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Veröffentlicht am 02.10.2023

Von schönen Erinnerungen zu erfreulichen Aussichten

Großeltern sind wie Eltern, nur mit Zuckerguss
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Ursi Breidenbach und Heike Abidi haben hier ein Buch geschrieben, das sehr viele Erinnerungen wachruft. Sie schlagen einen großen zeitlichen Bogen von den Erinnerungen an unsere Kindheit und unsere eigenen ...

Ursi Breidenbach und Heike Abidi haben hier ein Buch geschrieben, das sehr viele Erinnerungen wachruft. Sie schlagen einen großen zeitlichen Bogen von den Erinnerungen an unsere Kindheit und unsere eigenen Großeltern bis hin zu der Zeit, wo wir selbst Großeltern sind oder hoffen, es zu werden.

Das Cover ist sehr schön gewählt, Opa und Oma als niedliche Alpakas mit Sehhilfe und selbstgestrickten Pullovern, weise und milde lächelnd. Und daneben die kleinen Enkelkinder als Lämmchen, die in großer Zuneigung an ihnen hängen.

Das Buch ist schwer einem Genre zuzuordnen. Es enthält Kurzgeschichten in Form von Erinnerungen der Interviewpartner der beiden Autorinnen, es ist Sachbuch mit Bezügen zu Studien oder wenn auch einmal die Frage nach familiären Beziehungen im Tierreich gestellt wird, es beleuchtet die Darstellung der Großeltern in Literatur und Film und es stellt vor allem auch den Rollenwechsel im Zeitablauf dar. Vom Kind zum Erwachsenen, zum selbst Elternteil werdend und später eventuell zu dem Status, selbst Opa oder Oma zu sein.

Dabei kommen ganz viele Aspekte zur Sprache, die jede Familie in irgendeiner Weise betreffen. Zu welchen Großeltern besteht mehr Kontakt, mischen die Großeltern sich in die Erziehung ein, das Verhältnis der Großeltern beider Seiten untereinander, Leih-Omas und -Opas, Großeltern aus verschiedenen Kulturkreisen etc.

Ich würde das Buch jedem empfehlen, der Großeltern-Freuden entgegensieht. Es weckt Erinnerungen, die hoffentlich schön sind. Und es animiert vielleicht auch dazu, den eigenen Enkeln das zu sein, was die Großeltern einem selbst waren. Wenn das dann auch noch bei den Enkeln und ihren Eltern gut ankommt, dann wäre der Lebensabend perfekt.

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Veröffentlicht am 22.09.2023

Heute bin ich über Rungholt gefahren......

Halligzorn (Ein Minke-van-Hoorn-Krimi 2)
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Nordfriesland erlebt einen Jahrhundertsommer. Das Kommissariat von Jüstering, mittlerweile mit zwei Polizistinnen ausgestattet, hat wenig zu tun und Minke und Lisa langweilen sich. Doch damit ist Schluss, ...

Nordfriesland erlebt einen Jahrhundertsommer. Das Kommissariat von Jüstering, mittlerweile mit zwei Polizistinnen ausgestattet, hat wenig zu tun und Minke und Lisa langweilen sich. Doch damit ist Schluss, als sich die Ereignisse überschlagen.

Auf der Halligwiese von Midsand sind seit einigen Wochen Archäologen am Werk. Der leitende Archäologe, Professor Jeske Hein, will dort das im 14. Jahrhundert bei einer Sturmflut untergegangene Everbeck gefunden haben. Ein Bernsteinpferdchen, das einer der Studenten aus dem Sand ausgräbt, ist sein bisher wertvollster Fund. Und dieses Pferdchen verschwindet eines Tages aus dem Tresor. Einen Tag später wird während des Nordfriesenfestes eine 17-jährige Schülerin ermordet. Stehen diese beiden Taten in einem Zusammenhang?

Minke und Lisa sind gefordert und werden von den Bewohnern und der Presse gehörig unter Druck gesetzt. Lisa, die Schwäbin, konzentriert sich auf den Diebstahl des Bernsteinpferdes, Minke auf den Mord an Leonie.

Ich hatte Band 1 der Hallig-Serie bereits gelesen und für gut befunden. Band 2 gewinnt durch die neue schwäbische Kollegin, die ihre Herkunft auch gar nicht verleugnen kann. Wie heißt es so schön „ Mir könnet alles, nur net hochdeutsch“. Und den Ermittlungen tut die Unterschiedlichkeit der beiden Polizistinnen auch gut. Lisa ist eher akribisch, Minke folgt ihrem Bauchgefühl und ihrem Instinkt. Beides ist für Polizeiarbeit wichtig und führt letztendlich auch zum Erfolg.

Begleitet wird der Mordfall und Diebstahl von einer Legende um die bei einer Sturmflut untergegangene Stadt Everbeck. Everbeck steht für das bei der großen Flut von 1362 untergegangene Rungholt, das sich tief ins nordfriesische Gedächtnis eingegraben hat.

Ich habe das Buch an zwei Nachmittagen ausgelesen, was dafür spricht, dass es spannend war und ich dranbleiben wollte. Mit meiner eigenen "Ermittlung" lag ich zwar nicht ganz daneben, die Auflösung war aber doch eine Überraschung für mich.

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Veröffentlicht am 21.09.2023

Mord im Schatten des Berges

Stille Sainte-Victoire
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Cay Rademacher hat mit Stille Sainte Victoire den 10. Krimi um Roger Blanc und seine Mannschaft geschrieben. Diese Krimis sind ohne Vorkenntnis lesbar, aber es schadet gar nichts, sie alle zu kennen und ...

Cay Rademacher hat mit Stille Sainte Victoire den 10. Krimi um Roger Blanc und seine Mannschaft geschrieben. Diese Krimis sind ohne Vorkenntnis lesbar, aber es schadet gar nichts, sie alle zu kennen und es macht natürlich Spaß, immer wieder so tief in den Süden Frankreichs einzutauchen.

Ein Mann ist auf bizarre Weise ermordet worden. Das Mordinstrument war der versteinerte Zahn eines Dinosauriers, das Mordopfer ein Ingenieur, der damit beauftragt war, den Staudamm am Lac de Bimont zu untersuchen. Da ergibt sich zunächst kein Zusammenhang. Erst als sich für Roger Blanc und seine Kollegen herausstellt, dass das Mordopfer einen Zwillingsbruder hatte, der genau in dieser Gegend nach Saurierknochen gräbt, ergeben sich erste Anhaltspunkte. Die Gegend zwischen Sainte Victoire, Velaux und dem Fluss Arc ist ein Eldorado der Paläontologie und es wurden schon einige bis dahin unbekannte Saurierarten entdeckt.

Eigentlich ist der Täterkreis von vornherein ziemlich eingeschränkt, nur ergibt sich von keiner Seite aus ein Motiv. Und wenn es Motive gibt, dann sind die Falschen umgebracht worden. Auch der zweite Tote hilft zunächst einmal nicht weiter, die Ermittler tappen trotz der Ermittlungen auch über die Osterfeiertage vollkommen im Dunkeln. Aber natürlich wird der Fall in einem spannenden Finale gelöst.

Die Krimis von Cay Rademacher mag ich, weil sie fast immer reale Ereignisse aufgreifen, sich an Besonderheiten der Region orientieren, seien sie alter oder neuerer Geschichte. Man lernt auch immer neue Seiten an unserem Nachbarland kennen. Darüber hinaus transportieren sie französisches Lebensgefühl, aber nicht so übertrieben, dass der begleitende Fall nur noch konstruiert wirkt.

Die Spannung leidet ein bisschen darunter, dass die Ermittlungen sich so lange hinziehen, dass die gleichen Personen immer und immer wieder befragt werden müssen und sich erst langsam ein ganzes Bild ergibt. Trotzdem werde ich wohl auch in Zukunft mon capitaine treu bleiben.

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Veröffentlicht am 12.09.2023

Die Welt verändert sich

Mattanza
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Schon das Cover hatte mich sehr angesprochen. Ich fühlte den Blick der jungen Frau auf mich gerichtet, als ob sie mich aufforderte, mich mit dem Buch zu beschäftigen. Und tatsächlich konnte ich zu der ...

Schon das Cover hatte mich sehr angesprochen. Ich fühlte den Blick der jungen Frau auf mich gerichtet, als ob sie mich aufforderte, mich mit dem Buch zu beschäftigen. Und tatsächlich konnte ich zu der Insel schnell eine Verbindung aufbauen, weil wir sie schon einmal als Touristen von Trapani aus besucht hatten.
Wir hatten die Insel Katria als Favigniana kennengelernt und hatten den Tag dort sehr genossen. Umso erfreuter war ich, nun durch das Buch etwas über die Tradition des Thunfischfangs zu erfahren.
Die Mattanza ist eine alte Methode des Thunfischfangs. Obwohl diese im Laufe der Zeit viele typische Eigenschaften verloren hat, besitzt sie immer noch den Charme einer alten Zeremonie.
Die gesamte Prozedur wird vom Rais angeleitet. Er entscheidet, wann die Mattanza anfängt und wann sie aufhört, wann die Netze geöffnet und wann geschlossen werden sollen. Er ordnet die Position der Boote an, so dass sie den Eingang der Thunfische in das Todesnetz erleichtern.
Auf Katria hat die Familie Lombardo seit vielen Jahrhunderten den Rais gestellt, immer ging das Amt an einen männlichen Nachfolger weiter, der von seinem Vorgänger ausgebildet und angeleitet wurde.
Aber 1960 kommt anstatt eines Jungen ein weiteres Mädchen zur Welt und so wird Nora die erste Rais in der Geschichte Katrias. Ihr Großvater nimmt sich ihrer an, nimmt sie in sein Haus auf und bringt ihr alles bei, was sie wissen muss. Sie wird eine würdige Nachfolgerin und es ist nicht ihr anzulasten, dass die Welt sich ändert.
Vor allem ändern sich die Methoden des Fischfangs. Die kleinen Fischerboote kommen gegen die Hochseetrawler nicht an, die Thunfischschwärme waren schon abgefischt, bevor sie Katria überhaupt erreichen konnten. Und dieser gute Thunfisch geht zu einem sehr hohen Prozentsatz nach Japan. Italien erhält nur noch eine zweitklassige Qualität.
Es gab da außerdem Ereignisse, die in den letzten Jahrzehnten den Wandel im Mittelmeer beschleunigt haben, den Menschen einerseits ihre Lebensgrundlage nehmen, ihnen aber andererseits auch eine neue Grundlage bieten. Hier ist vor allem der Tourismus zu nennen.
Ganz aktuell sind Katria und Lampedusa auch durch die Flüchtlingsboote übers Mittelmeer bekannt geworden. Die Flüchtlingsströme gefährden nun schon wieder den gerade gut aufgenommenen Tourismus. „Wer kommt schon gerne auf eine Insel, auf der hinter Stacheldraht Hunderte von Menschen eingesperrt sind“.
Es waren aber auch noch andere Themen, die im Buch zwar nicht explizit angesprochen, aber dennoch unterschwellig behandelt wurden:
• Die Bedeutung von Tradition und althergebrachten Riten
• Die Rolle der Frau
• Die Unterschiede zwischen Besitzenden und Besitzlosen nicht nur in der Entscheidungshoheit über ihren Besitz sondern auch in der Hingabe an die Tradition
Nora hat sich der Tradition verschrieben, es war zwar nicht ihre Entscheidung Rais zu werden, aber sie trägt diese Entscheidung mit. Sie heiratet, aber es stellt sich kein Nachwuchs ein. Als ob der fehlende Stammhalter mit den ausbleibenden Thunfischen zusammenhängen würde.
Es ist ein sehr nachdenkliches Buch, ein Buch über die sich verändernde Welt, die selbst im letzten Zipfel Europas noch deutliche Spuren hinterlässt. Germana Fabiano schreibt wortgewaltig, ihre Beschreibungen lassen die Welt der Fischer vor den Augen des Lesers aufscheinen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich bin froh, darauf aufmerksam geworden zu sein. Bei nächster Gelegenheit werde ich es an Freude in Trapani weitergeben, die uns damals auf Favignana aufmerksam gemacht hatten.

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Veröffentlicht am 10.09.2023

Der Geschmack von Apfelringen

Sylter Welle
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Ein brennender Strandkorb ist ein ungewöhnliches Motiv für ein Buchcover. Strandkörbe verbindet man eigentlich mit unbeschwerter Zeit, mit Urlaub und Entspannung. Auch wenn das Motiv im Buch nicht aufgegriffen ...

Ein brennender Strandkorb ist ein ungewöhnliches Motiv für ein Buchcover. Strandkörbe verbindet man eigentlich mit unbeschwerter Zeit, mit Urlaub und Entspannung. Auch wenn das Motiv im Buch nicht aufgegriffen wird, so muss ein brennender Korb eigentlich das Ende von etwas bedeuten und hier ist es wohl das Ende der gemeinsamen Urlaube von Max mit seinen Großeltern. Der Buchtitel nimmt den Bezug zu Sylt auf, Sylter Welle heißt das Quartier, in dem sie die Ferienwohnung gemietet haben.

Max verbringt ein Wochenende mit seinen Großeltern auf Sylt. Das hat er von klein auf getan, mit den Eltern, mit den Onkeln, mit den Cousins. Weibliche Wesen scheinen keine große Rolle zu spielen, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass auch Max' Schwester einmal in den Episoden aufgetaucht wäre. Oma hat nicht so gerne Konkurrenz neben sich und ihr Verhältnis zur Schwiegertochter ist gespalten. Omma ist der "Feldherr", die Macherin in der Familie.

Oma Lore und Opa Ludwig hatten die Söhne und Enkel gerne um sich und Oma Lore hat sie alle bekocht und verwöhnt und zwar auf ihre Art.

Das Leben und Verhalten der Großeltern ist strukturiert, dogmatisch und vorhersehbar. Manche Dinge waren schon immer so und sind anders auch nicht denkbar, da gibt es keine Diskussionen darüber.

Es scheint so zu sein, wie es in vielen Familien ist: da ist ein besonderes Verhältnis zwischen Großeltern und Enkeln. Die Chance der Eltern kommt, wenn sie selbst einmal Großeltern sind.

Max schildert sich selbst als Kind. Ganz einfach war es wohl nicht mit ihm, er verhielt sich nicht immer so, wie es vom ihm erwartet wurde. Wie sagt die Oma so schön: „unkontrolliert“. Erst mit den Jahren wurde es besser.

In zeitlich wechselnden Episoden erinnert er sich an gemeinsame Zeiten und oft kommt er vom „Hölzchen aufs Stöckchen“, ein Stichwort gibt das andere und er schweift weit ab, bevor er wieder zu dem kommt, was er eigentlich erzählen wollte.

Tag 1 des Wochenendes ist ausgefüllt mit allen möglichen eher positiven Erinnerungen. Ganz anders Tag 2: Hier überwiegt die Melancholie, es kommen die Schicksalsschläge zur Sprache, die der Familie über die Jahre zugesetzt haben und sie so haben werden lassen, wie sie jetzt sind. Hier erhält das Buch auch deutlich mehr Tiefgang.

Am dritten Tag kündigt sich schon der Abschied an, der Alltag kehrt ein und Max ist in Gedanken und selbst in Taten schon wieder zurück in seinem eigenen Leben. Omas Abendessen verschmäht er und macht noch einen Abstecher zu Mac Donalds, um satt zu werden. Mir schien es wie ein Abnabeln, ein Schritt in die Selbstständigkeit, die zwar nicht unbedingt besser aber selbstbestimmt ist.

Die Apfelringe, die sonst immer den Urlaub eingeläutet haben, markieren jetzt das Ende der gemeinsamen Zeit auf Sylt. Sie wirken wie ein Abschiedsgruß.

Ich bin mir immer noch unsicher, wie ich zu dem Buch stehe. Es liest sich gut und flüssig, auch wenn das Abschweifen den Leser manchmal rat- und orientierungslos zurücklässt. Omma ist der bestimmende Charakter, Oppa bleibt neben ihr blass und fällt höchstens durch seine Schrullen und seine immer wieder eingestreuten schlesischen Begriffe auf. Die "fetzige Lerge" hat mich bis zum Schluss irritiert. Gegen Oma aufbegehrt hat er wohl in erster Linie durch Wutausbrüche, die aber erst im letzten Abschnitt thematisiert werden. Jetzt im Alter wirkt er eher hilflos und abhängig. Doch auch Oma Lore ist nicht mehr die, die sie war. Als Feldherrin scheint ihr das Heer abhanden gekommen zu sein, da ist mit Opa Ludwig nur noch ein einziger müder und alter Soldat übrig geblieben.

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