Profilbild von MarionHH

MarionHH

Lesejury Profi
offline

MarionHH ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarionHH über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.10.2022

Eisige Schönheit – Erster Fall für Hanna Ahlander und Daniel Lindskog

Kalt und still
0

Die Stockholmer Ermittlerin Hanna Ahlander ist am Boden zerstört: Ihr Chef macht ihr klar, dass sie im Revier unerwünscht ist, weil sie einen gewalttätigen Kollegen überführen wollte, und als sie nach ...

Die Stockholmer Ermittlerin Hanna Ahlander ist am Boden zerstört: Ihr Chef macht ihr klar, dass sie im Revier unerwünscht ist, weil sie einen gewalttätigen Kollegen überführen wollte, und als sie nach Hause kommt, verkündet ihr ihr Freund, dass er sie wegen einer anderen verlässt. Tief verletzt zieht sie sich in das Ferienhaus ihrer Schwester Lydia im idyllischen und tief verschneiten Örtchen Åre zurück, dem Ort ihrer Kindheit. Dort wird gerade ein Mädchen vermisst, und um sich abzulenken, beteiligt sich Hanna an der Suche. Als sie einige Informationen an den leitenden Ermittler Daniel Lindskog und sein Team heranträgt, erkennen die Polizisten, sowieso chronisch unterbesetzt, ihr Potential. Ehe sie sich‘s versieht, steckt sie mitten in den Ermittlungen und in einem Fall, der komplexer ist als zunächst angenommen…

Sehr spannender und solide aufgebauter Krimi in den Bergen Nordschwedens. In der eisigen Schönheit der Welt in der Nähe des Polarkreises ist ein Mädchen verschwunden und bei Minus zwanzig Grad empfiehlt sich kein längerer Aufenthalt in der Natur. In bewährter Manier entwirft die Erfolgsautorin ihre Figuren und schafft ein interessantes neues Ermittlerduo, das sich aufs Trefflichste ergänzt und doch sehr individuelle Züge besitzt. Sowohl Hanna als auch Daniel sind zwei hochintelligente Ermittler, die so sehr für ihren Job brennen, dass das Privatleben zur Nebensache wird, die sich aber dennoch innerlich zerreißen, um allem und jedem gerecht zu werden. Und Gerechtigkeit ist immens wichtig für sie. Auf dieser Zerrissenheit zwischen Job und Privatem liegt ein besonderer Fokus in der Geschichte und zeigt sehr gut die hervorstechendsten Charaktereigenschaften, die diese beiden Persönlichkeiten ausmachen. Beide sind mit einem schwierigen Verhältnis zu ihren Eltern belastet und haben Probleme in der Partnerschaft. Zudem wurden und werden beide mit Gewalt konfrontiert, Hanna als – noch immer schwer traumatisiertes – Opfer und Daniel, der gegen sein hitziges Temperament ankämpft und ganz schön austicken kann. Pikanterweise verkörpert Daniel damit genau den Typ Mann, den Hanna aufs Tiefste verabscheut. Dieses Aufreiben zwischen zwei Welten, das Hadern mit sich und der Umgang mit anderen und sich selbst nimmt einen Großteil des Plots ein.

Die Geschichte ist gut aufgebaut und zeigt von Anfang an einen sich stetig aufbauenden Spannungsbogen. Die Spannung wird hierbei sowohl ermittlungstechnisch als auch psychologisch erzeugt und lebt ein großes Stück weit von den verschiedenen Perspektiven, aus denen erzählt wird und die dem Leser Einblicke in zerrüttete Familien und zweifelhafte Gesellschaftsstrukturen gibt und die scheinheilige Doppelmoral in Privat- und Berufsleben aufzeigt. Bis etwa zur Mitte des Buches laufen denn auch zwei Handlungsstränge parallel nebeneinander, einmal Hannas private Situation und ihr eigener Fall um die Reinigungsfrau Zuhra und zum anderen Daniels Ermittlungen im Fall Amanda. Nach und nach verknüpfen sich beider Leben und in dem Maße wird auch immer deutlicher, dass und wie alles zusammenhängt. Ich fand sehr wohltuend, dass die Autorin weitgehend auf blutig-reißerische Action verzichtet und den Leser durch ihre vielschichtigen Charaktere mit sensiblem Innenleben und tiefen Einblicken in menschliche Abgründe fesselt. Ihre sehr bildhaften Beschreibungen der lokalen Verhältnisse lassen alles vor dem geistigen Auge auferstehen und man spürt förmlich die Eiseskälte draußen und in den Herzen. Die Lösung des Kriminalfalls selbst kann man bei aufmerksamem Lesen durchaus erahnen, was aber dem Lesevergnügen keineswegs Abbruch tut.

Fazit: Gut gelungener Auftakt in die neue Reihe vor atemberaubender Kulisse. Die Erfolgsautorin beweist einmal mehr ihr Erzähltalent und legt einen atmosphärisch dichten Krimi mit einen interessanten neuen Ermittlerteam vor, das hohes Entwicklungspotential hat. Meiner Meinung nach dürften die nächsten Fälle gerne verschachtelter und komplexer werden, aber alles in allem ein empfehlenswertes Buch, das Lust auf weitere Fälle macht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.09.2022

Kunstsammler und eine junge Kunstschätzerin im viktorianischen England

Die Kunstschätzerin
0

Die junge Eleanor Sheffield hat es gerade nicht leicht: Ihr Vater, ein Kunstexperte, ist verstorben und sie soll seine Firma, die Betreuung reicher Sammler und die Restauration von wertvollen Kunstgegenständen, ...

Die junge Eleanor Sheffield hat es gerade nicht leicht: Ihr Vater, ein Kunstexperte, ist verstorben und sie soll seine Firma, die Betreuung reicher Sammler und die Restauration von wertvollen Kunstgegenständen, übernehmen. Im viktorianischen England ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Ihr Onkel Lewis leidet an beginnender Demenz und der einzige Mitarbeiter macht keinen Hehl daraus, dass er sie als Frau dafür völlig ungeeignet findet. Da betraut der verstorbene Vater ihrer Jugendliebe sie post mortem mit einem delikaten Auftrag: Sie soll entscheiden, ob seine Sammlung an seinen Sohn Harry gehen oder einem Museum vermacht werden. Dafür soll sie die moralische Gesinnung und Zuverlässigkeit Harrys prüfen. Schnell stellt sie fest, dass dies ein vertrackter Auftrag ist, denn die Firma hat Schulden, ihre Stellung in der Gesellschaft leidet und zudem hegt sie noch Gefühle für Harry.

Das Buch entführt in die Welt der Kunst, der Kunstsammler und Mäzene, des Kunstraubs und der Raubkunst, der geneigte Leser erfährt viel über echte und gefälschte Kunst und vor allem über die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Lage der Frauen in der strengen viktorianischen Gesellschaft. Die Autorin hat einen eingängigen und gut lesbaren Stil, wenn auch ihre Sprache mitunter etwas gestelzt daherkommt. Dies wiederum passt aber zur Epoche und es darf im Buch auch gelacht werden. Die Geschichte hat mich sofort gefesselt und ich fand ihre Beschreibungen bildhaft und detailliert. Die Autorin zeichnet ein authentisches Bild der viktorianischen Ansichten und Moralvorstellungen, steht diesen jedoch, wie mir scheint, keinesfalls kritisch gegenüber. Ihre Protagonistin ist demnach auch keine Rebellin, sie ist angepasst, keusch und zurückhaltend. Durch ihren Vater hat sie großes Wissen als Kunstbegutachterin erworben, was per se ungewöhnlich ist, doch dieses Wissen ist auch nur in Ordnung, wenn man es als Frau zur Unterstützung für den Mann anwendet. Selbstständig zu sein, gar eine Firma zu leiten, für eine Familie zu sorgen ist unerwünscht. Eleanor versucht dies zwar mit all ihrer Kraft, und sie stellt sich dabei in meinen Augen sehr gut an, scheitert jedoch. Erst als sie wieder männlichen Beistand hat, ändert sich dies, sie kann als Kunstmäzenin arbeiten und ihr Ruf ist wieder hergestellt.

Eleanor als Person rief zwiespältige Gefühle in mir hervor. Zum einen ist sie eine sympathische, bescheidene, gutherzige und kluge Person, die Mitgefühl für ihre Mitmenschen hat und sich um die Ihren sorgt. Man folgt ihr gerne auf ihrem Weg und wünscht ihr alles Glück der Welt. Sie versucht mit all der ihr zur Verfügung stehenden Mittel das Unternehmen weiterzuführen, ihre Entscheidungen waren in meinen Augen sehr mutig, werden jedoch von den Männern im Buch in Frage gestellt. Egoismus ist ihr völlig fremd, und kritische oder negative Gefühle wie Eifersucht unterdrückt sie heldenhaft. Große Kraft findet sie in ihrem Glauben, etwas, das für meinen Geschmack mit Psalmenzitaten, Gebeten und Bitten um Gottes Beistand etwas zu sehr betont wurde. Die folgenschwerste Entscheidung trifft sie aus Stolz, einer der sieben Todsünden, und folgerichtig muss sie dafür büßen. Ihre Zweifel und zwiespältigen Gefühle kommen sehr gut herüber, sie möchte gern alles richtig machen und hinterfragt häufig ihre eigenen Entscheidungen. Wenn sie etwas herausfindet, behält sie es eher für sich. Für mich war es, als gestehe sie sich selbst keinen eigenen Willen zu, stattdessen strebte sie danach zu heiraten und darin ihre Erfüllung zu finden. Dies wiederum entspricht vollkommen dem Kodex der Zeit und sie somit der Idealvorstellung der viktorianischen Frau. Interessanterweise steht sie damit in krassem Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihre eigene Entscheidung getroffen hat, indem sie ihre Familie und die ihr zugedachte Rolle verließ.

Recht gelungen fand ich die Darstellung der weiteren Charaktere, Harry als die zweite Hauptfigur blieb zwar mitunter etwas blass, war zwischenzeitlich aber durchaus geheimnisvoll, und die anderen sind gut herausgearbeitet und haben Persönlichkeit, allen voran Eleanors Onkel Lewis, ihre Haushälterin Orchie und ihre Freundin Maguerite. Durch die Ich-Erzählweise hat der Leser auch ausschließlich die Perspektive Eleanors, die nicht eben objektiv ist. Über einige wie etwa Marguerite hätte ich gerne mehr erfahren und mitunter war die Handlung etwas statisch. Alles in allem ging für mich die Geschichte aber auf und trotz einiger Längen im mittleren Teil war sie auch recht spannend.

Fazit: Wer Romantik á la Jane Austen, das Aufspüren eines Geheimnisses oder Gesellschaftskritik erwartet, ist hier falsch. Die Protagonistin ist eine sympathische Figur, deren Aktivität eher bestraft wird und die erst in der ihr zugedachten Rolle wieder aufblüht. Dies scheint ganz im Sinne der Autorin zu sein, denn starke und autonome Frauen kommen gar nicht oder nur am äußersten Rande vor. Für mich aber schön zu lesen und mit interessanten neuen Erkenntnissen über Kunst und die Sammelleidenschaft der Viktorianer.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.09.2022

Cassie Raven ist wieder da – Forensik-Krimi at its best

Wer mit den Toten spricht
0

Cassie Raven, Sektionsassistentin aus Leidenschaft, hat gerade erfahren, dass die Geschichte um den Tod ihrer Eltern, die sie von ihrer polnischen Großmutter erfahren hat, vollkommen erstunken und erlogen ...

Cassie Raven, Sektionsassistentin aus Leidenschaft, hat gerade erfahren, dass die Geschichte um den Tod ihrer Eltern, die sie von ihrer polnischen Großmutter erfahren hat, vollkommen erstunken und erlogen ist. Stattdessen wurde ihre Mutter ermordet und ihr Vater des Mordes verurteilt. Das muss sie erst einmal verdauen. Da treten ihre Gäste in der Leichenhalle fast in den Hintergrund, vor allem, als auch noch ihr Vater auftaucht und behauptet, unschuldig zu sein. Um alles auf die Reihe zu kriegen, braucht sie einmal mehr die Hilfe der spröden Polizistin Flyte, die ihre eigenen Päckchen mit sich herumträgt.

Die Autorin bleibt ihrem Stil treu – zum Glück! – und konstruiert einen Forensik-Krimi, der mehrere Handlungsstränge und damit Fälle in sich vereint. Der Forensik-Fall scheint zunächst recht harmlos und nicht besonders ermittlungsintensiv, erweist sich aber als zunehmend komplex. Das Wichtigste ist jedoch, dass er die beiden so unterschiedlichen Frauen Cassie und Flyte wieder einmal zusammenbringt und sie sich dadurch weiter aneinander annähern. Wie im ersten Band wird die Geschichte abwechselnd aus Cassies und aus Flytes Sicht erzählt, die Kapitel jeweils passend überschrieben, und je mehr der Fall voranschreitet, desto häufiger werden Flytes Anteile. Dadurch erhält man als Leser naturgemäß tiefen Einblick in die Psyche der beiden Frauen und ihrer Traumata und weiß somit erst einmal mehr als die Protagonisten. Der Fokus liegt diesmal stärker auf Cassies privatem Fall und ihrer Vergangenheit, der Aufarbeitung und Aufklärung des Mordes an ihrer Mutter, als auf den Forensikfällen, und ihre Nachforschungen hierzu nehmen einen großen Raum ein. Aber auch Flytes seelischer Schmerz ist sehr greifbar, und in dem Maße wie sich beide öffnen und den Ermittlungen voranschreiten, in dem Maße bröckelt auch Flytes stahlharter Panzer.

Ich fand es ausnehmend gut, dass auch hier wieder Cassies Arbeit in der Rechtsmedizin viel Platz einnehmen und detailliert beschrieben wird. Cassie liebt ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz, sie ist gewohnt sensibel und einfühlsam und behandelt die ihr zugeteilten Toten mit Respekt und spricht mit ihnen. Und die Toten sprechen mit ihr, was den einen oder anderen Hinweis auf die Lösung bietet. Cassies Visionen, Geistes- und Erinnerungsblitze oder wie man es auch immer nennen mag überfallen sie zu den unmöglichsten Zeiten und tragen einen großen Teil zur Lösung und Erkennung der Wahrheit bei. Ist es bei Flyte eine Aufarbeitung, ist es bei Cassie ein knallharter Kriminalfall, beide helfen sich gegenseitig mit ihrem Fachwissen. Ich fand es einmal mehr bezaubernd, wie sich beide zwischendurch immer beäugen und sich fragen, wieso sie sich für die andere so ins Zeug legen. Die beiden haben auf jeden Fall das Potential auf eine lebenslange Freundschaft!

Der Autorin gelingt es erneut, vielschichtige Charaktere, einen sehr gut konstruierten, verschachtelten Krimi und einen herrlichen Plot zu verfassen, wobei sie die Spannung eher subtil aufbaut, doch mit jedem Kapitel steigert bis hin zum doch recht überraschenden Ende. Man trifft lieb gewonnene Figuren wieder, wie zum Beispiel Cassies Großmutter, und erfährt Neues aus ihrem Leben. Humorvoll und sensibel und unglaublich eingängig fesselt die Autorin mit ihrem Schreibstil und mit ihrer Geschichte.

Fazit: Absolut lesens- und lohnenswerter Krimi, wobei sich die Lektüre des ersten Bandes vorweg auf jeden Fall empfiehlt. Man kann sicherlich der Geschichte auch so folgen und erfährt auch so vieles über die ungewöhnlichen Protagonisten, jedoch versteht man die Zusammenhänge besser, denn dieser Band schließt gerade in Bezug auf Cassies Leben nahtlos an den Vorgänger an. Für mich eine sehr gelungene Fortsetzung der Reihe, die die Lust, mehr über Cassie Raven und Phyllida Flyte zu lesen, erneut gesteigert hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.08.2022

Dunkle Orte in einem komplexen Psychospiel

Bruch
0

Als ihrem Versetzungsantrag nach Dresden stattgegeben wird, will Hauptkommissarin Nicole Schauer am liebsten gleich wieder weg: Ihr neuer Kollege Felix Bruch wirkt desinteressiert und abwesend, die anderen ...

Als ihrem Versetzungsantrag nach Dresden stattgegeben wird, will Hauptkommissarin Nicole Schauer am liebsten gleich wieder weg: Ihr neuer Kollege Felix Bruch wirkt desinteressiert und abwesend, die anderen halten sie für einen Besser-Wessi und der neue Fall um ein verschwundenes Mädchen, den sie gleich aufs Auge gedrückt bekommt, hat es in sich. Zudem ist sie nach überstandener Krebserkrankung und neuem Status als Single mit sich und der Welt längst nicht im Reinen. Gut, dass sie gleich um Rückversetzung gebeten hat!

Ein sonderbares Ermittler-Pärchen, das uns da präsentiert wird. Beide bei Weitem keine reinen Sympathieträger und mit äußerst zweifelhaften Ermittlungsmethoden. Die scheinbar einzige Gemeinsamkeit, die einem gleich ins Auge fällt, ist beider psychische Angeschlagenheit, die zwar jeweils andere Ursachen hat und sich auch völlig unterschiedlich auswirkt, die aber zeigt, wie verletzt und verletzlich sie sind. Das Zusammenraufen geht denn auch sehr schleppend voran und als Leser ist man skeptisch, was den Erfolg betrifft, sowohl den der Annäherung als auch den der Ermittlung.

Der Fall selbst erweist sich nach anfänglich scheinender Routinearbeit als zunehmend komplexes Konstrukt mit Ursprüngen in der Vergangenheit. Die Betroffenen, ob Zeugen, Opfer oder Verdächtige, geben wenig Hilfreiches preis und haben alle etwas zu verbergen. Bruch und Schauer sind in ihrer Arbeit so unterschiedlich wie in ihrem Wesen, sie voranpreschend und emotional, geradlinig und Fragen stellend, er in sich gekehrt und beobachtend, mitunter komplett emotionslos. Wo Schauer aggressiv wird, ist Bruch desinteressiert, wo Schauer losläuft, bleibt er stehen und lässt alles erst einmal auf sich wirken. Und dennoch ist ihnen gemein, dass sie sich in den Fall reinhängen und ihn um jeden Preis lösen wollen. Beiden ist es auch ein persönliches Anliegen, dessen Ursache sich nach und nach offenbart.

Dank des unglaublich eingängigen Schreibstils, der tiefsinnigen Charakterisierung seiner Figuren und einem packenden Fall, der sich als komplexer erweist als gedacht, gelingt es dem Autor, den Leser sofort zu fesseln. Geschickt erzählt er die Geschichte in teilweise abrupten Perspektivwechseln, wobei man äußerst tiefe Einblicke in das Seelenleben der beiden Protagonisten erhält und ihr Verhalten nachvollziehen kann. Sie nehmen sich, ihre Umgebung und ihre Mitmenschen sehr unterschiedlich wahr und kommentieren das Handeln des anderen in Gedanken, Schauer zynisch, Bruch genervt. Nur schwer kommt ein Dialog in Gange, und Schauers misstrauisches Wesen zweifelt zudem an Bruchs Zuverlässigkeit. Unter diesen Umständen kann von einem Zusammenraufen auch erst einmal nicht die Rede sein, beide sind Einzelgänger und lassen sich schwer auf andere Menschen ein. Dennoch findet schließlich und unbegreiflicherweise eine leise Annäherung statt, mehr als einmal reagiert Bruch Schauer zuliebe, antwortet auf ihre Fragen, hilft ihr, wenn sie Angst hat. Und Schauer kommt nach und nach dahinter, was mit Bruch los ist, hinterfragt seine Gedankengänge und wägt sie ab und reagiert dabei durchaus einfühlsam. Zudem decken sich beide gegenüber ihrem Vorgesetzten, setzen sich als Team also über die Vorschriften und erkennen die Lösungsansätze des anderen an. Der Fall gerät bei aller Problematik nie in den Hintergrund, sondern steigert sich in der Spannung bis zum finalen Showdown.

Fazit: Sehr gelungener Einstieg in die neue Krimireihe, deren dunkle Orte in der Umgebung, aber mehr noch in der Psyche der beiden Protagonisten zu finden sind. Ich sehe gerade in den Beschreibungen der Charaktere die große Stärke, auch die anderen Figuren sind vielschichtig und komplex, und gerade die Zerrissenheit und Versehrtheit von Bruch und Schauer und ihr Zusammenspiel sind spannend und mitunter auch rührend. Zusammen mit dem verschachtelten Fall, in dem nichts ist wie es scheint, ergibt das eine perfekte Mischung und einen fesselnden Psycho-Krimi.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.08.2022

Spannendes Katz-und-Maus-Spiel in Hamburg

Das Profil
0

Kaum bekommt Franka Erdmann, altgediente Beamtin der Mordkommission in Hamburg, den neuen jungen Kollegen Alpay Eloglu zur Seite gestellt, werden die beiden auch schon zu zwei brutalen Tötungsdelikten ...

Kaum bekommt Franka Erdmann, altgediente Beamtin der Mordkommission in Hamburg, den neuen jungen Kollegen Alpay Eloglu zur Seite gestellt, werden die beiden auch schon zu zwei brutalen Tötungsdelikten gerufen: eine im Sand vergrabene männliche Leiche und eine erfolgreiche Influencerin. Es stellt sich heraus, dass beide im selben Zeitfenster getötet wurden. Hängen die beiden Fälle zusammen? Während sich Franka sowohl als Ermittlerin beweisen als auch mit Alpay zusammenraufen muss, bleibt es nicht bei einer toten Influencerin…

Perfides und sehr spannendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem intelligenten Serienmörder und den Ermittlern der Polizei, allen voran Franka Erdmann und Alpay Eloglu, bei dem man mehrfach zweifelt, wer am Ende die Nase vorn hat. Auch wenn die Taten brutal sind und der Hergang auch durchaus beschrieben wird, spart sich der Autor reißerisch-blutige Details und punktet stattdessen mit solider, kontinuierlich aufgebauter Spannung, einer gut konstruierten Geschichte und einem ungeheuer eingängigen Schreibstil. Diese zieht sich zum einen aus dem ungleichen Ermittlerduo Erdmann und Eloglu, die sich anfangs eher behindern als unterstützen und ihre Vorurteile gegenüber dem anderen nur schwer niederlegen können. In dem Maß wie der Fall voranschreitet nähern sich diese beiden so unterschiedlichen Charaktere aneinander an bis zum gegenseitigen Respekt. Zum anderen wird der in meinen Augen größte Spannungsbogen durch den hohen Anteil an der Erzählperspektive des Mörders, der als intelligenter Gegenspieler zu Franka agiert, erreicht, wodurch der Leser Täterwissen hat und den Ermittlern somit – ebenso wie der Täter – immer einen Schritt voraus ist. Außerdem erhält der Leser einen tiefen Einblick in die verstörende und gestörte Psyche und die Traumata des Täters und damit in seine Motive. Ich kam nicht umhin mit dem Mörder mitzufühlen und Mitleid zu empfinden, wodurch man in einen gewissen Zwiespalt geriet. Erschwerend kam hinzu, dass die getöteten Influencerinnen mir nicht eben sympathisch waren. Geschickt verwebt der Autor Geschehnisse aus der Vergangenheit des Täters mit den Ereignissen der Gegenwart und führt sie in einem direkten Zusammenhang, so dass seine Taten plausibel und nachvollziehbar erscheinen.

Mir hat das Zusammenraufen und sich nach und nach Ergänzen des recht unterschiedlich gestrickten Ermittlerduos sehr gut gefallen. Platt könnte man sagen, da spielt alt gegen jung, ungesunder Lebensweise gegen jugendliche Fitness, Routine gegen vorpreschende Grünschnabel-Attitüde. Bei näherem Hinsehen und im Laufe des Voranschreitens der Ermittlungen lernen die beiden immer mehr voneinander, und es stellt sich heraus, dass ihre Einstellung und Hartnäckigkeit sich in nichts nachstehen. Ich fand die in meinen Augen sehr authentische Beschreibung der polizeilichen Ermittlungsarbeit sehr gelungen, mir gefiel dieses akribische Vorgehen und ich fand es sehr spannend, wie sich nach und nach das Täterprofil für die Ermittler herauskristallisiert hat.

Fazit: Für diejenigen, die selbst gerne ermitteln, nicht geeignet, denn durch Rückblicke auf das Leben des Mörders werden die Zusammenhänge und Motive immer deutlicher. Die Spannung erzeugt sich aus der Psychologie und das Zusammenspiel zwischen Ermittler und Täter und der Frage, wieviel Mitleid und Verständnis man für einen Mörder aufbringen darf. Eines jedoch steht außer Frage: Der Autor hat ein interessantes neues Ermittlerduo zum Leben erweckt, von dem man gerne mehr lesen möchte!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere