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Veröffentlicht am 05.05.2024

Inselalltag, der mich seltsam emotionslos zurücklässt

Die Tage des Wals
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Die Tage des Wals von Elizabeth O’Connor (Übersetzung: Astrid Finke)

Worum geht’s?

Das Leben auf einer kleinen walisischen Insel irgendwo im nirgendwo hält für die achtzehnjährige Manod nicht viele ...

Die Tage des Wals von Elizabeth O’Connor (Übersetzung: Astrid Finke)

Worum geht’s?

Das Leben auf einer kleinen walisischen Insel irgendwo im nirgendwo hält für die achtzehnjährige Manod nicht viele Überraschungen bereit. Das Leben orientiert sich am Rhythmus der Gezeiten und Jahreszeiten. Manod, deren Mutter schon früh gestorben ist, hilft dem Vater mit den gefangenen Hummern, kümmert sich um ihre jüngere Schwester Llinos und verbringt die Freizeit mit kunstvollen Stickereien, während sie immer wieder davon träumt, das Leben auf der Insel, das ihr kaum Perspektiven bietet, hinter sich zu lassen („Im Kopf hatte ich es geplant. Ich träumte immer wieder davon“, S. 99)

Als eines Tages ein Wal strandet und kurz danach zwei Engländer eintreffen, gerät nicht nur der Alltag auf der Insel, sondern auch Manods Innenleben gehörig aus den Fugen.

Wie war’s?

Eine schwierige Frage. Das Buch lässt mich nach dem Zuklappen der letzten Seite merkwürdig emotionslos zurück. Eigentlich liebe ich Bücher mit maritimem Setting, auch hier hat mich die bildhafte Sprache der Autorin gedanklich direkt ans Meer transportiert:

„Möwen lassen Fische aus dem Schnabel auf den Hof fallen, die in die schmalen Ritzen und Löcher der Steine kriechen, sodass er monatelang ranzig riecht. Die Hitze bringt sie nur noch näher zu uns: ihre Vogelgerüche, ihre Rufe, ihre rosig roten Jungen .“ Seite 10

Also die Grundstimmung passt für mich, erinnert an ein aufgewühltes Meer. Auch die Kapitelstruktur passt dazu, kurze, manchmal nur ½ Seite umfassende Kapitel wechseln sich mit Kapiteln ab, die über etliche Seiten gehen.

Mein Kritikpunkt an der Geschichte ist, dass die Charaktere seltsam blass bleiben. Hier wäre meiner Meinung nach deutlich mehr Potenzial gewesen, so bleibt man als unbeteiligter Beobachter ein wenig außen vor, kann sich mit niemandem näher identifizieren, was sehr schade ist.

Thematisch fühlte ich mich immer wieder ein wenig an Dörte Hanssens „Zur See“ erinnert, dort geht es ja auch um einen gestrandeten Wal, der den Alltag auf der Insel durcheinander bringt, im Vergleich dazu finde ich „Die Tage des Wals“ leider recht flach.

Außerdem hat mich gestört, dass einfach viel zu viele Fragen unbeantwortet geblieben sind, was Manods Zukunft und den Tod ihrer Mutter angeht. Das Ende konnte mich hier leider nicht überzeugen.

Gut gefallen hat mir als Literaturübersetzerin die Qualität der deutschen Übersetzung und auch die immer wieder eingestreuten walisischen Wörter und Sätze. Was für eine schöne, fremdartige Sprache, mit der ich mich gerne irgendwann näher beschäftigen würde.



Fazit

Mein Fazit fällt eher durchschnittlich aus. Ja, ich habe mich beim Lesen gut unterhalten gefühlt, ja, die Geschichte ist durchaus interessant, trotzdem glaube ich nicht, dass mir dieses Buch aus irgendeinem Grund länger in Gedächtnis bleiben wird.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Feuer und Flamme

Die Entflammten
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Worum geht’s?

Ein Buch, das eigentlich so gar nicht meinem klassischen Beuteschema entspricht. Trotzdem haben mich Klappentext und Cover sehr angesprochen, sodass ich mich für die Leserunde auf Was liest ...

Worum geht’s?

Ein Buch, das eigentlich so gar nicht meinem klassischen Beuteschema entspricht. Trotzdem haben mich Klappentext und Cover sehr angesprochen, sodass ich mich für die Leserunde auf Was liest du? beworben und tatsächlich ein Rezensionsexemplar ergattert habe.

Van Goghs Sonnenblumen kennt jeder. Aber was weiß man wirklich über das tragische Leben des Malers, der erst lange nach seinem Tod weltberühmt wurde? Und wie hat er das überhaupt geschafft?

»Die Entflammten« versucht, hierauf eine Antwort zu liefern. Seine Berühmtheit verdankt er fast ausschließlich den eifrigen Bemühungen seiner Schwägerin Jo van Gogh-Bonger, die, nachdem auch Vincents Bruder kurz nach seinem Selbstmord an Syphilis stirbt, plötzlich mit einem Baby und unzähligen Bildern eines bis dato unbekannten Malers dasteht.

In einem weiteren Erzählstrang geht es um Studentin Gina, die sich ein Jahrhundert später auf Spurensuche begibt und ein Buch darüber schreibt. Jo, Theo und Vincent van Gogh lassen sie einfach nicht mehr los. Immer wieder verschmelzen im letzten Teil der Geschichte beide Handlungsstränge ineinander.

Wie war’s?

Ich habe ein paar Kapitel gebraucht, um in der Geschichte »anzukommen«. Den Schreibstil, der stellenweise fast ohne wörtliche Rede auskommt, empfand ich als etwas gewöhnungsbedürftig. Dann aber hat mich diese Geschichte immer tiefer in ihren Strudel eingesaugt und ich konnte das Buch stellenweise kaum aus der Hand legen.

Anschaulich schreibt Simone Meier über das Leben in dieser schillernden Zeit um 1900. Mich hat vor allem die Beschreibung der »Künstler-Wohnung«, die sich die Brüder van Gogh in Paris teilen, komplett in ihren Bann gezogen:

»Bevor Vincent nach Südfrankreich zog, wohnte er mit Theo zusammen. Dries beschreibt ihr die Wohnung der Brüder als Höllenloch, überall lehnten Bilder von Vincent zum Trocknen gegen Wände, Schränke und Stühle, das Parkett sehe aus wie in einem Atelier, überhaupt befände sich das Atelier in der Wohnung selbst, im hintersten Zimmer, fertige Bilder stapelten sich unter dem Sofa und unter den Betten, die Möbel seien fleckig von den vielen Flaschen und Gläsern, aus denen Vincents Malerfreunde nächtelang getrunken hätten.« (Seite 30).

Man ist als Leser mittendrin im Geschehen, kann sich ausmalen, wie es gewesen sein muss, das Zusammenleben mit Vincent.

Auch die späteren Beschreibungen der Wohnungssuche, die Wege durch Montmartre, all das ist so lebendig beschrieben, als wäre man quasi selbst dabei.

Der zweite Erzählstrang um Gina und ihre Recherchen hätte für meinen Geschmack gern ein wenig kürzer ausfallen dürfen, hier konnte ich mich nicht so gut einfühlen und die vielen Anspielungen darauf, wie hübsch sich Gina findet, hätten nicht unbedingt sein müssen. Mehr erfahren hätte ich hingegen gerne über die Zeit, in der Jo alles getan hat, um Vincent berühmt zu machen. Ich finde, ein so großes Thema hätte gegen Ende des Buches noch das eine oder andere zusätzliche Kapitel vertragen können.

Fazit:

Alles in allem bin ich Feuer und Flamme für »Die Entflammten«. Das Buch hat mich dazu animiert, mich weiter mit van Goghs Leben und Werk auseinanderzusetzen, etwas, was ich vorher eigentlich kaum für möglich gehalten hätte und was mir gezeigt hat, dass es sich lohnen kann, beim Lesen mal aus der eigenen Komfortzone herauszukommen und sich an andere Themen zu wagen.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Das beste Buch, wo ich seit langem gelesen habe

James
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Worum geht’s?

Die Abenteuer Huckleberry Finn aus der Feder von Mark Twain dürften den meisten Leser:innen ein Begriff sein. Percival Everett hat sich in „James“ der Geschichte noch einmal angenommen und ...

Worum geht’s?

Die Abenteuer Huckleberry Finn aus der Feder von Mark Twain dürften den meisten Leser:innen ein Begriff sein. Percival Everett hat sich in „James“ der Geschichte noch einmal angenommen und sie aus einem neuen Blickwinkel erzählt, nämlich aus der Perspektive des Sklaven Jim.

Jim spielt den Dummen, damit die Weißen nicht merken, wie schlau er ist. Er gibt sogar den Kindern der übrigen Sklaven Sprachunterricht, um ihnen beizubringen, dass es immer die Weißen sein müssen, die ein Problem benennen und lösen. Als Jim eines Tages erfährt, dass er verkauft werden soll, flieht er mit Huck den Mississippi hinunter, immer das ultimative Ziel vor Augen: es in einen freien Staat zu schaffen, Geld zu verdienen und seine Familie freizukaufen. Die Reise wird zu einem wilden Roadtrip, auf dem die beiden die verschiedensten Abenteuer erleben, vom Schlangenbiss bis hin zu Menschen, die Jim ausnutzen und an einen neuen Besitzer verkaufen wollen, ist alles dabei. Und wie damals im Jugendbuch darf auch bei dieser Version der Geschichte das Happy End nicht fehlen.

Wie war’s?

Ich persönlich war sehr begeistert von James. Das Buch ist so brillant geschrieben, dass man es kaum aus der Hand legen mag. Teilweise urkomisch, teilweise aber auch richtig tragisch. Der Sklave Jim als Protagonist macht eine beeindruckende Entwicklung durch, während er anfangs sein Licht stets unter den Scheffel stellt, damit bloß niemand merkt, wie blitzgescheit er eigentlich ist („In Wahrheit scheute ich mich davor, wieder einzuschlafen, aus Angst, Huck würde zurückkommen und meine Gedanken hören, ohne dass sie meinen Sklavenfilter durchliefen“ S. 58), tritt er am Ende so stolz und selbstbewusst auf, wie ein freier Mann es nur sein kann („Ich bin der Todesengel, der gekommen ist, um bei Nacht süße Gerechtigkeit zu üben“, sagte ich. „Ich bin ein Zeichen. Ich bin deine Zukunft. Ich bin James.“ S. 329).

Als Literaturübersetzerin interessiere ich mich natürlich auch immer besonders für die Qualität der Übersetzung und muss hier dem Kollegen Nikolaus Stingl wirklich ein großes Kompliment machen. Er hat es geschafft, Jims sogenannten „Sklavenfilter“ sehr authentisch ins Deutsche zu übertragen, Chapeau!

Fazit:

Mich hat James wirklich beeindruckt und das Buch hat das Potenzial, es in die Top 3 meiner Lieblingsbücher zu schaffen. Außerdem eine wunderbare Hommage an das Lesen, die ich von Herzen nachvollziehen kann. Ich habe das Buch in einer für mich persönlich sehr schwierigen Zeit gelesen und konnte ebenso darin eintauchen wie James in diesem Zitat, mit dem ich diese Rezension beenden möchte:

Ich vergewisserte mich, dass Huck immer noch tief und fest schlief, dann schlug ich das Buch auf. Der Geruch der Seiten war herrlich.

Es lebte einst in Westfalen…

Ich war woanders. Ich war weder auf der einen noch auf der anderen Seite dieses verdammten Flusses. Ich war nicht auf dem Mississippi. Ich war nicht in Missouri.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Ein Buch wie eine herzliche Umarmung

25 letzte Sommer
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Worum geht’s?
Der namenlose Ich-Erzähler teilt das Schicksal vieler Menschen. Immer erreichbar dank Smartphone, das Leben eine einzige To-Do-Liste. Eines Tages bricht er bei einer Joggingrunde aus den ...

Worum geht’s?
Der namenlose Ich-Erzähler teilt das Schicksal vieler Menschen. Immer erreichbar dank Smartphone, das Leben eine einzige To-Do-Liste. Eines Tages bricht er bei einer Joggingrunde aus den gewohnten Bahnen aus und begegnet dem älteren Karl, der mit seinem sehr einfachen Lebensstil, der hauptsächlich aus Kartoffeln sortieren und nachdenken zu bestehen scheint, rundum zufrieden ist.

Wie war’s?
Ein Buch, das sich wie eine herzliche Umarmung anfühlt. Ich habe mich sehr gerne mit den beiden Männern an den Tisch gesetzt, um ihren angeregten Gesprächen zu folgen.
Es regt zum Nachdenken an, was im Leben wirklich wichtig ist und warum wir so viel Zeit mit Belanglosem wie dem ständigen Kleben am Smartphone und so wenig Zeit mit den Menschen verbringen, die uns wichtig sind.
Hand aufs Herz, wann erlaubt man sich heute schon mal ohne schlechtes Gewissen das Nichtstun? Einfach einen faulen Sonntag mit einem Nickerchen am Nachmittag, Kuchenresten mit Schlagsahne, einem guten Essen ohne Gedanken an die Kalorien? Weniger Selbstoptimierung und mehr Leben, genussvoll und ohne schlechtes Gewissen oder irgendwelche Hintergedanken, das ist für mich eine der wichtigsten Botschaften dieses Romans.

Fazit
Ein Buch, das entschleunigt und sich fast anfühlt wie ein Urlaubstag am Meer. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung, auch (aber nicht nur) für Fans von John Streckley.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Meine erste Begegnung mit High Fantasy - bin noch etwas unschlüssig

Der Rabengott
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Der Rabengott von Ann Leckie (ins Deutsche übersetzt von Michael Pfingstl)

So, nun ist der allererste High-Fantasy-Roman ausgelesen. Und ich bin ein bisschen hin- und hergerissen, wie mir das nun gefallen ...

Der Rabengott von Ann Leckie (ins Deutsche übersetzt von Michael Pfingstl)

So, nun ist der allererste High-Fantasy-Roman ausgelesen. Und ich bin ein bisschen hin- und hergerissen, wie mir das nun gefallen hat und wie ich ihn bewerten soll.

Worum geht’s?

Seit Jahrhunderten wird das Königreich Iraden von einem Gott beschützt: Er heißt der Rabe und residiert in einem Turm in der mächtigen Hafenstadt Vastai. Von dort wacht er über das Reich. Seinen göttlichen Willen lässt er über einen Rabenvogel an seinen menschlichen »Statthalter« kundtun.
Der Vogel des Rabengottes ist tot, und die göttliche Regel schreibt vor, auch der „Statthalter“ muss unverzüglich sterben, um Platz für seinen Nachfolger zu machen. Als Mawat, der rechtmäßige Erbe, mit seinem Freund, dem Kämpfer Eolo, in der Hauptstadt eintrifft, sitzt bereits ein Regent auf dem Herrscherstuhl – sein Onkel. Mawats Zorn kennt keine Grenzen und während er versucht, sein Reich zurückzuerobern, entdeckt Eolo, dass der Turm des Raben ein dunkles Geheimnis birgt: In seinem Fundament harrt eine Prophezeiung, die, wenn sie sich erfüllt, Iraden für immer zerstören könnte

Wie war es?

Der uralte Konflikt (Erbe, der von einem Familienmitglied um den Thron betrogen wird) ist ja nichts neues. Trotzdem bietet dieses Buch eine ungewöhnliche Herangehensweise. Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt. Einer in der Gegenwart mit Mawat und Eolo, der andere in der Vergangenheit, hier geht es um die Entstehung und Geschichte des Gottes von Iraden.

Die Erzählperspektive ist ungewöhnlich, da praktisch nur aus Sicht des Gottes, der Stärke und Geduld des Hügels, erzählt wird. Hier muss ich dem Kollegen Michael Pfingstl wirklich ein großes Kompliment zu seiner sehr gelungenen Übersetzung machen, es gehört schon viel Durchhaltevermögen dazu, das so konsequent ins Deutsche zu übertragen. Einziger Kritikpunkt ist für mich die Darstellung der Xulahni. Dass sie die Sprache nicht beherrschen und eigentlich auf einen Dolmetscher angewiesen sind, wird ja deutlich. Diese penetrant immer gleichen Fehler, die aber unter Umständen im englischen Original ähnlich sind, empfand ich als eher nervig (..wenn er ist haben/ …er ist sein…). Das hätte ich persönlich in der Übersetzung etwas sparsamer eingesetzt.

Die Protagonisten fand ich interessant, insgesamt aber etwas blass. Prinzipiell konnte ich gut in die Geschichte abtauchen und das World Building von Ann Leckie ist sehr gelungen, aber die ausschweifenden Erzählungen des Gottes, der oft sehr langatmig über seine Entstehung schwadroniert, waren mir einfach zu lang und ich wurde dadurch immer wieder aus dem Lesefluss geworfen.

Fazit:
Ein wunderschön gestaltetes Buch, Cover und Farbschnitt sind optisch wirklich ein Hingucker. High Fantasy als Buchgenre ist für mich neu, deshalb habe ich (bis auf Filme) nicht viele Vergleichsmöglichkeiten. Fans mag es gefallen, für mich war es eher ein durchschnittliches Lesevergnügen

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