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Veröffentlicht am 14.07.2021

Schöner Auftakt zu einer historischen Familiensaga

Die Hofgärtnerin − Frühlingsträume
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Oldenburg, Ende des 19. Jahrhunderts: Marleenes großer Traum ist, eine Gärtnerlehre zu machen. Nur allzu gerne würde sie in die Fußstapfen ihres geliebten Vaters treten, der als Hofgärtner in Oldenburg ...

Oldenburg, Ende des 19. Jahrhunderts: Marleenes großer Traum ist, eine Gärtnerlehre zu machen. Nur allzu gerne würde sie in die Fußstapfen ihres geliebten Vaters treten, der als Hofgärtner in Oldenburg gearbeitet hat. Den Vater verliert sie sehr früh, und ihre Mutter ist krank. Marleene bleibt nichts anderes übrig, als Geld zu verdienen, und sie arbeitet als Dienstmädchen in einem Hotel. Mit ihrer Cousine Frieda teilt sie sich ein Zimmer. Letztendlich ist ein Ereignis im Hotel ausschlaggebend, dass sie einen Entschluss fasst, denn selbst als ein Hotelgast zudringlich wird und sie belästigt, schenkt ihr die Chefin kein Gehör. Da sie als Frau keine Chance hat, für eine Gärtnerlehre eingestellt zu werden, verkleidet sie sich als Junge.
Marleenes Geschichte ist interessant, denn hier merkt man, wie wenig Frauen zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Gesellschaft galten. Sowohl sie als auch ihre Cousine geben ihr Bestes und erhalten doch kaum Anerkennung. Die damalige Situation gibt mir zu denken, denn eigentlich müsste man meinen, dass es wenigstens bei den Frauen einen gewissen Zusammenhalt gab, aber dem war anscheinend nicht so. Im Folgenden erfährt man, wie es Marleene in Männerkleidern ergeht. Das ist alles kurzweilig und amüsant geschildert, wenn auch einiges etwas unrealistisch auf mich wirkte. Beispielsweise fand ich die Umstände, wie sich Marleene täglich verkleidet hat, schon etwas unglaubwürdig. Da sie ja mit ihrer Cousine ein Zimmer teilt, kann sie nicht einfach als junger Mann aus dem Haus spazieren, ohne Friedas guten Ruf zu schädigen. Andererseits musste sie als Junge in der Gärtnerei ankommen.
Wie sie täglich die Verwandlung bewerkstelligt hat, ohne aufzufliegen,konnte ich nicht so ganz nachvollziehen. Marleene ist manchmal viel zu gutmütig und naiv für die Welt. Auch mit den Kollegen gab es einige Ereignisse, die mir nicht sehr realistisch erschienen. Oft fällt es Marleene schwer, sich zu behaupten und ihrer Rolle gerecht zu werden.

Die Charaktere sind alle gut gezeichnet, und man lernt liebenswerte Menschen, vor allem der ernsthafte Julius hat mich beeindruckt, der sich gegen den Willen seines Vaters der Zucht von Rhododendren widmet und dadurch unbewusst eine heikle Situation rettet, was ihm jedoch nicht gedankt wird. Aber auch einige fiese Individuen sind vertreten, von denen manche ihr wahres Gesicht aber erst nach und nach offenbaren.
Sehr gut haben mir die Einblicke in die Welt einer Gärtnerei zur damaligen Zeit gefallen. Auch das Setting ist wunderbar beschrieben, und vor allem für Oldenburger ist der Roman sicher ein noch größerer Lesegenuss. Der Roman hat mich gut unterhalten, wenn auch so manche Intrige, die hier gesponnen wird, schon sehr heftig ist und doch ein wenig überzogen auf mich wirkte. Was mich dann ziemlich frustriert hat, ist der böse Cliffhanger am Ende. Da bleibt so einiges offen und ungesagt! Natürlich will ich wissen, wie es weitergeht und kann es gar nicht erwarten, bis der zweite Band erscheint. Allerdings werden wir uns da noch bis zum Frühjahr 2022 gedulden müssen. Das ist die Krux bei vielen Mehrteilern, dass am Ende zu viel offen bleibt. Bis der nächste Band erscheint, hat man dann einiges schon wieder vergessen. Ich habe kein Problem mit Mehrteilern, wenn das Ende einigermaßen rund und letztendlich jeder Band für sich lesbar ist. Hier sollte man jedoch auf keinen Fall versäumen, Band 1 zu lesen, bevor das zweite Buch erscheint.
Die wunderschöne Ausstattung des Buches möchte ich nicht unerwähnt lassen. Die Klappbroschur ist mit vielen bezaubernden Details ausgestattet, und jede Kapitelüberschrift ziert eine kleine Flieder-Illustration. Zur Abrundung enthält das Buch am Ende auch noch ein paar Flieder-Rezepte und Tipps sowie viel Wissenswertes über diese faszinierende Pflanze.

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Veröffentlicht am 11.07.2021

Viele tolle Rezepte - schnell, gesund und lecker

Express for Family
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Dagmar von Cramm ist mir schon sehr lange ein Begriff. Als meine Tochter noch klein war, hatte ich bereits einige Bücher der Autorin und habe gerne Rezepte daraus gekocht.
Auf ihr neues Buch, das sie in ...

Dagmar von Cramm ist mir schon sehr lange ein Begriff. Als meine Tochter noch klein war, hatte ich bereits einige Bücher der Autorin und habe gerne Rezepte daraus gekocht.
Auf ihr neues Buch, das sie in Zusammenarbeit mit Inga Pfannebecker veröffentlicht hat, bin ich durch ein Video auf ihrem Youtube-Kanal aufmerksam geworden. Die herzhafte Torte mit Ofengemüse geht schnell und sieht sehr lecker aus, und ich habe mir das Rezept schon vorgemerkt und bin außerdem neugierig auf das Buch geworden.
In „Express for Family“ findet man eine riesige Auswahl an Rezepten, die alle schnell zu machen, gesund und zugleich schmackhaft sind.

Das Buch ist in folgende Kategorien eingeteilt:
• Lieblingsrezepte
• Aus dem Ofengemüse
• Aus der Pfanne
• One-Pot
• Mix & Match
• Prep-Küche
• Morgens

Drumherum gibt es reichlich Tipps zu Planung, Garzeiten, Vorratshaltung, Haltbarkeit, Vorbereitung und vielem mehr.
Bei den Rezepten haben die beiden Autorinnen darauf geachtet, dass sie nicht nur schnell umzusetzen sind, sondern dass auch die Nährwerte passen und dass man flexibel ist.
So zeigen sie stets viele Variationsmöglichkeiten. Beispielsweise gibt es einen Abschnitt über Hülsenfrüchte-Pasta, wo man schon aus vielen Sorten wählen kann. Dazu werden sechs verschiedene Soßen empfohlen, so dass man nach Herzenslust kombinieren und mixen kann. Auch eine Vielzahl von Pfannkuchen-Varianten, Gemüsepuffer mit mehreren Möglichkeiten oder auch Schmarren mal herzhaft mit Pilzen und Couscous kann man entdecken. So erfährt man hier auch, dass man dicke Pfannkuchen so vielseitig belegen kann wie Pizza. Auch Ideen für Toast sind zahlreich im Buch. Ob gedünstet oder gebraten, gebacken oder gekocht, die Autorinnen haben sich auf lauter Rezepte konzentriert, die mit wenigen, ausgewählten Zutaten auskommen und die sich gut abwandeln lassen. So kann man auch immer die Sachen aufbrauchen, die man gerade im Haus hat.
Gut gefallen mir auch die Vorschläge für Meal-Prep. So hat man immer eine gute Basis zum Weiterverarbeiten, wenn es mal schnell gehen muss. Da gibt es nicht nur selbst gemachtes Granola, tolle Brotaufstriche und Kuchen aus dem Glas, sondern auch eine Super-Tomatensoße, die man in großer Menge auf Vorrat zubereiten und bei Bedarf servieren kann.
Hinten im Buch ist eine Tabelle zum Bestimmen von Portionsgrößen. Sie liefert gute Anhaltspunkte, wenn man beispielsweise für mehr Personen als gewohnt kocht oder sich unsicher ist, wie viel ein Kind in welchem Alter benötigt.
Das Buch ist ideal für Familien mit Kindern, denn die Rezepte sind alle so ausgelegt und sehen so appetitlich aus, dass sie auch Kindern schmecken, aber für Erwachsene ebenso ansprechend sind.

Auf Probleme oder Pannen in der Küche wird in einer Übersicht eingegangen. Dort erfährt man, wie man Avocados schnell nachreifen lässt, was man tun kann, wenn mal etwas angebrannt ist oder zu salzig schmeckt oder wie man sich behilft, wenn die Soße nicht reicht. Diese und viele weitere Tipps und Hacks erleichtern das tägliche Kochen ungemein.
Das großformatige, gebundene Buch ist durchgehend mit aussagekräftigen Fotos ausgestattet, die Lust auf die gezeigten Gerichte machen.

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Veröffentlicht am 05.07.2021

"Wenn die Welt untergeht, geh' ich woandershin"

Sturmvögel
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Emmy Seidlitz ist 86. Sie blickt auf ein langes, bewegtes Leben zurück und genießt nun im Alter die Tage wie sie kommen. Ihre älteste Tochter ist besorgt, weil Emmy gesundheitliche Probleme hat und vereinbart ...

Emmy Seidlitz ist 86. Sie blickt auf ein langes, bewegtes Leben zurück und genießt nun im Alter die Tage wie sie kommen. Ihre älteste Tochter ist besorgt, weil Emmy gesundheitliche Probleme hat und vereinbart einen Termin für sie beim Herzspezialisten. Emmys Gespräch mit dem Arzt ist sehr amüsant, denn die alte Dame ist um keine Antwort verlegen, hat aber so ihre eigene Meinung über das Leben und Sterben, die mit der des Arztes nicht unbedingt konform geht.
Kurz vor Emmys Geburtstag entdecken Tochter Hilde und Sohn Otto jede Menge alter Akten im Keller, die auf ein ungeahntes Vermögen hinweisen. Gerade für Otto käme ein Geldsegen recht gelegen, da er finanziell nicht sehr gut aufgestellt ist, und auch Hilde hätte nichts gegen eine satte Erbschaft, denn sie hatte anscheinend zeitlebens das Gefühl, benachteiligt zu sein.

Kurz vor Emmys Geburtstag entdecken Tochter Hilde und Sohn Otto jede Menge alter Akten im Keller, die auf ein ungeahntes Vermögen hinweisen. Gerade für Otto käme ein Geldsegen recht gelegen, da er finanziell nicht sehr gut aufgestellt ist, und auch Hilde hätte nichts gegen eine satte Erbschaft, denn sie hatte anscheinend zeitlebens das Gefühl, benachteiligt zu sein.
Ich muss gestehen, von Emmys drei Kindern waren mir von Anfang an nicht alle gleich sympathisch. Ich möchte aber diesbezüglich dem Roman nicht vorgreifen. Letztendlich hat alles seine Richtigkeit, dafür sorgt Emmy schon, auch wenn einige ihrer Mitmenschen sie völlig unterschätzen.
In zahlreichen Rückblicken erfährt man mehr über Emmys Schicksal. Sie hatte es als Kind nicht leicht und stand sehr früh als Waise da. Trotz aller Widrigkeiten hat sie sich nie unterkriegen lassen.

Vergangenheit und Gegenwart sind in Emmys Geschichte geschickt und stimmig verwoben. Gerade ihr früheres Leben, wo sie nicht nur mit Standesdünkel und Existenzproblemen zu kämpfen hatte, sondern daneben auch noch zwei Kriege durchstehen musste, habe ich atemlos verfolgt. Hier erfährt man einen schlimmen Part deutscher Geschichte aus Sicht der einfachen Bevölkerung. Emmy ist ein bewundernswerter Charakter, und egal was auf sie zukam, sie bewies immer Stärke und Mut. Erst ziemlich am Ende des Romans werden alle Fäden verknüpft, und der Kreis schließt sich. Gerade am Schluss hat Emmy noch einige Überraschungen für ihre Lieben im Ärmel.

Ich habe die Protagonistin richtig ins Herz geschlossen und mich am Ende des Buches nur ungern von ihr verabschiedet. Aber so ist das nun einmal, jede Geschichte, mag sie noch so fesselnd sein, hat irgendwann ein Ende, und ich muss zugeben, auch wenn es traurige Momente gibt, so ist der Schluss doch stimmig und zufriedenstellend; er passt einfach zum ganzen Roman! Es ist eine wunderbare Geschichte, die noch lange nachhallt, mit einer ganz besonderen Protagonistin, die der Welt auch mit 86 noch viel zu geben hat.

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Veröffentlicht am 03.07.2021

Was die Toten erzählen könnten

Die Totenärztin: Wiener Blut
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Fanny Goldmann hat ein für ihre Zeit außergewöhnliches Interesse. Die junge Frau hat Medizin studiert, aber nicht die Lebenden möchte sie versorgen und heilen, sondern sie möchte den Toten, die nicht mehr ...

Fanny Goldmann hat ein für ihre Zeit außergewöhnliches Interesse. Die junge Frau hat Medizin studiert, aber nicht die Lebenden möchte sie versorgen und heilen, sondern sie möchte den Toten, die nicht mehr für sich selbst sprechen können, eine Stimme verleihen. Im Wiener Institut für Gerichtsmedizin, wo Fanny arbeitet, wird sie als Frau nicht für voll genommen. Obwohl sie die gleiche Ausbildung genossen hat wie ihre männlichen Kollegen, darf sie selbst keine Obduktionen vornehmen, sondern ist Mädchen für alles, darf allenfalls assistieren oder Reinigungsarbeiten vornehmen. Damit will sie sich jedoch nicht abfinden, noch dazu als ihr bei einem Toten, der eingeliefert wird, einige seltsame Dinge auffallen, denn Fanny nimmt ihren Beruf ernst, und sie schaut sehr genau hin! Keiner glaubt ihr, und so beschließt sie, den toten Obdachlosen auf eigene Faust zu untersuchen. Heimlich schleicht sie sich nachts ins Institut.

Fanny ist eine starke Protagonistin. Frauen hatten es zur damaligen Zeit nicht leicht, in einem solchen Beruf Fuß zu fassen, denn die Medizin war weitgehend eine Männerdomäne. Wie es ihr immer wieder gelingt, ihre Interessen durchzusetzen und dabei einem spannenden Kriminalfall auf die Spur zu kommen, beschreibt der Autor ungeheuer spannend und mit viel Verve. Fanny entdeckt bei ihren Nachforschungen die dunkle Seite der Stadt, die in einem starken Kontrast zum gemütlichen Wien mit seinem liebenswerten Dialekt, seinen eindrucksvollen Bauwerken und Anlagen, den schönen Künsten und den lauschigen Kaffeehäusern steht. Auch ein Schauplatz, den wir bereits aus René Anours vorherigem Roman kennen, nämlich der Narrenturm, findet wieder Erwähnung. Während Fanny einen sehr spannenden und verwirrenden Fall zu lösen versucht, lernen die Leser Wien mit vielen Facetten kennen. Man begegnet einigen sehr interessanten Charakteren, die zum Teil nicht das sind, was sie vorgeben.
Fanny hat ein paar sehr unangenehme Begegnungen, aber es gibt auch Menschen, die zu ihr stehen und ihr helfen, so zum Beispiel ihre liebenswerte Freundin Tilde oder ihr Cousin Schlomo bzw. Maître François, wie er sich nennt, da er als Maskenbildner am Theater arbeitet.
Ich muss schon sagen, das Lesen löst eine ziemliche Achterbahn der Empfindungen aus, denn im einen Moment nimmt man, zumindest geistig, an einer Prosektur teil, und ein paar Seiten später schaut man Fanny, ihrem Vater und ihrer Freundin beim Verspeisen leckerer Marillenknödel über die Schulter. Es ist ein Roman der Überraschungen, mit viel Zeitkolorit, abwechslungsreich, kurzweilig, ein wenig gruselig, spannend und durchaus auch mit einer guten Prise Humor. Oft sind es die kleinen, versteckten Hinweise, die später ein Aha-Erlebnis hervorrufen. Auch einigen realen historischen Personen „begegnen“ wir in der Geschichte.
„Wiener Blut“, wobei man den Titel hier durchaus wörtlich nehmen darf, ist der erste Teil einer Dilogie, wobei noch nicht ganz klar ist, ob Fannys Abenteuer nach dem zweiten Teil wirklich schon beendet sind (ich hoffe nicht!!!) Ein ziemlich raffinierter Cliffhanger am Ende des Buches lässt auf eine möglichst schnelle Fortsetzung hoffen. Glücklicherweise wird es bereits heuer im Oktober ein Wiedersehen mit Fanny geben, wobei ich gesehen habe, dass auch eine sehr unangenehme Person wieder mit von der Partie ist. Es wird ganz sicher wieder sehr spannend, und ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen mit Fanny.

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Amüsant zu lesen und in manchen Fragen recht hilfreich

Im Dschungel des menschlichen Miteinanders
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Der Knigge ist uns sicher allen ein Begriff, und auch wenn das Original von 1788 zwar in weiten Teilen überholt, aber immer noch erhältlich ist, wenn auch in modernem Deutsch, so können die Regeln des ...

Der Knigge ist uns sicher allen ein Begriff, und auch wenn das Original von 1788 zwar in weiten Teilen überholt, aber immer noch erhältlich ist, wenn auch in modernem Deutsch, so können die Regeln des menschlichen Miteinanders doch hin und wieder ein wenig frischen Wind vertragen.
Es gibt auch einen modernen Knigge, in dem sich alle Fragen zum guten Benehmen, sei es beruflich oder privat, sehr ausführlich beantwortet finden.
Die beiden Autorinnen fragen im Vorwort: Brauchen wir noch gute Manieren? Ich würde sagen, auf jeden Fall! Meine Frage würde eher lauten, brauchen wir noch ein weiteres Regelwerk dafür? Hier würde ich sagen, wir brauchen es zwar nicht, aber es ist durchaus interessant und amüsant zu lesen. Vieles wird heutzutage unkomplizierter gehandhabt als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Manche Kapitelüberschriften ähneln denen des herkömmlichen Knigge, und die Fragen des guten Benehmens werden locker und doch korrekt beantwortet. Dass es ergänzende Abschnitte über Netiquette gibt, erachte ich als sinnvoll, denn wenn man sich in den sozialen Netzwerken umsieht, findet man da so manche Zeitgenossen, die eine gute Kinderstube vermissen lassen.
Es sind einige Kapitel dabei, die ich nicht unbedingt in einem Regelwerk über Fragen zum guten Benehmen suchen würde, so zum Beispiel „Wie höflich muss man im Bett sein?“ Meiner Meinung nach ist diese Frage zu privat und persönlich, um sie allgemein beantworten zu können. Wie man in den eigenen vier Wänden mit dem Partner spricht oder umgeht, ist eigentlich Privatsache. Wieder andere Fragen, die hier auftauchen, haben für mich nichts mit gutem Benehmen zu tun, sondern es ist eine Einstellungs- oder Glaubenssache, beispielsweise die Frage „Ich bin nicht christlich, darf ich trotzdem Weihnachten feiern?“oder „Sollen wir den (Weihnachts-)Baum selbst schlagen? Diese und weitere Fragen rund ums Weihnachtsfest oder auch Themen, wie ich mit Verwandten umgehe, die entweder rassistisch sind oder der „falschen“ Partei angehören, haben mich in diesem Buch doch ein wenig irritiert, denn auch das ist alles sehr individuell und kann entweder nicht so pauschal abgehandelt werden oder hat m. E. nichts mit gutem Benehmen zu tun. Ich habe im Bekanntenkreis einige Leute, die nicht christlich sind und doch mit Hingabe Weihnachten feiern, ja zelebrieren. Es sind Menschen, die auf jeden Fall gute Umgangsformen beherrschen und pflegen, aber nicht im Traum daran denken würden, sich das Feiern eines Festes untersagen zu lassen. Die christlichen Jahresfeste sind ja alle auch mit jahreszeitlichen Bräuchen gekoppelt, die aus unchristlicher Zeit stammen. Jeder feiert sie auf seine Weise, ob nun aus religiösem Grund oder einfach als Fest im Jahreslauf, das sollte man selbst entscheiden. Müssen wir solche Gepflogenheiten wirklich in Frage stellen? Ebenso geht es mir mit Rassismus oder gendergerechter Sprache und entsprechendem Verhalten. Das sind so komplexe Themen, die hier nur kurz angerissen werden und meines Erachtens viel tiefer gehen als irgendwelche Benimm-Regeln. Daher habe ich meine Zweifel, ob sie in einem „Knigge für das 21. Jahrhundert“ wirklich am rechten Platz sind.
Alles in allem betrachte ich das Buch als durchaus sinnvoll und in manchen Fällen auch hilfreich. Es lässt sich leicht und locker lesen und ist zum Teil auch recht amüsant.

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