den Charme des Romans ausmachen. Und hier muss man unbedingt „die Neue“ lobend erwähnen, Tété Marinho, sympathische Inspektorin mit angolanischen Wurzeln, ehemals bei der Antikorruptionseinheit in Lissabon. Ein großer Gewinn für das Team, aber auch für die Story, was zum Großteil ihrer persönlichen Geschichte geschuldet ist. Sie hat schon einiges erlebt, was sie empathischer im Umgang mit ihren Mitmenschen macht. Als Kind 1975 Angola wegen des Bürgerkrieges mit ihrer Familie in Richtung Portugal verlassen, dort angekommen, feststellen zu müssen, dass man unerwünscht ist. Das hinterlässt Spuren und sensibilisiert. Und deshalb ist auch sie diejenige, die das Vertrauen der einzigen Person gewinnt, die die Ermittlungen voranbringen kann.

Ich habe das Buch gerne gelesen, aber diesem dritten Teil der Porto-Reihe mangelt es definitiv an Spannung. Grund dafür ist die Klein-Klein Beschreibung der Ermittlungsarbeit, die bis ins Detail geschildert und dazu noch öfter in den internen Beratungen wiederholt wird. Am interessantesten sind hier allenfalls die Gespräche der Teammitglieder über die Verjährungsfristen für Straftaten, die sich an den Höchststrafen orientieren. Bei Mord sind das 15 Jahre. Für den vorliegenden Fall heißt das für den Mörder, dass er mit seinem Verbrechen davonkommen wird. Oder aber doch nicht?