Claras Geschichte
Vor hundert SommernIhre Großtante Clara hat Katharina Fuchs zu ihrem Generationenroman „Vor hundert Sommern“ inspiriert. Dies verrät die Autorin zum Schluss dieses lesenswerten Buches ihren Lesern. Clara war die Schwägerin ...
Ihre Großtante Clara hat Katharina Fuchs zu ihrem Generationenroman „Vor hundert Sommern“ inspiriert. Dies verrät die Autorin zum Schluss dieses lesenswerten Buches ihren Lesern. Clara war die Schwägerin ihrer Großmutter Anna, beide sind sie reale Personen, andere Figuren dagegen sind fiktiv.
Wir sind im Berlin der 1920er Jahre, die vielzitierten Goldenen Zwanziger Jahre gingen an Clara und den ihren eher spurlos vorüber. Sie lebt beengt mit ihren Eltern und Geschwistern, sie trägt mit Flaschenspülen für eine Brauerei zum Lebensunterhalt der Familie bei. Eine Arbeit, die schlecht bezahlt wird und wenn die Frauen, die diesen Knochenjob tagein, tagaus erledigen, nicht spuren, werden sie kurzerhand entlassen, die nächsten Arbeiterinnen warten schon.
Hundert Jahre später sind es Lena und ihre Mutter Anja, die die Wohnung von Elisabeth, Anjas Mutter, in Berlin Charlottenburg ausräumen. Elisabeth hat sich entschlossen, die Wohnung aufzugeben, da sie mit ihren 94 Jahren zwar geistig fit, körperlich aber doch angeschlagen ist. Sie lebt nun in Hamburg in einem Pflegeheim in Anjas Nähe. Bei der Wohnungsauflösung entdecken sie alte Briefe und Fotos, auch eine Schusswaffe fischen sie aus ihrem Versteck. Weiß Elisabeth etwas darüber? Es muss wohl zu Claras Nachlass gehören, denn diese Wohnung war einst ihre.
Elisabeth erinnert sich, erzählt von Clara, um dann im nächsten Kapitel nahtlos in ihre Zeit überzugehen. Die beiden Zeitebenen verbinden sich hier aufs Beste. Das Buch ist spannend erzählt, es ist unterhaltsam, die kurzen Kapitel sind mit Orts- und Zeitangabe und mit Namen übertitelt. So hat man stets den Überblick. Vom Gestern zum Heute wechseln sich die Erzählstränge ab, jeder für sich ist interessant. Tief tauche ich ein in die Geschichte, durchlebe die gesellschaftlichen, die wirtschaftlichen und die politischen Verhältnisse sowohl in unserer als auch zu Claras Zeit. Bald haben die Nationalsozialisten das Sagen, ihre Schreckensherrschaft macht vor keiner Familie halt. Der Antisemitismus greift auch heute wieder um sich, Katharina Fuchs thematisiert dies neben der Familiengeschichte wie viele andere Themen, die uns auf den Nägeln brennen wie etwa den Nahost-Konflikt, die Erstarkung Rechter Parteien, Mobbing und den Klimawandel, Social Media und veganes Leben, um nur einiges zu benennen. Es sind Themen, die uns beschäftigen, die gut in die Geschichte eingebunden sind, jedoch überfrachten sie die Erzählung doch sehr. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Nun, Elisabeth ist es, die ihr Schweigen bricht, die von der Vergangenheit erzählt. Man merkt, wie schwer es ihr fällt, sich nochmal alles zu vergegenwärtigen, die Erinnerungen sind zu schmerzlich. Lena fordert von ihrer Oma alles ein, nachdem sie Briefe gefunden und gelesen hat. Sie drängt sie regelrecht, meint an Anrecht auf ihre Vergangenheit zu haben. Und assoziiert dabei ihre Ängste mit ihrer Unkenntnis über ihre jüdischen Vorfahren. Gerade diese Sequenzen sind es, die das Anspruchsdenken der jungen Generation – auch wenn es einige wenige sind - widerspiegeln. Hier musste ich mit dem Lesen pausieren, um ein wenig Abstand zu der ansonsten lesenswerten Geschichte zu bekommen.
Claras Geschichte hat mich komplett abgeholt, auch zolle ich Elisabeth Respekt, dass sie trotz qualvoller Rückblicke dem Wunsch ihrer Familie entsprochen hat. Schlussendlich bewerte ich mit 3 ½ Sternen, die ich aufrunden werde.