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Veröffentlicht am 28.10.2020

Schaf im Wolfspelz

Unter Wölfen - Der verborgene Feind
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Um seine Familie vor der Deportation zu bewahren, hat Isaak Rubinstein die Identität gewechselt. Der jüdische Antiquar wird zu dem Sonderermittler Adolf Weissmann und ermittelt für eine Widerstandsgruppe ...

Um seine Familie vor der Deportation zu bewahren, hat Isaak Rubinstein die Identität gewechselt. Der jüdische Antiquar wird zu dem Sonderermittler Adolf Weissmann und ermittelt für eine Widerstandsgruppe im inneren Kreis der Nationalsozialisten. Er ist sozusagen ein Schaf im Wolfspelz, das permanent damit rechnen muss, enttarnt und gefressen zu werden. Ein Doppelleben, das ihn mehr als einmal an seine persönlichen Grenzen bringt, gibt es doch immer wieder kritische Situationen, in denen er droht aufzufliegen. Das ist leider auch die Schwachstelle des Buches, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass dies wirklich unentdeckt bleibt. Aber sei’s drum, spannend ist das Szenario allemal.

Als die Widerstandsgruppe Informationen zu der „Operation Georg“ benötigt, sieht er sich gezwungen, wieder in das Haifischbecken der nationalsozialistischen oberen Gesellschaft einzutauchen. Dabei ist ihm die Bekanntschaft mit Ursula von Rahn, die ihn unbedingt ehelichen möchte, äußerst hilfreich. Aber bevor diese Beziehung zu eng wird, taucht glücklicherweise die Leiche einer jungen Frau auf. Da diese die Tochter eines hochrangigen Parteimitglieds ist, sind natürlich die kriminalistischen Fähigkeiten des hochkarätigen Sonderermittlers gefragt. Zumal es sich schnell herausstellt, dass offenbar ein Serienmörder in Nürnberg sein Unwesen treibt.

Alex Beers Kriminalroman zeichnet sich durch die gelungenen atmosphärischen Schilderungen aus, die den Nürnberger Alltag im Dritten Reich eindringlich beschreiben. Die Ängste der Menschen, die unter den Nazis leiden. Die Propaganda-Maschinerie, verkörpert von hetzenden Presseorganen. Täglicher Terror, der Misstrauen sät und dafür sorgt, dass sich niemand mehr sicher fühlen kann. Am wenigsten Isaak Rubinstein, der in ständiger Furcht vor der Entlarvung lebt. Seine Verunsicherung in der einen oder anderen prekären Situation ist förmlich greifbar, man bangt mit ihm, wünscht ihm dass er die Tarnung aufrechterhalten kann und davonkommt. Fortsetzung folgt…wir dürfen gespannt sein!

Veröffentlicht am 20.10.2020

Wenn die Fiktion von der Realität überholt wird

Die Krieger
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Schaut man dieser Tage nach Frankreich, wird einem bewusst, dass die Thematik dieses Romans aktueller nicht sein könnte:

1984 geht die Münchner Diskothek Liverpool in Flammen auf. Ein Brandanschlag, der ...

Schaut man dieser Tage nach Frankreich, wird einem bewusst, dass die Thematik dieses Romans aktueller nicht sein könnte:

1984 geht die Münchner Diskothek Liverpool in Flammen auf. Ein Brandanschlag, der die ermittelnde Polizei vermuten lässt, dass ein Revierkampf im Rotlichtmilieu der der Auslöser ist. Bis ein Bekennerschreiben auftaucht, das eine Verbindung zu verschiedenen ungeklärten Verbrechen in Oberitalien vermuten lässt. Noch ist das bloße Spekulation, findet man unter den Opfern doch neben einer Prostituierten nicht nur Drogenabhängige und Dealer sondern auch Mönche und Priester. Soweit die – reale – Ausgangssituation in Martin Maurers „Die Krieger“.

Die Ermittlungen in München laufen auf Hochtouren, jedem Hinweis wird nachgegangen. Und so ist es auch selbstverständlich, dass ein Beamter zu den Kollegen nach Mailand geschickt werden muss. Es trifft den Neuzugang aus Berlin, Kommissar Nick Marzek, und da dieser des Italienischen nicht kundig ist, darf/muss ihn Graziella Altieri, Putzfrau im Kommissariat, begleiten und als Übersetzerin fungieren. Je mehr sich die beiden in die Fallakten der italienischen Kollegen vertiefen, desto mehr festigt sich der Eindruck, dass die Taten nicht das Werk „einfacher“ Krimineller sind, sondern einen politisch-ideologischen Hintergrund haben.

Obwohl in der Zwischenzeit fast vierzig Jahre vergangen sind, ist die Thematik dieses Romans erschreckend aktuell, wenn man sich die Motive der Täter anschaut, Sie sind er Überzeugung, dass sie als Handlanger des göttlichen Willens agieren, wenn sie, beide geprägt durch ihre katholisch-fundamentalistische Überzeugung, ihre Verbrechen begehen und ihre Bekennerschreiben mit Nazi-Symbolen (Runen, Hakenkreuzen etc.) und dem Spruch „Gott mit uns“ signieren.

Ein lesenswerter Roman mit einer komplexen Story, die die Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Und da der Autor nahe an den Tatsachen bleibt, empfehle ich, zum besseren Verständnis, sich parallel dazu über die „Gruppe Ludwig“ zu informieren, um die Zusammenhänge besser verstehen zu können.

Veröffentlicht am 29.09.2020

Typische Hornby Love-Story, aber kein Brexit-Roman

Just Like You
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Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich ist „Just like you“ nur sehr bedingt ein Brexit-Roman. Die Handlung ist zeitlich zwar rund um das Referendum angesiedelt, aber das Thema wird nur oberflächlich und ...

Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich ist „Just like you“ nur sehr bedingt ein Brexit-Roman. Die Handlung ist zeitlich zwar rund um das Referendum angesiedelt, aber das Thema wird nur oberflächlich und lediglich in knappen Bemerkungen innerhalb der Gespräche der Protagonisten angeritzt, meist nur auf die Frage nach dem Wahlverhalten reduziert. Nur in einem kurzen Wortwechsel merkt man bei Josephs Vater die Hoffnung, die dieser mit dem Verlassen der EU verknüpft. Wobei er allerdings auch nur die Ausländer raus-Parolen nachbetet, die die Leaver im Vorfeld verbreitet haben.

Lucy (42, Lehrerin, Mutter zweier Kinder, getrennt lebend, weiß und links-liberal) trifft Joseph (22, Aushilfsverkäufer und Hobby-DJ, ungebunden, schwarz und eher unpolitisch) in dem Fleischerladen, in dem er hinter der Theke steht. Beide sind eher zurückhalten, nur bedingt auf Partnersuche, und dann sind ja da noch die unterschiedlichen Lebenswelten und nicht zuletzt der große Altersunterschied. Aber dennoch kommen sie ins Gespräch, nähern sich vorsichtig an und verlieben sich ineinander. Trennen sich und kommen wieder zusammen. Und das war’s dann auch schon.

So, und damit wäre auch das Genre geklärt, dem dieser Roman zuzurechnen ist. „Just like you“ ist eine Love Story, allerdings in der für Hornby typischen Form mit Augenzwinkern erzählt. Mitten aus dem Alltag, ohne pseudoromantischen Schmus, dafür mit jeder Menge Bedenken und Soll-ich oder Soll-ich-nicht auf beiden Seiten.

Aber leider bleibt der Autor doch sehr an der Oberfläche. Er beschreibt zwar das Leben in Lucys trendigem Viertel Islington, verliert sich aber in Äußerlichkeiten und umschifft die problematischen Aspekte, die sich aus der Verbindung der beiden Protagonisten ergeben. Meine Erwartungen wurden zwar nur teilweise erfüllt, aber alles in allem war es doch eine unterhaltsame, leichte Lektüre für zwischendurch, die gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 23.09.2020

Zwei Leben im Kalten Krieg

Kinder ihrer Zeit
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Ostpreußen im Januar 1945, das Ende des Krieges ist absehbar. Die Menschen haben Angst, sind verunsichert, denn die russischen Truppen sind auf dem Vormarsch. Viele entscheiden sich dazu, ihre Heimat zu ...

Ostpreußen im Januar 1945, das Ende des Krieges ist absehbar. Die Menschen haben Angst, sind verunsichert, denn die russischen Truppen sind auf dem Vormarsch. Viele entscheiden sich dazu, ihre Heimat zu verlassen, die Flucht ins Ungewisse anzutreten. So auch Rosa, die sich mit ihren beiden Kindern Alice und Emma auf den Weg gen Westen macht, nicht ahnend, dass die Mädchen unterwegs durch ein tragisches Ereignis auseinandergerissen werden…

Anhand zweier Einzelschicksale richtet Claire Winter unseren Blick einmal mehr auf das Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Thema, das momentan in der Belletristik über die Maßen präsent ist. Auf der einen Seite Emma, die es mit ihrer Mutter nach Westberlin schafft und dort aufwächst, auf der anderen Seite Alice, deren Sozialisation von den „typisch sozialistischen Erziehungszielen“ geprägt ist und die sich zu einer strammen Kommunistin entwickelt. Als die beiden sich nach einigen Jahren wiederfinden, treten diese Unterschiede deutlich zutage.

Natürlich bietet das Nachkriegs-Berlin in der Zeit bis zum Mauerbau die ideale Kulisse für diese Vorlage. Hier West, da Ost, die Mauer zwar noch nicht errichtet, aber durch die Aufteilung in Zonen durchaus im Alltag für die Bewohner bereits spürbar. Die entsprechende Propaganda der verschiedenen Seiten zeigt ihre Auswirkungen, es ist die Hoch-Zeit des Kalten Krieges, in der alle Geheimdienste ihre Agenten im Sinne der Informationsbeschaffung möglichst wirkungsvoll platzieren. Und so bleibt es nicht aus, dass Bespitzelungen „im Dienst der guten Sache“ auch innerhalb von Familien gang und gäbe sind.

Okay, Claire Winter ist kein John le Careé, aber das diese Erwartungshaltung hat ihre Klientel auch nicht. Ihr Schwerpunkt ist die emotionale Sichtweise, sie fragt hier danach, was diese äußeren Bedingungen mit Menschen machen, die durch Blutsbande miteinander verbunden sind. Klar, daraus resultiert jede Menge persönliches Drama, Politik kommt nur am Rande vor und ist dann doch eher von den gängigen Klischees geprägt. Das ist in Ordnung, denn dieser Roman ist ein Schmöker und will in erster Linie unterhalten. Aber vielleicht weckt die Geschichte der beiden Schwestern das Interesse für diese spannende Zeit. Ich würde es mir wünschen.

Veröffentlicht am 15.09.2020

Urlaubslektüre mit gesellschaftskritischen Untertönen

Das Manuskript
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In „Das Manuskript“ wird die Geschichte um die Bewohner von Camino Island, der fiktiven Insel vor Floridas Küste, fortgeschrieben, und beschert uns ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir bereits ...

In „Das Manuskript“ wird die Geschichte um die Bewohner von Camino Island, der fiktiven Insel vor Floridas Küste, fortgeschrieben, und beschert uns ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir bereits aus dem Vorgänger kennen.

Camino liegt genau auf der Zugbahn eines immens heftigen Hurrikans. Ein Teil der Bewohner ergreift die Flucht, andere bleiben vor Ort. So unter anderem auch Bruce Cable, Buchhändler mit Leib und Seele und ein Lebemann, wie er im sprichwörtlichen Buche steht. Als der Hurrikan auf Land trifft, hinterlässt er eine Spur der Verwüstung und fordert etliche Todesopfer. Auch Nelson Kerr, Anwalt und Autor, wird tot aufgefunden. Aber wurde er wirklich ein Opfer des Wirbelsturms? Die Polizei ist jedenfalls davon überzeugt, aber seine Verletzungen sind nicht eindeutig, und so beginnen Bruce und seine Freunde Nick und Bob, später auch noch die Schwester des Opfers, auf eigene Faust herumzuschnüffeln. Offenbar hat Nelsons Tod etwas mit dem Inhalt seines USB-Sticks zu tun…

Um es gleich vorweg zu nehmen, mit dem, was wir üblicherweise von Grishams Thrillern gewohnt sind, hat die Camino-Reihe wenig zu tun. Natürlich kann er schreiben und einen Plot entwickeln, das steht außer Frage, greift aber in diesem Roman leider erst in der zweiten Hälfte. Bis dahin sind wir Gast auf einer langweiligen Dinnerparty, interessierte Zuschauer des Weather Channel und begleiten die Helfer bei den Aufräumaktionen nach dem Sturm. Alles sehr langatmig und betulich. Der zweite Teil allerdings entschädigt für das Durchhalten, denn hier zieht zum einen das Tempo deutlich an, zum anderen greift Grisham ein brisantes Thema auf, das nicht nur, mir aber gerade in Florida, wenn man sich die Altersstruktur anschaut, besonders relevant scheint.

„Das Manuskript“ führt uns nicht in die Untiefen des amerikanischen Rechtssystems, sondern ist eher eine Urlaubslektüre mit gesellschaftskritischen Untertönen. Kann man lesen.