Profilbild von MarionHH

MarionHH

Lesejury Profi
offline

MarionHH ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarionHH über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.10.2017

klassischer englischer Krimi im Sherlock-Holmes-Stil

Geheimnis in Rot
0

Wie jedes Jahr treffen sich die zahlreichen Mitglieder der Familie Melbury an Weihnachten auf dem Landsitz Flaxmere in der Nähe von Bristol. Hausherr und Familienoberhaupt Sir Osmond hat sich diesmal eine ...

Wie jedes Jahr treffen sich die zahlreichen Mitglieder der Familie Melbury an Weihnachten auf dem Landsitz Flaxmere in der Nähe von Bristol. Hausherr und Familienoberhaupt Sir Osmond hat sich diesmal eine besondere Überraschung ausgedacht: Ein Weihnachtsmann soll die Geschenke verteilen. Der erste Weihnachtsfeiertag verläuft jedoch ganz anders als geplant und endet mit einem Mord....am Hausherrn!

Klassischer Who-Dunnit-Krimi im Agatha-Christi-Stil, herrlich skurrile Charaktere, wunderbarer, etwas altmodischer Schreibstil und spannend bis zum Schluss. Keine blutige Action, keine ausufernden emotionalen Ergüsse, keine abgehalfterten Ermittler und auch keine psychologischen Abgründe, sondern ein wirklich solider Krimi im englischen Stil der 30er Jahre. Formal aufgeteilt ist das Buch in 21 Kapitel plus Nachwort, alle in der ich-Form geschrieben, jedoch nicht immer von denselben Verfasser. Ein interessantes Stilmittel der Autorin. Sie beginnt die Geschichte mit den Berichten von eingeladenen Gästen und Familienmitgliedern und gibt so erstens dem Leser die Möglichkeit, alle kennenzulernen, und zweitens berichtet sie von Ereignissen vor dem ominösen Tag. Sie gibt auf diese Weise Einblick in verschiedene Sichtweisen auf die Geschehnisse, und obwohl diese Berichte nach dem Mord als Auftrag des Ermittlers verfasst wurden, ist es für den Leser doch chronologisch und daher besser zu verstehen. Der Hauptteil wird vom Ermittler selbst, Colonel Halstock, verfasst, er nimmt den größten Raum ein und schildert die Befragungen und die Ermittlungsarbeit.

Nicht alle Charaktere sind sympathisch oder interessant, aber jeder ist einzigartig und wird sehr gut beschrieben. Ich persönlich fand den Ermittler Halstock ziemlich gut, er bedient sich in diesem Fall der typischen Sherlock-Holmes Methode der Induktion, sprich er ermittelt einzelne Fakten aus Aussagen, zieht logische Schlüsse, sieht schließlich das große Ganze und präsentiert dann die Lösung. Natürlich werden auch Spuren gesichert und man begibt sich auch einmal in andere Gefilde, um zu ermitteln, an sich ist die Lösungsfindung jedoch eine reine Denkleistung. Hilfreich sowohl für Halstock als auch für den Leser sind hierbei der Grundriss des Erdgeschosses von Flaxmere, um die Wege und Aufenthaltsorte der einzelnen Personen nachvollziehen zu können, und die oben schon erwähnten Berichte zu den Geschehnissen. Übrigens präsentierte sich die Lösung trotz aller zur Verfügung stehender Fakten und Hilfsmittel zumindest für mich doch einigermaßen überraschend.

Fazit: Toller Krimi in schönem Cover für alle Fans der klassischen englischen Detektivgeschichte. Wer die Bücher von Agatha Christi und Sir Arthur Conan Doyle mag, wird dieses hier ebenfalls lieben und den scharfsinnigen Colonel Halstock ebenso ins Herz schließen wie Hercule Poirot oder Sherlock Holmes. Eine Autorin, die sich mit ihrem Stil und dem gut konstruierten Fall nicht hinter den großen Namen der klassischen Kriminalliteratur zu verstecken braucht. Und obwohl sie nur drei Krimis geschrieben hat, hoffe ich doch sehr, dass der Klett-Cotta-Verlag uns bald in den Genuss weiterer Bücher von ihr bringen wird.

Veröffentlicht am 28.09.2017

Packende Fantasy

Die neun Prinzen von Amber
0

Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten ...

Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt: Seine Verletzungen heilen sehr viel schneller als bei gewöhnlichen Menschen. Nur seine Erinnerung kann er nicht alleine wieder herstellen. Er entlässt sich selbst und forscht seiner Herkunft nach. Langsam wird klar, wer er ist: Er ist Corwin, einer der Prinzen von Amber, der Mittelpunkt der Welt, der Mutter aller Städte, die Unsterbliche. Durch ein magisches Muster erlangt Corwin seine Erinnerungen zurück, und ab diesem Zeitpunkt kennt er nur ein Ziel: den Thron von Amber zu erobern.

Das erste Buch der Chroniken von Amber, neu aufgelegt durch den Klett-Cotta-Verlag, der ab 14.10.17 jeden Monat einen neuen Band veröffentlicht. Die Chroniken umfassen zwei Zyklen zu je fünf Bänden. Die einzelnen Bände sind recht dünn, die Handlung ist aufgrunddessen sehr kompakt dargestellt, es passiert unheimlich viel und das Schlag auf Schlag, der Schreibstil ist ungeheuer fesselnd, die Geschichtes spannend und das Ganze liest sich ratzfatz herunter. Ich war von der ersten Zeile an fasziniert, Hauptfigur Corwin, aus dessen Perspektive die Geschichte in der Ich-Form erzählt wird, ist ein cooler Typ, der einiges aushalten kann und durchaus auch kein Kind von Traurigkeit ist. Keiner der Charaktere ist schwarz-weiß, alle haben ihre speziellen Eigenschaften und auch durchaus Sinn für Humor. Im Laufe des Buches lernt man so einige seiner (Halb-)Geschwister kennen und über den einen oder anderen möchte man natürlich auch mehr erfahren. Der Autor entwirft zudem eine faszinierende magische Welt, neben welcher alle anderen Welten nur mehr Schatten, Spiegelbilder oder schlichtweg Chaos sind. Mit Hilfe von Spielkarten kommunizieren die Mitglieder des Königshauses miteinander, sie können außerdem mit der Kraft ihrer Gedanken magische Dinge tun. Die Gesellschaft von Amber mutet eher mittelalerlich an, trotzdem bedienen sich die Prinzen auch der Gegenstände aus der Welt der Schatten, z.B. Autos und Waffen. Dieser erste Band macht den Leser mit den Protagonisten vertraut und schildert Corwins Rückkehr nach Amber sehr anschaulich - auch Schlachtgetümmel und Waffengeklirr, fremdartige Wesen, unerwartete Verbündete und Verrat dürfen nicht fehlen.

Fazit: Alles in allem ein toller Auftakt zu einer faszinierenden Reihe. Packend von der ersten Zeile an dank Hauptfigur Corwin und tollem Schreibstil. Wen es einmal gepackt hat, der will unbedingt weiterlesen, und für Fans des Genres sowieso ein Muss. Ich warte gespannt auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 24.09.2017

Krimi mit Geschichtslektion

Die Gärten von Istanbul
0

Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit ...

Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit einem grausamen Mord konfrontiert: Vor dem Atatürk-Denkmal wird ein Mann mit durchgeschnittener Kehle gefunden, mit einer historischen Münze in der Hand. Was hat das zu bedeuten? Nevzat und seine zwei Assistenten, der impulsive Ali und die analytische Zeynep, machen sich an die Arbeit. Als am Tag darauf erneut eine ebenso zur Schau gestellte Leiche gefunden wird, ist klar: Man hat es mit einem Serienmörder zu tun. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt...

Klassischer Krimi, Reiseführer, Geschichtsunterricht - in diesem atmosphärisch dichten Roman hat man gleich drei Genres in Einem. Der Autor versteht es, einen komplexen Fall zu konstruieren und diesen mit der reichhaltigen Geschichte einer faszinierenden Stadt in Einklang zu bringen. Auch seine Charaktere sind einzigartig, vielschichtig und bieten reichlich Facetten. Besonders Hauptfigur Nevzat, aus deren Sicht die Ereignisse in der Ich-Form erzählt werden, gewährt, bedingt durch die Erzählperspektive, tiefe Einblicke in sein Seelenleben, in seine Gedankengänge zum Fall, aber auch in seine zwiespältige Gefühlswelt.

Formal ist das Buch in sieben Teile aufgeteilt, ein jedes - bis auf das letzte - wiederum in mehrere Kapitel. Diese haben als Überschrift sehr passende Zitate aus dem jeweiligen Kapitel. Der Schreibstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, mal flapsig, mal gehobener in den Geschichtspassagen, aber durchaus flüssig und gut zu lesen. Ich musste mich zunächst erst einmal an die fremdartigen Namen gewöhnen und die Anrede - in der Türkei wird geduzt, allerdings im geschäftlichen Umgang mit dem respektvollen Bey oder Hanim hinter dem Vornamen, was Herr oder Frau bedeudet.

Von den Charakteren fand ich Hauptkommissar Nevzet am Interessantesten, was natürlich auch der Erzähl-Perspektive geschuldet ist. Alles ist auf ihn ausgerichtet, er ist der führende Kopf im Team, dem zugearbeitet wird, und auch von seinem Privatleben erfährt man mit Abstand am meisten. Berührend wird seine Trauer um Frau und Kind beschrieben, seine vorsichtige Annäherung an eine neue Liebe, seine Verbundenheit mit seinen Freunden Yekta und Demir. Er ist ein Kind des türkischen Bildungsbürgertums, hochintelligent und sehr geschichtsinteressiert, außerdem liebt er seine Stadt Istanbul, obwohl diese ihm jeden Tag aufs Neue Schreckliches offenbart. Im Beruf ist er ein analytischer und sachlicher Denker, der loyal zu seinem Team steht, und ein absoluter Gerechtigkeitsfanatiker, im Privaten ein treuer und sensibler Gefühlsmensch. Neben ihm besteht als Charakter eigentlich nur noch die Museumsdirektorin Leyla in ihrer Vielschichtigleit und Hingebung zum Beruf. Sehr sympathisch waren mir aber auch der impulsive Ali und seine Kabbeleien mit Zeynep, er brachte immer ein bisschen Bodenständigkeit und Humor in die manchmal trockenen Exkurse, und Nevzets Freunde Demir und Yekta.

Inhaltlich ist der Roman sehr komplex. Er beginnt als klassischer Krimi: Mord und die Frage nach dem Wer und Warum. Schnell wird die geschichtliche Verbindung deutlich, seine Ermittlungen führen Nevzat durch das historische Istanbul, er bekommt es mit Museumsdirektoren, aber auch mit Baulöwen und Untnehmern, mit religiösen Eiferern und linken Vereinigungen zu tun. Ein Großteil nehmen in der Darstellung die geschichtlichen Exkurse ein, besonders in der Mitte des Buches tritt hierfür die Krimihandlung stark zurück. Diese Exkurse sind in gehobener Sprache verfasst und kommen mitunter sehr oberlehrerhaft herüber - was sogar auch explizit erwähnt wird. Ich muss gestehen, dass es selbst mir, als wirklich geschichtsinteressiertem Leser, manchmal zuviel wurde und dass ich lieber mehr über die Ermittlungsarbeit gelesen hätte. Auch fand ich die eine oder andere dargebrachte Lektion unnötig und den Erzähler derselben unglaubwürdig. Dass eine Museumsdirektorin sich auskennt, ist vollkommen legtim, auch wenn sie wirklich sehr oft ungebremst ihre Monologe ausführen durfte. Dass aber zwei Obdachlose ebenfalls das Wissen eines Geschichtslehrers besitzen, fand ich eher merkwürdig. Die extrem häufigen und ausufernden geschichtlichen Monologe gingen dann leider auf Kosten der Spannung. Sehr interessant fand ich hingegen durchweg die Beschreibung der historischen Stätten Istanbuls und wohltuend der Verzicht auf allzu blutige Details. Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann wieder gehörig Fahrt auf, die Krimihandlung gewinnt die Oberhand bis zum sehr packenden und auch überraschenden Finale.

Fazit: Interessante und durchaus gelungene Mischung aus Krimi und Geschichtslektion. Der Autor verfügt über ungeheures Wissen und liebt seine Stadt. Meines Erachtens eher nichts für den klassischen Krimileser, Interesse an der Geschichte der Stadt Istanbul ist unbedingt vonnöten, sonst wird es eine Quälerei. Wenn man sich hierauf einlässt, erfährt man viel über das Leben, die Menschen und natürlich die Vergangenheit dieser faszinierenden Metropole am Bosporus.

Veröffentlicht am 21.08.2017

Agententhriller der klassischen Art

Der Preis, den man zahlt
0

Spanien, November 1936: Das Land befindet sich seit einem halben Jahr im Bürgerkrieg. Die junge Republik kämpft gegen rechte Putschisten unter General Franco. Auf Seiten der linken nationalen Volksfront ...

Spanien, November 1936: Das Land befindet sich seit einem halben Jahr im Bürgerkrieg. Die junge Republik kämpft gegen rechte Putschisten unter General Franco. Auf Seiten der linken nationalen Volksfront stehen Sozialdemokraten, Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten, Franco wird unterstützt durch das Militär, diverse rechte Gruppen und die Falangisten und außerdem durch die deutschen und die italienischen faschistischen Regierungen. Jede Gruppierung hat ihren eigenen Führer und es gibt viele konkurrierende Geheimdienste, unter ihnen den SNIO mit Sitz in Salamanca, das sich unter der Kontrolle der Putschisten befindet.

Lorenzo Falco ist Agent des SNIO und Lieblingsspion seines Chefs. Im November soll er die Leitung eines besonders heiklen Auftrags übernehmen: die Befreiung eines Falangisten-Führers in Alicante, das fest unter der Kontrolle der Nationalisten steht. Zusammen mit einer Gruppe von Falangisten und dem deutschen Geheimdienst soll ein perfekt geplanter Sturm auf das Gefängnis stattfinden. Jeder muss sich auf den anderen verlassen können, aber nicht jeder spielt mit offenen Karten, und so gerät Falco bald zwischen die Fronten…

Sehr spannender und cleverer Spionagethriller der klassischen Art und Auftakt einer Serie um den Spion Falco. Der Autor verknüpft geschickt und klug die historischen Hintergründe mit einer spannenden Rahmenhandlung und er versteht es, die komplizierten und für den Laien oftmals verwirrenden Gruppierungen und ihr Anliegen verständlich zu machen. Sein Schreibstil ist anspruchsvoll, aber dennoch eingängig und fesselnd. Die aufregende und auch schreckliche Epoche des spanischen Bürgerkrieges, an dessen Ende Franco als Sieger hervorging und danach lange Zeit als Diktator herrschte, spielt eine große Rolle in der Geschichte, sie ist der Ursprung der Handlung. Die Figuren sind Kinder ihrer Zeit, es gibt Gewinner und Verlierer des Krieges. Die Zerrissenheit, die Angst, aber auch der politische Fanatismus und die Brutalität aller Beteiligten werden sehr plastisch dargestellt.

Die Geschichte ist gänzlich aus der Perspektive des Agenten Falco verfasst, auf ihn konzentriert sich alles. Falco ist ein charismatischer Mensch, der sich seiner Wirkung auf Frauen sehr bewusst ist und diese auch sehr aktiv zu seinem Vorteil zu nutzen weiß. Er ist charmant, intelligent, kühl, berechnend und kaltblütig. Sein Lebenslauf wird dem Leser nach und nach eröffnet, allerdings auch nur grob, gegenüber seinen Mitmenschen bleibt er gänzlich verschlossen. Freundschaften oder gar Beziehungen existieren nicht, die engste Bindung ist die zu seinem Chef, und zu ihm hat er auch das größte Vertrauen. Trotz seiner Zugehörigkeit zum SNIO wird nicht klar, welcher politischen Richtung er zuneigt. Grundsätzlich ist er sich selbst der nächste und er weiß sich herauszuhalten. Bei der Operation muss er sich auf ihm unbekannte, sehr unterschiedliche Menschen verlassen, und hier zeigen sich sein starker Charakter und Führungswille. Mit seinen teilweise brutalen Äußerungen eckt er auch häufig genug an und macht sich unbeliebt. Aufgrund dessen und aufgrund seiner Handlungen ist er alles andere als ein sympathischer Charakter, eher zwiespältig und polarisierend, aber als Figur ist er sehr dominant, so dass man als Leser sofort unglaublich mit ihm mit lebt. Die anderen Charaktere, besonders die männlichen, bleiben in meinen Augen eher blass.

Als weiblichen (Gegen-)Part hat der Autor Falco Eva Rengel zur Seite gestellt. Sie ist ganz anders als die Frauen, die Falco sonst so aufreißt, unweiblich, ungepflegt, hart im Nehmen, extrem selbstbewusst und undurchsichtig. Ich muss gestehen, dass sie mir im Laufe der Zeit immer unsympathischer wurde. Ihre „stillen Blicke“ gingen mir nach einiger Zeit ebenso auf die Nerven wie ihre ständigen Unterstellungen, Äußerungen könnten gegen sie als Frau gerichtet sein. Mit ihr konnte man sich so gar nicht identifizieren, allerdings auch mit keiner anderen weiblichen Protagonistin. Sie blieb mir im gesamten Buch fremd, insofern hielt sich mein „Mitleben“ mit ihrer Person auch sehr in Grenzen, ganz anders bei Falco, der nach bester Agentenmanier in lebensbedrohliche Situationen kommt, dem man aber wünscht, heil wieder heraus zu kommen.

Fazit: Starker Autor, tolles Buch! Der Autor verwebt sein historisches Fachwissen klug und unprätentiös mit einer spannenden Handlung, die durchaus einige überraschende Wendungen bereithält, und er schreckt auch vor brutalen und blutigen Szenen nicht zurück. Ein gewisses Interesse an historischen Begebenheiten ist von Vorteil und die Bereitschaft, sich vielleicht einmal ein bisschen mit den Hintergründen zu befassen. Dies trägt zumindest zum besseren Verständnis bei. Der Roman ist nichts zum Herunterlesen, obwohl gar nicht einmal so dick, ist die Handlung kompakt und teilweise verworren, aber nie langweilig. Dass der Autor ein großer Erzähler ist, hat er hinlänglich bewiesen, und auch dieser Auftakt um den charmanten Spion ist sehr gelungen und macht Lust auf Mehr!

Veröffentlicht am 15.08.2017

Starkes Buch über starke Frauen!

Der Frauenchor von Chilbury
0

Chilbury, Kent in England, 1940: Fast alle Männer im Dorf wurden für den Zweiten Weltkrieg eingezogen. Die Frauen übernehmen mehr und mehr die anfallenden Arbeiten auf Höfen und in Läden oder arbeiten ...

Chilbury, Kent in England, 1940: Fast alle Männer im Dorf wurden für den Zweiten Weltkrieg eingezogen. Die Frauen übernehmen mehr und mehr die anfallenden Arbeiten auf Höfen und in Läden oder arbeiten als Krankenschwestern oder beim Nachrichtendienst. Da wird – zum Schrecken der weiblichen Bevölkerung – der Chor von Chilbury wegen Männermangel aufgelöst. Die Damen sind entsetzt, haben dem aber nichts entgegen zu setzen. Eines Tages zieht Primrose Trent, Musikprofessorin aus London, ins Dorf und mischt dieses kräftig auf. Sie gründet einen reinen Damenchor und meldet diesen sogar entgegen aller Widerstände bei einem Gesangswettbewerb an. Doch der Krieg ist in vollem Gange und macht auch vor dem kleinen Dorf nicht Halt…

Bezauberndes Buch über die Hoffnung in schweren Zeiten, über das Über-sich-Hinauswachsen in Krisenzeiten, aber auch über Selbstfindung, Läuterung und nicht zuletzt die Liebe. Eigentlich sind es mehrere Geschichten, die in Form von Bekanntmachungen, Tagebüchern, Briefen und Schlagzeilen in Zeitungen erzählt werden. Über einen Zeitraum von März bis Anfang September 1940 wird von großen und kleinen Kümmernissen, von Intrigen, kriminellen Machenschaften, aber auch von Träumen, Hoffnungen und Wünschen berichtet. Durch die gewählte Erzählform hat man das Gefühl, dies alles geschieht wirklich und man selber ist mittendrin, man wird Teil der Dorfgemeinschaft und erlebt hautnah alle Geschehnisse mit. Die Autorin hat einen wunderbaren Schreibstil, locker, aber doch stilvoll, jeder Brief, jeder Tagebucheintrag, jede Notiz erhält eine eigene Note, und trotz der damit verbundenen häufigen Perspektivwechsel und kurzen „Kapitel“ liest sich das Ganze ungeheuer flüssig. Es ist an sich ein Buch der leisen Töne. Sicherlich sind die großen Erlebnisse und Ereignisse einschneidend und haben weitreichende Konsequenzen, doch es sind die kleinen Dinge, die Mut machen und amüsieren, an Hand derer die Protagonisten ihre Entscheidungen fällen und die den Leser oftmals überraschen.

Jeder Charakter ist vielschichtig und man erfährt einiges über das Selbstbild von einzelnen Menschen, das oft in einigem Gegensatz zu dem Bild steht, das andere von demjenigen haben. Das machte für mich einer der größten Reize aus, es wird ein Ereignis oder ein Person aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben, doch es wiederholt sich niemals und wird niemals langweilig, im Gegenteil. Es ist interessant zu lesen, wie Ereignisse wahrgenommen werden, sie bekommen aus jeder Perspektive heraus eine eigene Dynamik. Das Ganze lebt zudem von den starken Charakteren und der Entwicklung von einzelnen Figuren. Einerseits ist da eine durchaus in sich geschlossene Dorfwelt mit teilweise skurrilen Menschen, mit ihren Befindlichkeiten, Feindseligkeiten und Geheimnistuereien. Sie versuchen lange, ihre gewohnten Abläufe und Strukturen beizubehalten. Andererseits ist da die Außenwelt und diese dringt immer mehr in das Dorf ein und verändert es. Durch den Krieg sind die Frauen gezwungen selbst die Initiative zu ergreifen, doch sie müssen sich auch erst einmal dazu durchringen, die Entscheidungsgewalt lag bislang bei den Männern. So verändert sich die Gesellschaft, die Frauen werden selbständiger und selbstbewusster, und die Persönlichkeit manch einer gewinnt an Substanz und Eigenständigkeit, manch eine beweist ungeahnte Führungsqualitäten, manch eine zeigt ihr wahres Gesicht oder verstellt sich nicht mehr. Es ist ein Frauenroman, Männer spielen dabei zwar auch eine Rolle, aber bleiben doch zumeist im Hintergrund, da sie im Krieg sind, haben eine Nebenrolle oder werden in ihre Schranken verwiesen.

Fazit: Ein wunderbarer Roman und gleichzeitig ein Zeitzeugnis davon, wie Frauen an der Heimatfront ihr Leben meisterten, ihren Mann standen und über sich hinauswuchsen. Ein Buch, das zeigt, was Menschen leisten, wie sie sich und die Gesellschaft verändern können. Es sind die stillen Helden, die die Welt verändern. Wundervoll geschrieben in einem außergewöhnlichen Stil, der fesselt, und eine Autorin, die es versteht, ein schwieriges und trauriges Kapitel der Geschichte hoffnungs- und humorvoll und ihre Charaktere liebevoll zu behandeln. Eine, die man sich merken sollte und von der es hoffentlich bald mehr zu lesen gibt!