Sprachgewaltig und zum Nachdenken anregend
Trauriger TigerZuerst, als mir dieses Buch vorgeschlagen wurde, hat es mich noch gar nicht so angesprochen. Nachdem ich den Klappentext gelesen hatte immer noch nicht, aber ein Satz, der blieb hängen.
>> [...] ein ...
Zuerst, als mir dieses Buch vorgeschlagen wurde, hat es mich noch gar nicht so angesprochen. Nachdem ich den Klappentext gelesen hatte immer noch nicht, aber ein Satz, der blieb hängen.
>> [...] ein so kluges, wie mutmachendes Buch, das in Frankreich die Herzen von Hunderttausend von Leserinnen und Lesern eroberte.<<
Immer wieder musste ich dann doch an dieses Mädchen denken, der so Schlimmes widerfahren ist und habe deswegen einen Tag später die Email wieder geöffnet, und mich für das Buch entschieden. Ob es auch mein Herz erobern kann?
𝙆𝙡𝙖𝙥𝙥𝙚𝙣𝙩𝙚𝙭𝙩:
Als Kind immer wieder sexueller Gewalt ausgesetzt, erzählt Neige Sinno von einem Familienleben, das um Lügen und Täuschungen herum gebaut ist. Und von den vielen Facetten von Erinnerung, den vielen Gesichtern eines Menschen in Ungeheuerlichkeit und Banalität. Wie werden wir zu denen, die wir sind? Kommt vor Gericht zur Sprache, was in Familien ungesagt bleibt? Neige Sinno erzählt vielstimmig, nähert sich ohne Pathos der Wahrheit. Ein kristallklarer Stil, ein so kluges wie Mut machendes Buch, das in Frankreich die Herzen von Hunderttausenden von Leserinnen und Lesern eroberte.
𝙀𝙞𝙜𝙚𝙣𝙚 𝙈𝙚𝙞𝙣𝙪𝙣𝙜:
Für dieses Buch habe ich mir, aufgrund der Thematik, wirklich Zeit genommen. Nicht immer ganz einfach erzählt Neige Sinno darin ihre Geschichte und das auf eine sehr intensive Art.Teils schonungslos, manchmal melancholisch nachdenklich, traurig und auch irgendwie klug. Dabei zieht sie oft Vergleiche zu anderen Werken.
Zu Beginn, habe ich dafür eine gewisse Faszination entwickelt, nicht für das was geschehen ist, sondern genau für diese Art. Habe die Sätze aufgesogen, verinnerlicht und mit Post-it-Zettel, interessante Gedankengänge, festgehalten. Aber nicht immer konnte ich die zeitlichen Zusammenhänge nachvollziehen. Mal wurde davon gesprochen, dass sie 7 war, als es losging, in einem Zeitungsartikel wurde berichtet, sie war 9. Und das erging mir öfter so. Erst viel später wurde diese zeitliche Abweichung genauer erklärt, was mich dennoch, bis dahin, immer wieder verwirrt hatte.
Was Neige Sinnos Buch aber von anderen dieser Art unterscheidet, ist, dass sie uns anbietet, hinter ihre Fassade zu schauen und dabei auch nicht den Blickwinkel des Gegenübers außer Acht lässt.
Mitleid spielt dabei eine große Rolle, für sie! Wut und Ekel kommen für den Täter auf.
Das, was mich anfänglich noch so fasziniert hat, nämlich ihre Art zu erzählen, verlor mich aber nach hinten raus. Ich glaube, da hat sie sich verstrickt, in Wiederholungen und, für mich, unwichtigen Details. Ich wusste nicht, worauf diese Geschichte eigentlich hinauslaufen soll. Was möchte sie beim Leser letztendlich bewirken und was für sich? Für mich hatte ich schon nach 200 Seiten alles erfahren. Was geschehen ist wie sie es erlebt hat, wie sie heute darüber denkt, wie sie damit lebt und wie sie ihre Tochter darin stärkt, dass ihr nicht so etwas Schlimmes widerfährt. Mein Herz hatte sie bereits erobert, aber war das ihre Intention? Die Herzen zu erobern? Ich glaube nicht.
Die letzten 100 Seiten empfand ich einfach als zuviel.
Fakt ist, Neige Sinno erzählt ihre Geschichte, die sie nie erzählen wollte, weil etwas passiert ist, was ebenfalls nicht hätte passieren sollen. Sie wollte ein normales Leben, doch das wurde ihr durch den Stiefvater verwehrt. Nachdem sie den angezeigt hatte und er verurteilt wurde, gab es für die Geschworenen und den Richter das passende Urteil. War das Gerechtigkeit und die Erlösung? Für Neige wird es nie aufhören. Die bösen Geister kann man nicht vertreiben, auch nicht mit einem Urteil. Eine Therapie hat sie nie gemacht. Ist das der Grund dieses Buch zu schreiben? Sie selbst sagt, so einfach geht das nicht. Und da kommen wir an dem Punkt, den ich letztendlich auch nicht verstanden habe. Das Warum! Die allerletzten Sätze geben zwar nochmal kurz Aufschluss, bezüglich ihrer Intention, aber ich selbst empfand es als schwierig, mich da hineinzuversetzen.
Was bleibt, sind traurige Zeilen, die mich mich berührt und schockiert haben und vor allem diese Faszination um ihre Wortgewalt. Gedankengänge, die auf alle Fälle zum Nachdenken anregen. Somit hat sie, mit diesem Buch, wohl alles richtig gemacht, wenngleich es mir persönlich etwas zu lang war.
𝙁𝙖𝙯𝙞𝙩:
Schockierend, traurig, klug und sprachgewaltig. Mir persönlich, etwas zu ausschweifend. Regt aber zum Nachdenken an.