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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.08.2019

Gute Idee, schwache Umsetzung

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Eleonor, genannt Nora, arbeitet für den Konzern Neurogaming Systems (NGS), die sich zum Ziel gesetzt haben, ihren Kunden ein ganz neues Spielerlebnis bieten zu können: keine Konsole, kein 3D, auch keine ...

Eleonor, genannt Nora, arbeitet für den Konzern Neurogaming Systems (NGS), die sich zum Ziel gesetzt haben, ihren Kunden ein ganz neues Spielerlebnis bieten zu können: keine Konsole, kein 3D, auch keine virtuelle Realität – nein, DIE Realität, die man durch den Körper eines anderen Menschen erleben kann! Egal ob Bungeejumping, Fallschirmspringen oder als Rockstar auf der Bühne stehen, mit NGS soll das alles möglich werden und zwar ganz ohne Risiken für einen selbst! Nora arbeitet als Regulator, sie nähert sich den Testpersonen (den Links), die später ihren Körper für NGS zur Verfügung stellen sollen und leitet die Synchronisation ein. Bei ihrer letzten „Synchro“ ist allerdings etwas gewaltig schiefgelaufen und Nora beginnt sich zu fragen, ob bei NGS alles mit rechten Dingen zugeht. Darüber hinaus ist ihre neue Testperson Alex verdammt attraktiv und Nora entwickelt Gefühle für ihn, was jedoch strengstens verboten ist.

Ich liebe Dystopien und ich mag Bücher, in denen es um Computerspiele oder Ähnliches geht, dieses Buch schien also genau mein Fall zu sein. Leider wurde ich sehr enttäuscht. Von einer Dystopie kann man hier eigentlich gar nicht sprechen, denn das Worldbuilding, also der Weltenaufbau, fehlt völlig. Man erfährt nicht, zu welcher Zeit das Buch spielt und wie die Welt dann aussieht, der einzige dystopische Aspekt ist die Firma NGS und das Konzept des Neurogamings, also das Erleben der Realität im Körper eines anderen Menschen. Beides, sowohl Firma als auch das „Spiel“ werden aber meiner Meinung nach unzulänglich beschrieben, es gibt nur spärliche Informationen darüber, wie das nun alles funktionieren soll.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Charakterisierung der Figuren. Nora erschien mir zunächst erstmal viel älter als siebzehn, später verhält sie sich allerdings so naiv, dass sich diese Einschätzung relativierte. Man erfährt aber viel zu wenig über ihre Persönlichkeit und ihre Motivation für diese Firma zu arbeiten. Das Konzept des Spiels besteht darin, komplett in einen anderen Menschen einzudringen und ihn jeglicher Privatsphäre zu berauben, ohne dass dieser etwas davon weiß. Dafür muss man schon sehr kaltschnäuzig sein, was Nora ziemlich unsympathisch macht. Leider blieb auch ihr Verhalten für mich komplett unglaubwürdig. Schon recht früh im Verlauf der Geschichte erfährt sie Ungeheuerliches über die Firma, sie sollte eigentlich um ihr Leben fürchten, stattdessen arbeitet sie weiter und führt Gespräche mit vermeintlichen Mördern! Die Autorin hat es leider auch nicht geschafft, mir Noras Gefühle glaubhaft zu vermitteln, das wirkte einfach nicht echt.

Auch dem Schreibstil konnte ich nicht viel abgewinnen. Ich habe nicht gezählt, wie oft sich jemand auf die Lippe biss, aber es war jedenfalls zu oft!
Die Altersempfehlung kann ich nicht gutheißen, für Vierzehnjährige finde ich das Buch zu brutal.

Fazit: Die Idee birgt gute Ansätze, aber an der Umsetzung hapert es leider. Zwei Sterne gibt es, weil sich das Buch flüssig lesen ließ und spannend war. Von mir gibt es leider keine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 30.07.2019

Toller und schräger Familienroman mit wunderbaren Figuren

Rückwärtswalzer
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In „Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser begleiten wir das Leben der Familie Prischinger. Zur Familie gehören in erster Linie die Geschwister Sepp, Mirl, Wetti, Hedi und Nenerl, sowie Hedis Mann Willi und Sepps ...

In „Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser begleiten wir das Leben der Familie Prischinger. Zur Familie gehören in erster Linie die Geschwister Sepp, Mirl, Wetti, Hedi und Nenerl, sowie Hedis Mann Willi und Sepps Sohn Lorenz. Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Sichtweisen. In der Gegenwart begleiten wir Lorenz, einen erfolglosen Schauspieler, der gerade in einer Drittel-Life-Crisis steckt. Sowohl finanziell als auch beziehungstechnisch könnte es ihm besser gehen. Er versucht, sich von seiner Familie Geld zu leihen. Als der Versuch scheitert, quartiert er sich kurzerhand bei seinen Tanten ein. Die Erzählstränge, die in der Vergangenheit spielen, werden aus der Perspektive der übrigen Figuren geschildert. Sie reichen vom Jahr 1953 bis in die 2000er Jahre.

Die Geschwister mussten in ihrer Kindheit einen schweren Verlust verkraften und wir erleben nun, wie unterschiedlich alle damit umgehen. Dabei werden die Ereignisse jedoch nicht chronologisch geschildert, der Leser erfährt erst relativ spät, was damals wirklich geschah.

Parallel dazu begleiten wir Lorenz und seine drei Tanten auf einem Roadtrip nach Montenegro. Leider hat nämlich Onkel Willi das Zeitliche gesegnet und er wollte immer in Montenegro begraben werden. Für eine offizielle Überführung fehlt das Geld, also beschließen die Tanten kurzerhand, Onkel Willi zunächst tiefzugefrieren, um dann mit ihm im Auto die Reise anzutreten. Lorenz ist alles andere als begeistert, macht aber schließlich mit.

So verrückt, wie sich das alles anhört, ist das Buch tatsächlich auch. Ich finde es außerdem total witzig, originell, charmant – tatsächlich einzigartig und großartig. Vea Kaiser hat so besondere, einzigartige Charaktere geschaffen, die man einfach alle ins Herz schließt. Ich kenne nur wenige Bücher, bei denen das so intensiv der Fall ist. Hinzu kommt, dass das Buch einen ganz besonderen wienerischen Charme versprüht, durch die besonderen Ausdrücke und Redewendungen und die Beschreibungen von Wien und Umgebung. Das hat mir ebenfalls richtig gut gefallen. Ich habe mich wirklich auf keiner Seite gelangweilt und war sehr traurig, als ich die Figuren am Ende verlassen musste. Ich werde mir schnellstmöglich die anderen Bücher der Autorin besorgen!

Fazit: Ein wunderbares, originelles Buch mit viel Witz und Herz und einzigartigen Figuren, dabei noch recht anspruchsvoll. Tolle Unterhaltung, sollte man unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 30.07.2019

Ein weises Buch über das Leben, die Freundschaft und Kartoffeln

Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel
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Mr. Doubler ist ein eigenbrötlerischer Kartoffelbauer, der seine Farm seit vielen Jahren nicht verlassen hat. Seitdem seine Frau verschwand (man weiß nicht, was mit ihr geschah) lebt er ganz allein dort ...

Mr. Doubler ist ein eigenbrötlerischer Kartoffelbauer, der seine Farm seit vielen Jahren nicht verlassen hat. Seitdem seine Frau verschwand (man weiß nicht, was mit ihr geschah) lebt er ganz allein dort oben, beobachtet Vögel und macht geheime Experimente mit seinen Kartoffeln. Seine Haushaltshilfe Mrs Millwood ist die Einzige, der er sich öffnet und mit der er lange Gespräche führt. Als Mrs Millwood plötzlich schwer erkrankt, bekommt Doubler Hilfe von ihrer Tochter Midge. Doch auch er muss plötzlich anderen Menschen helfen und das stellt sein ganzes Leben auf den Kopf. Mit Mrs Millwood führt er unterdessen lange Telefongespräche, während sie im Krankenhaus liegt und Doubler merkt, dass in seinem Herz vielleicht doch für mehr Platz ist, als nur für Kartoffeln.

Mrs Millwood arbeitet ehrenamtlich im Tierheim und diesen Job muss Doubler nun übernehmen. Dabei wird er mit einer missglückten Eselsentführung, einem Colonel ohne Armee und zwei einsamen alten Damen konfrontiert. Schnell wird klar, dass Doubler nicht nur ein Eigenbrötler ist, sondern auch ein herzensguter Mensch. Gerade deswegen gibt es Menschen, die ihm schaden wollen, wie zum Beispiel der Kartoffelbauer Peele, der es auf Doublers Farm abgesehen hat.

Was mir am besten bei diesem Buch gefallen hat, sind die Figuren. Sie sind liebevoll gezeichnet, haben Ecken und Kanten und man hat das Gefühl, dass sich die Autorin auch für Nebenfiguren eine eigene Geschichte ausgedacht hat. Am meisten habe ich natürlich Doubler ins Herz geschlossen, der nur auf den ersten Blick wie ein Griesgram wirkt, aber tatsächlich ein weiches Herz hat und viel Weisheit in sich trägt. Diese Lebensweisheit macht das Buch auch zu etwas Besonderem, es gab viele Sätze, die ich mir am liebsten herausgeschrieben hätte. Ich mag es außerdem, wenn man beim Lesen noch etwas lernt, was hier auch der Fall war! Doubler kennt sich gut aus mit Kartoffeln, Käse, Äpfeln…

Die Autorin Seni Glaister war mir bisher nicht bekannt. Anscheinend ist „Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel“ das erste Buch, welches auf Deutsch erschienen ist. Das Buch muss sich jedoch keineswegs verstecken, es kann meiner Meinung nach mit „Ein Mann namens Ove“ von Fredrik Backman mithalten! Der Vergleich liegt natürlich nahe, weil beide Protagonisten Eigenbrötler sind, die im Laufe der Geschichte auftauen. Lesern, die solche Geschichten mögen, möchte ich das Buch gerne ans Herz legen, von mir bekommt es 5 Sterne!

Veröffentlicht am 30.07.2019

Düstere, postapokalyptische Geschichte, aus der man mehr hätte machen können

Milchzähne
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Skalde lebt mit ihrer Mutter Edith in einem Haus, irgendwo auf einem Fleckchen Erde. Wo genau, erfährt der Leser nicht. Es scheint eine Klimakatastrophe gegeben zu haben, jedenfalls ist es immer unerträglich ...

Skalde lebt mit ihrer Mutter Edith in einem Haus, irgendwo auf einem Fleckchen Erde. Wo genau, erfährt der Leser nicht. Es scheint eine Klimakatastrophe gegeben zu haben, jedenfalls ist es immer unerträglich heiß, viele Tiere sind anscheinend ausgestorben, die Bäume tragen keine Früchte mehr. In der Gegend wohnen noch einige andere Menschen, vor einigen Jahren haben sie eine Brücke gesprengt und sind nun von der Außenwelt abgeschnitten. Doch plötzlich findet Skalde im Wald ein kleines, rothaariges Mädchen und nimmt sie bei sich auf. Die anderen Menschen begegnen dem Mädchen, das sich Meisis nennt, mit Ablehnung und Hass, vor allem von ihren roten Haaren scheint für die Menschen eine Bedrohung auszugehen. Die Lage spitzt sich zu, die Nahrungsvorräte gehen zur Neige und als plötzlich die Töchter eines Bauern verschwinden, fordern die Menschen von Skalde, Meisis an sie auszuliefern.

„Milchzähne“ ist ein sehr merkwürdiges Buch. Der Leser wird unvermittelt in diese postapokalyptische Welt geworfen und erhält auch im weiteren Verlauf der Geschichte nur sehr spärliche Informationen, sowohl über die Vorgeschichte der Protagonisten als auch über die Ereignisse, die die Welt zu der gemacht haben, die sie im Buch ist. Skalde und ihre Mutter Edith haben eine äußerst seltsame Beziehung, die Menschen, die ebenfalls in der Gegend wohnen, verspüren Hass und Angst gegenüber allem Fremden. Es gab anscheinend eine Klimakatastrophe, die viele Tiere nicht überlebt haben, aber Kaninchen, Hunde, Vögel und Wild haben es geschafft. Die Menschen haben weiterhin Zugriff auf Luxusgüter wie zum Beispiel Autos, Benzin und Zigaretten. Wie soll das möglich sein, wenn sie eigentlich seit Jahren von der Außenwelt abgeschnitten sind? Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele für solche Rätsel im Buch und ich hätte es sehr interessant gefunden, dazu eine Erklärung zu bekommen. Leider scheint es nicht die Intention der Autorin gewesen zu sein, diese Rätsel zu lösen. Helene Bukowski hat auf jeden Fall Talent, ihr Schreibstil ist eindringlich und plastisch, man kann die erdrückende Hitze und die düstere Stimmung wirklich spüren. Aber da sie dem Leser so viele Erklärungen schuldig bleibt, ist dieser Roman für mich eher ein Fragment als eine abgeschlossene Geschichte. Mit dem offenen Ende kann ich leben, aber die vielen unbeantworteten Fragen haben meinen Lesegenuss doch sehr gestört.

Fazit: Helene Bukowski ist eine vielversprechende junge Autorin, der es wunderbar gelingt, Stimmungen einzufangen und Charaktere zu zeichnen. Die Geschichte bleibt für mich jedoch leider unvollständig.

Veröffentlicht am 30.07.2019

Eine junge Liebe trotzt dem NS-Regime

Mehr als tausend Worte
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Mehr als tausend Worte war mein erstes Buch der Autorin Lilli Beck, ich habe jedoch schon viel Positives von ihr gehört.

Aliza ist Jüdin und lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Anfang der 30er Jahre ...

Mehr als tausend Worte war mein erstes Buch der Autorin Lilli Beck, ich habe jedoch schon viel Positives von ihr gehört.

Aliza ist Jüdin und lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Anfang der 30er Jahre in Berlin. Sie ist mit Fabian verlobt, einem Deutschen, dessen Eltern eine Parfümerie besitzen. Das Leben in Deutschland wird für Juden immer schwieriger, so dürfen manche Berufe nicht mehr ausüben, nicht mehr überall einkaufen, schließlich werden Geschäfte verwüstet und Menschen angegriffen. Juden müssen ihre Häuser und Wohnungen aufgeben, so auch Alizas Familie. Alizas Eltern beschließen, dass es für Aliza in Deutschland zu gefährlich wird und schicken ihre Tochter nach England. Das dafür benötigte Geld bekommen sie vom Blockwart Karoschke, der sich im Gegenzug ihr Haus unter den Nagel reißt. In England muss sich Aliza ein neues Leben aufbauen, während Fabian zum Wehdienst verpflichtet wird. Werden sich die Beiden jemals wiedersehen?

Das Buch hat auf jeden Fall gute Ansätze. Es beschreibt eindringlich die ausweglose Situation vieler Juden zur damaligen Zeit in Deutschland und warum es für viele unmöglich war, das Land zu verlassen. Auch das Leben einer deutschen Jugendlichen in England mit den damit verbundenen Schwierigkeiten wie Hass und Anfeindungen wird anschaulich dargestellt. Ein zentrales Problem waren für mich jedoch die beiden Hauptfiguren Aliza und Fabian, mit denen ich einfach nicht warm wurde. Aliza war für mich von Anfang an sehr ichbezogen, während ich Fabian eher langweilig fand. So konnte mich auch ihre Liebesgeschichte nicht berühren, ich war eher genervt von den Liebesschwüren. Leider muss ich sagen, dass die Hauptfigur sich auch nicht wirklich weiterentwickelt, sie bleibt für mich naiv und egoistisch. Über eine Wendung in der Geschichte habe ich mich auch ziemlich geärgert, das war zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Ich kann jedoch nicht näher darauf eingehen, ohne zu spoilern. Der Schreibstil ist flüssig und lässt sich gut lesen, bei einigen Szenen hatte ich wirklich das Gefühl, dabei zu sein.

Fazit: Mein erstes Buch von Lilli Beck konnte mich leider nicht überzeugen. Ich fand die Hauptpersonen unsympathisch, die Liebesgeschichte hat mich nicht berührt. Die interessanten Ansätze nahmen leider zu wenig Raum in der Geschichte ein.