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Maimouna19

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Veröffentlicht am 14.12.2024

Der amerikanische Alptraum

Demon Copperhead
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Demon Copperheads Leben steht von Geburt an unter keinem guten Stern. Er kommt in einer Trailer-Siedlung in West-Virginia, dem armen „Hinterland“ der USA auf die Welt, sein Vater schon vor seiner ...

Demon Copperheads Leben steht von Geburt an unter keinem guten Stern. Er kommt in einer Trailer-Siedlung in West-Virginia, dem armen „Hinterland“ der USA auf die Welt, sein Vater schon vor seiner Geburt verstorben, seine Mutter eine drogenabhängige Achtzehnjährige. Schon die Geburt ist eine Katastrophe – auf dem Badfußboden des Wohnwagens, in dem seine Mutter lebt, kämpft er sich selbst ins Leben, sie ist komplett durch Drogen ausgeknockt. Nur durch das beherzte Eingreifen der Peggots, Vermieter des Wohnwagens und gleichzeitig Nachbarn, wird verhindert, dass sein Leben gleich bei der Geburt endet. Demons Mutter gibt sich danach große Mühe, ihm eine gute Mutter zu sein, doch scheitert sie immer wieder an sich selbst und hangelt sich von einem Entzug zum nächsten. Und so sind die Peggots eine Art Ersatzfamilie für Demon. Als er 11 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter und das Jugendamt übernimmt die Verantwortung für ihn, d.h. er landet in einem System, das komplett versagt. Niemand kümmert sich wirklich und es folgt eine wahre Odyssee durch Pflegefamilien, eine schlimmer als die andere. Die folgenden Jahre sind geprägt sind von Armut, Hunger, Misshandlungen und Erniedrigungen. So fürchterlich es auch ist, so gibt es doch auch eine Handvoll Menschen, die es gut mit ihm meinen und Demon erlebt zwischenzeitlich sogar gute Zeiten.
Er kann allerdings nicht glauben, dass dies von Dauer ist und so kommt es zu Rückschlägen. Trotz der Negativ-Beispiele in seiner Umgebung landet er irgendwann bei Drogen.
Demon erzählt die Geschichte aus seiner Perspektive. Mit diesem Ich-Erzähler hat Barbara Kingsolver einen sehr sympathischen Charakter geschaffen. Seine schnoddrige Sprache, sein Galgenhumor und vor allem die Eigenschaft, nie aufzugeben, sondern sich immer wieder durchzukämpfen, führen dazu, dass man mit ihm mitleidet und für ihn hofft – man muss ihn einfach ins Herz schließen.
Gleichzeitig zeichnet die Autorin ein sehr realistisches Bild der traurigen Seite der USA, einer abgehängten Region, deren Menschen von der Politik vergessen sind. Die Kohleminen sind leergeschürft, also gibt es keine Jobs und damit auch kein Geld. Was bleibt sind Football, Alkohol und Drogen. Gerade das Drogenproblem wurde noch verschärft durch das miserable amerikanische Krankenversicherungssystem, das diesen Namen eigentlich nicht verdient. Ärztliche Behandlungen sind für viele nicht finanzierbar, also werden hauptsächlich Schmerzmittel (Opiate) verschrieben, die viele Leute in die Drogenabhängigkeit getrieben haben.
Insgesamt ein fesselnder und berührender Roman, der für mich eines meiner Lesehighlights des Jahres ist.

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Starkes Debüt

22 Bahnen
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Bahn für Bahn schwimmt Tilda – immer 22 Bahnen. Und mit jeder Bahn schwimmt sie ihren Sorgen davon. Aber auch mit jeder Bahn ihrer Zukunft entgegen.
Für ihre Masterarbeit beschäftigt sich Tilda mit „A-priori-Schranken ...

Bahn für Bahn schwimmt Tilda – immer 22 Bahnen. Und mit jeder Bahn schwimmt sie ihren Sorgen davon. Aber auch mit jeder Bahn ihrer Zukunft entgegen.
Für ihre Masterarbeit beschäftigt sich Tilda mit „A-priori-Schranken für die stochastischen Navier-Stokes-Gleichungen“. Neben dem Mathematikstudium ist da noch der Kassiererinnen-Job im Supermarkt, mit dem sie versucht, ihre kleine Familie über Wasser zu halten. Die Familie, das sind ihre suizidgefährdete, depressive und alkoholkranke Mutter und ihre kleine Schwester Ida, um die sich kümmern muss. Ziemlich viel Verantwortung für eine junge Frau und wenig Zeit für Abwechslung, Spaß und eigene Träume….
Caroline Wahl hat ein gelungenes Buch über das Erwachsenwerden, über Familie, Freundschaft, Verantwortung, Verlust, Trauer aber auch die Liebe geschrieben. Es ist beeindruckend wie sie diesen schweren Themen Leichtigkeit gegeben hat. Der Schreibstil der Autorin gefällt mir sehr gut – klar, schnörkellos, ohne Drama. Die Geschichte wird aus Tildas Perspektive erzählt, sie ist die Ich-Erzählerin. Dialoge beginnen mit dem Namen des jeweiligen Sprechers. All das lässt „22 Bahnen“ sehr authentisch wirken, ich konnte mich sehr gut in den recht trostlosen Alltag von Tilda hineinversetzen und wie es ihr immer wieder gelingt, trotz aller Widrigkeiten auch schöne Momente zu schaffen und ihren Mut nicht zu verlieren.
Ein sehr berührender, flüssig lesbarer Roman, der mich sehr beindruckt hat, aber viel zu schnell gelesen war. Klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Drei mutige und starke Frauen

Der Zopf
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In „Der Zopf“ erzählt Laetitia Colombani die Geschichte von drei Frauen auf drei Kontinenten, deren Leben kaum unterschiedlicher sein könnte. Obwohl sie sich nicht kennen und auch nie kennenlernen werden, ...

In „Der Zopf“ erzählt Laetitia Colombani die Geschichte von drei Frauen auf drei Kontinenten, deren Leben kaum unterschiedlicher sein könnte. Obwohl sie sich nicht kennen und auch nie kennenlernen werden, ist ihr Schicksal miteinander verflochten wie ein Zopf.
Es geht um Smita, die in Indien zur Kaste der Unberührbaren gehört. Damit war es ihr verwehrt, die Schule zu besuchen und sie darf nur niedrigste Arbeiten ausführen. Um ihrer kleinen Tochter eine bessere Zukunft zu ermöglichen, will sie aus diesem vorbestimmten Schicksal ausbrechen.
Dann ist da Guilia aus Sizilien, die im Familienbetrieb, einer kleinen Perückenmanufaktur, arbeitet. Nach einem Unfall ihres Vaters muss sie unerwartet früh die Leitung des Betriebes übernehmen, feststellen, dass dieser kurz vor dem Ruin steht und nach Möglichkeiten suchen, die Insolvenz zu vermeiden.
Die Dritte im Bunde ist Sarah aus Kanada. Sie ist Anwältin und hat sich erfolgreich in einer männerdominierten Berufswelt durchgesetzt. Sie steht kurz davor, eine Partnerschaft in der Kanzlei, in der sie arbeitet, zu übernehmen, als sie eine Krebsdiagnose erhält.
Abwechselnd wird das Leben dieser drei Frauen erzählt und man erfährt wie ihre Schicksale miteinander verknüpft sind. Laetitia Colombani, eine französische Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin, hat ein sehr berührendes Buch geschrieben. Man kann sich sehr gut in die drei Frauen hineinversetzen und leidet und kämpft mit ihnen mit. Auch wenn das Leben dieser drei Frauen sehr unterschiedlich ist, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind Kämpferinnen und geben nicht auf!
Die Message des Buches ist sehr deutlich: bei Frauenrechten ist noch viel Luft nach oben, in einer nach wie vor männerdominierten Welt gibt es noch viele Baustellen (z.B. ungerechtes Kastensystem in Indien, wenige Frauen in Führungspositionen, Hinausekeln von kranken Mitarbeitern, etc.) Wichtige Themen werden hier angesprochen, verpackt in einen flüssig lesbaren Roman.
„Der Zopf“ hat mir einige fesselnde und inspirierende Lesestunden beschert und die weiteren Romane der Autorin (Das Haus der Frauen, Das Mädchen mit dem Drachen) stehen auf meiner Leseliste!

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Veröffentlicht am 11.12.2024

Degrowth ist die Zukunft

Systemsturz
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Kohei Sato ist ein japanischer Philosoph und lehrt als Associate Professor an der Universität von Tokio. In „Systemsturz“ setzt er sich mit den Notizen (Briefe, Skizzen, etc.) des späten Karl Marx auseinander, ...

Kohei Sato ist ein japanischer Philosoph und lehrt als Associate Professor an der Universität von Tokio. In „Systemsturz“ setzt er sich mit den Notizen (Briefe, Skizzen, etc.) des späten Karl Marx auseinander, seinen Positionen zu Kapitalismus und Umwelt und deren Bedeutung für die heutige Zeit bzw. die Zukunft des Menschen und des Planeten Erde.
Er fasst seine Überlegungen auf 320 Seiten unter dem Schlagwort „Degrowth-Kommunismus“ zusammen und hält das kapitalistische Wirtschaftssystem für die Ursache des Klimawandels.
Dass unendliches Wachstum bei endlichen Ressourcen nicht funktionieren kann, sollte eigentlich jedem klar sein; auch nachhaltiger Konsum wird die Welt nicht vor der Klimakatastrophe retten.
Und natürlich ist es auch unsäglich, dass der Wohlstand des globalen Nordens zu Lasten des globalen Südens geht.
Laut Sato braucht es ein komplettes Umdenken, ein neue Wirtschaftsordnung, die nicht auf Wachstum ausgerichtet ist, sondern das Produktionstempo drosselt und den Wohlstand umverteilt!
Schon Marx hat erkannt, dass es nur durch ein nachhaltiges System gelingen kann, die Natur und damit die Lebensgrundlage der Menschheit zu erhalten. Der Kapitalismus wird die Klimakrise nicht bewältigen, wir brauchen einen „new way of life“, der nicht nur aus Arbeiten, Geld verdienen und Konsum besteht!
„Systemsturz“ ist ein sehr kluges, hochinteressantes Buch, dessen Lektüre viel Stoff zum Nachdenken bietet und das ich nur empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 11.12.2024

Berührend!

Mein drittes Leben
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Mit „Mein drittes Leben“ hat Daniela Krien ein sehr berührendes Buch geschrieben. Sie erzählt die Geschichte von Linda, deren 17jährige Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Dieses ...

Mit „Mein drittes Leben“ hat Daniela Krien ein sehr berührendes Buch geschrieben. Sie erzählt die Geschichte von Linda, deren 17jährige Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Dieses tragische Ereignis stürzt sie in übermächtige Trauer. Nachdem sie auch noch eine Krebsdiagnose erhalten hat, ändert sie ihr Leben nach überstandener Operation komplett. Sie zieht auf einen abgelegenen, heruntergekommenen Bauernhof im Norden Sachsens, lässt ihr bisheriges Leben mit ihrem Mann Richard, schicker Eigentumswohnung in Leipzig und gut bezahltem Job als Kunst-Maklerin zurück. Ihre Tage bestehen aus der nie enden wollenden Arbeit auf dem Hof, einzige Gesellschaft ein paar Hühner und ein alter Hund. Bis auf sporadische Begegnungen mit dem Nachbarsehepaar und einer alleinerziehenden Frau mit beeinträchtigter Tochter pflegt sie keine sozialen Kontakte. Nur Richard kommt hin und wieder vorbei, um nach ihr zu sehen.
Überzeugend, klar und mit viel Empathie beschreibt die Autorin Lindas Verzweiflung und ihre ohnmächtige Trauer, wie sie sich vernachlässigt, zu viele Tabletten schluckt – gegen Schlaflosigkeit, gegen die Schmerzen, gegen Depressionen – und lieber sterben als leben möchte.
Die Geschichte ist aus Lindas Sicht als Ich-Erzählerin geschrieben. Nur einmal wechselt sie die Perspektive, rutscht in die dritte Person, als Richard ihr von einer neuen Frau in seinem Leben erzählt, die ihn aus seiner Einsamkeit befreit.
Daniela Krien ist es wieder einmal gelungen, die Charaktere so authentisch und glaubhaft zu beschreiben, dass der Leser sich gut in Linda, aber auch in Richard hineinversetzen kann und mit ihnen mitfühlt. Sie schildert ohne Wertung, dass jeder seinen eigenen Weg und sein eigenes Tempo hat, mit Trauer umzugehen und ins Leben zurückzufinden.
Ein kluges Buch über ein schweres Thema, das den Leser am Ende trotz allem optimistisch bleiben lässt. Absolut lesenswert!


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