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Veröffentlicht am 22.06.2024

Amrum- Ein Erinnerungsroman

Amrum
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Der bekannte deutsche Regisseur Hark Bohm hat zusammen mit Co Autor Philipp Winkler einen Roman geschrieben, in dem er viel Selbsterlebtes auf seinen jungen Helden Nanning übertragen hat. Genau wie Nanning ...

Der bekannte deutsche Regisseur Hark Bohm hat zusammen mit Co Autor Philipp Winkler einen Roman geschrieben, in dem er viel Selbsterlebtes auf seinen jungen Helden Nanning übertragen hat. Genau wie Nanning wurde auch Hark Bohm in Hamburg geboren und hat seine Kindheit während des 2. Weltkrieges auf Amrum verbracht. Nanning lebt mit seiner Mutter, einer überzeugten, fanatischen Nationalsozialistin und seiner regimekritischen Tante Ena, sowie seinen beiden Geschwistern unter einem Dach. Die Familie ist arm, die Mutter hochschwanger und zwischen seiner Tante und ihrer Schwester gibt es immer wieder heftigen Streit. Dann flüchtet sich Nanning zu seinem besten Freund Hermann und dessen Opa Arjan.

Nanning lernt durch die Not früh Verantwortung zu übernehmen. Als ältester Sohn fühlt er sich mit seinen gerade mal 12 Jahren als Versorger der Familie und organisiert mit Geschick und Beharrlichkeit oft bis zur eigenen Erschöpfung Nahrungsmittel für den heimischen Haushalt. Die Mutter, die durch die Schwangerschaft sehr erschöpft ist, schafft es trotzdem noch, die Bäuerin bei der ihr Sohn hilft, um sich Lebensmittel zu verdienen, anzuschwärzen, weil diese sich „wehrkraftzersetzend„geäußert hat, woraufhin Nanning bei nächster Gelegenheit vom Hof gejagt wird. Verzweifelt setzt Nanning alle Energie ein, der Familie doch noch etwas Essbares nach Hause zu bringen.

Hitler‘s Tod ist ein Schock für die Mutter und das Leben auf Amrum ändert sich natürlich drastisch durch den Einmarsch der Briten, die jetzt das Kommando haben. Unter den zurückkehrenden Soldaten ist dann auch Nanning‘s Vater.

Ich mochte diesen eindrücklichen und ruhigen Roman, der nochmal deutlich macht, was Kinder im Krieg leisten. Nanning ist noch zu jung, um die politische Haltung seiner Eltern zu hinterfragen. Er liebt seine Mutter bedingungslos und ist irritiert, warum man ihm als Kind seiner Familie oft mit Mißtrauen begegnet. Dieser Roman ist auch eine Hommage an die Insel Amrum. Die Autoren beschreiben sehr liebevoll die artenreiche Natur und die eigensinnigen, oft etwas wortkargen aber herzlichen Bewohner.

Torben Kessler hat diesen Erinnerungsroman hervorragend friesisch vertont, was der Geschichte noch zusätzlich Authentizität verschafft hat.

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Veröffentlicht am 20.06.2024

Von wegen Familienidylle im Sommerhäuschen

Sommerhaus am See
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Dieser Familienroman ist alles andere als leicht. Familie Starling trifft sich ein letztes Mal im Sommerhäuschen der Eltern Lisa und Richard, weil diese entschieden haben zur Pensionierung nach Florida ...

Dieser Familienroman ist alles andere als leicht. Familie Starling trifft sich ein letztes Mal im Sommerhäuschen der Eltern Lisa und Richard, weil diese entschieden haben zur Pensionierung nach Florida umzusiedeln und ihren Besitz am Christopher Lake in North Carolina aufzugeben.



Hier hat die Familie viele glückliche Sommer verbracht. Die erwachsenen Söhne Michael und Thad reisen mit ihren Partnern an. Michael ist mit seiner Frau Diane gekommen, die er sogar am See kennengelernt hat und Thad hat seinen Lebenspartner Jake mitgebracht. Es könnte ein harmonisches und friedvolles Wochenende werden. Doch dann passiert ein tragisches Unglück am See, bei dem ein kleiner Junge stirbt und alles Leid, dass die Familienmitglieder mit sich herumschleppen, wird an die Oberfläche gespült. Michael ist schwerer Alkoholiker, unglücklich im Job und hochverschuldet. Jetzt wird er auch noch Vater, obwohl er mit Diane die Vereinbarung hatte keine Kinder in die Welt zu setzten. Sein Bruder Thad hat sich nach Depressionen mehrfach versucht das Leben zu nehmen und ist ständig bekifft. Außerdem lebt sein Freund Jake seine Lust in einer offenen Beziehung aus, mit der Thad nicht umgehen kann. Und auch bei den Eltern ist nicht alles in Ordnung. Lisa hat entdeckt, dass Richard fremdgegangen ist und beide trauern noch um ihr erstes Kind, dass nur 1 Monat alt geworden ist.



Der Autor schafft tiefgründige Figuren und zeichnet ein gesellschaftskritisches Bild des heutigen Amerika. Dabei gelingt es ihm Klischees und Kitsch zu vermeiden. Trotzdem war mir der Schluss zu versöhnlich. Es passte nicht zu der Menge an Leid und Düsternis, die sich durch den Roman ziehen und wirkt am Ende leider nicht mehr ganz authentisch.

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Veröffentlicht am 15.06.2024

Der Untergang Venedigs

Acqua alta
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Der Roman „Acqua Alta“ zu deutsch „Hochwasser“ nimmt eine mögliche Zukunft Venedigs schon auf den ersten Seiten vorweg. Eine Flutwelle zerstört die Stelzenstadt , und daran kann auch das gigantisch große ...

Der Roman „Acqua Alta“ zu deutsch „Hochwasser“ nimmt eine mögliche Zukunft Venedigs schon auf den ersten Seiten vorweg. Eine Flutwelle zerstört die Stelzenstadt , und daran kann auch das gigantisch große und teure Sturmflutsperrwerk M.O.S.E nichts mehr ändern. Dieses ambitionierte Bauwerk gibt es wirklich und auch die Proteste seiner Gegner, wie z.b den Umweltschutzverbänden, die das Stellwerk für wenig umweltverträglich und veraltet halten. All das ist Thema in dem Buch der französischen Autorin Isabelle Autissier. Der Roman hat also durchaus auch Züge eines Sachbuchs und es war spannend und interessant immer wieder selbst nachzurecherchieren, um dann wieder zum Roman zurückzukehren.

Wir begleiten die Familie Malegatti kurz vor Beginn der Pandemie, wo die Geschichte ihren Anfang nimmt. Vater Guido ist Wirtschaftsrat der Stadt, der den Tourismus weiter ankurbeln möchte und der fest an die Segnungen der Technik glaubt, Mutter Maria Alba, verarmtes venezianisches Adelsgeschlecht, lebt immer ein bisschen in der Pracht der Vergangenheit und Tochter Léa, 17 Jahre jung und rebellisch nimmt eine radikale Gegenposition zu ihrem Vater ein und möchte sich auf ihre Weise für ihre Stadt einsetzen.

Der Konflikt, insbesondere zwischen Vater und Tochter spitzt sich immer weiter zu, bis es zur unvermeidlichen Katastrophe kommt.

Das Buch war sprachlich schon eine Freude zu lesen, sehr atmosphärisch und sehr klug ausformuliert aber auch inhaltlich werden viele Denkanstöße gegeben.

Ohne Zweifel es könnte genauso kommen, wie in dem Roman beschrieben und dass, nicht in einer fernen Zukunft, sondern vielleicht schon bei einem der nächsten Hochwasser, die mit dem Klimawandel wohl immer häufiger und heftiger ausfallen werden. Insofern hinterlässt das Buch große Trauer und Desillusionierung.

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Veröffentlicht am 12.06.2024

Ratlos

Cascadia
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Der Roman „Cascadia“ von Julia Phillips handelt von 2 Schwestern, Elena und Sam, die auf der kleinen Insel San Juan im Bundesstaat Washington in unmittelbarer Nähe von Victoria , Vancouver Island, Kanada ...

Der Roman „Cascadia“ von Julia Phillips handelt von 2 Schwestern, Elena und Sam, die auf der kleinen Insel San Juan im Bundesstaat Washington in unmittelbarer Nähe von Victoria , Vancouver Island, Kanada leben. Sie pflegen ihre totkranke Mutter und arbeiten in Hilfjobs, mit denen sie kaum über die Runden kommen. Elena verdingt sich als Kellnerin im ortsansässigen Golfclub und Sam arbeitet als Bistrokraft für die Fährbetriebe. Arbeiten, pflegen, schlafen, so ist ihr Rythmus Tag für Tag, bis eines Tages ein riesiger Bär vor ihrer Haustür auftaucht, der zwar kurzfristig wieder verschwindet, aber dann immer wieder ihre Wege kreuzt.

Während Elena, die ältere und eigentlich besonnenere der beiden Schwestern nach dem anfänglichen Schock immer faszinierter von dem wilden Tier ist und sich über jede Begegnung mit dem Bär freut, ihn später sogar anlockt, ist Sam entsetzt und beunruhigt( vielleicht sogar eifersüchtig). Sie will „das Ding“ nur schnellstmöglich wieder loswerden.

Die Geschichte endet nicht gut und lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Ohne Frage habe ich den Schreibstil der Autorin genossen und mochte auch ihre Naturbeschreibungen sehr. Der Roman fühlt sich wie ein modernes Märchen an, der Bär ist vielleicht eine Metapher, aber so genau für was, weiß ich auch nicht!

Die Frauen haben von klein auf eine starke Bindung schon durch ihre Lebenssituation und für Sam war immer klar, dass sie eines Tages zusammen weggehen würden. Doch für Elena haben sich die Träume nach dem Tod der Mutter geändert. Auch für diese Veränderung und Bedrohung von Sam‘s unverrückbaren Zukunftsvisionen könnte der Bär eine Metapher sein.

Das Buch wäre sicher toll in einer Leserunde gewesen, weil es mit Sicherheit viele interessante Interpretationen zulässt.

Ich habe es insgesamt gerne gelesen aber bin am Ende wie gesagt ein bisschen ratlos, was die Autorin ihren Lesern mit ihrer Geschichte sagen möchte.

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Veröffentlicht am 09.06.2024

Verführende Technik

Hundert Augen
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Innerhalb kürzester Zeit bin ich durch das Buch „Hundert Augen“ der argentinischen Autorin Samantha Schweblin geflogen.

Es hört sich zunächst nach einer Dystopie an, bei genauerer Beleuchtung fällt jedoch ...

Innerhalb kürzester Zeit bin ich durch das Buch „Hundert Augen“ der argentinischen Autorin Samantha Schweblin geflogen.

Es hört sich zunächst nach einer Dystopie an, bei genauerer Beleuchtung fällt jedoch auf, dass es das technische Spielzeug ,um das es hier geht zwar nicht gibt, aber durchaus geben könnte. Die Geschichte ist also gegenwartsnäher als uns lieb sein kann.



Im Fokus des Buches stehen unschuldig wirkende kleine Plüschtiere wie Pandas, Kaninchen, Drachen und weitere, ausgestattet mit Kameras und Mikrofonen sowie Rädern, damit sie sich überall gut bewegen können.

Das Besondere an dieser technischen Spielerei ist, dass man sich entscheiden kann ein solches Kentuki zu kaufen und damit Herrin oder Herr zu werden oder das Kentuki zu sein, dass am anderen Ende sitzt und durch ein fremdes Zuhause steuert. Auch der Zugangscode um das Wesen zu sein ist käuflich erwerbbar. Zugangscode und Kentucki werden per Zufall miteinander verbunden. Man weiß also überhaupt nicht, wo auf der Welt der Kentuki zum Einsatz kommt oder wer auch immer ihn steuert. Sprechen können die Kentukis nicht. Wie zu erwarten gibt es von den Besitzern aber einfallsreiche Ideen doch eine Kommunikation zu ermöglichen.



S.44 „ Man könne ja wohl kaum auf die Vernunft der Menschen bauen, und einen Kentuki zu haben, der frei bei einem herum lief, war, als würde man einem Fremden seine Haustürschlüssel geben.“



Der Roman ist episodenhaft erzählt. Wir begleiten 5 Personen, erfahren ihre Beweggründe zum Kauf eines Kentuckis, bzw. warum sie jetzt eines dieser Plüschtiere steuern wollen, und welche Erfahrungen sie daraufhin machen.

Unabhängig davon gibt es kurze, verstörende Kapitel mit Personen, die nur einmal auftauchen.

Man spürt unterschwellig immer einen leichten Horror und kommt natürlich ins Grübeln wie über die Fazination neuer Technik, die eigene Privatsphäre schnell mal ins Hintertreffen gerät. Auch Neugier, Einsamkeit oder einfach Voyeurismus sind natürlich Gründe dass die Kentukis in der Bevölkerung immer beliebter werden.

Dann lässt man sie mit den kleinen Kindern durch die Wohnung spazieren und hat vielleicht einen Pädophilen, der das Ding steuert.

Das Gedankenexperiment der Autorin hat etwas Beunruhigendes, weil man einfach merkt wie nah es an uns dran ist.

Vom mir gibt es eine große Leseempfehlung. Ich habe das Buch wirklich gerne gelesen.

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