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Veröffentlicht am 21.06.2023

Ehrlichkeit, Offenheit und Authentizität

Schönwald
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Hier liegt ein Buch vor, das man nicht gleich wieder vergessen kann, ein Buch mit dem man sich gedanklich weiter beschäftigt, ein Gesellschaftroman, in dem ganz viele Themen unserer Zeit angesprochen und ...

Hier liegt ein Buch vor, das man nicht gleich wieder vergessen kann, ein Buch mit dem man sich gedanklich weiter beschäftigt, ein Gesellschaftroman, in dem ganz viele Themen unserer Zeit angesprochen und eingeflochten werden, angefangen von der Bewältigung unserer Nazi-Vergangenheit über Homosexualität, Kindesmissbrauch, me-too, MAGA-Bewegung und Trumps Amerika. Und trotz dieser scheinbaren Aktualität sind für mich diese Themen nur Randthemen. Für mich ging es um etwas anderes.

Vom Cover her zeigt es die Frühstücksszene einer gut situierten Familie, der Familienvater schon im Anzug, seine Frau noch im Morgenmantel, aber damit beschäftigt, den Gatten und die Kinder gut versorgt in den Tag zu entlassen. Glücklich scheint sie dabei nicht zu sein. Zu den 70ern und frühen 80ern könnte es durchaus noch passen und somit auch zum Buchinhalt und zur Familie Schönwald.

Ein Wochenende in Berlin: der queere Buchladen von Karolin Schönwald soll eröffnet werden, die ganze Familie ist gekommen, sogar der Bruder aus den fernen USA und die Eröffnung wird gestört durch junge Leute, die Farbbeutel werfen und die Finanzierung des Ladens mit Nazigeld in Verbindung bringen. Der erste Hinweis darauf, dass die Familie einiges übergangen, verschwiegen haben könnte.
Die Familie besteht aus den Eltern Ruth und Harry, beide deutlich über 70, gut situiert und wohnhaft in Köln und drei erwachsenen Kindern. Der älteste Sohn Chris hat den Traum der Mutter verwirklich und lehrt Literatur an der Columbia University – so zumindest der letzte Wissensstand der Familie. Seine Partnerinnen wechseln, aktuell ist es Kimberley.
Karolin hat Kunstgeschichte studiert, war kurzzeitig verheiratet, um sich nach 4 Monaten wieder scheiden zu lassen und hat sich endlich dazu entschlossen, unter die Buchhändler zu gehen. Sie lebt in einer lesbischen Beziehung.
Benni, das Nesthäkchen, ist verheiratet und hat zwei Kinder und ein Haus in der Uckermark. Wovon er lebt, weiß eigentlich niemand, aber seine Frau Emilia ist ausgesprochen betucht, aber auch ziemlich schwierig. So sieht es zumindest ihre Schwiegermutter.
Die Eltern und hier vor allem Ruth haben Probleme mit ihren Schwiegertöchtern, wobei es letztlich darauf hinausläuft, dass sie auch Probleme mit sich selbst haben, diese aber immer unter den Teppich gekehrt haben.
Ich als Leser habe im Verlauf des Buches immer wieder meinen Eindruck revidieren müssen. War ich am Anfang noch sehr bei Ruth und habe durchaus zugestimmt, dass nicht jeder Aspekt einer Sache unbedingt ausdiskutiert werden muss, so konnte ich im Verlauf des Buches auch die anderen Protagonisten immer besser verstehen. Die Intention des Autors, das Wochenende und wie es dazu kam, nicht nur aus einer Sicht zu erzählen sondern aus der fast aller Beteiligten, hilft dabei, auch die Beweggründe der anderen zu verstehen. Und für mich war das große Thema, das über allem stand:

Ehrlichkeit, Offenheit und Authentizität.

Das allerdings erzwingen zu wollen, wie es die sogenannten Instagram-Kids tun, kann auch nicht die Lösung sein.

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Veröffentlicht am 18.06.2023

Pia Korittkis erster Fall in Lübeck

Kalter Grund
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Auf einem Bauernhof in Ostholstein werden drei Leichen gefunden, fast eine ganze Familie ist ausgelöscht worden. Nun waren die Beneckes nicht gerade Sympathieträger, es gibt also einige Menschen, die ein ...

Auf einem Bauernhof in Ostholstein werden drei Leichen gefunden, fast eine ganze Familie ist ausgelöscht worden. Nun waren die Beneckes nicht gerade Sympathieträger, es gibt also einige Menschen, die ein Motiv hatten.
Die Kripo Lübeck wird mit dem Fall betraut. Pia Korittki ist neu im Team und stößt überall auf Ablehnung. Keiner traut ihr etwas zu, niemand will mit ihr zusammenarbeiten und am liebsten würde man sowieso eine Frau als Tippse im Büro versauern lassen. Da kommt ihr der Mord und die Arbeitsüberlastung der Kollegen mit anderen Fällen gerade recht. Sie wird Marten Unruh zugeteilt.
Die beiden beginnen mit ihren Ermittlungen und wie das so ist in einem Dorf in Holstein, sind die Menschen nicht gerade mitteilsam. Sie erzählen nicht mehr als absolut notwendig ist und damit wird wertvolle Zeit vertan.
Mehrere Menschen hatten Motive: Da ist die Nachbarsfamilie, deren kleine Tochter von Malte Benecke überfahren wurde, da ist die Schwester von Malte, die einzige Überlebende, die nun, nachdem sie ihr ganzes Leben lang übersehen wurde, alles erbt, da sind gehörnte Partner, von denen Malte für eine kurze Zeit die Frau ausgeliehen hatte, es gibt einen sich anbahnenden Rechtsstreit um Grund und Boden.
Der Krimi ist spannend erzählt und wie wir heute wissen, hat Pia Korittki sich im Team ja wunderbar durchgesetzt. Sie ist aber auch ausgesprochen tough, nicht nur Verbrechern, sondern auch sich selbst und Kollegen gegenüber. In ihrem eigenen Leben läuft damit auch nicht immer alles rund, aber sie kann nicht so leicht aus ihrer Haut.
Als Cosy würde ich den Krimi nicht bezeichnen, die Stimmung ist meistens eher düster und kalt, was natürlich auch an der Jahreszeit liegt. Es ist auf keinen Fall ein verkappter Reiseführer. Aber blutrünstig ist er auch nicht, er beschränkt sich darauf, einen Tatort nüchtern zu beschreiben.
Ich hatte schon einige Bücher von Eva Almstädt gelesen, habe aber auch gerne mal die Gelegenheit wahrgenommen, den Ausgangskrimi zu lesen, der später von Weltbild in einem Doppelband mit dem zweiten Krimi der Reihe, mit „Engelsgrube“ verlegt wurde.



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Veröffentlicht am 14.06.2023

Zum Wohl - Die Pfalz

Gretas Versprechen
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Zum Wohl – Die Pfalz

Nora Engel, bzw. die beiden Autorinnen, die hinter dem Pseudonym sehen, legen hier den dritten Band der Winzerin-Saga vor und auch dieses Buch ist wieder sehr lesenswert, zumal es ...

Zum Wohl – Die Pfalz

Nora Engel, bzw. die beiden Autorinnen, die hinter dem Pseudonym sehen, legen hier den dritten Band der Winzerin-Saga vor und auch dieses Buch ist wieder sehr lesenswert, zumal es vieles zum Abschluss bringt, was in den beiden Vorgängerbänden seinen Anfang nahm.

Vom Cover her passt das Buch perfekt in die Reihe, eher sparsam und trotzdem das zeigend, was für den Inhalt des Buches wichtig ist und das sind Greta und ihre drei Töchter.

Die überall in der Welt verstreuten Töchter von Bruno und Greta kommen zu Brunos Beerdigung zurück in die Pfalz, jede mit einer Geschichte, die der Wahrheit nicht standhält. Alle vermissen ihre Mutter Greta, die vor fast 20 Jahren so plötzlich verschwand und dieses Verschwinden hat den Werdegang der Töchter mehr beeinflusst, als sie sich zunächst eingestehen wollen.

Doch dann taucht Greta wieder auf, pünktlich zur Beerdigung und damit beginnt sich der Kreis ihres Lebens zu schließen und auch im Leben der Angehörigen verändert sich viel zum Guten.

Band 3 rundet die ganze Geschichte ab, trotzdem auch schmerzhafte Lücken bleiben. Leo ist nicht mehr dabei. Somit bleibt der Leser zufrieden zurück, der Kreis hat sich geschlossen. Die Faszination des 1. Bandes erreicht Band 3 für mich aber nicht. Manches ist zwar emotional und natürlich freut man sich, alle alten Bekannten der vergangenen Bände wiederzutreffen und ihren Werdegang zu erfahren.

Die beiden Autorinnen können sehr gut schreiben. Auch Band 3 liest sich flüssig, nimmt einen gefangen und man will immer wissen, wie es weiter geht.

Aber schon von Band 2 war an Fakten nicht so viel bei mir hängengeblieben, ich war dann ganz froh, dass ich für mich selbst eine Zusammenfassung geschrieben hatte. Und so wird es mir vielleicht auch mit Band 3 gehen. Im Kopf wird bleiben, dass die Geschichte abgeschlossen ist, dass wenig Fragen offen bleiben, obwohl man natürlich auch mit den Enkeln noch weitermachen könnte. Band 1 hingegen hatte lange nachgewirkt, vielleicht weil einem die vielen Ungerechtigkeiten so zu Herzen gingen.

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Veröffentlicht am 14.06.2023

Weinbereitung mit Hindernissen

Tödlicher Riesling
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Es handelt sich um den 2. Band der im Mittelrheintal spielenden Krimis um den Winzer und Aromaforscher Jaspal Wöhler, den Künstler Paul Zeehse und die beiden Ermittler Stephan Bäumler und Sigrid Bächle.

Jaspal ...

Es handelt sich um den 2. Band der im Mittelrheintal spielenden Krimis um den Winzer und Aromaforscher Jaspal Wöhler, den Künstler Paul Zeehse und die beiden Ermittler Stephan Bäumler und Sigrid Bächle.

Jaspal Wöhler hat bereits im 1. Band nach Verdächtigungen und Schwierigkeiten im Job seinen Dienst bei der Rheinischen Aromafabrik in Köln quittiert und sich des kleinen Weinguts seines Freundes Zeehse im Bopparder Hamm angenommen. Nun will er sich nur noch mit natürlichen Aromen beschäftigen. Um die Interessen der kleinen Winzer zu bündeln, verhandeln die Freunde in Boppard über die Gründung einer Genossenschaft und der Pfarrer soll hier geistlichen Beistand leisten.

Leider findet Wöhler ihn in seinem Beichtstuhl ermordet vor und gerät natürlich ein weiteres Mal unter Verdacht. Der Kölner Kommissar, der auch im 1. Fall ermittelte, ist mittlerweile nach Koblenz gewechselt bzw. abgeschoben worden. Dort arbeitet er mit Sigrid Bächle zusammen, die ihn an Ehrgeiz deutlich übertrifft. So treffen Wöhler und Bäumler wieder aufeinander und es ist immer noch eher Misstrauen, das ihr Verhältnis prägt.

Parallel hat sich auf der Burg Stahleck in der ehemaligen Jugendherberge eine Sekte niedergelassen und der Guru übt einen unguten Einfluss auf seine Jünger aus. Selbst Daniel Alt ist ihm verfallen und will seinen Betrieb nach des Gurus Vorstellungen gestalten. In Boppard schlägt der Sekte sonst viel Hass entgegen und sie gerät schnell in Verdacht, mit der Ermordung des Pfarrers zu tun zu haben.

Die Polizei kommt in beiden Bänden bisher nicht allzu gut weg, Alleingänge sind an der Tagesordnung, nicht immer wird der Kollege im Team informiert. Eine Episode zwischen Bäumler und einer Zeugin fand ich unpassend, sie darf im Dienst nicht vorkommen, zumal es ihn später kompromittiert.

Wöhler dagegen ist eher Sympathieträger und durch seine Liebe zum Wein gewinnt er zusätzlich.

Spannend ist, dass seine Nase so viel zur Ingangsetzung, aber auch zur Lösung von Fällen beitragen kann, sie hat den toten Pfarrer gefunden, mit dem die Geschichte begonnen hat. In Bezug auf Aromen und Chemie lassen sich bestimmt noch weitere Fälle konzipieren. Aber auch der Weinbau ist ein schönes Thema und die Weine aus dem Bopparder Hamm schon seit vielen Jahren auch unsere Hausweine.

Die Formatierungsfehler, die noch in Band 1 das Lesen erschwerten, sind in Band 2 glücklicherweise verschwunden.

Cover und Titel passen zum Buch, auf jeden Fall wird schon beim Titel klar, dass es sich um einen Weinkrimi handelt.

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Veröffentlicht am 12.06.2023

Werden braucht Zeit

So weit der Fluss uns trägt
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Es handelt sich um das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin Shelley Read, die selbst aus Colorado kommt.
Sie beschreibt das Leben in Iola, einem kleinen Städtchen am Gunnison River in den 40er und ...

Es handelt sich um das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin Shelley Read, die selbst aus Colorado kommt.
Sie beschreibt das Leben in Iola, einem kleinen Städtchen am Gunnison River in den 40er und 50er Jahren. Iola musste später dem Blue Mesa Reservoir weichen, einem großen Staudamm.
Es ist die berührende Geschichte von Victoria Nash und ihrem Leben. Nicht nur, dass sie schon als Kind ihre Mutter und einige nahestehende Verwandte verliert, sie muss sehr früh im Haus und Garten mitarbeiten und ihre große Liebe Wilson Moon, den sie mit 17 Jahren kennenlernt, kommt auf tragische Weise zu Tode. Erst nach seinem Tod stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Für die Geburt zieht sie sich in die Berge zurück und bringt dort, ganz allein, ihren Sohn zur Welt. Niemand soll davon erfahren. Als sie realisiert, dass sie das Kind nicht allein aufziehen kann und in den Bergen kurz vorm Verhungern ist, legt sie das Baby in das Auto einer jungen Familie, einfach in der Hoffnung, dass er dort behütet aufwachsen kann.
Sie selbst geht zu ihrem Vater zurück, um ihn kurz danach ebenfalls zu verlieren, als er an einer Lungenentzündung stirbt.
Viktoria hat niemals viele Freunde gehabt. Sie ist sehr erdverbunden, aber auch pragmatisch genug, um zu erkennen, wann man besser einen anderen Weg einschlägt. Dennoch, sie liebt ihr Land, sie liebt ihren Obstgarten, der alljährlich wunderschöne Pfirsiche hervorbringt, die im ganzen Land berühmt sind. Als die Regierung ihr anbietet, für den Stausee ihr Land zu verkaufen, nimmt sie das Angebot an. Allerdings sorgt sie dafür, dass ihre Bäume mit ihr umziehen. In einem anderen Tal findet sie eine neue Farm. Und tatsächlich gelingt es ihr, dass ihre Bäume auch am neuen Standort Wurzeln schlagen und nach einigen Jahren wieder tragen. Ein Satz, den sie kurz vor Ende des Buches sagt, trifft sowohl auf ihre Bäume als auch auf sie zu: Entwurzelt durch die Umstände, aber dann doch in der Lage, trotzdem weiterzumachen.
Doch immer nagt dieser Verlust ihres Kindes an ihr. Natürlich trauert sie auch um Wilson, ihren Freund, aber von ihm weiß sie, dass er durch die Hand ihres eigenen Bruders den Tod gefunden hat, weil er indianischen Ursprungs war. Ihr Sohn aber lebt, nur sie weiß nicht wo.

Es gibt ein Leben von Viktoria in Iola und nach Iola. Das Leben in Iola war von Verlust geprägt.

Erst mit dem Neubeginn in Paonia lässt Viktoria die vielen negativen Erfahrungen aus Iola hinter sich. Hier findet sie sogar in der Frau ihres Maklers eine Freundin und stellt zum ersten Mal in ihrem Leben fest, dass es auch Freunde gibt, auf die man sich verlassen kann und die für einen da sind.
Vor allem aber sind es die Bäume, die den Umzug akzeptieren. Wie sagt sie so schön: „Das Land würde mein Schicksal entscheiden“.
Und der Entscheidung ihrer Bäume folgend, die neue Heimat anzunehmen, öffnet sich auch Viktoria der neuen Zukunft.

Viktorias Schicksal ist ein Schicksal, das berührt. Dabei driftet die Erzählung niemals ins Rührselige ab. Mir gefällt vor allem der Erzählstil und die kraftvolle und bildhafte Sprache, die von Wibke Kuhn auch hervorragend ins Deutsche übersetzt wurde.

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