Zum 100jährigen Gedenken an das Kantô-Beben
Großes SpielAm 1. September 1923 bebt die Erde in Japan. Das Kantô-Beben erschüttert nicht nur ein Land, sondern auch sein Volk. Die Erdstöße verwüsten weite Teile des Großraums Tokio, etwa 145.000 Menschen sterben. ...
Am 1. September 1923 bebt die Erde in Japan. Das Kantô-Beben erschüttert nicht nur ein Land, sondern auch sein Volk. Die Erdstöße verwüsten weite Teile des Großraums Tokio, etwa 145.000 Menschen sterben. Yoshihito, der mit seiner Krönung 1912 den Namen Taishō erhält und der 123. Tennō des Japanischen Kaiserreichs und der zweite der modernen Periode wird, regiert. Doch durch seine Krankheit ist er schwach und unfähig, das Land mit seinen Traditionen zu regieren und zu schützen.
Seit 1912 nutzt Ôsugi, ein Fanatiker und Putschist, diese Schwäche aus, um seinen Plan eines gesellschaftlichen und politischen Umsturzes umzusetzen. Sein hochtrabender, theoretischer Entwurf einer freien Gesellschaft, losgelöst von jahrtausendalter Kultur ohne Kaiser, riskierte das Land in ein Chaos zu versenken. Er wird der Staatsfeind Nr. 1 und das Militär erhält den Auftrag, ihn unschädlich zu machen. Der Militäroffizier Masahiko Amakasu, ein gewissenhafter, linientreuer und standhafter Soldat wird beauftragt, Ôsugi zu überwachen und falls notwendig auszuschalten.
Die Naturkatastrophe, die Japan in Knie zwingt, wird für Ôsugi und Amakasu der Beginn einer weiteren Katastrophe, die dem ersten das Leben kosten, dem anderen aber das Leben unerträglich machen wird.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Mit großer Erwartung bin ich an den neuen Roman „Großes Spiel“ von Hans Platzgumer herangetreten und obwohl ich nicht wusste, was mich erwartet, bin ich, da ich das Buch nun gelesen haben, schlichtweg ergriffen von der Geschichte und überwältigt von der großartigen literarischen Umsetzung!
Das Buch bietet eine fantastische Rekonstruktion jener Vorgänge, die zum berühmten „Amakasu Zwischenfall“ führten. Ausgehend von einer detaillierten und psychologisch gründlichen Analyse der Akteure wird in chronologischer Reihenfolge erzählt, wie es zum Massaker, bei dem Ôsugi und seine Frau Itô getötet werden, gekommen ist. Der Militäroffizier Masahiko Amakasu, in seiner Rolle als Erzähler, lässt nochmals die Ereignisse Revue passieren.
Japan befand sich während der Taishō Jahre (1912 – 1926) in einer schwierigen gesellschaftlichen und politischen Situation. Die Arbeiterklasse begehrte auf, Demonstrationen waren keine Seltenheit. Da Japan eine gesellschaftliche Hierarchie zugrunde lag, die das Zusammenleben ordnete und auf deren Stärke die Nation beruhte, war die Gefahr, die von dem Fanatiker Ôsugi ausging, enorm.
Ôsugi war ein hochbegehrter Mann. Er sah blendend aus, war mit einem messerscharfen Intellekt ausgestattet und hatte ein unbeugsames und rebellisches Wesen. Er war ein Mann der Tat, der mit großer Wucht ins politische Geschehen eingreifen wollte. In der instabilen Situation drohte er das aus dem Gleichgewicht geratene Land zu Fall zu bringen. Ôsugi hatte die Sprengung von allem, was sich gefestigt hatte, im Sinn. Er war ein Fanatiker, der zu keinem Kompromiss bereit war.
Die Vorgänge sind ungemein spannend und intensiv. Bis zum Schluss folge ich Amakasus Leben mit großem Interesse. Sein Lebensweg mit Einblicken in sein Innerstes haben mich zum Teil tief erschüttert. Diese Menschlichkeit, mit den offengelegten Schwächen, ist entwaffnend, ich kann und will mir über ihn kein Urteil erlauben. Er hat einen sehr hohen Preis bezahlen müssen, bis zu seinem Ende.
Neben den geschichtlichen Ereignissen bietet der Roman einen unschätzbaren Einblick in die japanische Gesellschaft vor 100 Jahren. Die Rolle der Frau und der Familie, die Bedeutung von Kindern und deren Erziehung, sowie das so berühmte japanische Ehrgefühl sind meisterhaft eingeflochten und obwohl keine aktionsreiche Handlung ist, ist nicht nur meine Neugierde sondern vor allem mein Interesse an eine so fremde Kultur bis zum Schluss aufrecht geblieben.
Fazit
Zum 100jährigen Gedenken an das Kantô-Beben bietet Hans Platzgumers Meisterwerk „Großes Spiel“ eine literarische Gelegenheit, das Land der aufgehenden Sonne in einem historisch schwierigen Moment kennenzulernen. Ein großer Roman, nicht nur für Japanfans.