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Veröffentlicht am 13.02.2019

Konnte mich leider nicht überzeugen

Die ewigen Toten
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In „Die ewigen Toten“ darf der forensische Anthropologe David Hunter sein Wissen in einem abbruchreifen Krankenhaus im Norden Londons unter Beweis stellen. Zuerst ist es nur eine mumifiziert Leiche auf ...

In „Die ewigen Toten“ darf der forensische Anthropologe David Hunter sein Wissen in einem abbruchreifen Krankenhaus im Norden Londons unter Beweis stellen. Zuerst ist es nur eine mumifiziert Leiche auf dem Dachboden, dann findet man durch einen „glücklichen“ Unfall einen verborgenen Raum, in dem zwei weitere Tote auf Krankenhausbetten festgeschnallt liegen. Das schockierende daran, sie müssen lebendig eingemauert worden sein. Zwei Fälle, ein Anthropologe? Nein, denn der verantwortliche Commander Ainsley setzt zusätzlich einenforensischen Taphonom auf den Fall der Eingemauerten an. Dr. Daniel Mears, blutjung und sehr von sich und seinem Können überzeugt, der sich schon beim ersten Kontakt mit Hunter entsprechend arrogant benimmt. Die Identifizierungen gestalten sich schwierig, denn noch schweigen die Knochen. Und auch die Suche nach dem Täter scheint ausweglos. In akribischer Arbeit setzen Hunter und die für den Fall zuständige DCI Sharon Ward die einzelnen Puzzleteile zusammen und kommt einem perfiden Verbrechen auf die Spur.

Nach dem wenig überzeugenden Vorgänger „Totenfang“ war ich skeptisch, ob Simon Beckett je wieder an die Qualität der ersten Bände der Reihe anknüpfen könnte. In „Die ewigen Toten“ ist ihm das zumindest in groben Zügen gelungen, allerdings nur im mittleren Teil. Aber er stellt die Geduld seiner Leser schon auf eine harte Probe. Natürlich weiß man, wenn man zu einem Hunter-Thriller greift, dass Forensik ein Schwerpunktthema ist, aber 120 Seiten bis die Fälle richtig in die Gänge kommen? Sorry, Mr Beckett, das ist mir eindeutig zu viel, und ich bin mir nicht sicher, ob ein Einsteiger in die Reihe nicht doch entnervt das Handtuch wirft. Spannung kommt hier jedenfalls nicht auf, wenn man zum zigsten Mal den Vorgang der Mazeration erklärt bekommt und das Gefühl hat, in einem Grundkurs für angehende Forensiker zu sitzen. Der Mittelteil ist soweit in Ordnung, hier kommt sogar eine gewisse Spannung auf. Aber dann das Ende…zum einen ist die Anzahl der Verdächtigen eh sehr überschaubar, das Motiv, na ja. Dann die Action à la Bond und das Gespenst aus der Vergangenheit. Keine Überraschungen, hat man alles schon einmal gelesen und konnte mich nicht überzeugen. Da schaue ich mir lieber die x-te Wiederholung von Bones an.

Veröffentlicht am 13.02.2019

Zwischen Tradition und Moderne

Der Mongole - Das Grab in der Steppe
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Der französische Autor Ian Manook (d.i. Patrick Manoukian), für sein Debüt „Der Mongole“ (im Original „Yeruldelgger“, 2013) mit dem Quai du Polar ausgezeichnet, nimmt den Leser mit auf eine Reise in ein ...

Der französische Autor Ian Manook (d.i. Patrick Manoukian), für sein Debüt „Der Mongole“ (im Original „Yeruldelgger“, 2013) mit dem Quai du Polar ausgezeichnet, nimmt den Leser mit auf eine Reise in ein Land, das wohl für die meisten Krimileser ein weißer Fleck auf der Landkarte ist.

Im Zentrum der Handlung steht Yeruldelgger, ein aufrechter Polizist mit tragischer Familiengeschichte, verhaftet in den Traditionen seines Volkes, der in der Hauptstadt Ulaanbaatar arbeitet. Zwei Fälle treiben ihn um. Zum einen ist da die Leiche eines kleinen Mädchens, vergraben in der Steppe und von Nomaden entdeckt, zum anderen der Mord an drei Chinesen und zwei Prostituierten, erstere grausam verstümmelt, die Frauen kahlgeschoren. Je tiefer Yeruldellger und sein Team in die Ermittlungen einsteigen, desto offensichtlicher zeigt es sich, dass diese beiden Fälle verbunden sind und es in seinem direkten Umfeld Menschen gibt, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass die Täter gefunden werden.

Keine Frage, einen Großteil der Faszination bezieht dieser Krimi aus der Exotik des Schauplatzes mit seinen Steppen, der Wüste, Jurten und geheimnisvollen Mönchen. Aus den Riten und der Mystik einer längst vergangenen Zeit. Aber Manook zeigt auch die Zerissenheit dieses Landes zwischen Tradition und Moderne. Einerseits die Nomaden, die mit der Hoffnung auf Wohlstand in die Städte ziehen, dort aber bestenfalls in Elendsvierteln unterkommen, im schlechteren Fall in der Kanalisation hausen müssen. Andererseits die cleveren Geschäftemacher in ihren luxuriösen Villen, die die Bodenschätze des Landes skrupellos an den Meistbietenden verhökern und dabei über Leichen gehen. Und dann sind da noch all diejenigen, die auch ihr Stück vom Kuchen abhaben wollen und sich in die Dienste letzterer stellen, um deren schmutzige Geschäfte zu decken.

Natürlich spart der Autor nicht mit Klischees. Yeruldelgger, der unkaputtbare Polizist mit mönchischer Kampfausbildung, angetrieben von dem Wunsch nach Rache. Solongo, die sanftmütige Gerichtsmedizinerin, in der traditionellen Heilkunst bewandert. Oyun, Yeruldelggers Assistentin, die keiner Prügelei aus dem Weg geht und absolut loyal ist. Und meine Lieblingsfigur Gantulga, der gewitzte Straßenjunge aus der Kanalisation, der Oyun anhimmelt und dem Team unschätzbare Dienste leistet. Die brutalen Biker-Nazis mit ihrem Anführer Adolf, die die Drecksarbeit erledigen. Korrupte Polizisten, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Gierige Investoren mit dem Dollarzeichen im Auge. Und schließlich der abgrundtiefe Bösewicht und seine Helfershelfer.

Aber das passt alles zu dieser gut geplotteten Story, die mit viel Tempo erzählt wird und auch mit der einen oder anderen überraschenden Wendung aufwartet. Gut, manche Passagen schrammen nur knapp am Kitsch vorbei, aber das mich nicht weiter gestört. Für mich war „Der Mongole“ spannende Unterhaltung für zwischendurch, bei der ich auch noch so einige interessante Informationen über dieses ostasiatische Land erfahren habe. Erwartungen erfüllt, und die Nachfolger werde ich, so sie übersetzt werden, mit Sicherheit auch lesen(im Original liegen bereits zwei weitere Bände vor).

Veröffentlicht am 08.02.2019

Nach dem Wandel

Die Mauer
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Glücklicherweise gibt es Autoren, die heutzutage nicht mehr abgeschottet von der Welt in einem Elfenbeinturm leben und über ihre Befindlichkeiten schreiben. John Lanchester ist einer von ihnen. Dass er ...

Glücklicherweise gibt es Autoren, die heutzutage nicht mehr abgeschottet von der Welt in einem Elfenbeinturm leben und über ihre Befindlichkeiten schreiben. John Lanchester ist einer von ihnen. Dass er feine Antennen für das aktuelle Zeitgeschehen hat, hat er ja bereits hinlänglich in seinem 2012 erschienenen Roman zur Finanzkrise „Kapital“ bewiesen. Nun also „Die Mauer“, von seinem deutschen Verlag als „Migration, Klimawandel, Brexit – der Roman der Stunde“ beworben.

England in nicht allzu ferner Zukunft, die Zeit nach dem „großen Wandel“, umtost von dem weltweit bedrohlich angestiegenen Meeresspiegel, der weltweit Lebensräume vernichtet hat. Überall Wasser, Kälte und Tod, verursacht durch das Ignorieren der Warnzeichen durch die ältere Generation. Hunderttausende sind auf der Flucht, versuchen über das Meer in einen sicheren Hafen zu gelangen, weshalb die Außengrenzen gesichert werden müssen. Um diese aufzuhalten, wurde rund um die Insel eine Mauer gebaut, auf der Wehrpflichtige wie der Protagonist Kavanagh als Verteidiger, besser gesagt Bewacher, in ihrem zweijährigen Dienst eingesetzt werden. Der Druck ist hoch, denn wenn sie ihren Dienst nicht weisungsgetreu verrichten, werden sie auf See ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Diejenigen der „Anderen“, die es trotz allem über die Mauer schaffen, werden gefangengenommen und als „Dienstlinge“ versklavt.

Menschenleben und persönliche Beziehungen zählen in dieser Welt nach dem Klimawandel nicht mehr. Die einzige Möglichkeit, die eigenen Lebensumstände nach Beendigung des Dienstes etwas zu verbessern, ist, sich als „Fortpflanzer“ zu verpflichten, der der Elite das Reservoir an Menschenmaterial sichert. Zynisch? Grausam? Weit hergeholt? Mitnichten. Man muss sich nur anhören, was manche Personen des öffentlichen Lebens so von sich geben, und wie wir alle mit dieser unserer Welt umgehen.

„Die Mauer“ ist das düstere Porträt einer von dem globalen Klimawandel geprägten Gesellschaft, die ihre Menschlichkeit, ihr Mitgefühl verloren hat und deren gesamtes Streben nur noch darauf ausgerichtet ist, ihren vermeintlich sicheren Wohlstand und Lebensraum zu verteidigen.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Bluebird, please, take this letter down south for me...

Bluebird, Bluebird
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Wenn man mit dem Werken Joe R. Lansdales vertraut ist, weiß man in etwa schon, was einem erwartet, wenn die Reise wie in Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“ nach Osttexas, Shelby County geht. Rechtskonservativ, ...

Wenn man mit dem Werken Joe R. Lansdales vertraut ist, weiß man in etwa schon, was einem erwartet, wenn die Reise wie in Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“ nach Osttexas, Shelby County geht. Rechtskonservativ, Hochburg der Republikaner (bei der Wahl holte Trump 79 % der Stimmen), jede Menge Unterstützer der Aryan Brotherhood of Texas und des Ku Klux Klan, unverhohlen zur Schau gestellter Rassismus, der seine Wurzeln in der texanischen Geschichte als Dixie-Staat hat.

Zwei Todesfälle führen Darren Mathews, den afroamerikanischen Texas Ranger mit Jura-Studium, nach Lark, Shelby County. Zurück in die Ecke des Lone Star State, in der er verwurzelt ist. Ein schwarzer Anwalt aus Chicago sowie eine dort ansässige weiße Kellnerin, beide misshandelt, beide in einem Bayou nahe des Ortes aufgefunden. Seine Anwesenheit ist dort nicht willkommen, weder in Geneva Sweets Café und Truckstop auf der „schwarzen“ Seite des Highway 59, noch in Jeff’s Juice House, einer verratzten Kneipe auf der „weißen“ Seite. Besitzer dieses Treffpunkts der Rednecks und Mitglieder der Aryan Brotherhood ist Wally Jefferson, Sohn des ehemaligen Plantagenbesitzers. Wurde der Anwalt Opfer eines Aufnahmeritus‘? Aber warum wurde dann auch die Frau getötet? Um diese Fragen zu beantworten, muss Mathews weit zurückliegende Ereignisse aus den Familiengeschichten der Bewohner von Lark ausgraben und diese mit Geschehnissen der Gegenwart verbinden.

„Bluebird, Bluebird“, 2018 ausgezeichnet mit dem Edgar Award und dem Ian Fleming Steel Dagger, ist aber mehr als nur eine Geschichte über den allgegenwärtigen Rassismus dieses osttexanischen Fleckens. Es geht um Identität, um Heimat und Familie, um Liebe und Hass. Und um deren Schnittstellen, für die Locke, ebenfalls Texanerin, einen scharfen Blick hat. Speziell dann, wenn es darum geht, die „Feinheiten“ der zwischenmenschlichen Beziehungen im amerikanischen Alltagsrassismus zu beschreiben.

„Seine (d.i. Darren) Onkel hielten sich an diese alten Regeln des Lebens im Süden, weil sie begriffen hatten, wie schnell sich das alltägliche Verhalten eines schwarzen Mannes in eine Sache auf Leben und Tod verwandeln konnte. Darren hatte stets glauben wollen, dass sie die letzte Generation waren, die so leben musste, dass der Wandel im Weißen Haus seine Wirkung entfalten würde. Doch in Wirklichkeit war genau das Gegenteil passiert. Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt“ (Seite 27).

Eine ungeschönte Bestandsaufnahme des afroamerikanischen Alltags, nicht nur im Süden sondern in der gesamten amerikanischen Gesellschaft. Ein wichtiges Buch, gerade jetzt in Trumps Amerika. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Der bisher eindrucksvollste und spannendste Roman der Cormoran-Strike-Reihe

Weißer Tod
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Es gibt nicht viele Autoren, die eine mehrbändige Reihe so gekonnt wie J. K. Rowling/Robert Galbraith plotten können, was sie ja bereits mit den Harry-Potter- Büchern hinlänglich bewiesen hat.

„Weißer ...

Es gibt nicht viele Autoren, die eine mehrbändige Reihe so gekonnt wie J. K. Rowling/Robert Galbraith plotten können, was sie ja bereits mit den Harry-Potter- Büchern hinlänglich bewiesen hat.

„Weißer Tod“, Nummer 4 der Kriminalromane um Cormoran Strike und seine Assistentin Robin Ellacott, setzt unmittelbar nach dem Ende des Vorgängers „Die Ernte des Bösen“ ein. 2012, Olympiade in London: der Serienmörder ist gefasst, Strikes Anonymität ein Opfer der medialen Aufmerksamkeit. Und dann ist da noch die Hochzeit der durch diesen Fall traumatisierten und mittlerweile arbeitslosen Robin mit ihrem langjährigen Freund Matthew, dem langweiligen und übergriffigen Buchhalter. Man möchte ihr „Tu’s nicht“ zurufen, denn wir wissen ja, dass das eigentliche Paar sie und Strike sind. Es kommt, wie es muss, sie erkennt ziemlich schnell, dass es ein Fehler war.

Strike hat mehr Aufträge, als er bewältigen kann und freut sich, als Robin wieder in das Tagesgeschäft mit einsteigt. Ein Fall treibt ihn ganz besonders um, nämlich der des verstörten jungen Mannes, der die Geschichte eines Verbrechens erzählt, das er glaubt, vor vielen Jahren mitangesehen zu haben. Aber auch der Kultusminister benötigt seine Dienste, warum und womit entzieht sich jedoch Strikes Kenntnis. Dazu kommt das seit langem verschollene Bild eines bekannten Malers, die Veruntreuung von Geldern, Machtmissbrauch und Intrigen innerhalb von Regierungskreisen, die einen Undercover-Einsatz von Robin in Westminster nötig machen.

Es ist eine unglaubliche Stofffülle, die Rowling/Galbraith in diesem über achthundert Seiten starken Roman verarbeitet, für mich der bisher eindrucksvollste und spannendste der Cormoran-Strike-Reihe. Zwar verliert sie sich oft im Detail, aber schon allein ihre Personenbeschreibungen und die damit einhergehende Kritik an der britischen Upper Class lohnt jede Zeile. Und man weiß es ja auch bereits aus den Vorgängern, dass sämtliche Informationen, Drehungen und Wendungen, für den späteren Verlauf der Handlung, und hier insbesondere für die Auflösung der verschiedenen offenen Fragen von Bedeutung sind. So werden alle losen Fäden, und das meint wirklich alle, am Ende zu einem runden und befriedigenden Schluss verwoben. Man darf gespannt sein, was Frau Rowling für die nächsten Bände der Reihe noch in petto hat.