Ich gebe es zu, jegliche Rationalität ging bei mir flöten, als ich den wunderschönen Farbschnitt von „A Song to Drown Rivers“ gesehen habe. Ich liebe Designs mit Kranichen und das Buch musste ich einfach ...
Ich gebe es zu, jegliche Rationalität ging bei mir flöten, als ich den wunderschönen Farbschnitt von „A Song to Drown Rivers“ gesehen habe. Ich liebe Designs mit Kranichen und das Buch musste ich einfach haben, damit es mein Bücherregal ziert und täglich meine Augen erfreuen kann. So sehr mich die äußere Aufmachung des Romans überzeugen konnte, so wenig konnte es leider der Inhalt.
Die Geschichte ist in China um das Jahr 500 angesiedelt. Die junge Xishi ist mit einer derart vollkommenen Schönheit beschenkt worden, dass nur sie das Königreich vor den feindlichen Wu-Soldaten zu retten vermag. Und zwar soll sie als Spionin im benachbarten, feindlichen Königreich fungieren. Auf diesen wunderbaren Einfall kam der junge Fanli, königlicher Minister und Berater. Der Plan geht zwar auf, doch die große Liebe, die zwischen Xishi und Fanli entsteht, findet leider ein tragisches Ende.
Ann Liang, die Autorin des Romans, hat sich für ihr Erstlingswerk von der Legende von Xi Shi, einer der Vier Schönheiten des antiken Chinas, inspirieren lassen. Gerade mal im zarten Alter von 21 Jahren hat sie sich ans Schreiben einer Geschichte gewagt, die zwischen den drei Genres Liebesroman, Fantasy und Historischer Roman changiert. Ihr Schreibstil ist noch unausgereift und kindlich. Der Roman wirkt in seinen Einzelteilen sowie in seiner Gesamtheit viel zu bemüht. Eine erfreuliche Lektüre war „A Song to Drown Rivers“ somit nicht für mich, aber es wird sicher viele begeisterte Anhängerinnen finden und die Autorin wird mit der Zeit auch bestimmt ihren Stil verfeinern.
„Erst muss man vorbei an dem Afrikanischen Elefanten und durch eine Tür […] dann haben die Besucher dieses Wesen vor sich, seine vollkommen andersartigen Glieder. […] Seine Größe fesselt die Aufmerksamkeit ...
„Erst muss man vorbei an dem Afrikanischen Elefanten und durch eine Tür […] dann haben die Besucher dieses Wesen vor sich, seine vollkommen andersartigen Glieder. […] Seine Größe fesselt die Aufmerksamkeit der Menschen. Kinder rennen herbei und rufen »Dinosaurier!«, denn diese erwarten sie am sehnsüchtigsten, doch die Eltern zögern. Sie haben den Museumsplan studiert und wissen, dass sich die prähistorischen Tiere im zweiten Stock befinden, nicht hier, weshalb sie sich nach vorne beugen und ihrem Nachwuchs das Namensschild vorlesen: Stellers Sehkuh.“
Schätzungen zufolge sterben täglich 130 bis 150 Arten aus. Jeden Tag verschwinden Lebewesen unwiederbringlich von der Erdoberfläche. Von vielen haben wir niemals etwas gehört, andere wiederum sind allseits bekannt. Und es gibt solche, die es quasi zur Weltbekanntheit gebracht, wie das Mammut oder der Dodo. Einen sehr berührenden Roman über eine ausgestorbene Art, den Riesenalk, habe ich bereits letztes Jahr gelesen und nun durfte ich wieder ein sehr berührendes Buch über ein weiteres sehr faszinierendes, ausgestorbenes Tier lesen und zwar über die Stellersche Sehkuh.
Vier Menschenschicksale, die in irgendeiner Form eng mit der Stellerschen Sehkuh verbunden sind, dürfen wir in Iida Turpeinens Roman „Das Wesen des Lebens“ mitbegleiten. Es fängt im Jahr 1741 an, als der Theologe und Naturforscher Georg Wilhelm Steller mit der russischen Besatzung auf dem Schiff Swjatoi Pjotr zu einer Forschungsreise aufbricht. Das Schiff strandet irgendwann an einer Insel, wo die zusammengeschrumpfte Mannschaft Wesen im Wasser erblickt, die wohl früher von Seereisenden als Meerjungfrauen in die Erzählung eingingen. Steller studiert das Verhalten der Tiere, lässt aber auch eins der von der Mannschaft erlegten Tiere zerlegen, er misst es und legt sein Skelett frei. Dieses kann er allerdings auf der Rückfahrt nicht mitnehmen, wieder in Russland angekommen stirbt er bereits fünf Jahren nach Antreten der Forschungsreise an einer Fieberkrankheit und hinterlässt nur seine Aufzeichnungen.
Etwas mehr als hundert Jahre später übernimmt der finnische Gouverneur Furuhjelm die Kolonie in Alaska. Nachdem alle Rohstoffe und Tiere, die ihres Pelzes wegen gejagt werden, von diesem Teil des amerikanischen Kontinents verschwunden sind, sucht Johan Hampus Furuhjelm krampfhaft nach einem plausiblen Grund für das Fortbestehen der Kolonie und seines Gouverneurspostens und lässt die Ureinwohner Alaskas nach dem Skelett der Stellerschen Sehkuh suchen. Die Inuit werden auf einer kleinen Insel fündig, Alaska wird dennoch kurz darauf von den Amerikanern gekauft. Hampus Furuhjelm vergisst aber nicht, dass er seinem Freund von Nordmann, der Professor für Zoologie an der Kaiserlichen Alexanders-Universität ist, das Skelett der Seekuh versprochen hat und so wird es von ihm zusammengebaut und von seiner Assistentin und begnadeten Zeichnerin Hilda Olson aufs Papier gebannt. An der Kaiserlichen Alexanders-Universität gehört von nun an die Stellersche Seekuh Professor Bonsdorffs Skelettsammlung an. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts dürfen die Knochen der Seekuh in das Tierkundemuseum umziehen, die von dem finnischen Konservator und Naturschützer John Grönvall liebevoll konserviert und neu zusammengesetzt werden. Das Skelett kann bis zum heutigen Tag im Naturhistorischem Museum in Helsinki besichtigt werden.
Iida Turpeinen hat mit „Das Wesen des Lebens“ ein wichtigen Roman geschaffen, der meiner Meinung nach von jedem gelesen werden sollte. Sie schafft es in jede ihrer Figuren, die historische Persönlichkeiten sind, Leben einzuhauchen, sodass man das Gefühl hat, alles leibhaft mitzuerleben. Mit dem Fortschreiten der Zeit im Buch zeigt sich auch immer mehr, dass sich die Einstellung der Menschen gegenüber der Lebewesen, die sie umgeben, sehr stark verändert. Während sie im 18. und 19. Jahrhundert als Gut angesehen werden, das ausgebeutet werden darf und dem menschlichen Zweck zu dienen hat, setzen sich Gelehrte und Forscher im 20. Jahrhundert für den Erhalt und Schutz bestimmter Tierarten ein. Sogar diese langsame Entwicklung gelingt es der Autorin wunderbar in ihrem Roman zu bannen. Mit ihrem feinfühligen Schreibstil gelingt es ihr, die grausamsten menschlichen Taten so darzustellen, dass man nicht vor Grauen in Ohmacht fällt und trotzdem den Schmerz und die Trauer empfindet, die die beschriebenen Szenen unweigerlich in einem auslösen.
„Einen Moment lang ist sie da, die alles verschlingende, zarte Trauer, wenn wir dieses Tier betrachten, groß und sanft, für immer fort.“
„Trotzdem gab ich nicht auf. Es gibt Projekte, die eine Art Unausweichlichkeit haben, dich jenseits aller Vernunft fesseln, aus Gründen, die du nicht verstehst. Oft sind das Fata Morganas, das weißt du, ...
„Trotzdem gab ich nicht auf. Es gibt Projekte, die eine Art Unausweichlichkeit haben, dich jenseits aller Vernunft fesseln, aus Gründen, die du nicht verstehst. Oft sind das Fata Morganas, das weißt du, aber du kannst nicht anders, als dich ihr so weit anzunähern, bis sie vor dir verschwindet. Die Bombe war so etwas. Ich schrieb immer langsamer und mit einer Art luzider Verzweiflung, den Moment erwartend, in dem ich mich mit nichts in Händen wiederfinden würde.“
Paolo ist ehemaliger Physikstudent. Nun ist er Journalist und arbeitet seit einigen Jahren an einem Buch zur Atombombe. Nachdem seine neun Jahre ältere Ehefrau Lorenza nach drei Jahren fruchtlosen Versuchens ein gemeinsames Kind zu bekommen, die Bemühungen einstellen möchte, stürzt diese Entscheidung Paolo in eine persönliche Krise. Diese Krise bringt einen Stein ins Rollen und lässt den Ich-Erzähler sich bewusst mit den großen und kleinen Katastrophen im Leben eines Menschen auseinandersetzen. Der Klimawandel, Terroranschläge und die atomare Bedrohung beschäftigen Paolo genauso wie seine eigene Kinderlosigkeit, die Trennung seines ehemals besten Studienfreundes von dessen Frau, die persönlichen Irrungen eines befreundeten Priesters, die Freundschaft mit dem bekannten Professor Novelli, der sich mit Wolkenformationen und ihrem Einfluss auf den Klimawandel beschäftigt. Paolo reist rastlos in der Weltgeschichte umher, ist mal motiviert, dann wieder auf seine niedersten Instinkte reduziert. Als eine schwerwiegende Augenoperation bei ihm durchgeführt wird und er einige Zeit später nach Japan reist, wo er den Gedenkfeiern zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki beiwohnt und dort Terumi Tanaka trifft, der als dreizehnjähriger Junge den Atombombenangriff in Nagasaki überlebte, werden Paolo buchstäblich die Augen geöffnet für das, was wirklich im Leben zählt und die persönliche Krise scheint überwunden. Gleichzeitig bleibt die große Frage im Raum stehen: Würden wir, wenn wir wüssten, was die Zukunft bringt, anders handeln als wir es jetzt tun oder würde trotzdem jeder sein eigenes Leben so weiterleben wie bisher? Nur eines ist sicher: Aus der Perspektive von Überlebenden ist alles möglich zu erzählen.
„Trotzdem gab ich nicht auf. Es gibt Projekte, die eine Art Unausweichlichkeit haben, dich jenseits aller Vernunft fesseln, aus Gründen, die du nicht verstehst. Oft sind das Fata Morganas, das weißt du, ...
„Trotzdem gab ich nicht auf. Es gibt Projekte, die eine Art Unausweichlichkeit haben, dich jenseits aller Vernunft fesseln, aus Gründen, die du nicht verstehst. Oft sind das Fata Morganas, das weißt du, aber du kannst nicht anders, als dich ihr so weit anzunähern, bis sie vor dir verschwindet. Die Bombe war so etwas. Ich schrieb immer langsamer und mit einer Art luzider Verzweiflung, den Moment erwartend, in dem ich mich mit nichts in Händen wiederfinden würde.“
Paolo ist ehemaliger Physikstudent. Nun ist er Journalist und arbeitet seit einigen Jahren an einem Buch zur Atombombe. Nachdem seine neun Jahre ältere Ehefrau Lorenza nach drei Jahren fruchtlosen Versuchens ein gemeinsames Kind zu bekommen, die Bemühungen einstellen möchte, stürzt diese Entscheidung Paolo in eine persönliche Krise. Diese Krise bringt einen Stein ins Rollen und lässt den Ich-Erzähler sich bewusst mit den großen und kleinen Katastrophen im Leben eines Menschen auseinandersetzen. Der Klimawandel, Terroranschläge und die atomare Bedrohung beschäftigen Paolo genauso wie seine eigene Kinderlosigkeit, die Trennung seines ehemals besten Studienfreundes von dessen Frau, die persönlichen Irrungen eines befreundeten Priesters, die Freundschaft mit dem bekannten Professor Novelli, der sich mit Wolkenformationen und ihrem Einfluss auf den Klimawandel beschäftigt. Paolo reist rastlos in der Weltgeschichte umher, ist mal motiviert, dann wieder auf seine niedersten Instinkte reduziert. Als eine schwerwiegende Augenoperation bei ihm durchgeführt wird und er einige Zeit später nach Japan reist, wo er den Gedenkfeiern zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki beiwohnt und dort Terumi Tanaka trifft, der als dreizehnjähriger Junge den Atombombenangriff in Nagasaki überlebte, werden Paolo buchstäblich die Augen geöffnet für das, was wirklich im Leben zählt und die persönliche Krise scheint überwunden. Gleichzeitig bleibt die große Frage im Raum stehen: Würden wir, wenn wir wüssten, was die Zukunft bringt, anders handeln als wir es jetzt tun oder würde trotzdem jeder sein eigenes Leben so weiterleben wie bisher? Nur eines ist sicher: Aus der Perspektive von Überlebenden ist alles möglich zu erzählen.
Alle Themen und alle lauten wie leisen Töne, die Paolo Giordani in seinem Roman „Tasmanien“ unterbringt und behandelt, in einer Rezension wiedergeben zu wollen, ist schier unmöglich. Das Werk liest sich wie eine persönliche Chronik von 2015 bis 2022. Man wird an die Ereignisse in diesem Zeitraum erinnert, erlebt sie wie von Neuem und erinnert sich an die Gedanken und Gefühle, die man selbst zu dieser Zeit gehegt und empfunden hat. Und man stellt sich unweigerlich selbst die Frage: Hätte ich irgendetwas in meinem Handeln geändert, wenn ich gewusst hätte, was kommt? Paolo Giordani ist mit „Tasmanien“ wahrhaftig ein schriftstellerisches Werk gelungen, das nachhaltig zur Reflexion anregt, und dabei Gefühl und Verstand gleichermaßen anspricht. Es ist ein wichtiger Roman in unserer Zeit und zurecht das meistgelesene Buch des vergangenen Jahres.
Ort: Das Meer, in unmittelbarer Nähe zum Festland. Zeitpunkt: Ein nicht näher spezifizierter Zeitraum in der Zukunft. Yada, fast achtzehn Jahre alt, lebt mit ihrem Vater und einigen anderen Bewohnern auf ...
Ort: Das Meer, in unmittelbarer Nähe zum Festland. Zeitpunkt: Ein nicht näher spezifizierter Zeitraum in der Zukunft. Yada, fast achtzehn Jahre alt, lebt mit ihrem Vater und einigen anderen Bewohnern auf einer Seestatt, denn das Festland ist aufgrund von Naturkatastrophen in einem chaotischen Zustand. An ihre Mutter kann Yada sich kaum erinnern, es heißt, sie wäre ihrer psychischen Krankheit erlegen. Um die Tochter vor demselben Schicksal zu bewahren, wird Yada von ihrem Vater beschützt – oder sollte man lieber sagen: überwacht? Denn die Ungereimtheiten häufen sich und als Yada eines Tages die Flucht aufs Festland gelingt, stellt sie fest, dass ihr Vater nicht nur in Bezug auf die Zustände in Deutschland, sondern auch in Bezug auf ihre Mutter gelogen hat. Ein über Jahre hinweg sorgfältig aufgebautes Kartenhaus an Lügen stürzt zusammen und Yada findet sich in einer Realität wieder, in der sie erst lernen muss, sich zurechtzufinden. Womit sie am wenigsten gerechnet hat: Yada findet ihre totgeglaubte Mutter wieder, die als freischaffende Künstlerin in Berlin lebt. Sie ist eine Berühmtheit, weil sie einst Prophezeiungen über die Zukunft verkündete, von denen viele in Erfüllung gingen. Seitdem wird sie als „das Orakel“ bezeichnet, wogegen Helena unermüdlich ankämpft – doch ohne Erfolg. Als wieder eine ihrer Verkündungen wahr wird, beschließt sie gemeinsam mit ihrer Tochter und ein paar engen Freunden ihre Stimme für eine gute Sache zu nutzen.
Dem Roman „Auf See“ liegt nicht nur eine äußerst interessante Idee zugrunde, sondern auch ein ungewöhnliches Konzept. Wir tauchen abwechselnd in die Perspektive der Tochter, Yada, und der Mutter, Helena, ein – gegen Ende des Romans kommen noch weitere Stimmen hinzu. Die Passagen, die Yada und Helena gewidmet werden, werden von Essays zu historischen Themen unterbrochen. Sie gehören romanintern zu dem von Helena erarbeiteten und sukzessive erweitereten Archiv, sind aber gleichzeitig Themen, die die Autorin selbst brennend interessieren – die, so lässt sich vermuten, sie zu ihrem dystopischen Werk inspiriert haben – und die sie für uns, die Leser, in ansprechender und spannender Form interpretiert und zusammenfasst. So erfahren wir über den Betrüger Gregor MacGregor, der sein Geld damit verdiente, dass er Land einer von ihm erfundenen Insel verkaufte; wir lernen Ernest Hemingways jüngeren Bruder Leicester kennen; wir erhalten Geschichtsunterricht für die Insel Nauru und wie deren reiche Phosphatreserven – nichts anderes als Vogelscheiße – das Leben seiner Einwohner über Jahrzehnte hinweg bestimmen sollte; wir erhalten einen groben Überblick über die Entstehung der Sekte Scientology und dürfen zusammen mit der Autorin zu dem Geburtsort des modernen Neoliberalismus reisen – um nur einige Beispiele zu nennen. Wir haben hier somit einen utopischen Roman vorliegen, der um eine Essaysammlung bereichert wurde. Mit anderen Worten, uns liegt mit „Auf See“ ein fiktional-wissenschaftliches Konglomerat vor – wenn das mal keine innovative und spannende Idee ist! Ich habe die Lektüre von „Auf See“ sehr genossen und habe mich gerne auf derartig anregende Weise weiterbilden lassen. Allerdings gerät zugunsten der historischen Einschübe die fiktive Ebene teilweise zu kurz, was mich zu der Schwachstelle des Romans kommen lässt, und zwar löst sich die Geschichte gegen Ende etwas zu schnell und abrupt in Wohlgefallen auf, wodurch einige Fragen unbeantwortet und einige Nebenhandlungen unaufgelöst bleiben. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei „Auf See“ um einen wertvollen und nachdenklich stimmenden Roman, den ich allen Lesern, die sich sowohl für utopische/dystopische Ideen als auch für historische Themen interessieren, aufs Wärmste empfehlen kann.