Einmal um die Welt erzählt
Das Buch der Mythen und MärchenWie wahrscheinlich fast alle Lesebegeisterte dort draußen, bin auch ich eine große Liebhaberin von Märchen und bin mit diesen aufgewachsen. Ich hatte als Kind ein riesiges Märchenbuch und dort waren nicht ...
Wie wahrscheinlich fast alle Lesebegeisterte dort draußen, bin auch ich eine große Liebhaberin von Märchen und bin mit diesen aufgewachsen. Ich hatte als Kind ein riesiges Märchenbuch und dort waren nicht nur die Grimmschen Märchen vertreten, sondern auch Äsops Fabeln und Märchen aus Persien und dem arabischen Raum, die mich schon damals sehr faszinierten. Während meiner Teenie-Anime-Phase lernte ich einige asiatische Märchen, wie die oben erwähnte Kaguya kennen, im Studium der Archäologie viele antike Mythen, doch was den Rest der Welt angeht, muss ich gestehen, sieht mein Wissen von Sagen und Legenden düster aus. Umso neugieriger war ich auf diese Märchensammlung, die die Diversität der Herkunft der Märchen zum Aushängeschild hat. Zurecht?
Es war einmal…
Menschen erzählen sich Geschichten. Das tun sie wahrscheinlich schon seit dem Moment, als man aufhörte zu grunzen und das Wort erfunden wurde. Jahrtausende lang, lange bevor die ersten Schriftsysteme sich entwickelten, war es die einzige Möglichkeit Wissen zu bewahren, und weiterzugeben und damit ein kollektives Gedächtnis aufzubauen. Und auch heute in Zeiten von globalen multimedialen Kommunikationsmöglichkeiten hat das gesprochene Wort, die Erzählung noch eine ganze andere Macht, als das geschriebene Wort. Das mag auch den Reiz ausmachen, den Märchen, Sagen und Legenden auf uns ausüben. Selbst wenn wir sie heute lesen, weil irgendwann jemand wie die Gebrüder Grimm auf die Idee kam, sie aufzuschreiben, haben sie immer noch ein Teil ihres Charakters als mündliche Überlieferung bewahren können, ihnen haften ein Gefühl von Zeitlosigkeit an. Sie sind Zeitreisende, die Botschaften über Jahrhunderte, bis Jahrtausende hinweg transportieren.
Doch was sind das für Botschaften? An dieser Stelle ist es überaus interessant, sich Erzählungen aus vielen verschiedenen Kulturen der Welt anzuschauen. Schnell fällt auf, dass wir Menschen, egal mit welchem kulturellen Hintergrund wir geprägt und sozialisiert wurden, doch im Grunde alle gleich sind, dass uns dieselben Dinge wichtig sind, um sie für die Nachwelt festzuhalten, und dass uns die gleichen (Natur)Phänomene faszinieren.
Dies wird auch in dieser Geschichtensammlung deutlich. Liebe, Freundschaft, Familie sind universelle Themen, die überall vorkommen, aber auch bestimmte Figuren und Konstellationen tauchen in den verschiedensten Kulturen parallel auf. So hat Andersen nicht als erster von einer Meerjungfrau geschrieben, auch in Persien erzählt man sich von einer Meerjungfrau namens Julnar. Den trickreiche (Halb)Gott, der den Menschen wahlweise hilft oder ins Verderben stürzt, begegnen wir mehrfach als Loki (nordische Mythologie), Anansi (Mythologie der Akan, Westafrika) oder Sun Wukong (Chinesischer Mythos).
Es macht Spaß solche Parallelen zu entdecken und ich kann daher die Auswahl der Geschichten in diesem Buch nur loben. Von jedem Kontinent dieser Welt ist was dabei und das Verhältnis der Märchen aus dem globalen Süden, zu denen des Nordens ist ausgeglichen, ein weiterer Punkt, der mir sehr gut gefiel, gelten manche Märchensammlung doch schon als besonders vielfältig, wenn sie ein paar Märchen aus 1001 Nacht und asiatische Erzählungen beinhalten. Yoshitani hat sich aber tatsächlich sich viel breiter aufgestellt. Es finden sich Geschichten und Mythen aus dem Wissensschatz diverser Indigene wie u.a. der Aborigines, der Haida (Native American), der Maori, der Khoikhoi (Südafrika/Namibia), der Inuit und viele mehr, dazu kommen Volksmärchen und Legenden aus u.a. Osteuropa, Skandinavien, Mexiko, Griechenland, Japan oder Südostasien. Diese Geschichtensammlung hat das Prädikat divers tatsächlich verdient.
… eine Zusammenfassung
Bei aller Begeisterung für die Auswahl der Geschichten, habe ich dennoch einen Kritikpunkt, der der Grund für den einen Pint Abzug bedeutete. Das Buch folgt einer strikten Ordnung. Links ist immer die wunderschöne Illustration von Yoshitani, rechts die Nacherzählung eines Mythos. Es sind keine Originalquellen wiedergegeben, sondern immer Nacherzählungen der Autorin. Das finde ich prinzipiell überhaupt nicht schlimm, da aber jedem Märchen nur eine Doppelseite eingeräumt wird, ergibt sich, dass manche Geschichten arg zusammengestaucht wirken. Vom französischen Original der Schönen und das Biest, bleib nicht viel übrig und eigentlich komplexe Epen, wie zum Beispiel Gilgamesch oder diverse Teile des indischen Mahabharata werden für meinen Geschmack nur sehr unzureichend wiedergegeben. Auch bei vielen mir unbekannten Märchen und Sagen hatte ich oft das Gefühl, dass hier viel gekürzt und vereinfacht wurde. Das fand ich ziemlich schade. Klar regt das zum selbständigen Nachschlagen und Recherchieren an, ich hätte es aber trotzdem schöner gefunden, wenn manche Geschichten dann einfach mehr Seiten bekommen hätten, auch wenn das die Einheitlichkeit der Optik des Buches aufgebrochen hätte.
Fazit:
Yoshi Yoshitani versammelt in ihrem Buch tatsächlich Märchen aus allen Kontinenten dieser Welt und verbindet ihre Nacherzählung mit wunderschönen Illustrationen, jedes für sich ein Kunstwerk. Kleiner Wermutstropfen: Manche, sehr komplexe Erzählungen wie z. B. Gilgamesch oder Kaguya geraten etwas zu kurz, da ist eigenes Nachschlagen angesagt. Es lohnt sich aber trotzdem auf alle Fälle, für Kinder, wie Erwachsene gleichermaßen.