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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2024

Satz mit x

Happy Hour
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Fran Lebowitz‘ „New York und der Rest der Welt“ hatte mich sowohl als Buch als auch in der „Pretend it’s a city“-Verfilmung eines Streamingdienstes sehr gut unterhalten. Und etwas ähnliches hatte ich mir ...

Fran Lebowitz‘ „New York und der Rest der Welt“ hatte mich sowohl als Buch als auch in der „Pretend it’s a city“-Verfilmung eines Streamingdienstes sehr gut unterhalten. Und etwas ähnliches hatte ich mir eigentlich auch von Marlowe Granados Erstling „Happy Hour“ erwartet, zumal der Roman mit dem Satz „Ein berauschender Roman über das Lebensgefühl einer ganzen Generation“ beworben wird.

Berauscht sind im Wesentlichen Isa und Gala, die beiden jungen Engländerinnen, von den Gratisdrinks ihrer Männerbekanntschaften, die sie in Bars und auf Partys kennenlernen, aber vom Lebensgefühl einer Generation bzw. was in diesem Roman als New Yorker Vibes verkauft wird…Schwamm drüber. Weder witzig, noch glamourös, ohne Esprit, inhaltlich so hohl und uninteressant, dass man damit noch nicht mal die sechs dreißigminütigen Folgen einer Serie füllen könnte.

Das war nix. Leider!

Veröffentlicht am 24.05.2024

Eine Lektüre mit Mehrwert

Trophäe
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Von Franz Kafka gibt es ein Zitat, das mir beim Lesen dieses Roman in den Sinn gekommen ist: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das ...

Von Franz Kafka gibt es ein Zitat, das mir beim Lesen dieses Roman in den Sinn gekommen ist: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“

„Trophäe“ von Gaea Schoeters ist ein solches Buch, denn die Autorin bringt uns mit diesem Roman an unsere ethisch en und moralischen Grenzen, zwingt uns, diese permanent zu hinterfragen. Ich denke, dass die Leser und Leserinnen sich darüber einig sind, dass es höchst unmoralisch ist, mit dem Gewehr auf Menschenjagd zu gehen, auch wenn ein Teil dieser erkauften Jagdlizenz mit dem Einverständnis und zum Wohle des Stammes verwendet wird, auf dessen Gebiet diese Jagd stattfindet.

Und dennoch, derjenige, der von den Ältesten im übertragenen Sinn die Zielscheibe auf den Rücken geheftet bekommt, fügt sich, hat aber auch seine Zweifel an dem Arrangement: „Aber dieses Land gehört uns, genau wie die Tiere, die hier leben. Es ist nicht euer Land. Und wir sind keine Tiere, die dort leben.“

Ganz anders der Hunter, der Jäger, der ohne mit der Wimper zu zucken, gefährdetes Großwild erschießt und davon überzeugt ist, damit etwas zum Erhalt der Arten beizutragen. Als sein letzter Versuch vereitelt wird, mit dem er mit dem Abschuss eines Spitzmaulnashorns seine persönlichen Big Five komplettieren will, geht er nach anfänglichem Zögern auf das unmoralische Angebot des Jagdveranstalters ein, sich zur „Entschädigung“ an den Big Six zu versuchen und legt diesem eine halbe Million dafür auf den Tisch.

Ich bin hin und her gerissen, frage mich, ob sich mein moralischer Kompass während der Lektüre verschoben hat, denn eigentlich ist dieser Hunter ja kein so übler Kerl. Er kauft regelmäßig Naturschutzgebiete an und renaturiert sie, seine Grundsätze während des Jagens lassen auf einen Denker schließen, aber ich kann mich leider nicht von dem Gefühl freimachen, dass er sich letztlich nur ein fragwürdiges Gerüst zur Rechtfertigung gebaut hat, damit sein Unrechtsbewusstsein nicht die Oberhand gewinnt. Keine Frage, ich habe Hunter verachtet, aber ebenso traf meine Verachtung die offiziellen afrikanischen Stellen, die die Stämme ihres Landes und damit ihrer Lebensgrundlage beraubt und ihnen willkürlich Parzellen zuweist, die ihnen die traditionelle Lebensweise verwehren. Ein Unding, das mir bisher nicht bekannt war, denn wohin diese Vorgehensweise führt, sieht man ja am Beispiel der Indigenen in den Vereinigten Staaten.

Ja, dieser Roman hat mich nicht nur gebissen und gestochen, sondern hat mir auch neue Erkenntnisse beschert. „Trophäe“ war für mich eine Lektüre mit Mehrwert, und dafür danke ich der Autorin.

Veröffentlicht am 23.05.2024

Rückkehr nach Bois d'En Haut

Der Sommer, in dem alles begann
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Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Hélène das Dorf ihrer Kindheit verlassen hat. Nun ist sie zurück in Bois d'En Haut, dem abgelegenen Dorf im Finistère, das sie Hals über Kopf in jungen Jahren verlassen ...

Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Hélène das Dorf ihrer Kindheit verlassen hat. Nun ist sie zurück in Bois d'En Haut, dem abgelegenen Dorf im Finistère, das sie Hals über Kopf in jungen Jahren verlassen hat. Um zu verstehen, warum sie gegangen und was damals geschehen ist, lässt uns Claire Léost in Rückblicken in drei Frauenleben eintauchen.

Anfang der neunziger Jahre treffen sie aufeinander: Hélène, die Sechzehnjährige, deren Weg bis dahin vorgezeichnet scheint. Odette, Rückkehrerin und Betreiberin des Dorfladens, die Vater und Mutter während des Zweiten Weltkriegs verlor und in Paris auf einen Neuanfang wagte, der sich allerdings ganz anders als erhofft gestaltete. Und Marguerite, die auf der Suche nach ihren Wurzeln mit Mann und Tochter nach Bois d'En Haut kommt und dort eine Stelle als Lehrerin annimmt.

In drei Zeitebenen erzählt Claire Léost die Lebenswege dieser drei Frauen und entspinnt aus ihren Schicksalen eine bewegende Geschichte. Natürlich drängt sich durch die zentrale Stellung Hélènes die Coming-of-Age Thematik auf, aber die Geschichte hat deutlich mehr zu bieten. Zum einen lässt sie uns eintauchen in die bretonische Kultur, zeigt deren Widersprüchlichkeit zwischen dem Festhalten an Tradition und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Zum anderen erzählt sie aber auch von generationsübergreifenden traumatischen Erfahrungen, von Verletzungen und Verlust, von der Suche nach Liebe, aber auch nach einem eigenen Leben, vom Weggehen und Zurückkommen. All dies eingebettet in die stimmigen, unsentimentalen Beschreibungen von Landschaft und Strukturen, die die Autorin aus eigenem Erleben kennt.

Eine Empfehlung, nicht nur für den nächsten Urlaub in der Bretagne.

Veröffentlicht am 20.05.2024

Kein Seemannsgarn

Der Untergang der "Wager"
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David Grann setzt sich in seinen literarischen Sachbüchern immer wieder mit der Frage des Überlebens in Extremsituationen auseinander. Ganz gleich, ob er uns in den Regenwald des Amazonas, in die weiße ...

David Grann setzt sich in seinen literarischen Sachbüchern immer wieder mit der Frage des Überlebens in Extremsituationen auseinander. Ganz gleich, ob er uns in den Regenwald des Amazonas, in die weiße Hölle der Antaktis, auf die Ölfelder in Oklahoma oder, wie in seinem neuesten Sachbuch, auf hohe See mitnimmt.

„Der Untergang der Wager“ erzählt, so der Untertitel, eine „wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei“. Aber dieses akribisch recherchierte Buch hat mehr, viel mehr zu bieten, wirft es doch bei näherem Hinsehen einen entlarvenden Blick auf das britische Empire, das skrupellos seinen Einflussbereich mit allen Mittel erweitern und festigen will, sinnlose Kriege führt (siehe War of Jenkins‘ Ear 1739 – 1748) und ohne mit der Wimper zu zucken Menschen in den sicheren Tod schickt.

Anfang 1740 sticht die „Wager“ als Teil einer Flotte von 6 Schiffen in See. Sie ist kein Kriegs- sondern ein umgebautes Handelsschiff, nicht geeignet für die lange Reise bis zur Südspitze Südamerikas und die unter Seeleuten gefürchtete Umrundung Kap Horns. An Bord knapp 200 Mann Besatzung, die meisten zwangsrekrutiert, offiziell mit dem Auftrag, die spanische Flotte zu dezimieren, inoffiziell angewiesen, sich der vermuteten Goldschätze auf den Schiffen der Spanier zu bemächtigen.

Was folgt, ist Geschichte. Vor Patagonien wütet ein Sturm, dem die unterernährte und von zahlreichen Krankheiten gezeichnete Mannschaft nichts entgegenzusetzen hat. Die „Wager“ wird abgetrieben, läuft auf einen Felsen, bricht auseinander, sinkt. Die wenigen Überlebenden retten sich auf eine unbewohnte Insel. Ein halbes Jahr später landet an Brasiliens Küste ein windschiefer, notdürftig zusammengeflickter Segler mit 30 Männern, die sich als die einzigen Überlebenden des Unglücks zu erkennen geben…bis, ja bis ein halbes Jahr später 3 Schiffbrüchige in Chile an Land gespült werden, die eine ganz andere Version der Ereignisse erzählen. Sie erzählen von Meuterei, von Mord und von Flucht. Aussage steht gegen Aussage, wer sagt die Wahrheit? Dies gilt es herauszufinden, und so kommt der Fall nach der Rückkehr nach Großbritannien vor ein Kriegsgericht.

Wie gewohnt wurden von David Grann Unmengen der zugänglichen Materialien verarbeitet, was die Quellenangaben von S. 371 – 430 beweisen. Nach eigener Aussage hat er über fünf Jahre für dieses Buch recherchiert, einen Wust von Dokumenten gesichtet, detailliert geführte Log- und Tagebücher ausgewertet, sich vor Ort an den Originalschauplätzen umgeschaut und all diese Erkenntnisse zu einem höchst lesenswerten Sachbuch verarbeitet, das spannender als so mancher Thriller ist. Er liefert Informationen, ergreift aber keine Partei (höchstens zwischen den Zeilen), sondern überlässt es seinen Lesern, sich eine eigene Meinung zu diesem Fall zu bilden. Was man allerdings nicht vergessen sollte, und das scheint mir auch ein Anliegen Granns und die Kernaussage dieses Buches zu sein: Die offizielle Geschichtsschreibung stützt sich auf die Aussagen der Sieger und die Anweisungen derjenigen, die alle Möglichkeiten haben, damit nur die Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die ihrem Narrativ dienen. Wen wundert’s?

Lesen. Unbedingt!

Veröffentlicht am 18.05.2024

Das Buch zum Film

Hundswut
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Ein abgeschiedenes Dorf im tiefsten Bayern, und obwohl wir das Jahr 1932 schreiben, scheint es, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Was in Stadt und Land vor sich geht, kümmert niemanden, dort macht ...

Ein abgeschiedenes Dorf im tiefsten Bayern, und obwohl wir das Jahr 1932 schreiben, scheint es, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Was in Stadt und Land vor sich geht, kümmert niemanden, dort macht man sich seine eigenen Regeln. die der Bürgermeister und der Großbauer vorgeben. Doch als eines Tages vier Kinderleichen ermordet und zerfleischt im Wald gefunden werden, ist es vorbei mit der dörflichen Idylle.

Anfangs geht man davon aus, dass ein Wolf in den Wäldern sein Unwesen treibt, dann kommt das Gerücht von einem Werwolf auf, und schließlich gerät der Außenseiter ins Visier. Kein Tier wäre zu solch grausame Taten fähig, das kann nur ein Mensch getan haben. Das Getuschel beginnt, Gerüchte und Vermutungen machen die Runde, und man sich versieht, wird aus einer friedfertigen Dorfgemeinschaft ein grausamer Mob, der seine Menschlichkeit verliert, Blut sehen will und dafür zu archaischen Mitteln greift.

„Hundswut“ ist sowohl Thriller als auch Heimatroman jenseits aller Dirndl- und Lederhosenromantik, düster, brutal und mit beklemmender Atmosphäre. Aber vor allem ist es ein politisches Buch, ein Eindruck, der sich nicht nur durch die zeitliche Einordnung aufdrängt. Es ist ein Buch über Macht, Manipulation und Mitläufertum. David Alvarenga ist Filmemacher und Drehbuchschreiber, vertraut mit Dramaturgie und weiß, welche Mittel er wann einsetzen muss, um Spannung zu erzeugen.

Ständige Perspektivwechsel sorgen zwar für Tempo, vermitteln aber auch in ihrer Fülle ein Gefühl von Oberflächlichkeit und schaffen Distanz. Dazu kommen die reißerischen Beschreibungen der Gewaltexzesse, die gerade Richtung Ende überhand nehmen und meiner Meinung nach so auch nicht nötig gewesen wären. Tja, und der Schluss? Der kann leider wegen der massiven Verwendung von Klischees und dem Fehlen einer zufriedenstellenden Auflösung nicht überzeugen.