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Veröffentlicht am 15.05.2022

Wow wow wow

Von hier bis zum Anfang
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„Ich wünschte nur, es gäbe irgendwas in der Mitte. Denn da leben die Leute. Es muss nicht immer alles oder nichts sein … schwimmen oder untergehen. Die meisten Leute waten durchs Wasser, und das genügt. ...

„Ich wünschte nur, es gäbe irgendwas in der Mitte. Denn da leben die Leute. Es muss nicht immer alles oder nichts sein … schwimmen oder untergehen. Die meisten Leute waten durchs Wasser, und das genügt. Denn wenn du untergehst, dann ziehst du uns mit runter.“ (S.57)

Von hier bis zum Anfang
Chris Whitaker

Wow wow wow, was für ein Buch!
Warum das Buch 1 Jahr auf meinem

SUB

stapelungelesenerbücher lag, kann ich euch erklären: Ich hatte mir vor über einem Jahr eine Leseprobe geladen und kam überhaupt nicht ins Buch hinein. Warum verstehe ich heute selbst nicht, denn der Beginn liest sich flott und gut - wie das ganze Buch.
Ich habe es durchgesuchtet, inhaliert, habe es geträumt und geliebt.

Aber von hier jetzt mal zum Anfang:
Die 13-Jährige Duchess wächst mit ihrem 5 Jahre alten Bruder Robin bei ihrer Mutter in Cape Heaven auf. Ihre Mutter ist selten zu Hause, ist chronisch pleite und öfter betrunken als nüchtern, Väter unbekannt. Duchess obliegt die Aufgabe sich um alles zu kümmern und das macht sie wild entschlossen und zur Not, wenn sich ihr jemand in den Weg stellt, auch mit Fäusten.
Star, ihre Mutter, ist seit ihrer Kindheit traumatisiert. Ihre jüngere Schwester wurde vor 30 Jahren getötet, woraufhin ihr Teenager-Freund, Vincent King, des Mordes an ihrer Schwester zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde und diese in einem Männergefängnis absitzen musste.

Als King 30 Jahre später, am Tage seiner Haftentlassung, von seinem ehemaligen besten Freund, Chief Walker, abgeholt wird, ist nicht jeder darüber glücklich, dass Vincent wieder nach Cape Heaven zieht.

Das ganze Buch wird in zwei Handlungssträngen erzählt, dabei passiert so viel, dass das Buch immer wieder eine neue Wendung nimmt.
Whitaker hat einen eigenen Schreibstil, der perfekt zu dieser Geschichte und den kraftvollen Charakteren passt.

Duchess zu ihrem Grossvater in Montana: „Wenn du mir das alles zeigst, die ganze Schönheit hier, und denkst, dass ich das auch sehe … dann solltest du wissen, das alles verblasst neben dem, was ich vorher gesehen habe. Das Lila da … <<, sie macht eine Handbewegung zu den Heidelbeeren, >> erinnert mich an ihre Rippen, so heftig wurde auf sie eingeprügelt. Das blaue Wasser, das sind ihre Augen, ganz klar, man sieht sofort, dass keine Seele mehr drin wohnt (S.198)

Fazit:
Es ist ein Krimi, eine Tragödie, ein Drama, eine wahnsinnige Geschichte, deren Spannungsbogen früh beginnt und gefühlt nie abschwächt.
Große Leseempfehlung 6 / 5

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Veröffentlicht am 13.05.2022

Leseempfehlung

Viktor
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„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
1939 ...

„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
1939 flohen ihre jüdischen Eltern und Großeltern aus Wien nach Belgien, wo sie sich nach kurzer Zeit erneut vor den Nazis verstecken mussten. Nach dem Krieg emigrierten diese nach Holland.
Schon lange ist ihre ganze Familie katholisch und sie versuchen jegliche Dinge, die sie mit dem Judentum in Verbindung bringen könnten, zu verwischen.
Wann immer Geertje gewisse Themen wie „Religion" oder "Flucht vor den Nazis“ bei ihrer Familie anspricht, verfällt diese ins Schweigen. Nur wenn Geertje mal wieder vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: „Das muss sie von Viktor haben!“
Viktor, so viel hatte sie herausgefunden, war der Bruder ihres Großvaters, ein Betrüger, der ein Lotterleben mit Glücksspiel, Betrügereien, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen führte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen kümmerte.

Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:
- 1994: In diesem Erzählstrang versucht Geertje die Vergangenheit ihrer Familie zu beleuchten, gleichzeitig möchte sie sich zum Judentum bekennen.
- 1914: Wir begleiten die Familie Rosenbaum durch den ersten und zweiten Weltkrieg, wobei Viktor die Hauptperson ist. Er ist das „schwarze Schaf“ der Familie und sein Vater lässt keine Gelegenheit aus, ihm sein Fehlverhalten vorzuhalten.

Viktor ist ein flüssiges und sehr lesenswertes Buch. Unglaublich gut haben mir die Konversationen zwischen Viktor und seinem Vater bzw. Schwester gefallen. Und auch das Leben der Juden in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland, per Volksentscheid (!), war sehr aufschlussreich.
Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten des Buches konnte ich mich schnell einlesen.
Judith Fanto beschreibt hier eindrucksvoll und auf literarisch hohem Niveau ihre Familiengeschichte. Ein weiteres Schicksal der dunkelsten und traurigsten Zeit der deutschen Geschichte.
Leseempfehlung 4 Sterne

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Veröffentlicht am 11.05.2022

Ein wunderbares Buch

Für immer und noch ein bisschen länger
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Da mich weder das Cover noch der Titel ansprachen (Entschuldigung an dieser Stelle an den Ullsteinverlag), konnte ich das Buch

Für immer und noch ein bisschen länger
von
Barbara Leciejewski,
gelesen ...

Da mich weder das Cover noch der Titel ansprachen (Entschuldigung an dieser Stelle an den Ullsteinverlag), konnte ich das Buch

Für immer und noch ein bisschen länger
von
Barbara Leciejewski,
gelesen von Ulrike Kapfer,

ein paar Wochen recht gut ignorieren.
Aber dann sah ich diese vielen positiven Bewertungen und da wurde ich doch neugierig, zumal mich ja gerade zwei andere Liebesromane überzeugen konnten.

Doch dann kam es ganz anders: Für mich war dies gar kein Liebesroman. Ja, okey, die Protagonistin Anna verliebt sich schon in diesem Buch, aber im Vordergrund steht eine ganz andere Geschichte, eine Geschichte aus dem echten Leben, die mitten in der Covid-Zeit spielt.


München 2020:
Anna, Pianistin, hat vor 6 Jahren ihren Verlobten Jeremias bei einem Autounfall verloren. Seitdem lebt sie allein in der großen Altbauwohnung und versucht alle Kontakte mit Freunden und Bekannten zu vermeiden.
Als Anna ihre Wohnung gekündigt wird, ist es keine Option zu ihrem Vater zu ziehen. Dieser hat sich nach dem Tod ihrer Mutter, im Kindbett, nie um sie gekümmert - schlimmer: Er hat sie direkt nach ihrer Geburt zu seinen hartherzigen Eltern gegeben.
In München stehen die Leute für bezahlbare Altbauwohnungen ’Schlange’ und es ist ihr nicht möglich in dieser 3-monatigen Kündigungsfrist eine Wohnung zu finden. Ihre einzige Möglichkeit bleibt ein Zimmer in einer großen Wohnung einer Alten-WG. Ihre Mitbewohner sind alle über 70 Jahre alt, ein wenig schrullig, liebenswert aber mit kleinen Eigenarten.
Als das Virus Deutschland fest im Griff hat, rücken die fünf Mitbewohner zusammen, lernen sich besser kennen, profitieren voneinander und helfen sich gegenseitig wieder ins Leben zu finden.


Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und die Sprecherin des Hörbuches ist wunderbar. Leciejewski hat es ganz wunderbar verstanden ihre kaltherzige Protagonistin Anna in ihrer Geschichte langsam zu verändern - und das komplett ohne Kitsch, sondern mit Gefühl.
Ein ganz liebenswertes Buch, welches ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich musste mir sogar das Hörbuch laden, damit ich keine Minute verpasse.
5 Sterne

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Veröffentlicht am 10.05.2022

Mutiges Buch

Singe ich, tanzen die Berge
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Habe ich euch bereits erzählt, dass ich es mag, wenn es einen roten Faden im Buch gibt?
Deshalb mag ich unter anderen keine Kurzgeschichten, da reißen die Fäden gleich nach dem ersten Kapitel direkt wieder ...

Habe ich euch bereits erzählt, dass ich es mag, wenn es einen roten Faden im Buch gibt?
Deshalb mag ich unter anderen keine Kurzgeschichten, da reißen die Fäden gleich nach dem ersten Kapitel direkt wieder ab.
In diesem kleinen Buch

Singe ich, tanzen die Berge von
Irene Solà

gab es diesen Faden nicht immer. Aber ab und zu tauchte er vor mir auf und ich griff sofort nach ihm. War unendlich glücklich ihn endlich gepackt zu haben, aber dann verschwand er wieder, zum einen, weil der Blitz, die Hexen, der Pilz oder der Hund zu Worte kamen oder die Berge zwischendurch erschaffen wurden.
Anschließend war er wieder da, der rote Faden. Doch die Menschen starben zu schnell, ohne dass ich mehr über diese hätte erfahren können.

Bergbewohner leben in einem Dorf, hier in den Pyrenäen. Der Animismus mit ihren Legenden wird von ihnen gelebt und Flora und Fauna sind ihm gleichgestellt. Aus wechselnden Perspektiven erzählt das Leben vom Bürgerkrieg, der Hexenverfolgung, von der Armut und dem Schicksal.

Irene Solà hat ein anderes, spezielles Buch geschrieben und das in einer wunderbaren, poetischen Sprache. Es ist ein interessantes Buch, ja, ein mutiges Buch, zeitweise zu mutig für meinen Geschmack.
Und ich hätte so gerne mehr erfahren, über diese Bewohner, die der Blitz einfach erschlug oder die von einer Kugel getroffen wurden. Noch bevor ich sie richtig kennenlernen durfte, waren sie alle tot.


Es ist ein Buch, für das man Zeit braucht und auf das man sich einlassen muss, eine Leseempfehlung für diejenigen, die das können.
3½/ 5

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Veröffentlicht am 08.05.2022

Highlight

Das Seelenhaus
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Es gibt Bücher, die Spuren hinterlassen, die in einem etwas bewegen.

Das Seelenhaus
Hannah Kent

Island 1828:
Die 34-Jährige Magd Agnes Magnúsdóttir ist des Mordes an ihrem Dienstherren Natan schuldig ...

Es gibt Bücher, die Spuren hinterlassen, die in einem etwas bewegen.

Das Seelenhaus
Hannah Kent

Island 1828:
Die 34-Jährige Magd Agnes Magnúsdóttir ist des Mordes an ihrem Dienstherren Natan schuldig gesprochen worden. Sie hat ihn brutal und auf hinterlistigster Weise ermordet, besagt das Urteil. Seit Wochen sitzt sie in einem dreckigen und dunklen Verlies und wartet auf ihre Hinrichtung, welche der König erst noch bestätigen muss.
Da sie den Pfarrer ablehnt und einen anderen Priester fordert, beschliesst man sie auf einen ehrbaren Bauernhof zu bringen, wo sie bis zur Vollstreckung ihres Urteils arbeiten soll.
Die Familie des Korsahofes, dessen Gesinde und deren Nachbarn sind außer sich, als sie davon erfahren. Wie kann der Landrat von ihnen verlangen eine Mörderin, ja ein Monster zu beherbergen?
Doch mit der Zeit wächst das gegenseitige Vertrauen, auch zu dem jungen Pfarrvikar Toti, und Agnes beginnt ihre Geschichte zu erzählen, die wahre Geschichte, die wahrscheinlich anders verlaufen wäre, wenn sie sich nicht in ihren Dienstherren verliebt hätte:
„Anschließend hätte ich weinen können. Es war so überaus wirklich. Ich empfand so viel, als dass ich es für das hätte erkennen können, was es war.“ (Seite 252)

Der Debütroman von Hannah Kent konnte mich von Beginn an fesseln. Er wird aus unterschiedlichen Perspektiven in einem wunderbaren Schreibstil erzählt.
Die geschickte Zusammenführung von historischen Personen in einer fiktionalen Geschichte ist der Autorin perfekt gelungen.
Ein beeindruckender und ruhiger Roman, der am Ende trauriger nicht sein könnte.
Highlight und eine große Leseempfehlung
5 / 5

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