lesenswerter Roman zur deutschen Psychiatriegeschichte
Gespensterfische"Gespensterfische" ist ein Buch, das Kreise dreht, auch um sich selbst. Im Zentrum eine kaum zu Greifende Idee davon, was eine psychiatrische Anstalt ist. Dann, immer wieder, eindrücklich klare Momentaufnahmen: ...
"Gespensterfische" ist ein Buch, das Kreise dreht, auch um sich selbst. Im Zentrum eine kaum zu Greifende Idee davon, was eine psychiatrische Anstalt ist. Dann, immer wieder, eindrücklich klare Momentaufnahmen: das ist diese Klinik.
Das Thema, stilistisch wie inhaltlich: der Resonanzraum. Das erste Kapitel beschreibt den Ausgangspunkt, eine bestimmte Zeit, ein bestimmter Ort, bestimmte Personen. Davon aus kreist die Erzählung dann, durch die Zeiten dieser Klinik und durch ihre Menschen, deren Familien und kreist durch diese Menschen auch über die Anstaltswege hinaus. Erfahrungen, Gedanken, Gefühle stehen nebeneinander, überlagern sich, eben stilistisch tatsächlich wie ein großer Raum voller Stimmen. Als Gegengewicht die Klarheit der Bilder die Protagonistin Laura zeichnet.
Immer wieder war mir das zu viel - zu viele Zeiten, zu viele Personen mit ihren vielfältigen Verstrickungen - um den Überblick zu behalten und einen Sinn in der Erzählung zu finden. Aber, wie das beim Kreisen, bei Ellipsen, wohl so ist, kam es dennoch immer wieder zusammen, verbanden sich die Einzelteile eben doch immer wieder zu einem Bild, nur um dann kaleidoskopisch wieder auseinander zu fallen.
Emotional erging es mir genauso wie kognitiv, manche Kapitel haben mich tief berührt, komplett abgeholt, andere wirkten, zunächst, deplatziert. Zwischenzeitlich hat mich der große Fokus auf die psy*arbeitenden geärgert, auch die Gewalt blieb irgendwie doch umschifft. Aber genau dieses Umschiffen, die Beobachtung und eben doch subtil schonungslose Bloßstellung dessen, was das heißt, ist für mich im Verlauf zum Herzstück und großen Verdienst dieses Buches geworden. Da ist für meinen Geschmack vielleicht zu wenig Wut in der Erzählung, dafür aber fein sezierte Scham und Schuld.
Ich weiß nicht, wie das auf Menschen wirkt, die wenig historisches Vorwissen haben, denke aber schon, dass die konkreten Hinweise im Buch reichen müssten, um folgen zu können.
Insgesamt halte ich "Gespensterfische" für einen gelungenen Roman über die Psychiatriegeschichte, der voller zitierwürdiger Passagen zumindest der Vergangenheit kritisch begegnet.