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Veröffentlicht am 21.05.2024

Langweilig und überladen

A Tempest of Tea
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“A Tempest of Tea" ist der erste Band einer Dilogie von Hafsah Faizal. Das Hörbuch wurde von Der Audio Verlag produziert und von Robert Frank gesprochen.

In White Roaring, der Hauptstadt der Kolonialmacht, ...

“A Tempest of Tea" ist der erste Band einer Dilogie von Hafsah Faizal. Das Hörbuch wurde von Der Audio Verlag produziert und von Robert Frank gesprochen.

In White Roaring, der Hauptstadt der Kolonialmacht, betreibt die junge Immigrantin Arthie mit ihrem Wahlbruder Jin das Spindrift - Teehaus bei Tag, Bluthaus bei Nacht - und tanzt damit dem geheimnisvollen Widder auf der Nase herum. Als es diesem geliebten Stück selbst erschaffener Heimat an den Kragen gehen soll, sieht Arthie sich genötigt, einen waghalsigen Coup zu wagen, der ihr angeboten wird. Aber ihre Crewmitglieder haben alle eine eigene Agenda. Und im Schatten warten noch mehr dunkle Geheimnisse.

Mich hatte ja das düstere Setting und die Aussicht auf einen ausgeklügelten Heist dazu verlockt, dieses (Hör)buch anzugehen. Und gerade das Worldbuilding war auch das, was mich schlussendlich am meisten abgeholt hat. Ja, es gibt einige ziemlich offensichtliche Anlehnungen an unsere echte Welt - und einige schon fast dreiste Wortentlehnungen. Trotzdem hat mir die Atmosphäre grundsätzlich gefallen. Vor allem die soziale Ordnung, besonders bezogen auf die Integration von Vampiren ins Gefüge, fand ich interessant. Ausserdem entstand der Eindruck, dass diese Welt Tiefe und Hintergrund hat, auch wenn die Geschichte nicht alles erkundet.
In der Leseprobe haben mich ausserdem die vorgestellten Charaktere Arthie und Jin angesprochen, die gleich in Action gezeigt haben, wer sie sind. Leider ist es dann dabei geblieben. Es wird zwar viel über die verschiedenen Charakterzüge und Fähigkeiten der Crewmitglieder erzählt - leider bleiben sie alle den Beweis durch Handlung schuldig. Und so ist diese vielversprechende Welt von leblosen Stereotypen bevölkert. Dazu kommt, dass die Handlung so gar nicht in die Gänge kommt. Geistloses Geplänkel, gewürzt mit überschäumenden Teeniehormonen und unterbrochen von ausschweifenden Rückblenden dominieren die erste Hälfte des Buches. Und als dann nach über einem Drittel doch mal etwas geht, bleiben die Figuren in ihren Handlungen meilenweit hinter den postulierten Fähigkeiten zurück. Auch der Heist war eine grosse Enttäuschung - weder besonders ausgeklügelt, noch irgendwie überraschend, basiert er vor allem auf der Annahme puren Glücks - ja, bereits in der Planung. Im letzten Drittel gibt es zwar einige Überraschungen und Wendungen, sie wirken auf mich aber künstlich und überladen die Geschichte schlussendlich.

Etwas zwiegespalten stehe ich dem Sprecher gegenüber. Grundsätzlich bewundere ich das Talent und Können des Sprechers: Seine Interpretation ist abwechslungsreich - jede Figur hat einen eigenen Ton - und mitreissend. Allerdings haben mir nicht alle Figurenstimmen gut gefallen und haben in einigen Fällen meine Antipathie noch verstärkt. Die hohe Varietät hat ausserdem mein Gefühl von “überladen” noch verstärkt.

Die Struktur, der Plot, der Weltenbau, die Figuren - die ganze Geschichte - sind für mich zu eklektisch und zufällig, die Logik vor allem nicht zwingend genug und wirkt daher erzwungen. Ich fand “A Tempest of Tea” sehr anstrengend, über lange Strecken langweilig und nicht überzeugend schlüssig. Da konnten dann auch die mitunter wirkungsvollen und ansprechenden Sprachbilder nichts mehr reissen.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Die Geister der Vergangenheit

Vor einem großen Walde
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“Vor einem grossen Walde” ist das Erstlingswerk von Leo Vardiashvili, wurde von Wiebke Kuhn übersetzt und ist bei claassen erschienen. Vielen Dank an den Verlag und das Team von Vorablesen für das Rezensionsexemplar. ...

“Vor einem grossen Walde” ist das Erstlingswerk von Leo Vardiashvili, wurde von Wiebke Kuhn übersetzt und ist bei claassen erschienen. Vielen Dank an den Verlag und das Team von Vorablesen für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt natürlich trotzdem meine eigene!

Wie der Autor selbst ist die Hauptperson dieses Romans in Tbilissi geboren. Saba floh mit seinem älteren Bruder Sandro und ihrem Vater Irakli aus dem Bürgerkrieg, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunionen in Georgien ausbrach. Zurücklassen mussten sie ihre Mutter Eka. Nach deren Tod kehrt auch Irakli in die alte Heimat zurück - und verschwindet. Und auch Sandro, der nach dem Vater suchte, meldet sich plötzlich nicht mehr. Nun ist es an Saba, der Brotkrumenspur seines Bruders zu folgen. Doch in Georgien warten nicht nur “diese Leute”, sondern auch die Geister der Vergangenheit.

Zu Anfang ist es vor allem ein nüchterner, etwas trockener Humor, der den Leser:innen den Einstieg in eine fremde und durchaus etwas absurde Welt erleichtert. Vielleicht sind es aber auch gerade diese absurden Elemente, die das Eintauchen in die Tragik eines Landes handhabbar machen, das über Generationen unter fremder Besatzung gelitten hat. Und Sabas nüchterner, fast etwas weggetretener Blick auf seinen eigenen Irrsinn und die Vergangenheit schafft auch die nötige Distanz, um in der Brutalität der vorgestellten Lebenswirklichkeiten nicht unterzugehen. Es sind aber definitiv die Menschen - diese eigenwilligen, charakteristischen und vielschichtigen Figuren - die diesem Werk schon fast echtes Leben einhauchen.

Vardiashvili beeindruckt in seinem Debüt durch meisterhaften Umgang mit Sprache und dem Talent des Geschichtenerzählers. Realität und märchenhafte Fiktion kommen sich hier sehr nahe und verweben sich zu einer berührenden und mitreissenden Erzählung über Heimat, Verlust und Hoffnung.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Weckruf ohne Vision

Heult leise, Habibis
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“Heult leise, Habibis” ist der provokative Titel des neuesten Werkes der Autorin und Journalistin Sineb El Masrar. Wie der Untertitel verlauten lässt, handelt es sich hierbei um ein Aufklärungswerk, dessen ...

“Heult leise, Habibis” ist der provokative Titel des neuesten Werkes der Autorin und Journalistin Sineb El Masrar. Wie der Untertitel verlauten lässt, handelt es sich hierbei um ein Aufklärungswerk, dessen Anliegen es ist, aufzuzeigen “wie Ignoranz und Dauerempörung unsere Gesellschaft spalten”. Erschienen ist das Buch bei Eichborn - vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt natürlich trotzdem meine eigene.

El Masrar konzipiert dieses Buch einerseits als eine Einladung an eben jene ignoranten Dauerempörten, sich der Folgen ihres Handelns bewusst zu werden. Dabei richtet sie sich nicht nur an böswillige Demagogen, sondern an alle extrovertierten Polemiker. Auch an jene, die glauben, für die sogenannt Gute Sache zu kämpfen. Dabei gelingt es ihr aufzuzeigen, wie unsachliches und voreiliges Gezeter die öffentliche Diskussion immer mehr zu einer Unkultur verkommen lässt und schlussendlich unsere Demokratien gefährdet. Andererseits ruft die Autorin jene, die sie als “vernünftige Stille” bezeichnet, auf, dieser grassierenden Unkultur entgegen zu treten und sich öffentlich wie privat sachlich und überlegt zu Wort zu melden.

Im ersten Teil des Buches ist es der Autorin durchaus gelungen, mich mit ihren faktengestützten Beobachtungen der (Sozialen) Medienlandschaft zu überzeugen. Es gelingt ihr nicht nur, gesellschaftliche Dynamiken schlüssig zu erklären und die Folgen der beklagten Diskussions(un)kultur herzuleiten, sondern auch aufzuzeigen, wie massenpsychologische Phänomene von Interessengruppen instrumentalisiert werden. In der zweiten Hälfte des Buches soll dann Tacheles gesprochen werden. Und entsprechend vehement nehmen sich dann auch der Schreibstil und die Argumentation aus. El Masrar stellt weiterhin zwar interessante Thesen auf, die aber zunehmend wissenschaftlicher Grundlagen entbehren. Immer öfter werden zwar stichhaltige Einzelfälle auf unzulässige Weise generalisiert und zu für mich fragwürdigen Implikationen weiter gesponnen. Hier scheint die Autorin auf eben jene Polemik und jenen absoluten Wahrheitsanspruch zurückzugreifen, die sie vorgängig so scharf zu kritisieren beliebt. Diese Tendenz, mit gleichen Waffen zurückzuschlagen, löste bei mir dann doch einiges an Stirnrunzeln und Vorbehalten aus.

Ich kann “Heult leise, Habibis” als Weckruf verstehen und als Aufruf an das Individuum. Das scheint mir einerseits legitim, da wir als Teil der Gesellschaft auch einen Teil der Verantwortung für unsere Kultur und Demokratie tragen. Allerdings lässt die Autorin das aufgerüttelte Individuum anschliessend mit der durch das Buch erweckten Empörung etwas hilflos im Regen stehen. Denn konkrete Vorschläge oder auch nur Beispiele, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden könnte, sucht man hier vergeblich. Ganz unbeachtet bleiben auch strukturelle Bedingungen, die überhaupt erst Nährboden für die herrschende Unkultur bilden. Und entsprechend auch Visionen, wie auf struktureller Ebene Veränderung angestossen werden könnten, damit eine Veränderung der Diskussionskultur zu einem demokratischen Gemeinschaftsprojekt werden könnte.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Bleib menschlich

Wir waren nur Mädchen
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“Wir waren nur Mädchen” ist das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin Buzzy Jackson und wurde von Christine Strüh ins Deutsche übersetzt. Gesprochen wurde das Hörbuch von Ann-Kathrin Hinz, produziert ...

“Wir waren nur Mädchen” ist das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin Buzzy Jackson und wurde von Christine Strüh ins Deutsche übersetzt. Gesprochen wurde das Hörbuch von Ann-Kathrin Hinz, produziert von aufbau audio. Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar! Meine Meinung bleibt natürlich trotzdem meine eigene.

“Wir waren nur Mädchen” ist eine belletristische Interpretation der historischen Figur Hannie Schaft. “Das Mädchen mit den roten Haaren” brach während der Besatzung Hollands durch die deutschen Nazis ihr Jurastudium ab, versteckte ihre jüdischen Freundinnen und schloss sich dem bewaffneten Widerstand an. Der Roman basiert auf - soweit ich das beurteilen kann - gut recherchierten historischen Eckdaten und liefert in einem ausführlichen und bewegenden Nachwort ergänzende Fakten und Hintergründe. Da wir es hier nicht mit einer Biografie zu tun haben, greift die Autorin aber auch auf dichterische Freiheiten und passende dramaturgische Stilmittel zurück, lässt Ereignisse aus, deutet nur an und setzt ihren eigenen Fokus. Die Leser:innen erleben Hannis Geschichte aus ihrer (Ich-)Perspektive und ich fühlte mich über lange Strecken in einer typischen Young Adult Dystopie. Nur dass ich es hier nicht mit einer fernen Zukunft, sondern einer schauderhaften historischen Realität zu tun hatte. Und die ging unter die Haut, während die Geschichte ihren fürchterlichen Lauf nahm.

Die Autorin schaffte es, mir eindringlich, mitreissend, nachvollziehbar und berührend das Schicksal einer normalen jungen Frau zu erzählen, die durch die Umstände ihrer Zeit zu einer Volksheldin wurde.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Eine choreografierte Botschaft

Der Spiegelorden
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“Der Spiegelorden” ist ein Einzelband von Andi Bottlinger, erschienen bei Calderan. Vielen Dank an den Verlag und den Autor für das Rezensionsexemplar! Meine Meinung bleibt natürlich trotzdem meine eigene.

Die ...

“Der Spiegelorden” ist ein Einzelband von Andi Bottlinger, erschienen bei Calderan. Vielen Dank an den Verlag und den Autor für das Rezensionsexemplar! Meine Meinung bleibt natürlich trotzdem meine eigene.

Die Geschichte beginnt mitten im Geschehen: Eine Stadt wird erobert, die Verstärkung rückt an… und kommt zu spät. Und eine Flucht beginnt. Aus den Perspektiven von Darien und Bjoron verfolgen die Leser:innen, wie das ungleiche Paar aus Tief- und Hochländer Nauri, die sechsjährige Hoffnung Geriens, vor dem Feind zu beschützen suchen. Denn sie ist, einer alten Legende nach, eine wiedergeborene Magierin, die das Land zu schützen gelobt hat. Aus der Perspektive Berindas, der in Gefangenschaft ausharrenden Königin und Redals, eines Veteranen der Garde, wird ein Blick auf die brutale Herrschaft des Eroberers Arandes und seines Spiegelordens gewährt.
Zu Anfang konnte mich das Buch durchaus fesseln - weil die Dynamik irgendwie neu und die Kontraste der gebotenen Perspektiven vielversprechend waren. Aber obwohl sich die Ereignisse weiterhin überstürzten, wollte bei mir im Weiteren nicht so wirklich Spannung aufkommen. Das Gezänk der beiden Beschützer wurde alsbald sowohl zunehmend langweilig als auch vorhersehbar. Allgemein hielt das Buch vielerlei kleinere und grössere Klischees bereit, sowohl inhaltlich (Konflikt zwischen Gut und Böse) als auch in Form abgenutzter Sprachbilder. Für ein Buch, das verspricht, das Trope des “Choosen one” zu twisten, doch sehr enttäuschend. Durch dieses Versprechen wurde ausserdem relativ viel der Gesamtspannung schon vorweg abgebaut. Für geübte Leser:innen hält das Buch leider wenig Überraschungen bereit. Die vier Perspektiven bieten zudem keine Abwechslung: Sie sind alle in derselben Erzählstimme geschrieben, wenig charakteristisch und verharren in sich gleichenden Denkmustern. Und so bleiben auch die vier Perspektivfiguren trotz philosophisch grundsätzlich ansprechender Gespräche irgendwie generisch und wenig lebendig.
Das Buch fällt ausserdem durch eine unangenehme Häufung von Kommafehlern und anderweitigen Typos auf. Und obwohl ich davon teilweise im Lesefluss gestört wurde, scheinen sie mir dennoch verzeihbar. Viel peinlicher sind aber die durchs ganze Buch verteilten Spuren einer grösseren inhaltlichen Überarbeitungen, die dem Lektorat entgangen sind. Da dies aber weder dem Autor noch der Geschichte an sich anzulasten ist, mag ich dafür keine Sterne abziehen und belasse es bei der Erwähnung hier.

Die Motivation, das Buch in die Hand zu nehmen, kam vorwiegend durch die Teilnahme an der Leserunde. Im Allgemeinen kann ich aber sagen, dass das Lesen, trotz der hier aufgeführten Mängel, flott ging, wenn ich mal dran war. Das lag sicher einerseits am Schreibstil, der sich, obwohl kein sprachliches Highlight für mich, doch wenigstens flüssig lesen lässt. Der Plot ist ausserdem taktisch geschickt choreografiert, wenn auch für mich nicht zum Leben erwacht. Die Botschaft, die der Autor in seinem Werk transportiert, sagt mir grundsätzlich zu. Allerdings verlief dieser Transport für mich etwas zu plump und damit schlussendlich zu schulmeisterhaft. Der Plot wirkt auf mich dann eben entsprechend zu Gunsten des Themas konstruiert, anstatt sich organisch aus diesem und den Personen zu entwickeln.

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