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Veröffentlicht am 26.08.2019

Was geschah mit Aurora Jackson?

Bis ihr sie findet
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In einem Waldstück in der Nähe von Southampton findet ein Kind zufällig eine stark verweste Leiche. Der zum Tatort gerufene Ermittler, Jonah Sheens, ist sich sicher: Das ist die vor dreißig Jahren verschwundene ...

In einem Waldstück in der Nähe von Southampton findet ein Kind zufällig eine stark verweste Leiche. Der zum Tatort gerufene Ermittler, Jonah Sheens, ist sich sicher: Das ist die vor dreißig Jahren verschwundene 14jährige Schülerin Aurora Jackson, die dort zu jener Zeit mit einer Gruppe Jugendlicher zelten war. Kann nun endlich dieser lang zurückliegende Fall, der ihn sein ganzes Leben beschäftigt hat, gelöst werden? Sheens stürzt sich mit seinem Team, darunter die neue Kollegin Juliette Hanson, in die Ermittlungen, und bald sind nicht nur die damals Beteiligten verdächtig, sondern auch ein Lehrer und sogar Sheens selber…

Toller, eher klassischer Krimi, der sehr von der Tatsache lebt, dass das eigentliche Verbrechen lange zurückliegt und nicht leicht rekonstruiert werden kann sowie von seinen Dialogen und der Interaktion seiner Figuren. Er kommt dabei wohltuenderweise ohne allzu grausame Action oder blutige Szenen aus und schafft auf hintersinnige Art und Weise Spannung. Die Ermittlungsarbeit besteht zum Großteil aus Befragungen der damals beteiligten Personen, die inzwischen natürlich erwachsen sind und die alle einen Ruf zu verlieren haben. Hieraus und aus der Tatsache, dass auch Chief Sheens die Tote gekannt hat, zieht der Thriller meines Erachtens den Hauptteil seiner Spannung. Die verschiedenen Perspektiven beleuchten die unterschiedlichen Aspekte der Geschehnisse sowie die persönlichen Hintergründe, Motive und Gefühle der einzelnen Beteiligten. Besonders packend sind die Rückblenden in das Jahr der Ereignisse und die daraus resultierenden Abhängigkeiten der Gruppe voneinander. An sich ist der Kreis der Verdächtigen eher klein, doch nach und nach fügen sich all diese Puzzleteile ineinander und enthüllen, was wirklich geschah. Die Lösung war denn auch – wenn auch nicht vollkommen überraschend – so doch fesselnd im Hinblick auf die Manipulationen und psychischen Zwänge des Täters. Einiges hätte für meinen Geschmack auch ruhig noch stärker herausgearbeitet werden können, aber vielleicht wäre das dann auch zu sehr in Richtung Psychothriller abgedriftet, und es war trotz allem durchaus eine kompakte Story und ein komplexer Fall

Die Figuren sind interessant und vielschichtig angelegt, mit sehr eigenen Persönlichkeiten und mitunter auch ein bisschen mysteriös. Die Mitglieder aus Sheens Ermittlerteam scheinen alle ihr Päckchen zu tragen zu haben, ihr Privatleben bleibt aber (noch) vage, denn sie sind eher verschlossen. An Sheens kam ich nicht unmittelbar gleich heran, obwohl ich ihn faszinierend fand. Er ist ein erfahrener Polizist und sowohl mit hoher Intelligenz als auch Intuition gesegnet. Später wurde das aber sehr viel besser, und zwar in dem Maße, in dem intimere Einblicke in seine Gefühlswelt gewährt und seine Zweifel und sein Willen, den Fall endlich aufzuklären, offenkundig wurden. Am meisten fieberte ich aber mit der jungen Juliette Hanson mit, die zwischen Loyalität und dem Wunsch, die Wahrheit herauszufinden, zerrissen ist und auch starke persönliche Probleme wälzt. Über sie hätte ich gerne noch mehr erfahren, hoffe hier aber auf Folgebände!

Fazit: Eher ein Krimi der – vermeintlich – leisen Sorte und nichts für Fans des rasanten oder ausgefeilten (PsychThrillers mit vielen Wendungen. Ich fand ihn aber sehr spannend und war gefesselt von den Charakteren und deren Beziehung zueinander. Der Autorin ist ein starkes Debüt gelungen, das Lust auf weitere Fälle und auf ein Wiedersehen mit den bekannten Figuren macht!

Veröffentlicht am 12.08.2019

Herausragender Thriller – Für alle Thriller-Fans ein absolutes Muss!

Der Kastanienmann
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Naia Thulin ist Ermittlerin bei der Kopenhagener Mordkommission und würde lieber heute als morgen in die neu gegründete Cyber-Crime-Abteilung NC3 wechseln, als sie zu einem grausigen Tatort gerufen wird: ...

Naia Thulin ist Ermittlerin bei der Kopenhagener Mordkommission und würde lieber heute als morgen in die neu gegründete Cyber-Crime-Abteilung NC3 wechseln, als sie zu einem grausigen Tatort gerufen wird: Auf einem Kinderspielplatz wird die grausam misshandelte und verstümmelte Leiche einer jungen Frau gefunden. Am Tatort: Ein Kastanienmännchen mit den Fingerabdrücken der seit einem Jahr verschwundenen Tochter der Sozialministerin Rosa Hartung, die just wieder in ihr Amt zurückgekehrt ist. Thulin bekommt den von Interpol geschassten Ermittler Mark Hess zur Seite gestellt, mehr Verstärkung ist nicht drin. Hess ist ihr zunächst keine große Hilfe, er lässt sich kaum bei den Ermittlungen blicken. Doch dann wird eine zweite Leiche gefunden, genauso misshandelt und verstümmelt, und auch bei ihr wird ein Kastanienmännchen mit denselben Fingerabdrücken gefunden. Thulin und Hess verbeißen sich zunehmend in einen Fall, der nicht nur ein riesiges Medienecho hervorruft, sondern ihnen auch sonst mehr abverlangt als alles, was sie in ihrer Laufbahn bislang erlebt haben…

SUPERMEGAGIGA-spannender Thriller, mehr geht nicht!! Dieses Buch hat alles und viel mehr, was ein herausragender Thriller braucht: eigenwillige Ermittler, einen spannenden Plot, düstere Atmosphäre, einen komplexen Fall mit vielen überraschenden Wendungen und einen faszinierenden Täter. Dazu allesamt vielschichtige Charaktere und einen immens packenden Schreibstil. Dem als Drehbuch-Autor bekannten Verfasser ist ein herausragendes Thriller-Debüt gelungen, das seinesgleichen sucht und sich in die Reihe der erfolgreichen Skandinavien-Thriller nicht nur einreiht, sondern sie in meinen Augen anführt. Über einen Zeitraum von einem Monat im Herbst – ohne den circa dreißig Jahre zuvor spielenden Prolog – hält ein Serienmörder die Kopenhagener Kriminalermittler in Atem, der ihnen immer einen Schritt voraus ist und sie nach Strich und Faden manipuliert. In sehr kleinen Schritten und häppchenweise sammeln Thulin und Hess Puzzleteile, die zunächst kein einheitliches Bild ergeben, und es dauert lange, bis sich der Schleier hebt und einige schreckliche Dinge ans Licht kommen, die in der Vergangenheit liegen und sich lange Zeit ihrer Aufdeckung verweigern.

Obwohl sich die Erzählperspektiven auf Thulin, Hess und auch auf Rosa Hartung konzentrieren, die den meisten Anteil haben, so gibt es doch sehr viele weitere Perspektivwechsel, die die Spannung ungemein erhöhen. Besonders die aus Opfersicht erzählten Passagen gehen unter die Haut, und der Autor spart auch nicht an blutigen Details, bleibt aber immer sachlich. Seine Sprache ist geradezu nüchtern und eher wenig detailverliebt, er lässt dadurch viel Raum für Fantasie und in keinem Moment Langweile aufkommen. Die Geschichte fesselt einfach von der ersten Zeile an und die Spannung steigert sich stetig. Sowohl Motiv als auch Täter bleiben lange Zeit im Dunkeln, und besonders bei letzterem kam für mich die Auflösung sehr überraschend. Der Täter selbst erhält keine Erzählplattform, er ist aber natürlich sehr präsent in seinem Wirken, und dadurch ist die Geschichte eher ein whodunnit-Thriller als ein Psychogramm. Sie lebt sowohl von der herausragenden Intelligenz des Täters als auch von der verbissenen und hartnäckigen Arbeit der beiden ungleichen Ermittler Thulin und Hess.

Thulin, der man in manchen Situationen fast schon autistische Züge bescheinigen könnte, hatte sofort meine Loyalität und Sympathie. Sie ist jung, ehrgeizig, eigenwillig, intelligent, unprätentiös, zurückhaltend. Als alleinerziehende Mutter versucht sie Job und Privatleben mehr schlecht als recht unter einen Hut zu bringen. Sie ist eine Vollblut-Ermittlerin, die die Aufklärung eines Falles über alles stellt. Ich fand sehr wohltuend, dass ihr Privatleben zwar Thema, aber nie überherrschend war. Deshalb kann sie mit Hess auch zunächst nichts anfangen, dieser sammelte durch seine Einstellung auch bei mir keine Sympathiepunkte. Man merkt ihm seine Unlust regelrecht an, er will an sich erst einmal nur seine Zeit absitzen, bis er wieder bei Interpol tätig werden darf. Auch das trägt natürlich zum Spannungsaufbau bei. Wie soll ein solches Ermittlerteam erfolgreich zusammenarbeiten? Nach und nach erweist sich Hess aber nicht nur als Mann mit vielen ungewöhnlichen Talenten und außergewöhnlichen Methoden, der hervorragend um die Ecke denken und sich in Menschen hineinversetzen kann, sondern auch als derjenige, der nicht aufgibt und weswegen auch Thulin letztlich am Ball bleibt.

Fazit: Für mich bis dato der beste Thriller des Jahres. Ein Buch, das einen noch beschäftigt, wenn man grade nicht drin liest, und zu dem man in dem Fall auch schnellstmöglich zurückkehren möchte. Authentische Atmosphäre und Charaktere, jede Figur vielschichtig und in seinem Aufbau und seiner Logik unglaublich durchdacht. Der Schluss setzt noch einen drauf und man fragt sich, ob wirklich alles vorbei ist. ich jedenfalls wünsche mir mehr davon!!!

Veröffentlicht am 29.07.2019

Schwedenthriller mit ungewöhnlicher Struktur - Gelungenes Debüt und Start einer neuen Reihe

Opfer
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Carl Edson, Ermittler bei der Stockholmer Mordkommission, wird zu einem besonders grausigen Tatort gerufen: Ein Mann wurde nackt an die Wand genagelt und brutal gefoltert. Mit Schrecken stellen die Kriminaltechniker ...

Carl Edson, Ermittler bei der Stockholmer Mordkommission, wird zu einem besonders grausigen Tatort gerufen: Ein Mann wurde nackt an die Wand genagelt und brutal gefoltert. Mit Schrecken stellen die Kriminaltechniker und Ermittler fest, dass der Mann noch lebt, doch aussagen kann er nicht mehr, denn er erliegt kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen, und es dauert nicht lange, da werden noch mehr Opfer gefunden, die alle ähnliche grausame Folterspuren aufweisen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Opfern, bis auf die Tatsache, dass alle aus kriminellen Kreisen kommen. Carl Edson und sein Team stehen vor einem Rätsel und ermitteln auf Hochtouren, und auch Journalistin Alexandra Bengtsson berichtet beinahe in Echtzeit über die Todesfälle…

Brutal, überraschend, anders – tolles Thriller-Debüt des schwedischen Autors und erster Fall für Carl Edson. Ein echter Pageturner und eine neue Ermittler-Reihe, die sich gegenüber ihren großen Brüdern und Schwestern der skandinavischen Erfolgsthriller nicht verstecken muss und Lust auf mehr Fälle des eigenwilligen Ermittlers macht. Über einen Zeitraum von sechs Wochen erstreckt sich die Handlung des Buches, der Leser jedoch folgt atemlos den Ereignissen, und immer wenn man denkt, jetzt ist aber alles klar und logisch, kommt der Autor mit einer überraschenden Wendung um die Ecke. Nicht nur ist der Schreibstil einfach wahnsinnig flüssig und gut zu lesen, man ist sofort in der Geschichte drin und lebt – so ging es mir zumindest – auch gleich mit Carl Edson mit, sondern auch der Aufbau des Thrillers ist in meinen Augen untypisch und erhöht die Spannung ungemein. Teil eins beschreibt zunächst das Auffinden der Opfer und die Ermittlungsarbeit des Polizistenteams. Hierbei spart der Autor auch nicht an blutigen Details. So weit, so klar. Der Perspektivwechsel in Teil zwei ist dann aber insofern ungewöhnlich, als dass dieser Teil komplett aus der Sicht des Täters erzählt wird, hier spielt Carl eine Nebenrolle. Daran musste ich mich erst gewöhnen, denn ich hatte mich auf die Ermittlungsarbeit des Teams eingelesen und erwartete nun die Puzzleteile, die sich nach und nach zusammenfügen. Weit gefehlt, in diesem Teil wird die Identität des Täters und auch sein Motiv bekannt gegeben, aber dennoch ist die komplette Lösung noch in weiter Ferne. Im Nachhinein betrachtet erhöht dies die Spannung beträchtlich, zumal in Teil drei alle Fäden zusammenlaufen und wieder aus Sicht des allwissenden Erzählers berichtet wird. Man erfährt allerdings nicht viel darüber, wie die Ermittler zu ihren Erkenntnissen gelangen, und die Schlusslösung ist vielleicht nicht jedermanns Sache, doch ich fand sie überzeugend und sehr überraschend.

Carl Edson als Ermittler hat es mir besonders angetan. Er ist kein einfacher Charakter und schlägt sich beruflich wie privat mit vielen Zweifeln herum. Er ist überkorrekt, hadert mit Vorgesetzten und fühlt sich von seinem Chef und auch von seiner Familie missverstanden. Dennoch ist er ein vielschichtiger Charakter mit analytischem Verstand und viel Bauchgefühl und durchaus interessanten Methoden. Der Autor fokussiert sich nicht nur auf Carl als Ermittler, es wird deutlich, dass Carl auf die Arbeit seiner Kollegen dringend angewiesen ist. Auch sein Team, besonders Jodie und Simon, und die Mitarbeiter der Kriminaltechnik, der muffelige Chef Wallquist und die Rechtsmedizinerin Cecilia Abrahamsson, sind mehr als Nebenfiguren, sie sind starke Charaktere und haben einen hohen Wiedererkennungswert.

Fazit: Ungewöhnlicher Thriller, der aus der Masse heraussticht und nichts für schwache Nerven ist. Es ist kein klassischer Whodunnit-Krimi, also nichts für Leser, die gerne selbst ein bisschen mit ermitteln und einer stringenten Handlung folgen, sondern eher ein Psychogramm mit originellem Handlungsverlauf und überraschendem Ende. Wer sich darauf einlässt, darf sich auf weitere Fälle von Carl Edson freuen, und ich bin schon sehr gespannt, welche der bekannten Figuren dort wieder eine Rolle spielen werden.

Veröffentlicht am 22.07.2019

Krimi mit faszinierendem Ermittler und syrisches Gesellschaftsportrait

Die geheime Mission des Kardinals
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Kurz vor Ende seiner Pensionierung bekommt Kommissar Barudi aus dem syrischen Damaskus einen brisanten Fall auf den Tisch: Ein Gesandter des Vatikans wurde ermordet in einem Ölfass aufgefunden, das an ...

Kurz vor Ende seiner Pensionierung bekommt Kommissar Barudi aus dem syrischen Damaskus einen brisanten Fall auf den Tisch: Ein Gesandter des Vatikans wurde ermordet in einem Ölfass aufgefunden, das an die italienische Botschaft geliefert wurde. Der katholische Barudi muss aufpassen, denn der syrische Geheimdienst der islamischen Regierung hört und sieht alles. Um die politischen Beziehungen zu Italien nicht zu gefährden, bekommt er einen italienischen Kollegen an die Seite gestellt, Kommissar Mancini. Die beiden Männer verstehen sich auf Anhieb und beginnen gut getarnt in Wespennestern zu stochern…

Schlichtweg großartig. Der Autor versteht es meisterhaft, mit seiner bildhaften, mal poetischen, mal locker-flapsigen Sprache, seinen Dialogen und seinen lebendigen Figuren zu fesseln. Er ist nicht nur ein Sprachkünstler, sondern entwirft zudem einen spannenden Krimiplot in einem für uns exotischen, faszinierenden, für die handelnden Protagonisten jedoch schwierigen Umfeld. Dabei geht dies alles in Hand in Hand, den Figuren werden Sätze in den Mund gelegt, von denen nicht wenige eingerahmt an die Wand gehängt gehören. Die Beschreibungen des Lebens in Syrien und besonders in Damaskus und der Ermittlungsarbeit sind ebenso spannend zu lesen wie der Fall selbst. Fast nebenbei lernt der Leser einiges über die Situation im Land, wie die Menschen trotz Diktatur leben und lieben, immer auf der Hut vor Spitzeln, und wie die verschiedenen religiösen Gruppierungen um die Macht kämpfen. Die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die oft verarmt und Analphabeten und voller Aberglauben sind, wird überdeutlich. Der Autor beleuchtet politische und religiöse Aspekte, indem er seine Protagonisten Diskurse führen lässt, außerdem wechselt er zwischen Erzählperspektiven. Auf der einen Seite der allwissende Erzähler, auf der anderen Barudis Tagebuch, in welchem Barudi über sein Leben reflektiert, seine Erfahrungen und Gefühle, aber auch seine geheimsten Gedanken zum Fall und zu politischen und religiösen Fragen preis gibt. An sich ein klassischer whodunnit-Krimi, aber auch wieder nicht, denn zwar gibt es auch hier überraschende Wendungen, doch eher auf die leise Art, und das Ende führte bei mir als Leser zu einem lachenden, aber auch zu einem großen weinenden Auge. Der Roman ist vielmehr ein Gesellschaftsportrait und eine Hymne auf den aufrechten, aufgeklärten und liberalen Syrer, eine Geschichte um Freundschaft, Loyalität und Liebe.

Das Hardcover kommt zunächst einmal sehr edel gebunden mit Lesezeichen und einem interessanten Schutzumschlag daher, der mich an die Ornamente einer Moschee erinnert. Unterteilt ist der Roman in 51 Kapitel mit treffenden Überschriften, einige zusätzlich mit dem Hinweis, dass es sich um Barudis Tagebuch handelt. Grundsätzlich verläuft die Handlung chronologisch, auch wenn mitunter bereits geschehene Dinge aus Barudis Perspektive kurz noch einmal erzählt werden, was aber keine Dopplung, sondern eine Ergänzung darstellt. Der Schreibstil ist sehr eingängig, ich als Leser war sofort in der Geschichte gefangen und lebte besonders mit Barudi stark mit. Barudi ist ein vielschichtiger Charakter, eine starke Persönlichkeit und ein vielseitiger Mensch mit vielen faszinierenden Eigenschaften. Er vereint großes Sach- und Fachwissen mit Menschenkenntnis und Intelligenz, ist loyal gegenüber seinen Mitarbeitern, durchaus analytisch, bedient sich aber oft einer orientalisch-blumigen Sprache und reflektiert ungeheuer viel über gesellschaftliche und politische Themen, über das Leben und die Liebe und über seine Mitmenschen. Die Dialoge im Roman sind spritzig und oft lang und behandeln häufig die Themen, die auch Barudi in seinem Tagebuch aufgreift. Manch einer könnte das langatmig finden, ich fand es aufgrund des für mich ungewöhnlichen Plots und des exotischen Umfelds, in dem Barudi ermittelt, faszinierend und spannend. Der Fall selbst gerät auch nie in den Hintergrund, er ist komplex und gestaltet sich schwierig, einfach weil Barudi und sein Kollege Mancini, der zu seinem Freund wird, bei verschiedenen religiösen Gemeinschaften und Gesellschaftsschichten ermitteln. Neben Barudi, der ganz klar die Hauptfigur ist, bei dem die Fäden zusammenlaufen, gab es aber auch bis in die Nebenfiguren hinein interessante Persönlichkeiten, denn keine ist blass oder einseitig gezeichnet, sondern teilweise so vielschichtig (für mich unter anderem Rebellenführer Scharif!), dass man gerne mehr über sie erfahren hätte. Besonders Mancini in Kombination mit Barudi, mit dem er ein erfolgreiches Team bildet, fand ich sehr gelungen, und seine humorvolle Art und unorthodoxen Methoden fand ich recht erfrischend. Hier bildet er einen guten Gegenpol zum überkorrekten, dem System Rechnung tragenden Barudi. Es kommt kein Thema zu kurz, weder der islamistische Terror, noch die Europapolitik, und besonders im Hinblick auf den andauernden Bürgerkrieg in Syrien ist dies zusätzlich erschütternd und hallt lange nach. Der Autor beweist nicht nur große Liebe zu seiner Heimat und ihren Menschen, sondern auch tiefe Einblicke in deren Seele und Traditionen. Er bleibt dabei liebevoll und charmant, und auch wenn er – durch Barudis Mund – klare und auch gefährliche Meinungen äußert, so tut er es doch mit einem Augenzwinkern, und gerade deshalb regt sein Buch zum Nachdenken an und wirkt noch lange nach.

Fazit: Ein toller Roman mit faszinierendem Plot und ebensolchen Charakteren und einer Sprache, die zu Herzen geht. Die Beschäftigung mit Syrien führt dazu, dass man vorgefasste Meinungen (und Vorurteile) überdenkt und einiges in einem anderen Licht sieht. Ein Buch, das man vielen empfehlen kann, nicht jedoch dem klassischen Krimi- und Thrillerleser, die vielleicht eher zerstückelte Leichen und klassische Detektivarbeit erwarten. Für mich jedoch ein erhellendes Buch, das ich nicht mehr aus der Hand legen wollte!

Veröffentlicht am 04.06.2019

Vierter Fall für Thommy Bergmann im Agentenmilieu

Die stille Tochter
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Im Juni 2016 wird Tommy Bergmann, eigenwilliger Ermittler der Osloer Kripo, zu einer Wasserleiche gerufen, deren Tod offensichtlich schon länger zurück liegt. Identität und Täter lassen sich zwar nicht ...

Im Juni 2016 wird Tommy Bergmann, eigenwilliger Ermittler der Osloer Kripo, zu einer Wasserleiche gerufen, deren Tod offensichtlich schon länger zurück liegt. Identität und Täter lassen sich zwar nicht eindeutig ermitteln, dennoch wird der Fall im Oktober, sehr zu Bergmanns Missfallen, eingestellt. Kurz darauf wird er durch seinen Chef Reuter zu einem mysteriösen Treffen mit dem Sicherheitschef der Polizei, Jan Amundsen, beordert. Dieser erzählt ihm von der verschwundenen deutschen Ex-Spionin Christel Heinze und vermutet sie in der unbekannten Toten vom Juni. Er beauftragt ihn, einen illegalen Einbruch bei einem ehemaligen Geliebten Heinzes zu begehen und dabei Spuren zu finden. Bergmann tut wie befohlen, beginnt aber Hintergründe zu hinterfragen. Er setzt sich auf die Spur Heinzes und verbeißt sich in einen Fall, der weit in die Vergangenheit zurück reicht…

Bereits der vierte Fall für Tommy Bergmann, der, obwohl selbst mehr als einmal tief gefallen, sich tief in seine Fälle hineingräbt und so lange hartnäckig am Ball bleibt, bis jede Unklarheit zufriedenstellend aufgelöst ist. Dafür scheut er keine Kosten und Mühen, handelt oftmals eigenmächtig und ohne Rückendeckung und nimmt von der Suspendierung bis zum Jobverlust alles in Kauf. Bergmann ist ein Zweifler und Haderer, der die Abgründe der menschlichen Seele genauestens kennt, und am besten seine eigenen. Auch dieser Fall führt ihn wieder in allerhöchste Kreise und geht weit über die eigentliche Polizei- und Ermittlungsarbeit hinaus. Bergmann muss sich über die geheime Tätigkeit von Spionen und Doppelagenten klar werden in einem Milieu, in welchem die Akteure immer mit einem Bein im Grab stehen und daher verschwiegen sind wie die Toten selbst. Dies führt ihn sogar bis nach Berlin, wo er der Geschichte schließlich nach und nach auf die Spur kommt.

Ich muss sagen, ich bin ein schwerer Fan von Tommy Bergmann, ich mag seinen eigenwilligen Charakter und seine unorthodoxe Arbeits- und Denkweise. Er ist hochintelligent, unangepasst, mit viel Gerechtigkeitssinn und er macht fortwährend von Buch zu Buch eine Entwicklung durch. Auch dieser Fall ist spannend – allerdings war es für mich zu sehr Spionagethriller als klassischer whodunnit-Krimi. Die anfangs sehr häufigen Zeit- und Perspektivwechsel verwirrten mich zunehmend, zumal ich mit Agenten, Doppel- und Doppeldoppelagenten mit mehreren Tarnnamen und dem ganzen Drumherum nur wenig anfangen kann. Die Geschichte springt zu Anfang schnell von Oktober 2016, sprich der Gegenwart, wo Bergmann seine erneuten Ermittlungen aufnimmt, zurück zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit, bis sie sich schließlich bei einem Wechsel zwischen Gegenwart und der Geschichte von Christel Heinze einpendelt. Letztere nimmt dann zeitweise einen größeren Raum ein als die eigentliche Ermittlertätigkeit Bergmanns und plätschert phasenweise etwas träge dahin, ohne dass es größere Handlungsfortschritte gibt. Dazu kam außerdem, dass ich mit der Person Christel Heinzes nicht viel anfangen konnte. Sie handelt in meinen Augen weitgehend emotional und irrational, ist wenig analytisch und daher leicht manipulierbar und sehr ferngesteuert. Ich fand sie inkonsequent und konnte die meisten ihrer Handlungen nicht nachvollziehen. Erst im zweiten Drittel nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf und dementsprechend steigt die Spannung. Die Frage nach dem eigentlichen Täter kam für mich nicht völlig überraschend, den Schluss selbst fand ich aber sehr abrupt und geradezu abgehackt. Dennoch sind die Hintergründe durchaus verzwickt und wie Bergmann auch diese verworrenen Fäden wieder aufdröselt, ist einfach genial.

Fazit: Schwankt irgendwie zwischen Spionagethriller und Krimi und weiß nicht richtig, was es sein will. Dennoch ein spannender Fall für Tommy Bergmann, der einmal mehr im Alleingang alles aufdeckt. Für alle Bergmann-Fans ein Muss, für Einsteiger in die Reihe nicht geeignet. Die beginnen besser mit seinem ersten Fall. Ansonsten hoffe ich, dass sich der Folgeband wieder mehr auf Bergmanns Ermittlungsmethoden konzentriert.