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Veröffentlicht am 24.10.2017

Zu langatmig und voller irrational handelnder Figuren

Wie der Wind und das Meer
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Rosalie schaute ihn unsicher an. »Und wenn jemand fragt, wo unsere Eltern sind?« »Dann behaupten wir einfach, die stehen in einer anderen Schlange für Brot an«, antwortete Paul. »Und wenn niemand die ...

Rosalie schaute ihn unsicher an. »Und wenn jemand fragt, wo unsere Eltern sind?« »Dann behaupten wir einfach, die stehen in einer anderen Schlange für Brot an«, antwortete Paul. »Und wenn niemand die Marken will?« Rosalie schien sich nicht so einfach überzeugen zu lassen.
Paul hatte sich aufgerappelt, legte sich den Tragegurt über die Schulter und griff nach dem Kochtopf. »Wir durchsuchen jetzt erst mal die Ruinen. Wirst sehen, wir finden was. Irgend- was finden wir bestimmt.« Das Mädchen rührte sich nicht von der Stelle. »Komm mit, Rosalie«, drängte Paul. »Ich bin nicht deine Schwester!« Trotzig warf sie ihm die Puppe vor die Füße. »Ich heiße Sarah, merk dir das, und ich will zu meiner Mutti.«
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INHALT:
Im April 1945 neigt sich der 2. Weltkrieg seinem Ende zu. Die Alliierten bekämpfen die Nationalsozialisten und zerbomben deutsche Städte. Bei einem dieser Fliegerangriffe kommt die gesamte Familie des jungen Paul um. Verwirrt und voller Schmerz irrt er durch München - und trifft dabei auf die Jüdin Sarah, die sein Schicksal teilt. Sie ist fast genauso alt wie er - und sieht seiner toten Schwester Rosalie sehr ähnlich. Die beiden beschließen, sich als Geschwister auszugeben, um die gefährliche Herkunft des Mädchens zu verbergen. Nicht von anderen Menschen, nicht vom Waisenhaus und auch nicht von einer möglichen neuen Familie lassen sich die beiden trennen, halten immer zusammen. Im Jugendalter schließlich werden sie von einem fürsorglichen Ehepaar gemeinsam adoptiert und die Zeit der Entbehrungen scheint endlich vorbei. Doch als die beiden Gefühle für einander entwickeln, ahnen sie bereits die Ausweglosigkeit ihrer Lage. Denn sie gelten als Geschwister und daher ist ihre Liebe verboten...

MEINE MEINUNG:
Unmögliche Liebesgeschichten voller Sehnsucht und Leidenschaft üben auch auf mich ihren Reiz aus, wenn sie gut gemacht sind. Lilli Becks "Wie der Wind und das Meer" schien da die richtige Wahl - mit einem als Kinder geschmiedeten Bündnis, das die Liebe verwehrt, ist hier nicht nur ein glaubwürdiges Hindernis geschaffen worden, auch ist die Kriegs- und Nachkriegszeit ein Szenario, das ebenso bekannt wie immer noch wichtig ist. Das Buch umfasst insgesamt circa 40 Jahre und begleitet die beiden Protagonisten nicht nur beim Aufwachsen, sondern auch bei ihrem Werdegang und den vielen ungewollten Trennungen. Erzählt wird das Ganze personal aus beiden Sichten, wobei ganz selten auch Wegbegleiter zu Wort kommen.

Es ist seltsam, von Sarah zu sprechen, denn die meiste Zeit über wird sie im Roman Rosalie genannt - sie nimmt die Identität von Pauls Schwester komplett an, auch wenn sie sich, verständlicherweise, danach sehnt, so gesehen zu werden, wie sie eigentlich ist. Prinzipiell ist sie ein sympathisches Mädchen mit großen Träumen und einem starken Willen, aber sie neigt auch zu unverhältnismäßiger Eifersucht und macht es sich und Paul oft unnötig schwer. Paul dagegen ist als Junge und junger Mann eindeutig der Sympathieträger mit seiner fürsorglichen und liebevollen Art. Im Laufe der Zeit entwickelt er aber immer mehr negative Eigenschaften: Verbittert und abweisend kümmert er sich nicht um seine Familie, begeht Fehler um Fehler und kann sich nicht mehr wirklich aus diesem Sumpf herausziehen. Dafür gibt es andere Figuren, die man sehr ins Herz schließt: Agathe etwa, die die Kinder noch vor der Adoption für einige Zeit bei sich aufnimmt und so etwas wie die Ersatz-Oma ist, oder auch Sarahs Wohngemeinschaft in Berlin, die aus lauter skurrilen, tollen Persönlichkeiten besteht.

Die ersten 100 Seiten sind mitreißend, berührend und vergehen, logisch bei einem Roman, der um die Kriegszeit herum spielt, nicht ohne Schicksalsschläge. Nachdem die Kinder jedoch adoptiert worden sind, passiert lange Zeit erst einmal nichts mehr. Die jungen Liebenden fügen sich in den Alltagstrott und stehlen sich ab und zu gemeinsame Stunden, aber die Gefühle kommen gar nicht wirklich an - Szenen wie der erste Kuss werden viel zu schnell abgehandelt, um etwas in einem zu wecken. Natürlich sind die beiden in einer schwierigen Situation gefangen, die einen selbst ebenfalls zum Nachdenken anregt, aber diese hätte auch deutlich gekürzt werden können. Hunderte Seiten erfährt man, wie sie ihr Leben getrennt voneinander verbringen, was irgendwann nur noch ermüdend ist. Das ist schade, wenn man bedenkt, wie atmosphärisch die Autorin sowohl von den Schrecken des Krieges als auch vom Mauerbau bzw. der DDR erzählt. Bis zum Ende konnte ich mich nicht mehr wirklich in die Geschichte einfinden, und zudem ist der Schluss auch noch äußerst melodramatisch geraten. Auf weniger Seiten hätte das Ganze eventuell besser funktioniert.

FAZIT:
Bücher, die im und um den 2. Weltkrieg spielen, gibt es einige, aber man findet unter ihnen auch oft besondere Perlen. Anfangs hatte ich dieses Gefühl auch bei "Wie der Wind und das Meer", weil Lilli Beck gefühlvoll und gut recherchiert diese Zeiten der Schrecken und Entbehrungen, der Sehnsucht und Hoffnung beschreibt. Die verbotene Liebesgeschichte konnte mich aber nur wenig fesseln und insgesamt hatte das Ganze einfach zu viele Längen. Sehr knappe 3 Punkte.

Veröffentlicht am 24.10.2017

Weiterhin mysteriös, aber auch mit einigen Antworten

Cainsville – Zeit der Schatten
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Ich hielt mich ein paar Schritte hinter ihm und bereitete mich auf den Anblick vor. Auf keinen Fall wollte ich vor seiner Nase zusammenzucken.
Er erreichte die Fahrerseite. Blieb stehen. Runzelte die ...

Ich hielt mich ein paar Schritte hinter ihm und bereitete mich auf den Anblick vor. Auf keinen Fall wollte ich vor seiner Nase zusammenzucken.
Er erreichte die Fahrerseite. Blieb stehen. Runzelte die Stirn. Hob die Sonnenbrille. Senkte sie wieder. Schaute mich an.
"Haben Sie...?" Seine Stimme verlor sich, und er schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht."
Ich ging um den Wagen herum zu der Stelle gleich neben der Fahrertür, an der er sich aufgebaut hatte. Die Leiche...
Die Leiche war verschwunden.
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INHALT:
Seit die wohlhabende und angesehene Olivia Taylor-Jones erfahren hat, dass sie mit Nachnamen eigentlich Larsen heißt und die Tochter zweier berüchtigter Serienmörder ist, ist nichts mehr wie es war. Dass sie vor Kurzem herausgefunden hat, dass eines der ermordeten Pärchen nicht auf das Konto ihrer leiblichen Eltern geht, gibt ihr Hoffnung - aber wie wahrscheinlich ist es, dass sie auch die anderen Fälle aufklären kann? Als sie eines Tages die Leiche einer jungen Frau in ihrem Auto entdeckt, die kurz darauf wieder verschwunden ist, wird ihr klar, dass sie erneut in großer Gefahr schwebt. Und wieder ist sie auf die Hilfe ihres Anwalts Gabriel angewiesen, bei dem sie nie weiß, wann er sie erneut verraten wird...

MEINE MEINUNG:
Der erste Band aus Kelley Armstrongs "Cainsville"-Reihe hat richtig viel Spaß gemacht und auch "Zeit der Schatten" steht dem in nichts nach. Mysteriöse Vorkommnisse, geheimnisvolle Figuren und bedeutungsschwangere Omen sind große Bestandteile dieser Romane, die sich um das ehemalige High Society-Girl Olivia drehen, die nun auf der Suche nach der Wahrheit ist. Erzählt wird die Geschichte weiterhin aus ihrer Ich-Perspektive und ab und zu kommen auch ein paar Dorfbewohner zu Wort, diese Kapitel wurden hier aber gegenüber dem Vorgänger stark reduziert, was ich ein wenig schade fand. Der Schreibstil aber ist genauso fesselnd wie zuvor: Flüssig, allerdings nicht flapsig, und gespickt von sehr amüsanten und glaubwürdigen Dialogen.

Wer die Charaktere in Band 1 mochte, dem wird es hier genauso ergehen. Denn an dieser Front ändert sich kaum etwas, außer dass der junge Rocker Ricky nun einen offiziellen Part in der Dreiecks-Liebesgeschichte einnimmt, die allerdings bisher nur Indizien für Gefühle zwischen Gabriel und Olivia aufweist (was sehr erfrischend und gleichzeitig unendlich nervtötend ist). Die Bewohner Cainsvilles verhalten sich hier noch ungewöhnlicher als zuvor und es wird bald deutlich, dass diese nicht nur die friedfertigen älteren Personen sind, die sie vorgeben zu sein. Olivia trifft zwar immer noch ab und an dumme Entscheidungen, bietet aber mit ihrer sympathischen Dickköpfigkeit und ihrer Intelligenz auch starkes Identifikationspotenzial, sodass man sie gern bei den Nachforschungen begleitet.

"Zeit der Schatten" ist Band 2 von 5 und bietet damit erstmals auch ein paar Antworten - nicht viele und kryptische noch dazu, aber wir kommen dem Kernpunkt näher. Obwohl ein großer Gegenspieler fehlt und die Autorin sich teilweise ein wenig zu stark darauf konzentriert, die Romantik zu etablieren, lernt man auch bald, dass beides durchaus einen Zweck hat. Zwischenzeitlich war mir insbesondere das Hin und Her zwischen Olivia und Gabriel zu viel, aber davon abgesehen reißt der Roman auch dann mit, wenn es seitenlang nur Dialoge gibt. Action sollte man nicht unbedingt erwarten, aber die geheimnisvolle Atmosphäre fesselt dennoch. Nur der Schluss driftet an der ein oder anderen Stelle zu sehr ins Abstruse ab und die Auflösung konnte man sich bereits vorher denken. Das ändert aber nichts daran, dass erneut genug Fragen aufgeworfen wurden, um einem den Nachfolger so richtig schmackhaft zu machen.

FAZIT:
"Cainsville" ist eine Reihe der mysteriösen Geschehnisse und unterhaltsamen Gespräche - Überraschungen gibt es zwar einige, Action oder gar Kämpfe braucht man aber weiterhin nicht erwarten. Das ist jedoch nicht schlimm, denn Kelley Armstrong zieht mit Schreibstil und Charakteren total in den Bann. "Zeit der Schatten" bereitet auf Großes vor, das hoffentlich in Band 3 passiert. Gute 4 Punkte!

Veröffentlicht am 28.09.2017

Starke (Frauen-)Figuren und eine spannende Mörder-Suche

Der Lügenbaum
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Auf halbem Weg die nächste Klippe hinauf hing ein schwarzes Etwas über einem Baum. Es sah aus wie ein riesiges Hufeisen, dessen Enden nach unten wiesen, sodass das Glück herauslaufen konnte.
Es war eine ...

Auf halbem Weg die nächste Klippe hinauf hing ein schwarzes Etwas über einem Baum. Es sah aus wie ein riesiges Hufeisen, dessen Enden nach unten wiesen, sodass das Glück herauslaufen konnte.
Es war eine Silhouette, nichts weiter, aber Faith wusste auf den ersten Blick, was es war. Menschen halten immer Ausschau nach anderen Menschen, und menschliche Augen haben das Talent, eine menschliche Form sofort zu erkennen. Mit grausiger Klarheit wusste sie, dass das, was sie sah, zwei baumelnde Beine waren, zwei schlaffe, nach unten hängende Arme und ein gebogener Rücken.
Es war ein Mann, der da über dem Baum hing. Die kalte Luft schnitt wie ein Messer in Faiths Kehle, als sie zum Haus zurückrannte.
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INHALT:
Die 14-jährige Faith muss mit ihrer Familie überstürzt ihren Heimatort Kent verlassen und nun auf der kleinen, kalten Insel Vane leben. Ihr ist nicht klar, was der Grund für diese Veränderung ist, bis sie in all ihrer Neugier ein Gespräch belauscht und erfährt, dass ihrem Vater unterstellt wird, ein Betrüger zu sein, seine als Naturforscher entdecken Relikte und Fossilien gefälscht zu haben. Faith kann diesen Anschuldigungen keinen Glauben schenken, aber die Bevölkerung von Vane tut es umso mehr. Die Menschen beginnten, die Familie zu schneiden, ihr Hass entgegen zu bringen - bis ihr Vater eines Tages tot aufgefunden wird. Ein Unfall? Gar Selbstmord? Faith fallen Ungereimtheiten auf. Sie weiß, dass ihr Vater besessen war von einer Pflanze, dem sogenannten "Lügenbaum" - hat dieser etwas damit zu tun? Bald ist sie sich sicher, dass ihr Vater ermordet wurde, nur von wem und wie soll sie das beweisen?

MEINE MEINUNG:
"Der Lügenbaum" spielt irgendwann um das Jahr 1860, zu einer Zeit, die für uns heute vollkommen unverständlich ist: Frauen durften nicht zur Schule gehen, geschweige denn arbeiten, Männer hatten vollends das Sagen, Linkshänder zu sein galt als Krankheit und weibliche Nachkommen waren nichts wert. In dieser Welt wächst die Protagonistin auf und trotz dieser Umstände gelingt es Autorin Frances Hardinge ganz wunderbar, starke Frauen in einer ebenso starken Geschichte zu etablieren. Der Schreibstil passt zum 19. Jahrhundert, ist aber trotzdem nicht altbacken, sondern im Gegenteil fließend und ungeahnt wortgewaltig. Die ersten 150 Seiten weisen einige Längen auf, weil diese wie eine Einführung in das Familienleben und die Zeit wirken, danach jedoch zieht das Tempo rasant an.

Faith ist eine wunderbare Hauptfigur, die man gerne auf der Suche nach dem Mörder und auch auf der Suche nach sich selbst begleitet. Sie ist neugierig und intelligent, auch wenn die Männer ihr letzteres immer wieder ausreden wollen. Es kommt vor, dass sie in alte Muster zurückfällt und versucht, sich zu verstellen, aber letztendlich findet sie ihren Mut immer wieder und begeistert mit ihrer Schlagfertigkeit. Ihre Eltern sind Personen, die man über lange Zeit nicht leiden kann. Das ändert sich bei ihrem Vater, einem unnahbaren und arroganten Menschen, auch nicht, aber die Art ihre Mutter, aus so gut wie allem Profit schlagen zu wollen, erklärt sich damit, dass einer Frau damals kaum andere Waffen blieben. Die Nebenfiguren bestechen ebenso durch ihre Ambivalenz: Der junge Paul, ewig desinteressiert und doch unwirsch bereit, Faith zu helfen; der gutmütige Onkel Miles, der seine eigenen Pläne verfolgt; oder auch die Bedienstete Jeanne, die von Angst getrieben zu so manch gemeiner Tat fähig ist - man muss die Charaktere nicht mögen, aber überzeugen können sie allemal.

Nachdem das erste Drittel leider eher vor sich hin dümpelt und Faith nur wenige Fragen stellt und daher auch nur wenige Antworten bekommt, wird es auf den letzten knapp 300 Seiten richtig mitreißend. Auf wahnsinnig unterhaltsame und geniale Weise gelingt es Faith, Schrecken unter den Inselbewohnern zu erzeugen, um Hinweise auf das eigentliche Geschehen am Todestag ihres Vaters zu erhalten. Die Dialoge sind manchmal witzig in ihrer Skurrilität, manchmal erschreckend, wenn es um die geringe Wertschätzung von Frauen geht, und manchmal hochemotional in Familienangelegenheiten. Faiths Suche nach der Wahrheit kommt nicht ohne Schwierigkeiten und Rückschläge aus, aber der mysteriöse Lügenbaum, das einzige leicht phantastisch angehauchte Element des Buches, hilft ihr dabei - für eine Gegenleistung, die sich schon bald verselbstständigt. Sensibel und doch ehrlich werden hier die Themen Familie, Zusammenhalt, Verrat und Lügen miteinander verwoben, sodass sie ein großes Ganzes ergeben. Bis zum Ende bleibt es spannend, und die Auflösung ist so wenig offensichtlich, dass es zur ein oder anderen Überraschung kommt. Zurück bleibt man mit dem Eindruck, etwas gelernt zu haben - und das, ohne irgendwie belehrt zu werden.

FAZIT:
Frances Hardinge versteht es auf besondere Weise, ihre Leser in ihre originellen und faszinierenden Geschichten hinein zu ziehen. "Der Lügenbaum" hat anfangs ziemliche Längen, wird danach aber richtig, richtig gut - inklusive wichtiger Themen und einer spannenden Suche nach dem Mörder. Ich vergebe 4 sehr gute Punkte und rate zum Ausprobieren!

Veröffentlicht am 13.09.2017

Extrem problematisch: "Stealthing" ist nun also normal?

Die Endlichkeit des Augenblicks
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Er versuchte, die lauter werdenden Rufe um sich herum zu ignorieren, die ihn einen Feigling nannten und damit so lange anspornten, bis er schließlich nachgab und sich erhob, um allen das Gegenteil zu beweisen.

Ein ...

Er versuchte, die lauter werdenden Rufe um sich herum zu ignorieren, die ihn einen Feigling nannten und damit so lange anspornten, bis er schließlich nachgab und sich erhob, um allen das Gegenteil zu beweisen.

Ein stechender Schmerz brachte ihn zurück in die Gegenwart. Wie ein glühender Draht bohrte er sich von seinem Kopf durch die Wirbelsäule hinunter und endete erst in Höhe der Hüfte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Trage, auf der er mittlerweile lag, mithilfe eines Seils in die Luft gezogen wurde.

In Gedanken verabschiedete er sich von der Erde unter ihm und von einem lang gehegten Traum, der sich nun niemals erfüllen würde.
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INHALT:
In einem Biergarten lernt die junge Samantha zwei Männer kennen: Den fröhlichen und schönen Basti, der im Rollstuhl sitzt, und seinen besten Freund Josh - körperlich gesund, aber zerfressen von Schuldgefühlen. Samantha und Basti verlieben sich und werden bald ein Paar, doch Joshs Depressionen machen ihnen beiden zu schaffen. Als Sam auch für ihn da sein will, entwickeln sich auch zwischen ihnen Gefühle. Doch bald wird ihr klar, dass sie damit die Freundschaft der beiden Männer gefährdet...

MEINE MEINUNG:
Jessica Koch hat sich in den letzten Jahren mit ihrer "Danny"-Trilogie in die Herzen ihrer Leser geschrieben. Liebesromane mit Tiefgang scheinen ihr Steckenpferd zu sein, und genau das habe ich mir auch von "Die Endlichkeit des Augenblicks" erhofft: Schließlich ist einer der Protagonisten hier ein Rollstuhlfahrer, was man nur sehr selten in der Literatur oder anderen Medien erleben darf. Der Schreibstil ist aber überraschend emotionslos - und dadurch, dass jede der Hauptfiguren immer nur für ein kurzes Kapitel zu Wort kommt, bevor die Perspektive wechselt, kommt einem keine wirklich nahe. Das größte Problem, das ich mit dem Buch hatte, kommt aber erst nach zwei Dritteln - und hat es in sich. Daher ist diese Besprechung auch gleichzeitig eine Warnung.

Samantha habe ich als Protagonistin als extrem anstrengend empfunden. Einer ihrer ersten Gedanken beim Anblick von Bastis Rollstuhl ist, dass sie nicht für so jemanden sorgen möchte - nachdem sich die beiden noch nicht einmal für ein zweites Date verabredet haben. Sie ist unnötig eifersüchtig und macht aus allem ein Drama, obwohl gerade sie mit einer autistischen Schwester es besser wissen müsste. Basti ist eigentlich ein sehr netter Zeitgenosse, der einem mit seiner Fröhlichkeit immer wieder Hoffnung gibt, auch wenn diese verständlich und realistisch des Öfteren mit Zweifeln und Trauer über seine verlorenen Träume verbunden ist. Seine Lähmung und der Umgang damit werden zumeist realistisch dargestellt, was ein Pluspunkt ist. Josh dagegen konnte ich von Anfang bis Ende nicht leiden - er suhlt sich förmlich in seinen Schuldgefühlen und auch wenn diese teilweise nachvollziehbar erscheinen, so sind es seine Taten nicht. Er benimmt sich jedem gegenüber komplett unmöglich und das ändert sich auch nicht.

Alles in diesem Roman entwickelt sich viel zu schnell, wodurch keinerlei Gefühle bei einem ankommen. Sehr schnell sind Basti und Samantha verliebt, ohne dass man dies wirklich miterlebt hätte, denn die einzelnen Treffen werden immer wieder mittendrin mit einem Sprung von Stunden oder gar Tagen unterbrochen. Viele der Geschehnisse sind extrem überspitzt - dass sie ihm etwa unterstellt, sich nicht um sie zu kümmern, obwohl er ihr sogar aus dem Urlaub hunderte Nachrichten am Tag schickt. Samanthas und Joshs romantische Gefühle sind nach der anfänglichen Abneigung viel zu plötzlich da und nicht glaubwürdig, und dass sie ihm sogar hilft, nicht in die Psychiatrie eingewiesen zu werden, obwohl das meiner Meinung nach seine einzige Hilfe wäre, fand ich schon ein wenig problematisch.

Das alles wäre für mich aber noch kein Grund gewesen, eine so schlechte Bewertung zu vergeben, wie ich es nun tue. Auf Seite 243 jedoch geschieht etwas, das ich nicht verschweigen kann, ein Ereignis, das ich spoilern muss, um davor warnen zu können: Josh und Samantha haben nämlich Sex - und ohne ihr Wissen entfernt er währenddessen das Kondom, um sie schwängern zu können. Im Amerikanischen gibt es einen Begriff dafür: "Stealthing", und dies kann strafrechtlich geahndet werden, kommt meiner Meinung nach sogar einer Vergewaltigung gleich. Samantha hat sich ja immer ein Kind gewünscht und kann dieses nicht mit Basti haben - so wird sich die Situation hier zurechtgebogen, so wird Josh zum Helden gemacht. Aber nicht nur, dass durch das Entfernen eines Kondoms eine Schwangerschaft entstehen kann, auch Krankheiten werden genau so übertragen! Gerade, dass hier in keinster Weise das Verhalten von Josh kritisiert, sondern er im Gegenteil noch dafür bewundert wird, finde ich absolut gruselig und wirklich gefährlich. An dieser Stelle sehe ich mich in der Pflicht, eine Warnung auszusprechen, denn so eine Tat als Normalität anzusehen, geht in einem Roman einfach gar nicht.

FAZIT:
"Die Endlichkeit des Augenblicks" wäre aufgrund der überdramatischen Handlung und der unlogisch handelnden Protagonisten wahrscheinlich sowieso nicht mein Buch gewesen - aber dass der männliche Hauptcharakter Josh ohne das Einverständnis von Samantha während des Geschlechtsverkehrs das Kondom entfernt, hat mich mit komplettem Unverständnis zurückgelassen. Ich habe darüber nachgedacht, das Buch einfach nicht zu rezensieren, aber eine Warnung war mir wichtiger. Daher gehe ich in meiner Wortwahl auch so drastisch vor - und vergebe nicht mehr als 1 Punkt.

Veröffentlicht am 07.09.2017

Unfassbar nervtötende Charaktere

Kieselsommer
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Mats schüttelte sich. Er hatte keine Zeit, zu lange darüber nachzudenken. Es fiel ihm bemerkenswert schwer, seinen Körper zur Mitarbeit zu überreden. Aber wenn er jetzt nicht versuchte, ins Haus zu gelangen ...

Mats schüttelte sich. Er hatte keine Zeit, zu lange darüber nachzudenken. Es fiel ihm bemerkenswert schwer, seinen Körper zur Mitarbeit zu überreden. Aber wenn er jetzt nicht versuchte, ins Haus zu gelangen - wer wusste schon, wann sich die nächste Gelegenheit bieten würde? Also huschte er auf raschen Sohlen hinüber zur Veranda.
Wahrscheinlich hätte er überrascht sein sollen, als er den schmalen Spalt sah, wo die Tür nicht ganz ins Schloss geschoben worden war. Vielleicht auch erleichtert, ein zweites Mal so unverschämtes Glück zu haben. Aber nach dem Blick des Mädchens nur Sekunden zuvor gelang ihm nichts von beidem. Im Gegenteil, er war sich jetzt ganz sicher: Sie hatte ihn tatsächlich bemerkt.
Und sie hatte die Tür für ihn offen gelassen.
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INHALT:
Ella und Tilda sind seit drei Jahren beste Freundinnen und nun steht ihr erster gemeinsamer Urlaub an. Selten haben sich beide auf etwas so sehr gefreut wie auf diese zwei Wochen allein. Doch dann kommt alles anders: An ihrem ersten gemeinsamen Abend wünscht sich Ella, endlich ihrer großen Liebe zu begegnen - und am nächsten Tag treffen die beiden Mädchen auf Mats. Sofort besteht eine Verbindung zwischen ihm und Ella. Eine Verbindung, von der sich Tilda bald nach außen gedrängt fühlt. Das sollte doch ein Mädels-Urlaub werden? Beide Freundinnen versuchen, es einander recht zu machen, doch ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse kommen ihnen dabei immer wieder in die Quere...

MEINE MEINUNG:
Anika Beers Debüt vor fünf Jahren habe ich wahnsinnig gern gelesen und seitdem ihren Werdegang zumindest verfolgt. Mit "Kieselsommer" ist nun ein sommerlicher Jugendroman erschienen, der eine Geschichte rund um Freundschaft und die erste Liebe verspricht. Genau das wird auch geboten, allerdings gänzlich anders als ich das erwartet hatte. Der Konflikt zwischen den Mädchen wird zwar im Klappentext benannt, dass sich insbesondere die eine aber so absurd daneben benehmen würde, hätte ich nicht vermutet. Da macht auch der locker-leichte Schreibstil nicht viel wett, ebenso wenig wie der stetige Wechsel der Perspektive, durch den man zwar Einblick ins das Innenleben jeder der Figuren bekommt, der sie aber auch nicht sympathischer macht.

Tilda ist durchaus noch eine Protagonistin, mit der man sich einigermaßen identifizieren kann: Sie ist fröhlich, willensstark und würde so gut wie alles für ihre Freundin tun. Dass in ihr als drittes Rad am Wagen immer mal wieder Eifersucht aufkeimt, ist zu verstehen. Nicht zu verstehen ist Ellas unmögliches Verhalten. Dadurch, dass sie früher gemobbt wurde - was nie in mehr als einem Halbsatz erwähnt wird -, ist sie sehr unsicher und schüchtern, traut sich selbst nichts zu. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, ihre beste Freundin, die ihr so sehr geholfen hat, einfach sofort links liegen zu lassen, sobald ein Kerl in ihrem Leben auftaucht. Sie heult ständig und wird unangebracht eifersüchtig in den unwahrscheinlichsten Momenten - mit diesem Mädchen konnte ich einfach gar nichts anfangen. Und auch Mats war mir nicht sonderlich sympathisch. Zwar versucht er den Freundinnen ab und zu ein wenig Freiraum zu geben, aber er drängt sich dennoch ungefragt zwischen sie und reißt alles an sich. Er scheint als charmant und witzig angelegt zu sein, kam bei mir aber nur als großspurig und selbstverliebt an.

Ich hasse Insta-Love und "Kieselsommer" ist das perfekte Beispiel dafür, warum. Ella lässt einfach, ohne nachzudenken, einen fremden Jungen in ihr Ferienhaus einsteigen, weil seine Zeichnungen sie so berührt haben - und nachdem sie sich zum ersten Mal getroffen haben, sind sie nicht mehr zu halten. Nach wenigen Seiten spricht Ella bereits davon, er sei der Eine und sie hätte immer auf ihn gewartet - wer soll denn das glauben? Natürlich verhält sich auch Tilda nicht ganz richtig, indem sie sich so intensiv gegen die Beziehung wehrt, aber es ist schließlich ihr Urlaub, nicht der von Mats und Ella. Das Verhalten der Figuren und die kitschige, nervtötende Liebesgeschichte haben mich über weite Strecken nur wütend gemacht. Natürlich entsteht aus dem Ganzen ein Lerneffekt - aber aufgrund der Kürze kommt auch dieser nicht wirklich beim Leser an, sodass ich am Ende nur enttäuscht zurückblieb.

FAZIT:
Auf der Suche nach einer sommerlich-leichten Geschichte über Freundschaft und die erste Liebe habe ich mit "Kieselsommer" leider daneben gegriffen. Während sich die Charaktere fast ausschließlich total schlecht benehmen, kam bei mir einfach keine Freude, kein Wohlgefühl auf. Hinzu kommt ein übler Fall von "Liebe auf den ersten Blick", der auch den Rest zunichte macht. Vielleicht eher für jüngere Leser geeignet. Sehr knappe 2 Punkte.