Beziehungsstatus: kompliziert
Man sieht sichFrie und Robert werden in den späten 1980er Jahren an der Oberstufe beste Freunde. Doch während sie ihre Freundschaft genießt, ist Robert heimlich in Frie verliebt. Im Laufe der Jahre verlieren sie sich ...
Frie und Robert werden in den späten 1980er Jahren an der Oberstufe beste Freunde. Doch während sie ihre Freundschaft genießt, ist Robert heimlich in Frie verliebt. Im Laufe der Jahre verlieren sie sich immer wieder aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Immer wieder kommt es bei verschiedenen Wiedersehen zu intimen Momenten, aber der Zeitpunkt ist nie der richtige, um sich ganz aufeinander einzulassen. Doch ohne einander geht es irgendwie auch nicht...
Julia Karnick nimmt uns in "Man sieht sich" in einen ganz besonderen Mikrokosmos mit - den einer innigen und komplizierten Freundschaft. Frie ist abenteuerlustig, unbedarft und geht offen, aber auch ein wenig naiv in die Welt. Robert ist ernst, weiß was er will und was nicht und hat konkrete Ziele vor Augen. Beide scheinen grundverschieden, haben aber gegenseitiges Vertrauen zueinander. Auch wenn sie sich Jahre nicht sehen, keimt zwischen ihnen sofort wieder das vertraute Gefühl der Geborgenheit auf.
Frie ist ab und an schwer von Begriff, kompliziert und sehr selbstfokussiert, ich empfand sie teilweise als sehr nervig, wollte sie packen und schütteln. Oft hat sie Angst vor dem Leben und steht sich selbst dabei im Weg. Robert ist der ruhende, unprätentiöser Pol, der sich aber nicht alles gefallen lässt und gut weiß auf sich selbst zu schauen. Wie ein Magnet ziehen sie sich an und können doch nicht miteinander.
Was ich sehr wunderbar an dem Buch fand, ist, dass es um Liebe geht, ohne dabei kitschig und romantisch zu sein. Die Beobachtungen, die die Autorin über ihre Protagonist:innen anstellt, sind unaufgeregt und etwas distanziert, was die Charaktere sehr authentisch wirken lässt. Speziell Roberts Charakter ist für mich besonders geglückt. Er ist vielseitig aber doch sehr klar. Er leidet unter seiner (psychisch) erkrankten Mutter, ohne ihr dafür einen Vorwurf zu machen, was von einer tiefen Reife zeugt. Besonders schön fand ich das immer wieder stattfindende Aufeinandertreffen von Robert und Herrn Selk, einer Freundschaft, bei der Robert die Regeln dieser akzeptiert wie sie sind und sich nichts von ihr erwartet, sondern einfach seine Zeit zur Verfügung stellt.
Speziell ist in "Man sieht sich" auch das immer wiederkehrende Thema der Popmusik, was nicht nur daran liegt, dass Robert Musiker ist. Stets begleitet einen ein Soundtrack, Musik hat einen festen Platz im Leben der Protagonist:innen. Schließlich gibt es auch einen gemeinsamen Song, der vielleicht das einzig kitschige Element an der Geschichte ist. Besonders schön finde ich, dass am Ende des Buchs eine Tracklist mit allen relevanten Songs der Story aufgeführt sind - für meinen Geschmack eine hervorragende Compilation!
Die Geschichte der beiden wird chronologisch erzählt, wobei immer wieder größere Zeitspannen übersprungen werden. Gekonnt webt die Autorin das zwischenzeitlich Geschehene in die weitererzählte Story ein, sodass ich nie den Eindruck hatte, etwas verpasst zu haben. Trotzdem der Roman fast 500 Seiten umfasst, liest er sich aufgrund des angenehmen und kurzweiligen Erzählstils wie ein dünnes Büchlein. Die Autorin schafft es Bilder zu zeichnen, die einem lang in Erinnerung bleiben.
Mein Fazit: "Man sieht sich" ist ein großartiger Roman über Freundschaft und Liebe, der beinahe ohne Kitsch auskommt. Die Charaktere sind vielfältig und authentisch gezeichnet und der ansprechende Erzählstil lässt einen nur so durch die Seiten rasen. Eine perfekte Sommerlektüre, die lange in Erinnerung bleibt.