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Veröffentlicht am 03.02.2024

Ganz großes Kino

Trophäe
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John Hunter White geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, während seine schöne Frau in Mexico weilt. Normalerweise entwirft Hunter Investitionsblasen, mit denen er seine Käufer blendet. Bevor die Blase ...

John Hunter White geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, während seine schöne Frau in Mexico weilt. Normalerweise entwirft Hunter Investitionsblasen, mit denen er seine Käufer blendet. Bevor die Blase platzt holt er das Maximum raus. Es ist durch und durch unethisch, aber schnelles Geld.

Van Heeren hat ihn wieder einmal nach Afrika eingeladen. Er betreibt eine Lodge umgeben von einer Unmenge Land, an den Grenzen zum Nationalpark. Hunter hatte schon alles vor der Linse, wendige Springböcke, schlanke Antilopen, gefräßige Löwen, sogar eine Giraffe, aber das war irgendwie unschön. Das stolze Tier hat sich gar nicht gewehrt. Selbst einen unberechenbaren Büffel, auf diese Drecksviecher verzichtet er lieber. Die rennen einfach weiter, selbst wenn man ihnen längst einen Krater zwischen die Augen verpasst hat. Hunter weiß genau, dass er in der Nahrungskette ganz oben steht.

Hier, die Gefahr zum Greifen nahe, kann er sein, wer er wirklich ist. Er, Hunter, Mann. S. 27

Van Heeren hat Hunter einen, von nur noch drei Spitzmaulnashornbullen angeboten. Eigentlich stehen sie unter Naturschutz, aber Van Heelen hat in seinem Bestand ein älteres Männchen, das den beiden jüngeren Konkurrenz macht und bevor er die anderen noch verletzt, hat Van Heelen ihn vernünftigerweise zum Schuss freigegeben. Hunter hat für die Jagdlizenz einen sechsstelligen Betrag investiert, für den er extra eine neue Firma eröffnet hat, aber was tut man nicht alles für ein ausgefallenes Geburtstagsgeschenk für die Gattin.

Seit über zwei Jahrzehnten jagen sein Gastgeber und er zusammen. Auch Van Heeren freut sich auf morgen. Nicht jeden Tag, macht einer seiner Gäste die Big Five voll.

Fazit: Ganz großes Kino. Die Geschichte läuft wie ein Film vor Augen ab. Ich war mittendrin, habe geschwitzt, mich verausgabt, gefürchtet und erschrocken. Von Anfang an gewann ich den Eindruck, dass der Protagonist ein selbstgefälliger Mensch ist und das, was er vorhat, nicht richtig. Doch dann flicht die Autorin gute Gründe ein, warum er so tickt und ich verstehe ihn. Der Logebetreiber macht plausibel, warum er selbst bestimmte Ideen protegiert und ich gerate ins schwanken. Am Ende wird mir ganz schwummrig, weil ich richtig und falsch nicht mehr auseinanderhalten kann. In dem Roman stecken so viele Informationen. Ich erfahre viel über die uralte Befölkerung, die fast ausgerottet wurde und deren Lebenseinstellung, ohne von Wissen erschlagen zu werden. Gaea Schoeters führt mir auf gekonnte Art vor, was Doppelmoral bedeutet. Wie verwerflich Menschen gestrickt sind und überlässt mich am Ende der Überzeugung, dass Geld eben doch ganz schön stinkt. Ich liebe dieses Buch, weil es mich fassungslos gemacht hat.

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Veröffentlicht am 01.02.2024

Amüsant, leichtfüßig und dennoch tiefsinnig.

Iglhaut
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Iglhaut muss nach Ägypten, das zumindest meint Valeria, zweiter Stock links. Uli, zweiter Stock rechts, hat einen Kreutzworträtselwettbewerb gewonnen. Die Iglhaut möchte nirgendwo hin, schon gar nicht ...

Iglhaut muss nach Ägypten, das zumindest meint Valeria, zweiter Stock links. Uli, zweiter Stock rechts, hat einen Kreutzworträtselwettbewerb gewonnen. Die Iglhaut möchte nirgendwo hin, schon gar nicht mit Uli. Dank Valerias “Ich meine es doch nur gut mit dir”, munkelt die ganze Nachbarschaft hinter vorgehaltener Hand, dass die Iglhaut und der Uli jetzt ein Paar sind. Doch dann sagt Uli kurzerhand ab, starke Erkältung und die Iglhaut fliegt allein. Die Kanzlerin (Promenadenmischung) parkt sie bei ihrem Vater und schon gehts los.

Der erste Whiskey an der Hotelbar gehört ihr und bringt unerwartet noch einen älteren Herrn mit sich, der ihr Großvater sein könnte.

Es dauerte nicht lange, da bot er an, “die paar Jahre”, die sie beide trennten, auf seinem Hotelzimmer vollends vergessen zu machen. S. 19

Die Iglhaut ziemlich wehrhaft, hatte versucht ihn mit einem Handgriff in eine kurze Amnesie zu befördern, aber danach wich der Großvater erst recht nicht mehr von ihrer Seite. Dass er ihr später Dickpics schicken wird, die sie in eine mehr als peinliche Situation mit ihrer Mutter bringen wird, ahnt sie an dieser Stelle noch nicht.

An dem Geburtstag ihrer Mutter fährt die Iglhaut zu ihr. Die Mutter versucht eine gute Flasche Rotwein zu entkorken und schneidet sich in den Finger, der nach mehreren Versuchen des blutstillenden Bandagierens signalisiert, er müsse doch genäht werden. Die Ärztin in der Notaufnahme liest in Mutters Krankenakte, dass sie Trägerin einer Spenderniere ist.

Die Mutter holte aus, sie prahlte, sie sprach in einer Weise von ihrer idealen Tochter- die Iglhaut wollte sich am liebsten sofort verkriechen. Eine Tochter, die nicht gezögert hätte, die ganz nach der Mutter kam und vom Vater zum Glück nur die kurzen Beine, nicht aber seinen Kleingeist geerbt hatte. S. 75

Fazit: Selte eine so amüsante, leichtfüßige und dennoch tiefsinnige Geschichte gelesen. Tatsächlich eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann. Die Autorin hat einen wunderbaren Sinn für Humor, der nichts ins Lächerliche zieht, sondern einfach unterstreicht, und das Lesen auch schwererer Kost leicht macht. Die Protagonistin ist gut gelungen. Burschikos, launisch, authentisch. Kein typisches Frauenbild, dem man selbst entsprechen möchte, wie entspannend. Zugleich hat sie einen schönen Charakter, weil sie empathisch und hilfreich ist, ganz besonders zu den Menschen, die sie mag und davon gibt es einige. Eine nihilistische Menschenfreundin. Widersprüchlich? Lesenswert!

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Besser kann man die irische Geschichte und Spaltung nicht erzählen.

Übertretung
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Cushla bereitet ihrer Mutter ein Tablett mit Toast und Tee. Während sie zwei Eier in die Pfanne schlägt, sieht sie den Verwaltungsangestellten, der in Wirklichkeit Gefängniswärter ist, von Gegenüber. Er ...

Cushla bereitet ihrer Mutter ein Tablett mit Toast und Tee. Während sie zwei Eier in die Pfanne schlägt, sieht sie den Verwaltungsangestellten, der in Wirklichkeit Gefängniswärter ist, von Gegenüber. Er tritt aus der Haustüre, lässt sich auf den Boden fallen, schaut unter sein Auto, findet keine Bombe. Neben seiner Haustüre hat sich jemand mit der Spraydose verewigt: Taigs raus!

Am Abend will Cushla ihrem Bruder im Pub helfen, aber als sie aus der Schule nach Hause kommt, liegt ihre Mutter bewusstlos vor der Toilettenschüssel. Es dauert, bis Cushla Gina wieder zu sich geholt, sie geduscht und zu Bett gebracht hat. Eamonn ist stinksauer.

Ihr Arbeitskollege Gerry, der die Parallelklasse unterrichtet, lädt Cushla ins Kino ein. Auf dem Weg werden sie von einer Streife angehalten. Während man Gerry den Gewehrkolben ins Kreuz stößt, stellt ein anderer Cushla aufdringliche Fragen: “Ach so, du willst deinen Freund hier scharf machen und ihn dann nicht ranlassen?”

Im Pub lernt die 24 jährige Cushla, den deutlich älteren Michael kennen, der ihr Avancen macht. Sie verliebt sich in ihn und trifft ihn heimlich, ohne zu ahnen, worauf sie sich einlässt.

Fazit: Zu der Zeit, als die IRA anfing Nordirland zu terrorisieren, war ich gerade sechs Jahre alt. Der Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten ging bis Ende der Neunziger Jahre. Während ich mit dem Erwachsenwerden, dem kalten Krieg und unserer RAF beschäftigt war, ist die Tragik in Irland fast unbemerkt an mir vorbeigezogen. Auch deshalb bin ich sehr froh, dass der Steidl Verlag mich mit dem Cover und dem Klappentext so angesprochen hat, dass ich das Buch lesen wollte. Die Geschichte ist spannend und schnörkellos erzählt. Fast alle Protagonisten und Nebendarsteller haben Kummer und daher, ein mehr oder weniger großes Alkoholproblem. Willkür und Gewalt beherrschen jeden. Alle sind auf der Hut, um ja nicht zur Zielscheibe zu werden. Cushla muss sich von ihrem Bruder bevormunden lassen, weil sie ihr Leben integer lebt und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Das wiederum führt zu Anfeindungen gegen Eamonn, Drohungen und Umsatzeinbußen. Jedes Verhalten will gut überlegt sein, jeder Schritt hat eine mögliche Konsequenz. Als Leserin ist mir zwischenzeitlich, wegen der Ungerechtigkeiten, die Galle hochgekommen. Louise Kennedy hat mich bewegt, hat mich mitfühlen lassen. Mich in eine Zeit versetzt, die ein Volk zunächst gespalten und dann traumatisiert hat. Eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 25.01.2024

Eine Geschichte mit Sogwirkung

Wir, wir, wir
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Leila, Britney, Jody, Hazel, Isabel und Christian sind dreizehn Jahre jung und gehören zusammen. Alle tun was Leila sagt, meistens. Ihre Väter sind weg, ihre Mütter einsam. Deswegen hängen sie immer zusammen ...

Leila, Britney, Jody, Hazel, Isabel und Christian sind dreizehn Jahre jung und gehören zusammen. Alle tun was Leila sagt, meistens. Ihre Väter sind weg, ihre Mütter einsam. Deswegen hängen sie immer zusammen ab. Keine von ihnen ist gern allein. Wenn sie ihre Mütter zum Heulen bringen wollen, benehmen sie sich wie Männer.

Wir waren clever. Wir lasen die Bibel, kannten alle Märchen und schauten Nachrichten. Von unseren Müttern hatten wir gelernt, uns nicht für dumm verkaufen zu lassen. Wir wussten, dass uns in dieser Welt nichts geschenkt wird. Wir wussten, dass Liebe Übung erfordert, und wir waren wild entschlossen, uns die Zeit zu nehmen. S. 32

Sie klauen ihren Müttern Wodka und betrinken sich, um nichts fühlen zu müssen. Das Trinken härtet sie ab, bringt sie zum Lachen, lässt das Wilde wieder aufflackern.

Zu sechst umkreisen sie Sammy aus der Oberstufe, wie die Erde die Sonne. Denn Sammy ist die Schönste, sie hat Stil und sie ist cool. Sie hängt immer mit Mia rum, das scheint ihr zu reichen. Die sechs fixieren die beiden, ahmen sie nach und bleiben doch voller Selbstzweifel, nicht gut genug zu sein. Durchschnitt. Dabei will jede von ihnen diejenige sein, die am meisten geliebt wird.

Wir sind hässlich. Doch das wussten wir schon. Wir sind ungewollt. Das wussten wir auch schon. Sie nannten uns Monster. S. 128

Sammy feiert ihren Geburtstag hinter der Mauer. Da, wo auch Mia wohnt. Die sechs sind auf die Ruine geklettert und schauen dem Treiben zu. Alle springen herum, bewerfen sich mit Wasserbomben, stecken sich die wabbeligen Kugeln in die BHs und rennen hintereinander her. Plötzlich steht Sammy auf dem Balkon, sie hat sich die langen Haare abrasiert, krass. Und dann verschwindet sie.

Fazit: Eieiei, was für eine Geschichte. Im prüden, moralischen, doppelzüngigen Amerika, glaubt eine Mädchenclique an den “American way of live”. Wenn du eine Frau bist, musst du entweder Schönsein, Tanzen, oder Singen können. Dann wirst du auf einer Castingshow entdeckt und gewinnst den Hauptpreis. Alle lieben und bewundern dich, man segnet dich mit Reichtum. Dann kommt man aus diesem Kaff raus und endet nicht, wie die Mutter. Die Autorin hat ein feines Gespür und eine besondere Beobachtungsgabe. Sie zeigt, wie narzisstisch und manipulativ die Mädchen, in dieser Umgebung geworden sind. Die Geschichte entwickelt einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Zwischenzeitlich verschwimmt die Wirklichkeit und es wirkt , wie in einem luziden Traum. Zum Ende hin, sind einzelne Kapitel, einem der Mädchen gewidmet und zeigt sie als erwachsene Frau, was aus ihr geworden ist und wie sie in der Rückschau, ihre Sicht darstellt. Das Ende war für mich, wie ein Schlag ins Gesicht. Ich wünsche diesem gekonnten Debüt viele Leser.

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Veröffentlicht am 10.01.2024

Was für eine gelungene Geschichte

Das Leuchten in mir
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Emmas Mann Olivier ist leidenschaftlicher Auto-Händler. Er liebt sie alle, diese PS starken Spielzeuge. Er trinkt gerne Wein, philosophiert darüber und ist ganz verrückt nach guten Speisen. Emma liebt ...

Emmas Mann Olivier ist leidenschaftlicher Auto-Händler. Er liebt sie alle, diese PS starken Spielzeuge. Er trinkt gerne Wein, philosophiert darüber und ist ganz verrückt nach guten Speisen. Emma liebt ihre Familie, ihre beiden Töchter, die eine zart besaitet, die andere robuster und ihren Sohn. Mit Olivier genießt sie das Leben, sie zehren von dem, was sie sich aufgebaut haben.

In einer Mittagspause geht sie in die Rue de Béthune, bleibt vor einem Restaurant stehen, überlegt und geht hinein. Sie setzt sich an den Thresen und bestellt einen Tee.

Plötzlich lacht er mit seinen Freunden. Ich höre sein Lachen nicht, weil er zu weit weg ist, ich sehe nur die aufscheinende Freude, die die Welt schöner macht, und eine unerwartete elektrische Ladung schießt in meinen Unterleib, verbrennt mich, öffnet mich; Kälte, Wind und alle Stürme, stürzen sich in meine unsichtbare, meine ungeahnte Schwachstelle. Alles in mir gerät in Panik. S. 20

Von diesem Tag an verbringt sie jede Mittagspause in diesem Restaurant.Sie beobachtet ihn, ihr Verlangen wächst, bis sie sich neben ihn setzt und ihn anspricht, erfährt, dass er Alexandre heißt, ebenso verheiratet und kinderlos ist.

Alexandre schleicht sich in ihre Nächte, lässt sie, neben Olivier, schlaflos innerlich brennen, bis sie das unvermeidbare wagt.

Fazit: Was für eine gelungene Geschichte. Die Stimmung zuerst prickelnd, erotisch und brisant und dann entsetzlich und traurig. Die Protagonistin ist überzeugend gezeichnet. Die Sprachbilder sind, vermutlich auch wegen der wunderbaren Übersetzung, gefühlvoll und leidenschaftlich. Ich mag, wie die Protagonistin ihr Leben analysiert, wie sie durch ihre Entscheidungen reift. Ihre Gedankengänge sind nachvollziehbar erzählt. Ich finde auch erstaunlich, dass der Autor, sich dermaßen gut in eine Frau hineinversetzen kann. Das zu können, ist große Empathie, es so zu schreiben, ist große Kunst. Chapeau.

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