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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.09.2020

Bruderliebe, Schuldgefühle und jede Menge Drama

Ihr Königreich
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Jo Nesbøs Bücher sind ein Muss. Ganz gleich, ob die Harry-Hole-Reihe, die Macbeth Adaption im Rahmen des Shakespeare-Projekts oder die übrigen Kriminalromane, der Autor hat mich noch nie enttäuscht. Nun ...

Jo Nesbøs Bücher sind ein Muss. Ganz gleich, ob die Harry-Hole-Reihe, die Macbeth Adaption im Rahmen des Shakespeare-Projekts oder die übrigen Kriminalromane, der Autor hat mich noch nie enttäuscht. Nun ist also mit „Ihr Königreich“ ein weiterer Stand alone erschienen, in dessen Zentrum die Beziehung zweier Brüder steht. Auf den ersten Blick kein typischer Nesbø, auf den Zweiten dann aber doch. Liebe, Schuldgefühle, jede Menge Drama und natürlich, wie könnte es anders sein, Mord.

Erzählt wird aus der Perspektive des älteren Bruders Roy, bodenständiger Einzelgänger Typ einsamer Wolf, der den Ort seiner Kindheit nicht verlassen hat. Ganz anders Carl, der Jüngere, der nach vielen Jahren heimkommt, im Schlepptau seine Ehefrau und den Kopf voll Ideen, die den Einwohnern des Dorfes den ersehnten Wohlstand bringen sollen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt, denn Erlebnisse aus der Vergangenheit werfen lange Schatten.

Der Anfang ist verhalten, es dauert etwas, bis die Handlung in die Gänge kommt, aber das ist wichtig, um die Sozialisationsbedingungen, die Entwicklung und das Verhältnis der Brüder zu verstehen. Deshalb auch die verschiedenen Zeitebenen, die durchaus ihre Berechtigung haben, auch wenn Spannung vorerst nicht wirklich aufkommen will. Aber das ändert sich glücklicherweise im Verlauf der Ereignisse und mit zunehmender Seitenzahl.

Auf der sprachlichen Ebene gibt es, wie immer bei Nesbø, keine Kritikpunkte. Für einen Familienroman mit Krimi-Elementen fast schon literarisch, macht es Freude, „Ihr Königreich“ zu lesen und die tragische und zunehmend komplexe Geschichte der beiden Brüder zu verfolgen, bis sie schlussendlich in dem Unausweichlichen endet.

Veröffentlicht am 01.09.2020

Würdiger Abschluss der Trilogie

Feuerrache
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„Feuerrache“ ist nach „Blutblume“ und „Scheintod“ der Abschlussband von Louise Boije af Gennäs‘ Trilogie um Sara, eine junge Frau, die von einer einflussreichen Organisation verfolgt wird, deren Mitglieder ...

„Feuerrache“ ist nach „Blutblume“ und „Scheintod“ der Abschlussband von Louise Boije af Gennäs‘ Trilogie um Sara, eine junge Frau, die von einer einflussreichen Organisation verfolgt wird, deren Mitglieder offenbar an den Schaltstellen der Macht sitzen. Dreh- und Angelpunkt sind die brisanten Informationen, die ihr Vater ausgegraben und schlussendlich mit dem Leben bezahlt hat und deren Veröffentlichung mit aller Macht verhindert werden soll. Und dabei schrecken die Mächtigen auch nicht vor Mord zurück, um Sara einzuschüchtern. Ihr persönliches Umfeld ist permanent bedroht, Freunde, Familie, alle stehen im Fokus. Und dann ist da noch die geheime Widerstandsgruppe, die ihre eigenen Ziele verfolgt und Sara zum Spielball ihrer Sache machen will. Kann sie ihnen wirklich vertrauen?

Romane, in deren Zentrum Verschwörungstheorien stehen, gibt es zuhauf, aber die Guten kommen im Wesentlichen aus dem skandinavischen Raum. Das mag daran liegen, dass sich diese Nationen gerne als offen, tolerant und sozial präsentieren und ihren Dreck lieber unter besagten Teppich kehren. Louise Boije af Gennäs spielt in ihrer Trilogie mit der Realität, orientiert sich an zeitgenössischen Ereignissen und verknüpft diese mit Fiktion. Oder etwa doch nicht?

Es ist ein spannendes Szenario, das sich in diesem finalen Band rund um die sympathische Hauptfigur entfaltet. Vor allem, weil man davon ausgehen kann, dass die Autorin authentisches Material verwendet hat, um den Sumpf zu beschreiben, in dem auch die schwedische Gesellschaft watet. Aber das wissen wir ja bereits seit Stieg Larssons Milleniums-Trilogie, dem Meilenstein der skandinavischen Spannungsliteratur.

Noch eine kurze Schlussbemerkung: Die drei Bände sollte man unbedingt in Reihe lesen, da immer wieder Bezug auf vorhergehende Ereignisse genommen wird.

Veröffentlicht am 31.08.2020

Peggy G., die Kunst und die Affären

Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück
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Guggenheim, Name einer Dynastie, jedem Kunstinteressierten geläufig, sind die von ihnen gegründeten Museen doch rund um den Erdball vertreten. In dem vorliegenden Roman steht Peggy Guggenheim im Zentrum, ...

Guggenheim, Name einer Dynastie, jedem Kunstinteressierten geläufig, sind die von ihnen gegründeten Museen doch rund um den Erdball vertreten. In dem vorliegenden Roman steht Peggy Guggenheim im Zentrum, unkonventionellen Nichte von Solomon Guggenheim, Philantroph, Kunstsammler und Begründer der gleichnamigen Stiftung zur Förderung des Verständnisse für moderne Kunst sowie Namensgeber des weltberühmten Guggenheim-Museums in New York.

Der Roman ist im Wesentlichen auf Peggys Zeit in Europa zwischen 1937 und 1942 fokussiert, in der sie den Grundstock für ihre Sammlung legt. Ganz die verwöhnte Tochter der amerikanischen Upper Class mischt sie sich nicht unter das gewöhnliche Volk, sondern verkehrt in Künstler- und Literatenkreisen. Und das liest sich wie ein Who-is-Who der Berühmtheiten: Joyce, Beckett, Cocteau, Kandinsky, Tanguy, Ernst, um nur einige zu nennen. Sie ist ruhelos, ständig auf der Suche. Und so, wie sie zwischen Paris und London hin und her pendelt, ist es auch mit den Männern. Unzählige, mit denen sie Bett und Tisch teilt, immer auf der Suche nach dem Einen.

Leider sind es diese zahlreichen Beziehungs- und Bettgeschichten, die alles andere überlagern und mir den Zugang zu Peggy Guggenheim als Persönlichkeit, Sammlerin und Mäzenin erschwert haben. Nicht zu vergessen ihr Leben als Jüdin in einem nationalsozialistisch geprägten Europa vor dem Zweiten Weltkrieg und großzügige Unterstützerin des Emergency Rescue Committee, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge vor dem NS-Regime.


Was bleibt ist das Bild einer naiven Salonlöwin auf der Suche nach privatem Glück, die zwar für die Rettung zahlreicher von den Nazis als entartete Kunst bezeichneten Gemälde verantwortlich ist, für die aber Kunst letztendlich ein Mittel zum Zweck war. Schade.

Ein Hinweis an das Lektorat: „Swinging London“ (auf der zweiten Textseite) ist ein Begriff, der in den Sechzigern geprägt wurde und 1937 mit Sicherheit noch nicht gebräuchlich war.

Veröffentlicht am 31.08.2020

Ein Protagonist, der im Gedächtnis bleiben wird

Kalmann
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Seit die Heringsschwärme ausgeblieben sind und die Fischfabrik geschlossen hat, ist es mit Raufarhöfn nur noch bergab gegangen. Die Bewohner sind abgewandert, sodass das Örtchen ganz im Nordosten Islands ...

Seit die Heringsschwärme ausgeblieben sind und die Fischfabrik geschlossen hat, ist es mit Raufarhöfn nur noch bergab gegangen. Die Bewohner sind abgewandert, sodass das Örtchen ganz im Nordosten Islands mittlerweile noch nicht einmal mehr 200 Einwohner hat. Einer von ihnen ist der Jäger und letzte Haifischer Kalmann Odinsson, der mit Cowboyhut, Sheriffstern und seiner Mauser im Gürtel dafür sorgt, dass alles seinen geregelten Gang geht. Bis er eines Tages eine Blutlache im Schnee findet. Eigentlich nicht weiter beachtenswert, wäre nicht zeitgleich Róbert McKenzie verschwunden, ein zwielichtiger Geschäftsmann mit dubiosen Kontakten. Als die Polizei eintrifft, um sich ein Bild vor Ort zu machen, sieht sich Kalmann genötigt, sie im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen.

Kalmann ist speziell, naiv und fast schon so ehrlich, dass es schmerzt. Aber wenn es darauf ankommt ist er durchaus in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und er ist einsam, ganz besonders, seit sein Großvater im Pflegeheim ist, von dem er alles über die Welt und die Herstellung von Gammelhai gelernt hat und für den das Handicap seines Enkels nie ein Problem war.

Es ist ein leise erzählter Roman mit grandiosen Naturschilderungen und einer Hauptfigur, die im Gedächtnis bleiben wird. Mit viel Liebe zum Detail lässt uns der Autor an dem täglichen Leben seines Protagonisten teilhaben, zeigt uns die verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit und entfaltet nach und nach das Panorama eines isländischen Dorfes, das vom Aussterben bedroht ist. Und nicht zuletzt flicht Joachim B. Schmidt die Auswirkungen des Klimawandels auf die isländische Fischerei ein und übt Kritik an der Quotenregelung, die die Konzentration der Fischereirechte in den Händen weniger Geschäftemacher ermöglicht und somit den kleinen Fischern die Lebensgrundlage entzieht.

Veröffentlicht am 21.08.2020

Plädoyer gegen die Duldsamkeit

Wilde Freude
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Schmerzen, die Untersuchung, die Diagnose. Brustkrebs. Von einem Moment auf den anderen ändert sich ein Leben. Zerbricht in seine Einzelteile. Fragil war es schon immer. Seit dem Tod des eigenen Kindes ...

Schmerzen, die Untersuchung, die Diagnose. Brustkrebs. Von einem Moment auf den anderen ändert sich ein Leben. Zerbricht in seine Einzelteile. Fragil war es schon immer. Seit dem Tod des eigenen Kindes in Stücke gebrochen und nur notdürftig wieder zusammengesetzt. Aber wie soll es weitergehen? Wie mit der Diagnose leben? Wie die Behandlung überstehen? Ohne die unterstützende Hand des Mannes an ihrer Seite? Dieses Feiglings, der damit nicht umgehen kann, der sich plötzlich vor ihr ekelt. Die Flucht ergreift, sie alleine zurücklässt. Mit ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung.

Aber Jeanne hat Glück im Unglück. Sie findet Unterstützung. Drei Frauen, die das gleiche Schicksal teilen, aber sich von dem Kampf gegen die Krankheit nicht unterkriegen lassen. Ihr Leben in die Hand genommen haben und das Beste aus der Zeit machen wollen, die ihnen noch bleibt. Jeden Tag willkommen heißen. Leben, als wäre es der letzte. Und Jeanne ergreift die Hände, die ihr von ihren „Schwestern im Krebs“ angeboten werden und wandelt sich von der Fügsamen zur Kämpferin.

Leider trifft der Klappentext nicht im Entferntesten den Inhalt. Chalandons Roman ist kein Roadmovie, und den Vergleich zu Thelma & Louise kann ich nur in Ansätzen nachvollziehen. „Wilde Freude“ ist nicht nur ein bittersüßer Roman über persönliche Tragödien sondern auch über die weibliche Solidarität im Angesicht des Todes. Ein Aufruf zur Lebenslust und zum Widerstand gegen diese tückische Krankheit, bei der das Ende ungewiss ist. Er leiht den Frauen seine Stimme, beschönigt nichts, aber behandelt die Auswirkungen dieser tückischen Krankheit, sowohl auf die Patientinnen als auch auf die Menschen in ihrer Umgebung, mit viel Fingerspitzengefühl. „Wilde Freude“ ist ein schonungsloses Plädoyer gegen die Duldsamkeit, ein Aufruf, das Leben und die wilde Freude, die es auch in einer scheinbar ausweglosen Situation bieten kann, willkommen zu heißen. Eine beeindruckende, Mut machende Lektüre. Nachdrücklich empfohlen!