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Lust_auf_literatur

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.08.2023

Emotional, wertvoll und empfehlenswert!

Kontur eines Lebens
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Nach dem Beenden des Romans durfte ich den beigelegten, geheimnisvollen Brief lesen. Er war vom Autor Jaap Robben selbst und sehr bewegend. Darin schreibt er über die Enstehungsgeschichte des Romans und ...

Nach dem Beenden des Romans durfte ich den beigelegten, geheimnisvollen Brief lesen. Er war vom Autor Jaap Robben selbst und sehr bewegend. Darin schreibt er über die Enstehungsgeschichte des Romans und die real zu Grunde liegenden Hintergründe und Menschen.
Seine Protagonistin Fieda Tendeloo ist fiktional und steht stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation, nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in seinen Nachbarländern.

Frieda ist heute 81 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim, da sie seit dem kürzlichen Tod ihres Mannes nicht mehr alleine leben kann. Ihr einziger Sohn, der selbst kurz davor steht das erste Mal Vater zu werden, ist einer ihrer wenigen verbliebenen Sozialkontakte. Frieda ist keine rüstige thoughe alte Dame, wie ich sie aus anderen Romanen kenne. Robben beschreibt sehr einfühlsam aus Friedas Sicht, wie es sich anfühlt, selbst bei intimsten Verrichtungen auf bezahlte Hilfe angewiesen zu sein und wie sie immer mehr die Kontrolle über sich selbst und ihr Leben verliert.
Aber ich lerne auch eine ganze andere Frieda kennen, eine ganz junge Frieda, voller Träume, Liebe und Hoffnungen. Es ist die Frieda der Vergangenheit, der, trotz der geschlechtervorgegeben Bergrenzungen der damaligen Zeit, viele Wege offen stehen.
Bis sie sich in einen verheirateten Mann verliebt, mit ihm eine Affäre beginnt und ungeplant und ungewollt schwanger wird…

Ich finde die Passagen aus dem Heute sehr gelungen. Die unausgesprochenen Themen zwischen Mutter und Sohn, die langsam an die Oberfläche drängen, fangen einen ganzen Generationenkonflikt ein.
In den Erzählsträngen aus der Vergangenheit thematisiert Robben unter anderem die strengen gesellschaftlichen Konventionen denen v.a. Frauen unterworfen waren. Mir als glücklich unverheiratetes Elternteil macht das deutlich wie viel sich seither geändert hat.
Die Eingangs erwähnte Universalität seiner Figuren macht den Roman zu einem Spiegel dieser Zeit. Diese Universalität lässt den Figuren auf der anderen Seite für mich zu wenig Raum für Indiviualität. Sie wirken manchmal wie Spielbälle ihrer Zeit und ihres Schicksals und dadurch sehr determiniert. Das wirft die Frage auf, wie frei wir (auch heute) wirklich in unseren Handlungen sind oder doch durch die Umstände und unser Umfeld gezwungen sind.
Spannend finde ich die Frage, wie und ob trotz tragischer Vergangenheit ein glückliches, gutes Leben möglich ist und welche Rolle Schweigen und Verdrängung in diesem Kontext spielt.
Der Erzählstil ist konventionell und hält trotz der am Ende etwas zu gewollt erzeugten Suspense wenig Überraschungen bereit. Das kann je nach persönlichen Vorlieben als angenehm zu lesen oder als vorhersehbar aufgefasst werden.

Unabhängig davon erzählt Robben mit Friedas wertvoller Geschichte entlang der Kontur eines Lebens und schafft dabei einen sehr lesenswerten und zu Herze gehenden Roman.

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Veröffentlicht am 14.08.2023

Rasanter Roman mit Knalleffekt

Männer töten
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„Würden Sie sagen, dass es hier anders zugeht als im Rest von Österreich?“

„In Engelhartskirchen gibt es keine Fälle von häuslicher Gewalt. Keine Sexualdelikte. Keine Frauenmorde.“

Ja, diesem kleinen ...

„Würden Sie sagen, dass es hier anders zugeht als im Rest von Österreich?“

„In Engelhartskirchen gibt es keine Fälle von häuslicher Gewalt. Keine Sexualdelikte. Keine Frauenmorde.“

Ja, diesem kleinen österreichischen Provinzkaff Engelhartskirchen ist alles ein klein wenig anders.
Das merkt auch Anna Maria, als sie aus der Hauptstadt Wien mit ihrem Neu-Lover Hannes spontan in dessen Heimatdorf zieht.
Der Musikgeschmack ist hier retro, das Essen auch und Sonntags geht es in die (katholische) Kirche.
So weit, so das Landliebe Klischee.
Nur, warum gibt es so viele glückliche Witwen und so viele ungewöhnliche Todesfälle unter der männlichen Bevölkerung?
Die Großstädterin Anna Maria und ich als Leser*in kommen ziemlich schnell auf die Lösung des Mysteriums, schließlich lautet der doppeldeutige Buchtitel „Männer töten“.

Diese Kurzbeschreibung verspricht eine spannende Geschichte und die wahnsinns Cover- und Buchgestaltung hat meine Erwartungshaltung ziemlich hoch geschraubt. So ganz kann der Roman meinen hohen Erwartungen nicht entsprechen.
Der Plot schlingert wild, ändert seine Stimmungslage von lustig-makaber zu ernsthaft-betroffen. Das mag die erwähnte Popkultur-Poesie vom Klappentext sein, bleibt mir persönlich aber zu redundant. Der Roman lässt sich äußerst locker und schnell weglesen, aber mir mangelt es an inhaltlicher Verbindlichkeit. Viele Aspekte werden angerissen, aber letztendlich nicht weiter verfolgt.
Leider zu guter Letzt auch nicht die eigentliche Handlung, was generell bei Romanen für mich kein Muss ist, mich hier aber nicht überzeugen kann.

Männliche Gewalt, Vergewaltigungen und Frauenmorde. Männer, die bestärkt vom Patriarchat glauben, das Vorrecht und die Deutungshohheit über weibliche Körper und Lebenswege zu haben.
Das sind für mich sehr, sehr wichtige gesellschaftliche Themen, die immer noch viel zu wenig in Literatur und in der öffentlichen Diskussion aufgegriffen werden.
Alleine deswegen feiere ich Reisingers modernen und rasanten Roman, auch wenn er mich in seiner Ausarbeitung nicht wirklich überzeugen konnte. Ich denke, er wird auf jeden Fall sein Publikum finden.

Und bei einer Verfilmung werdet ihr mich sicher im Kinosaal wiederfinden.

Side fact: auf Spotify gibts die passende, gleichnamige Playlist

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Veröffentlicht am 09.08.2023

Unterhaltsam und anspruchsvoll

Der Zauberer vom Cobenzl
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Obwohl Bettina Balàka mit „Der Zauberer vom Cobenzl“ ihr 21. (!) Buch veröffentlicht, ist es (soweit ich mich erinnere) mein erster Roman dieser preisgekrönten österreichischen Schriftstellerin.
Es wird ...

Obwohl Bettina Balàka mit „Der Zauberer vom Cobenzl“ ihr 21. (!) Buch veröffentlicht, ist es (soweit ich mich erinnere) mein erster Roman dieser preisgekrönten österreichischen Schriftstellerin.
Es wird aber nicht mein letzter bleiben, denn dieser feinsinnige historische Roman hat mir ziemlich gut gefallen!

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Europa in Aufbruchsstimmung. Erfindungen und Entdeckungen werden gemacht, und die westliche Menschheit wähnt sich kurz vor den Enthüllung der letzten Geheimnisse des Universums.
Neue Wissenschaften sollen alten Aberglauben ersetzen und neue Techniken das Leben erleichtern anstatt der Religion. Aus dieser Zeit lässt Balàka ihre Ich-Erzählerin Hermine aus ihrem Leben und aus weiblichen Blickwinkel berichten.
Sie und ihre Schwester Ottone wachsen nach dem frühen und qualvollen Tod ihrer Mutter bei ihrem Vater auf. Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach ist ein typisches Kind seiner Zeit und wird Zeit seines Lebens auf der Suche nach einem Beweis für die Existenz von „Od“ [Alles in der gesamten Natur druchdringendes Dynamid] sein.

Auch Balàkas Erzählerin brennt leidenschaftlich für die Naturwissenschaften und hilft ihrem Vater bei ihren Forschungen. Doch wie kann eine Frau zu dieser Zeit, in der die Gesellschaft einen anderen Platz für Frauen vorsieht, in diesem Feld eigenständig bestehen?

„Ich war ein seltsames Tier, ein Fabelwesen, eine Chimäre. Es machte mich stolz und einsam zugleich.“

Dieser Roman bietet mir auf vielen Ebenen Zugangsmöglichkeiten. Balàka beleuchtet nicht nur das Verhältnis Mensch und Wissenschaft sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Vater und den Töchtern und das Band der Schwestern untereinander.
Besonders gefiel mir das Gefühl sehr authentisch in eine ganz andere Zeit und eine andere Gedankenwelt einzutauchen.

Unterhaltsam und anspruchsvoll zugleich, ein toller literarischer und historischer Roman!

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Veröffentlicht am 09.08.2023

Literarisch interessant, inhaltlich etwas unverbindlich

Belohnungssystem
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Du liest diesen Beitrag vermutlich auf deinem Smartphone. Bist du viel online? Würdest du sagen, du hast deinen digitalen Konsum im Griff?
Wie überschneiden sich deine virtuellen und analogen Verbindungen ...

Du liest diesen Beitrag vermutlich auf deinem Smartphone. Bist du viel online? Würdest du sagen, du hast deinen digitalen Konsum im Griff?
Wie überschneiden sich deine virtuellen und analogen Verbindungen und Beziehungen?

Nicht nur bei mir sind diese Fragen mittlerweile Bestandteil und tägliche Überlegungen meines Leben geworden, sondern unser ganzes Zeitalter und unser Zusammenleben ist geprägt von Digitalisierung und Algorythmen.
Jem Calder hat diese Themen zum Inhalt seines ersten und bereits viel gelobten Romans gemacht.

Allein der Roman selbst spiegelt in seiner Form schon die Hyperkonnektivität (das Wort ist dem Klappentext entnommen) unserer Zeit wieder. Der Aufbau ist durchbrochen und erinnert mit seinen unabhängigen Einschüben an Kurzgeschichten. Es ist ein roter Faden erkennbar, ich sehe die bekannten Figuren im nächsten Kapitel plötzlich als Nebenfigur aus einer ganz anderen Perspektive.

Bestimmt der Kontext, wie ich von andern gesehen werden? Habe ich digital mehr Einfluß auf meine Außenwirkung?

Der britische Autor Jem Calder analysiert in seinem Text viele Aspekte, die mich im Zusammenhang mit digitalen Medien beschäfftigen. Besonders mochte ich den Abschnitt über die beiden User*innen beim Onlinedating.

„Mehrmals ging sie in Gedanken ihre Gesamtstrategie durch, die darin bestand, dem User eine hübsche, übertrieben unbeschwerte Light-Version von sich zu präsentieren; ein menschenförmiges Set attraktiver Gesten und Reaktionen, dessen Umriss sie dann später, nach und nach, mit Elementen ihrer wirklichen Persönlichkeit befüllen könnte.“

Ich fand, hier arbeitet Calder das, was ich als sein Hauptthema zu erkennen glaube, am deutlichsten heraus.
Diesen Widerspruch, dass ich online zwar schneller mit anderen Menschen in Kontakt treten kann, die Verbindungen aber letztendlich oft beliebig und unverbindlich bleiben. Ich sehe eine große Einsamkeit seiner Figuren und einen großen Wunsch nach wahrer und tiefgehender Verbindung.
Sie sind alle connected aber doch isoliert.

Ich bin gerne in diesen Roman eingetaucht und habe mich an Calders facettenreicher Erzählform erfreut. Dennoch, in einigen Abschnitten ist der Funke bei mir nicht übergesprungen. Calders Roman selbst bleibt mir zu unverbindlich, oder besser: Emotional nicht verfügbar.
Auch wenn mein eigenes Leben immens von der digitalen Welt beeinflusst wird, stehe ich doch an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben, an dem viele der von Calders aufgegriffenen Aspekte (noch) nicht (mehr) im Vordergrund stehen.

Wäre der Roman vielleicht für dich ein Match?

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Veröffentlicht am 04.08.2023

Vielfältige und lesenswerte Kurzgeschichtensammlung

Kleine Kratzer
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Lest ihr gerne Kurzgeschichten?
Ich muss sagen, ich greife nur in Ausnahmefällen zu dieser Form. Oft sind sie mir zu intensiv, zu stark verdichtet, zu hart in ihrer Pointe.
Als ich in der Herbstvorschau ...

Lest ihr gerne Kurzgeschichten?
Ich muss sagen, ich greife nur in Ausnahmefällen zu dieser Form. Oft sind sie mir zu intensiv, zu stark verdichtet, zu hart in ihrer Pointe.
Als ich in der Herbstvorschau des Kjona Verlag diese Sammlung von Kurzgeschichten sah, wusste ich, es ist Zeit für eine solche Ausnahme.

Denn in diesen Kurzgeschichte stehen ausnahmslos Menschen im Mittelpunkt, die sonst viel zu oft unsichtbar und unbeachtet bleiben: alte Heldinnnen. Die Autorin selbst ist eine von ihnen, den diese Sammlung ist ihr Debüt, das sie als über 80-Jährige veröffentlichte.

In diesen 13 Kurzgeschichten behandelt Campbell eine unglaubliche Vielfalt an Themen. Einige Themen sind direkt an das Alter geknüpft, mehr jedoch an das Menschsein an sich, das mit dem älter werden nicht endet.

Der Tod spielt in vielen Geschichten eine naheliegende und große Rolle, doch auch das Leben hat seinen Platz. Es wird begehrt, es wird geliebt, es wird gehasst, es wird gelitten und verziehen.

Ein wiederkehrendes Thema bei Campbell sind im Rückblick auf das Leben die verpassten Möglichkeiten („Lamia“, „Lacrimae Rerum“), die Reuegefühle und der Umgang damit. Doch nicht alle Figuren finden Frieden.

Mich begeistert vor allem die Vielfalt, nicht nur im Inhalt, sondern auch stilistisch und in der Tonart.

Manche Geschichten wiegen schwer, andere triefen vor abgründigem Humor, manchmal übt Campbell scharfe Gesellschaftskritik, manchmal will sie einfach nur unterhalten.
Ich habe unter den Geschichten natürlich auch meine Lieblinge, die mir besonders gefallen haben.
Besonders hervorheben möchte ich hier „Der Kiskadee“, eine stilistisch wie inhaltlich unglaublich starke und intensive Missbrauchsgeschichte, die ganz klassisch gearbeitet ist und mir sehr gut gefallen hat.

Ziemlich versöhnlich ist die letzte Geschichte “Vom Allein sein”, und es ist gut, dass die Sammlung mit dieser Geschichte endet, denn sie ist hoffnungsvoll und voller Liebe.

Wenn ihr nach besonderen Kurzgeschichten sucht, findet ihr hier einen tollen, diversen kleinen Band, mit Geschichten und Heldinnen, die es wert sind, entdeckt zu werden und die mich sehr gut unterhalten haben.

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