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Lust_auf_literatur

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Veröffentlicht am 18.07.2023

Traurig und humorvoll zugleich

Die Dauer der Liebe
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Konrad ist tot. Ganz spontan gestorben. Zusammengebrochen auf einem Parklatz. Herzinfarkt. Renata und Konrad sind seit 25 Jahren ein Paar, aber nicht verheiratet. Wenn sie es gewesen wären, wäre Renata ...

Konrad ist tot. Ganz spontan gestorben. Zusammengebrochen auf einem Parklatz. Herzinfarkt. Renata und Konrad sind seit 25 Jahren ein Paar, aber nicht verheiratet. Wenn sie es gewesen wären, wäre Renata die Erste gewesen, die von Konrads Tod erfährt. So klopfen die Polizisten erst einen Tag später an ihre Haustüre.

Die italienisch deutschsprachige Autorin Sabine Gruber erkundet in ihrem neuen Roman die Frage, wie man ohne den geliebten Menschen weiterlebt. Wie lang ist die Dauer der Liebe?
Ich finde in diesem Roman einige wunderschöne und trostvolle Beschreibungen einer lange dauernden Liebe.

„Der liebende Blick ist nicht blind, er nimmt den von der Zeit veränderten Körper wahr, aber in dem, was der andere geworden war, entdeckt er noch die Schönheit der ersten Jahre, leuchtet etwas auf, das nur zu sehen imstande ist, wer einander seine langem kennt.“

Die Überlegung liegt nahe, dass Gruber viel von ihren eigenen Erfahrungen einbringt, da ihr eigener langjähriger Partner überraschend nach 20 Jahren Beziehung starb.

Nach Konrads Tod, muss Renata nicht nur mit dem Verlust ihres Partners zu leben lernen, sie muss es aushalten wie seine narzisstische Mutter und der geldgierige Bruder den Nachlass Konrads zerfleddern. Renata hat wegen eines ungültigen Testaments keinerlei Anspruch auf Konrads Sachen und künstlerische Arbeiten. Ihr wird jedes Erinnerungsstück genommen und Renata muss das Wissen ertragen, dass sie für Konrads Familie nie wirklich die Frau an seiner Seite war, sondern nur ein vorübergehendes zu akzeptierendes Übel.

Die Jahre die Konrad nicht mehr leben wird, die gemeinsame Zeit, die es nicht mehr geben wird. Erinnerungen, die verblaßen und nicht mehr durch neue ersetzt werden.

Gruber beschreibt, wie nach dem körperlichen Verlust von Konrad sein langsames Verschwinden aus dem Alltag und aus den Gedanken einsetzt. Das ist traurig aber unvermeidbar, wenn das Leben weiter gehen soll.

Der Roman ist poetisch und wehmütig, aber stellenweise auch humorvoll auf seine Art. Anders als der Klappentext vielleicht suggeriert, stellt Gruber die Fragen nach Konrads Geheimnis nur an den Rand des Romans. Für mich arbeitet sie mit diesem Thema die Ambivalenzen und Polarität heraus, die in einer Beziehung auftreten können, ohne dass die Liebe dadurch zerstört wird.

Ich denke darüber nach, warum Gruber Konrad in den Mittelpunkt des Romans stellt. Ich erfahre sehr viel über sein künstlerisches Schafften, über seine Faszination von italienischer faschistischer Architektur und seiner Vergangenheit, aber sehr wenig über Renatas Interessen und Beruf. Aber es fühlt sich letztendlich stimmig an, wie ein Versuch die Erinnerung doch noch festzuhalten oder auf Papier diesen einen friedlichen Ort zu schaffen, wo es „genügt, Kalziumphosphat zu sein“.

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Veröffentlicht am 18.07.2023

Scharfsinnige und detaillierte Gesellschaftsstudie

Sommerwasser
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Eine Ferienanlage in Schottland. Holzhütten am See. Es regnet seit Tagen ununterbrochen Bei den Urlaubsgästen macht sich der Lagerkoller breit.

Das ist die Ausgangslage des neuen Romans der britischen ...

Eine Ferienanlage in Schottland. Holzhütten am See. Es regnet seit Tagen ununterbrochen Bei den Urlaubsgästen macht sich der Lagerkoller breit.

Das ist die Ausgangslage des neuen Romans der britischen Schriftstellerin Sarah Moss. Sie entwirft darin in einzelnen Episoden eine kritische und unterhaltsame Gesellschaftsstudie. Denn ihre Urlaubsgäste sind äußerst unterschiedlich und stehen an verschiedenen Stellen in ihrem Leben.

Jedem ihrer Figuren widmet Moss ein oder mehrere Kapitel, in dem sie deren jeweilige Lebensituation und Gedankenwelt ausleuchtet. Es gibt Mütter von Kindern verschiedensten Alters, Teenagerinnen und Kinder, ein altes Ehepaar, ein junges frisch verheirates Liebespaar. Alle mit ihrem jeweiligen Hintergrund und Problemen, die im Urlaub, abseits vom normalen Alltag, deutlich an die Oberfläche drängen.

„Sie hat zwei Erdnuss-Protein-Riegel in ihre Bindenpackung im Koffer gesteckt, der einzige Ort, an dem wohl kaum jemand suchen wird, und sie ist nicht zu stolz, um sie im Bad zu essen, wenn es sein muss“

Jede
r wäre gerade am liebsten woanders als in diesem verregneten Urlaub, zur Untätigkeit gezwungen ohne Ablenkung von den eigenen Gedanken.

Und da sind dann noch die anderen. Die Bulgaren, oder Ukrainer, so genau weiß man das nicht. Nur dass sie stören mit ihrer Lautstärke und mit ihrem Anderssein.
Bezeichnenderweise hat Sarah Moss kein Kapitel oder Portärt für diese Urlaubsgäste und diese Leerstelle klingt laut.

Richtig gut gefallen mir die gesellschaftskritischen Anklänge, die Moss in ihren jeweiligen Porträts einfließen lässt. Die feministischen Untertöne sind leise, aber deutlich vorhanden. Auch Elternschaft, Partnerschaft, Generationenkonflikt und das Älterwerden wird thematisiert.
Die Kapitel des jungen Liebespaares, einmal aus ihrer Sicht, einmal aus seiner Sicht, gefallen mir sehr gut. Hier wäre ich gerne länger geblieben und hätte beiden noch etwas länger verfolgen wollen.
Dagegen finde ich die Kinder- und Teenager*innenperspektive eher weniger überzeugend. Moss kann mich damit nicht ganz packen.
Tendenziell fühlte ich mich manchmal erschlagen von der Vielzahl der Perspektiven, weniger hätten mir auch gereicht um die Stimmung in der Ferienanlage zu skizzieren.

Langsam und sehr subtil unterschwellig zeigt Moss in ihrem Gesellschaftsporträt die Vorurteile und Ressentiments, die in den Köpfen wachsen und in einem Klima von Aufeinanderhocken und gegenseitigem Beobachten prächtig gedeihen können.
Eine allgemeine Unzufiedenheit mit der gesamten und der persönlichen Situation wirkt als zusätzlicher Brandbeschleuniger.

Der Schlusspunkt ist so in gewisser Weise für mich vorhersehbar und ziemlich abrupt. Seine Dramatik empfand ich als überspannt, bildet aber einen guten und lauten Kontrast zur vorherigen leiseren Handlung.

„Sommerwasser“ kann bei mir mit seinen treffenden Momentaufnahmen der Figuren und seiner Gesellschaftskritik punkten.

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Veröffentlicht am 09.07.2023

Stark erzählte Gesellschaftskritik aus Nigeria

Das Glück hat seine Zeit
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Der Debütroman „Bleib bei mir“ von Adébáyò schlug bei mir ein wie eine Bombe, ich war gefesselt von der Erzählkraft dieser jungen Autorin aus Nigeria.
Natürlich wollte ich ihren neuen Roman „Das Glück ...

Der Debütroman „Bleib bei mir“ von Adébáyò schlug bei mir ein wie eine Bombe, ich war gefesselt von der Erzählkraft dieser jungen Autorin aus Nigeria.
Natürlich wollte ich ihren neuen Roman „Das Glück hat seine Zeit“ auch unbedingt lesen.
Und auch hier lässt mich die großartige Erzählstimme von Adébáyò über die Seiten fliegen und trifft mich genau in mein Herz.

Ayòbámi Adébáyò schreibt in ihrem zweiten auf deutsch erschienenen Roman wesentlich politischer und gesellschaftskritischer als noch in „Bleib bei mir“.
Mit ihren Figuren thematisiert sie sehr kontrastreich die krassen Unterschiede zwischen arm und reich in diesem zerrissenen Land. Aber auch die Unterschiede zwischen Mann und Frau.

Nigeria ist mit über 200 Millionen Einwohnern das bevölkerungsstärkste Land Afrikas und von großer, nicht konfliktfreier, kulturellen Vielfalt geprägt.

Adébáyò schildert mit ihrem Figuren vor allem die finanziellen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den Menschen. Die Familie von Wuraola ist sehr privilegiert und die junge Frau ist auf dem Weg in eine glänzende Zunkunft. Sie wird bald eine Ärztin sein und ihrem Verlobten, ebenfalls aus sehr privilegiertem Haus, heiraten.
Trotzdem ist Wuraola nicht frei. Strenge gesellschaftliche Normen, die für Frauen ihres Standes gelten, und die Anforderungen ihrer Mutter Yeye engen sie ein.

Am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala steht der 15-jährige Eniola. Seine Familie ist mittellos, seit sein Vater durch die Willkür des Staates seine Stelle als Lehrer verloren hat. Eine staatliche Absicherung oder soziales Netz gibt es nicht und arbeitlos zu werden ist ohne weitere berufliche Perspektive oft ein Grund für Selbstmord. Eniolas Vater fällt in eine Depression und ist nicht mehr in der Lage die Familie zu versorgen. Eine gute Schulbildung, die in Nigeria nur über kostenplichtig Privatschulen zu erhalten ist, rückt in weite Ferne.

Deutlich beschreibt Adébáyò die Auswirkungen der wirtschaftlichen Not auf die Familien und übt Kritik an einem System, das seine Hilfbedürftigsten seinem Schicksal überlässt. Staatliche Willkür und politische Korruption lässt das Land ausbluten.
Die Auswirkungen von starren und traditionellen Geschlechterrollen, thematisiert und kritisiert Adébáyò anhand ihrer starken weiblichen Figuren wie Wuraola und ihrer Mutter Yeye und ziehen sich durch den ganzen Roman.

Beide Familien lässt Adébáyò im Laufe der Handlung aufeinandertreffen und ich ahne früh: hier hat das Glück keine Zeit…


Adébáyò schafft es wieder mich mit ihrem großem Schreibtalent in den Bann ihres Romans zu ziehen. Thematisch hat mir „Bleib bei mir“ persönlich vielleicht besser gefallen, die stärkere politische Botschaft hat eindeutig „Das Glück hat seine Zeit“.

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Veröffentlicht am 06.07.2023

Wunderbar wehmütiger Roman über den Abschied vom Elternhaus

Elternhaus
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Eigentlich wollte ich diesen Roman, trotz des Mega-Covers, an mir vorbei ziehen lassen. Der Klappentext hat mich spontan nicht besonders angesprochen. Doch dann die Leseprobe umso mehr!

Ute Mank schafft ...

Eigentlich wollte ich diesen Roman, trotz des Mega-Covers, an mir vorbei ziehen lassen. Der Klappentext hat mich spontan nicht besonders angesprochen. Doch dann die Leseprobe umso mehr!

Ute Mank schafft es mit ihrem wirkungsvollen Schreibstil, dass ich sofort in die Geschichte eintauchen kann und es sich ein plastisches Bild des Elternhauses der drei Schwestern Sanne, Petra und Gitti aufbaut.
Und damit meine ich nicht nur ein visuelles Bild, sondern vor allem ein Emotionales.

Die Eltern der längst erwachsenen Schwestern sind alt geworden und sollen aus dem Elternhaus in eine kleine, pflegeleichte Wohnung umziehen. So hat es Sanne, die älteste der drei Drei und die in nächster Nachbarschaft zu den Eltern wohnt, beschlossen. Sanne ist es auch, die regelmäßig nach den Eltern sieht und ihnen bei den Alltagsverrichtungen zur Hand geht.
Die beiden anderen, vor allem Petra, sind von dem Umzugsplänen wenig begeistert. Zuviel verbindet sie noch mit dem Elternhaus und sie können sich die Eltern in keiner anderen Umgebung vorstellen.

„Dieses schmale Haus, ein Sehnsuchtsort, an dem sich nie etwas zu ändern schien. An dem sich nichts verändern durfte, weil sie immer noch nach etwas gesucht hatte, was sie nicht hätte benennen können.
Nun war dort nichts mehr zu holen und zu finden. Und die Eltern waren endgültig bedürftig geworden.“

Zwischen Sanne und Petra, die beide einen sehr unterschiedlichen Lebensweg eingeschlagen haben, entlädt sich an diesem Konflikt die schon lange gärenden Spannungen aus der Kindheit. Sanne, die Ältere, war immer die vorbildliche Tochter, die dem Lebensweg der Eltern nacheifert. Frühe Heirat, Kinder und natürlich ein eigenes Haus mit Garten.
Petra hatte den Ausweg aus der Kleinbürgerwelt gesucht und sich eine berufliche Karriere aufgebaut.
Beide Lebenswege haben ihre Schattenseiten und beide Schwestern sehnen sich nach den vermeintlichen Vorteilen der anderen.
Die Beschreibungen von Sannes toter und liebloser Ehe und ihr verzweifeltes Klammern an die eigenen Kinder, schmerzen mich beim Lesen.

Und dann sind da ja auch noch die Eltern. Wie gehen sie mit der Verpflanzung um?

Ute Mank hat mit „Elternhaus“ einen sehr schönen, gut schmökerbaren Roman mit viel Tiefgang geschrieben, der nicht nur für Kleinstadtleser*innen mit Schwestern viel Identifikationspotential bietet. Die wehmütigen Gefühle von verpassten Möglichkeiten und dem Entgleiten der eigenen Vergangenheit ist hier wundervoll eingefangen.
Ich persönlich hätte mir vielleicht einen schärferen feministischen Unterton gewünscht, denn es sind die weiblichen Lebenswege, die Mank in den Mittelpunkt ihres Romans stellt. Und ich könnte auch noch die vielleicht etwas platten metaphorischen Bilder bemängeln, die manchmal gefühlt etwas abgedroschen daher kommen.
Doch eigentlich hat mich das nicht gestört und ich fand in „Elternhaus“ einen gelungenen und unterhaltsamen Roman.

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Veröffentlicht am 05.07.2023

Ein schöner Generationenroman und eine Hommage an afroamerikanische Mütter, Töchter und Schwestern

Memphis
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Ich lese sehr gerne Literatur aus den USA. Die Stadt Memphis war mir aber bis jetzt hauptsächlich wegen Elvis ein Begriff.
Das hat sich jetzt geändert. Tara M. Stringfellows Debütroman ist nämlich nicht ...

Ich lese sehr gerne Literatur aus den USA. Die Stadt Memphis war mir aber bis jetzt hauptsächlich wegen Elvis ein Begriff.
Das hat sich jetzt geändert. Tara M. Stringfellows Debütroman ist nämlich nicht nur eine emotionale Familiengeschichte, sondern fängt auch die Stimmung in Memphis, der Heimat des Blues, wunderbar ein.
Die Autorin Stringfellow selbst lebt mittlerweile, nach internationalen Stationen, mit ihrem Hund Huckleberry wieder in dieser Stadt.

Im Zentrum von „Memphis“ stehen die Frauen. Es sind starke, afroamerikanische Frauen, die Stringfellow in drei Generationen einer Familie, von 1955-2003, porträtiert. Hazel, Miriam, August und Joan.
Über die Jahrzehnte ändern sich zwar die Zeiten, doch eines bleibt immer gleich: Rassismus und männliche Gewalt prägen und reduzieren das Leben der Frauen. Stringfellow arbeitet anhand ihren Figuren heraus, wieviel wertvolles Potential und Lebenswege dadurch zerstört werden.
Ein Teufelskreis aus Angst, Wut und wieder Gewalt.

„Aber mein Zorn war zum Teil aus Furcht entstanden.“

Dementgegen setzt Stringfellow den Zusammenhalt und Liebe der Mütter, Schwestern und Töchter der Familie North. Eine sanfte Kraft und eine starke Botschaft.
Mir persönlich bleibt der Roman etwas zu unpolitisch, die Familiengeschichte zu konventionell und idealisiert und auch das spirituell/religiös eingefärbte ist nicht mein Fall. Dafür kann „Memphis“ auf Unterhaltungsebene sehr gut punkten.
Die einzelneren Kapitel springen in den verschiedenen Zeiten und machen die Lektüre damit sehr abwechslungsreich und erzeugen eine leichte Spannung.
Die Figuren sind liebevoll und detailliert ausgearbeitet und mir ans Herz gewachsen, vor allem August. Und Joan, die aus der Ich-Perspektive erzählt, bricht mir schon im ersten Kapitel das Herz.
Doch Joan ist es auch, die am Ende als erste die Möglichkeit bekommt, einen Traum zu verwirklichen und es ist ihr Verzeihen, dass ein Durchbrechen des Teufelkreises als möglich erscheinen lässt.

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