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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.07.2021

Dramatisch und spannend

Dreieinhalb Stunden
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Am 13. August 1961 verlässt der Interzonenzug D-151 ein letztes Mal regulär den Münchener Bahnhof in Richtung Ost-Berlin. Währenddessen durchschneidet bereits der Klang von Presslufthammern die Berliner ...

Am 13. August 1961 verlässt der Interzonenzug D-151 ein letztes Mal regulär den Münchener Bahnhof in Richtung Ost-Berlin. Währenddessen durchschneidet bereits der Klang von Presslufthammern die Berliner Luft, Pfähle werden in die Erde geschlagen - die Abriegelung der Stadt beginnt, die Mauer steht in den Startlöchern. Die Menschen im Zug erreicht diese Nachricht erst dreieinhalb Stunden vor Ankunft an der neuen Grenze - und die Passagiere müssen sich der Frage stellen: weiterfahren oder aussteigen? Doch wie kann man innerhalb weniger Stunden die Entscheidung über den weiteren Fortgang seines Lebens treffen, wenn die Wahl zwischen dem Aufgeben der Freiheit oder dem Aufgeben des eigenen Zuhauses liegt?

Der Tag des Mauerbaus, hier abgehandelt anhand einer dramatischen Zugfahrt. Das Buch begleitet einen bunten Haufen verschiedener, durchweg interessanter Charaktere auf ihrer womöglich letzten Zugreise durch den Westen in die DDR. Unter ihnen Familien, eine Band, ein Kommissar bei der Arbeit und eine Ostdeutsche Lokführerin. Bis zum letzten Durchgangsbahnhof vor der innerdeutschen Grenze begleiten wir den Zug und seine Passagiere, werden Zeuge davon, wie zukünftige Lebensentwürfe verhandelt werden und Familien auf die Zerreißprobe gestellt werden. Wie auch immer jene Entscheidungen ausfallen werden, wird letztendlich jeder seinen Preis zahlen müssen. Ein ständiges Abwägen sowie ein ständiger Perspektivwechsel zwischen den Beteiligten schaffen eine sehr spannende Atmosphäre. Ein wahnsinnig interessantes Buch, toll erzählt und super zum mitfiebern.

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Veröffentlicht am 16.07.2021

Still und berührend

In diesen Sommern
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In ungewöhnlich kurzen Abschnitten erzählt Teresa, die Tochter eines alkoholkranken Vaters, von ihrer Kindheit und Jugend und besinnt sich dabei vor allem auf die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Eltern ...

In ungewöhnlich kurzen Abschnitten erzählt Teresa, die Tochter eines alkoholkranken Vaters, von ihrer Kindheit und Jugend und besinnt sich dabei vor allem auf die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Eltern und ihrem Bruder zurück.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich knapp und nüchtern, die Kapitel bauen nicht wie gewohnt aufeinander auf, sondern erzählen fragmentarisch von Teresas Erinnerungen an frühere Sommer, springen ungeordnet in der Zeit umher und sind manchmal auch nur eine halbe Seite lang. Auf den ersten Blick gibt es somit keinen klar definierten Handlungsstrang, eher ist der Roman wie ein Album an Erinnerungen aufgebaut, stellt schöne und unschöne Erlebnisse Teresas mit ihrer Familie vor. Und doch es ist die Suche der Familie nach Frieden und Glück, zwischen guten und weniger guten Tagen des gewalttätigen, suchtkranken Vaters - an den sich die Tochter aber nach allem Schlechten auch auf die schönen Zeiten zurückbesinnt.

Ein schönes Debüt, ganz unaufgeregt und leise erzählt. Sehr angenehm zu lesen, und obwohl Teresa ihre Erlebnisse so sachlich und neutral erzählt, habe ich mich ihr ganz nah gefühlt. Ein kurzes Buch mit klarer Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Wundervoll

Wildtriebe
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Drei Generationen unter einem Dach und ein gemeinschaftliches Leben auf dem Bauernhof. Was für die einen nach einer romantischen Art des Lebens klingt, ist hier Austrageort für Reibereien über Tradition, ...

Drei Generationen unter einem Dach und ein gemeinschaftliches Leben auf dem Bauernhof. Was für die einen nach einer romantischen Art des Lebens klingt, ist hier Austrageort für Reibereien über Tradition, Sitten und Tabus.

Oma Lisbeth stammt aus einer Generation, welche die Frauen in den Häusern hielt und die Männer zur Arbeit draußen auf dem Hof zwang. Nie würde sie diese Rollenbilder anzweifeln, der Hof ist ihre Lebensgrundlage, ihr ganzer Stolz und das große, wohlverdiente Erbe ihrer Vorfahren. Ihre Schwiegertochter Marlies eckt bei ihr bereits an, indem sie in einem Kaufhaus in der nächsten Stadt eine Teilzeitstelle annimmt und außerdem als Frau den Jagdschein macht. Und dann ist da noch Enkelin Joanna, die sogar noch größere Ziele im Leben hat. Denn sie will die Traditionen aus Lisbeths Sicht ganz über Bord werfen, ein Jahr nach Afrika gehen und danach Studieren.

Ute Mank lässt in ihrem Debütroman die verschiedenen Lebensvorstellungen dreier Generationen aufeinandertreffen und schneidet dabei allerlei Themen an, die von der Überwindung gefestigter Frauenbilder des letzten Jahrhunderts erzählen. Das Buch beschreibt die Verpflichtung des Zusammenhalts und die Angst des Auseinanderbruchs, eine schöne, sentimentale Geschichte über das Erfüllen von Erwartungen und dem Bruch mit alten Gewohnheiten. Und über die Sehnsucht, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

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Veröffentlicht am 28.06.2021

Nicht mein Geschmack

Die Kinder hören Pink Floyd
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Der 10-jährige Alexander schaut oft in den Himmel, in der Hoffnung, eines Tages die ikonische Prisma-Pyramide von Pink Floyd zu erblicken. "Schau in die Welt, nicht in den Himmel", sagen die Erwachsenen, ...

Der 10-jährige Alexander schaut oft in den Himmel, in der Hoffnung, eines Tages die ikonische Prisma-Pyramide von Pink Floyd zu erblicken. "Schau in die Welt, nicht in den Himmel", sagen die Erwachsenen, und entreißen ihn regelmäßig aus seinen Tagträumereien. Denn der Junge versucht die Welt so zu verstehen, wie Pink Floyd sie in ihren Texten besingt. Das Buch spielt in einer westdeutschen Vorstadt während der 70er-Jahre und erzählt autobiografisch vom den jungen Jahren des Autors: Alexander selbst stottert, seine Schwester hat wegen Contergan einen Herzfehler. Und Beide zusammen himmeln Pink Floyd an, sehen in der Musik den musikalischen Kampf gegen das Establishment und finden in dieser ein Ventil zur Flucht aus dem trostlosen Alltag. Und so folgen wir Alexander in seinen familiären und schulischen Alltag, ins Kino und in den Balkan Grill, durch seine kindliche Gedankenwelt und vor den heimischen Plattenspieler, der die neuen Platten von Pink Floyd in Dauerschleife abspielt und das ständig politische Gerede der Erwachsenen verstummen lässt.

Das Buch ist so komplex erzählt, dass ich anfangs Probleme hatte in die Geschichte einzusteigen und manchmal Probleme dabei hatte, der teils wirklich bizarren Handlung weiter zu folgen. Es werden so viele Themen angeschnitten und Szenen durcheinandergewürfelt, dass Teile des Buches fast psychedelisch wirken, aber davon leider kaum etwas bei mir ankommt. Humorvolle Wohnzimmer-Szenen vor der ZDF-Hitparade gehen über in abstruse, phantastische Gruselgeschichten über berühmte Persönlichkeiten wie Heino oder The Sweet, die Schwester kritisiert zwischendurch immer wieder mal den Kapitalismus. Alles zusammen wirkt sehr gestaucht und schwer zu folgen, die Gedanken driften im Buch und auch bei mir immer wieder ab.
Positiverweise ist der Roman mit vielen tollen, atmosphärischen Beschreibungen verschiedenster Pink Floyd-Songs hinterlegt, sowie mit geschwisterlichen Versuchen von Interpretationen der Texte und Plattencover. Für mich als langjähriger Pink Floyd-Fan ein großer Pluspunkt.
Dennoch fürchte ich, das Konzept des Romans nicht ganz verstanden zu haben, aber irgendwie hat mich das Werk doch gut unterhalten. Pink Floyd bleibt zeitlos und die Kinder werden hoffentlich auch weiterhin Pink Floyd hören, doch das Buch wird mir sicher nicht lange im Gedächtnis bleiben, leider.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Leider nicht zu Ende erzählt

Unter Wasser Nacht
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Zwei einst eng befreundete Ehepaare teilen sich einen Hof im Wendland, doch der Tod eines Sohnes hat einen tiefen Keil zwischen die ehemals starke Beziehung der vier Freunde geschlagen. Aaron ist vor einem ...

Zwei einst eng befreundete Ehepaare teilen sich einen Hof im Wendland, doch der Tod eines Sohnes hat einen tiefen Keil zwischen die ehemals starke Beziehung der vier Freunde geschlagen. Aaron ist vor einem Jahr unter ungeklärten Umständen in der Elbe ertrunken, und keiner möchte und kann so richtig an einen Tod durch Ertrinken glauben, denn er ist mit seiner Art bei vielen Menschen angeeckt. Und dann driften nicht nur die Nachbarn auseinander, sondern allmählich auch die Eltern des toten Kindes selbst. Als eine fremde Frau aus Dänemark auftaucht, tun sich zunehmend neue Rätsel auf und das einst idyllische Leben auf dem Hof wird von Grund auf umgewirbelt.

Ich bin hin und her gerissen. Es beginnt als ruhiges Buch über Entfremdung, Trauer und Trauma in einer toll ausgearbeiteten Atmosphäre. Verzweiflung vermischt sich mit einer gewissen Erleichterung, der Sohn war ja doch irgendwie ein 'Problemkind'.
Doch obwohl des sehr starken Anfangs hat mich zunehmend immer mehr gestört. Beginnend ab dem Erscheinen von Mara, einer scheinbar sehr (!) charismatischen Frau aus dem Freistaat Christiania, von der sich irgendwie alle auf einen Schlag abhängig machen. Der Vater des toten Jungen verliebt sich Hals über Kopf in diese interessante Frau und beginnt seine eigene Frau zu belügen und zu hintergehen, die sich aber offensichtlich nicht allzu daran stört. Währenddessen buhlen die beiden Frauen auf dem Hof sogar noch um die Freundschaft zu Mara und versinken in Eifersucht, wenn die andere dann mal kurzzeitig mehr beachtet wird. Dazu stehen die Frauen beinah stalkend ständig am Fenster und beobachten das Ein- und Ausgehen im Haus gegenüber. Es beginnt eine unerklärliche Rivalität, jeder auf dem Hof will irgendwie am meisten von Mara abbekommen. Und dann erzählt die Tochter der einen Familie der neuen Frau Dinge, die sie nicht mal ihrer Mutter anvertrauen wollte. Das Buch wurde ab der Hälfte für mich zunehmend unglaubwürdiger, die Dialoge und Charaktere konstruierter und nebenbei zu flach. Einige Fragen bleiben ungeklärt - warum lässt sich die Tochter jeden Abend von Aaron am Fluss verprügeln? Sie wehrt sich nicht, sucht sich keine Hilfe, trifft sich aber jeden Tag aufs Neue mit ihm. Für mich unsolide und nicht ganz zu Ende gedacht, warum sie so Abhängig von Aaron ist, ob sie vielleicht sogar erpresst wird. Letztendlich ein Buch mit anfangs guter Grundidee, doch meiner Meinung nach unbefriedigend ausgearbeitet, immer mehr vom Plot abdriftend und mit sehr kitschigem, nicht gänzlich unauserzähltem Ende.

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