Glaube und Verlust
WESTEs gibt nicht viele Autoren, die mit wenigen Worten einen komplexe Geschichte erzählen können. James Sallis hat diese Fähigkeit. Aber auch Carys Davies, die mit „WEST“ beweist, dass auch sie über diese ...
Es gibt nicht viele Autoren, die mit wenigen Worten einen komplexe Geschichte erzählen können. James Sallis hat diese Fähigkeit. Aber auch Carys Davies, die mit „WEST“ beweist, dass auch sie über diese Begabung verfügt. Gerade einmal 208 Seiten hat dieser schmale Roman, von der „Sunday Times“ und dem „Guardian“ mit dem „Best Book of the Year-Award“ ausgezeichnet.
1815. Nachdem er in der Zeitung von einer spektakulären Entdeckung in Kentucky gelesen hat, möchte der Maultierzüchter und Witwer John Cyrus Bellman diese riesigen Tiere mit eigenen Augen sehen. Die beschriebenen Knochen befeuern seine Fantasie und lassen ihn den Aufbruch ins Ungewisse wagen. Raus aus den Tretmühlen des Alltags, von Pennsylvania nach Kentucky. Er hat keine genaue Vorstellung von dem „Wie“, „Wohin“ oder „Wie lange“, weiß nur, dass er auf die Reise gehen muss, immer Richtung Westen. Auch wenn seine Tochter nicht mitkommen kann, sondern von seiner Schwester bis zu seiner Rückkehr in maximal zwei Jahren beaufsichtigt werden soll.
Allen Widrigkeiten zum Trotz bricht er auf, gelangt er voran, stellt aber bald fest, dass ihm die Fertigkeiten fehlen, auf lange Sicht in der Wildnis zu überleben. Der eingepackte Tand zum Eintauschen von Nahrung und Gefälligkeiten wird knapp, doch ein Pelzhändler überlässt ihm einen seiner Helfer, einen jungen Shawnee namens „Alte Frau aus der Ferne“. Dessen Stamm wurde im Zuge der Landnahme von den Siedlern vertrieben. Abgespeist mit Versprechungen und doch betrogen. Bellman und Alte Frau aus der Ferne, zwei wie Don Quijote und Sancho Panza, ziehen gemeinsam weiter, immer Richtung Westen, immer auf der Suche nach dem Unbekannten. Der eine mit einer Vision, der andere ihm zur Seite gestellt, ihm folgend.
Verlust und Glaube, das sind die beiden Themen, um die dieser Roman kreist. Der Glaube daran, dass der Vater zurückkehrt. Der Glaube daran, dass der Westen ein außergewöhnliches Erleben bereithalten wird. Davies verzichtet auf ausufernde Beschreibungen, fügt aber immer wieder solche Elemente ein, die wir mit klassischen Western verbinden.
Sie ändert gekonnt die Tonlage, wenn sie zwischen den Kapiteln des Reisenden und denen der daheimgebliebenen Tochter hin und her wechselt. Hält so das Interesse des Lesers am Schicksal sowohl des einen als auch der anderen wach, verliert aber auch nie die darunter liegende Geschichte des Verlusts aus dem Blick, nämlich die Vertreibung der Ureinwohner, hier vertreten durch Alte Frau aus der Ferne. Und er wird es auch sein, der den Kreis schließt.