Temporeicher Racheroman, der feministischer hätte sein können
Der doppeldeutige Titel ist großartig gewählt und ich mochte auch die Grundidee. Schon vorweg möchte ich aber anmerken, dass hier das auf dem Klappentext versprochene Matriarchat meiner Meinung nach zu ...
Der doppeldeutige Titel ist großartig gewählt und ich mochte auch die Grundidee. Schon vorweg möchte ich aber anmerken, dass hier das auf dem Klappentext versprochene Matriarchat meiner Meinung nach zu kurz gedacht ist. Das ist sicherlich eine Definitionssache, aber für mich bedeutet ein solches System vorrangig Gleichberechtigung und Solidarität - nicht die Umkehrung des Patriarchats.
Wenn ich das mal beiseite lasse, haben mir Schreibstil und Tempo des Romans extrem gut gefallen. Ich habe ihn fast in einem Rutsch durchgelesen, weil er aufgrund der nüchternen Sprache mit kurzen Sätzen einfach auch leicht zu inhalieren ist. Nachteil einer solchen Sprache ist natürlich, dass es hier emotional weniger nahbar wird - auch, weil die dritte Person als Perspektive gewählt wurde. Oft stört mich das, aber hier irgendwie nicht. Vielleicht, weil es sowieso schon harter Stoff ist, der gleichzeitig durch die Männermorde ins Absurde gedreht wird. Zusätzliche Emotionen hätten mich an der Stelle wohl eher überfrachtet.
Die Figuren gehen mit den Geschichten im Ort, den eigenen Taten und den „verschwundenen“ Männern auf eine schwarzhumorige Art um, die mir gut gefallen hat. Das konnte die schweren Passagen rund um 6ualisierte und häusliche Gewalt doch hinreichend auflockern. Die Charaktere fand ich interessant, wenn auch nicht sonderlich vielschichtig, und überwiegend angenehm in ihrem Umgang untereinander. Die Autorin bringt zudem immer wieder die ernüchternde Realität rund um Femizide und Täterschutz zur Sprache, auch eine grundlegende Gesellschaftskritik in Bezug auf menschenfeindliche Ideologien blitzt am Rande auf.
Nicht gefallen hat mir die Romantisierung der Tierhaltung auf dem Land. Wenn Tiere ermordet und ausgebeutet werden, ist es moralisch reichlich egal, ob sie dann wenigstens viel Platz und frische Luft hatten. Auch der völlig normalisierte Alkoholkonsum nervt mich doch immer wieder auf’s Neue. Und schließlich fand ich das Ende ziemlich unbefriedigend. Leerstellen wurden auch schon vorher wiederholt gelassen, doch konnte ich sie da noch gut füllen. Vielleicht soll der Schluss den Kontrollverlust darstellen, aber gefallen hat er mir dennoch nicht.
Weil ich den Roman aber thematisch spannend und schriftstellerisch schlicht mitreißend fand, empfehle ich ihn gern. Er wagt den Versuch, grundlegend gewaltvolle Strukturen zu dekonstruieren und gibt dabei nur ansatzweise Emotionen vor. Mittels der Umkehrung kommt mensch nicht umhin zu fragen, wie Hunderte von (versuchten) Femiziden pro Jahr gesellschaftlich als Einzelfälle normalisiert werden können. Es lohnt sich sicherlich, ein kritisches Auge beim Lesen zu bewahren und das Gelesene logischerweise nicht als Utopie zu verstehen, aber abstrahiert steckt doch auch viel Gutes in diesem Buch.
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[TW: Vergew@ltigung, physische/patriarchale Gewalt, M0rd]