Trotz hoher Erwartungen positiv überrascht
Die WaldläuferinDie Waldläuferin ist der Auftakt zur vierteiligen Reihe Wandelblut von Janis Nebel.
Die Geschichte umfasst zwei Erzählperspektiven. Zum einen folgen wir Mitja, einem (unschuldigen) Exsträfling, der eben ...
Die Waldläuferin ist der Auftakt zur vierteiligen Reihe Wandelblut von Janis Nebel.
Die Geschichte umfasst zwei Erzählperspektiven. Zum einen folgen wir Mitja, einem (unschuldigen) Exsträfling, der eben aus den Asren Mienen entlassen wurde und nun in seine Heimat zurückkehrt. Dort muss er sich, gebrandmarkt wie er ist, sowohl seiner Zukunft, wie auch seiner Vergangenheit stellen. Und jenen, die ihn im Stich gelassen haben. Und dann ist da Neri, die Waldläuferin, die im verfallenden Heim ihrer toten Eltern im Wald haust. Flieh!, raten ihr die Flüsterstimmen immer zu. Denn die Menschen sind gefährlich - sie dulden ihre Andersartigkeit nicht. Sie fürchten und verfolgen sie. Und dennoch… Irgendwie muss sie ja überleben. Und vielleicht sind ja auch nicht alle so schlimm? Des Weiteren beleuchtet “Die Waldläuferin” zwei Zeitebenen - die Gegenwart und die Vergangenheit, vornehmlich die Ereignisse von vor sieben Jahren. Jene Ereignisse, welche die Geschichte dieser zwei Protagonisten eng verbindet.
Als Leser:in erkennt man schon früh, wie diese beiden Schicksale zusammenhängen. Man hat den Figuren dieses Wissen lange voraus. Und der grosse Plottwist bleibt damit aus. Verschenkte Gelegenheit? Mitnichten! Trotzdem - oder gerade deshalb - wohnt der Geschichte eine beinahe magische Spannung inne, während immer neue Aspekte, Hintergründe und Gedanken dieses für die Leser:innen bekannten Szenario enthüllt werden. “Die Waldläuferin” lebt nicht durch actiongeladene Spannung und laute Effekte, sondern durch die Tiefe und Vielschichtigkeit der Hauptfiguren, deren persönliche Reise, Erfahrungen und Entwicklungen. Ein bisschen Action ist aber auch dabei ;)
Die grösste Stärke des Buches liegt dann eben auch in den Charakteren, die schon fast erschreckend authentisch wirken. Selbst die Nebencharaktere und natürlich der Antagonist dürfen sich dessen rühmen. In beiden Perspektiven ist deutlich eine individuelle Stimme lesbar, die individuelle Art von Mitja und Neri zu denken, ihre Weltsicht entstanden durch ihre Erfahrungen und Prägungen. Diese persönliche Geschichte wiederum spiegelt sich in ihren Handlungen und Entscheidungen wider.
Die Geschichte, so sehr in den Charakteren verwurzelt, wirkt entsprechend sehr organisch, aus diesen Charakteren erwachsen und entsprechend lebendig. Zu diesem Eindruck trägt auch das Worldbuilding bei. Wir befinden uns in einer mittelalterlich anmutenden Welt, die aber ohne die üblichen, ausgetretenen Klischees auskommt und einen ganz eigenen Weg geht. Diese Welt ist detailreich, ohne überladen zu wirken und wird durch die Handlung lebendig und erfahrbar. Organisch eben - die Fassade bröckelt zu keiner Zeit.
Das Ende dann lässt Fragen offen, ohne das Buch unvollendet wirken zu lassen. Und auch aus dem Epilog entspringt noch einmal Tiefe - Tiefe für die Geschichte und Tiefe für den Antagonisten. Die Neugier auf den zweiten Band ist gross! Und ich freue mich darauf, bald wieder in diese atmosphärische, leise Geschichte einzutauchen, die mit so viel Tiefe und Gefühl geschrieben wurde. Und ganz ohne Kitsch auskommt.