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Veröffentlicht am 19.04.2022

Die Lebensgeschichte eines Schiffes

Erebus
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Entdeckungsreisen und Forschungsexpeditionen fand ich schon immer interessant und seit ich Eingefroren im Nordpol gelesen habe, ist auch ein bisschen Polarfieber bei mir ausgebrochen. Daher reizte mich ...

Entdeckungsreisen und Forschungsexpeditionen fand ich schon immer interessant und seit ich Eingefroren im Nordpol gelesen habe, ist auch ein bisschen Polarfieber bei mir ausgebrochen. Daher reizte mich dieses Buch auf vielen Ebenen und ich war gespannt, wie Michael Palin, den ich bis dato auch nur als Monty Python Mitglied kannte, mir die Geschichte der Erebus erzählen würde.

Vom Stapellauf bis zum Sinken: die Lebensgeschichte eines Schiffes
Als Erstes muss ich sagen, dass der Klapptext nicht gut gewählt ist, denn er suggeriert, dass es in diesem Buch vorrangig um die verhängnisvolle Franklin-Expedition geht. Tatsächlich macht diese letzte Fahrt der Erebus nur in etwa ein Drittel des Buches aus. Der Titel des Buches zeigt da schon eher, worum es eigentlich geht: nicht um eine einzelne Expedition, sondern um das Schiff Erebus. Palin erzählt uns die Geschichte der HMS Erebus und zwar von ihrem Bau an, bis zum Sinken auf der letzten tragischen Expedition. Dazwischen hat das Forschungsschiff aber noch weitere Abenteuer erlebt, in erster Linie eine erfolgreiche Expedition in die Antarktis (Die Erebus ist zusammen mit der Terror bis heute das am südlichsten vorgedrungene Segelschiff) und diese Expedition nimmt auch einen Großteil des Buches ein, ist sie doch wesentlich besser dokumentiert, als die letzte Fahrt ohne Überlebende. Wer also rein an der Franklin-Expedition interessiert ist, sollte vielleicht lieber zu einem anderen spezifischeren Buch greifen. Wer hingegen Lust hat mehr über die Anfänge der Polarforschung zu erfahren, kann gerne zugreifen.

Denn, geht man nicht mit falschen Erwartungen an dieses Buch heran, kann es durchaus überzeugen. Palin hat die Geschichte der Erebus wirklich hervorragend recherchiert und hat eine unterhaltsame und verschmitzte Art, diese Flut an Informationen dem/der Leser/in zu präsentieren. Er versucht nicht einfach nur die Fakten rund um die Erebus runterzurattern, sondern uns eine Geschichte zu erzählen und größtenteils gelingt ihm das auch sehr gut. Gerade weil Palin auch versucht den Alltag der Seeleute und deren Befinden und Stimmungen zu beleuchten. Dadurch wirken die historischen Ereignisse und die Männer dahinter deutlich nahbarer und man baut als Leser/in eine Bindung über die Jahrhunderte weg zu ihnen auf.

Leider, dass muss ich aber auch sagen, übertreibt es Palin an manchen Stellen mit dem Alltag dann doch und das Buch hat seine zähen Passagen. Gerade zwischen den beiden großen Expeditionen, aber auch in den Zeiten, wo die Erebus irgendwo vor Anker liegt, hätte man einiges kürzen können.
Was mich ebenfalls gestört hat, sind die Einschübe aus seinen eigenen Reiseerfahrungen, die der Autor immer wieder hineinwirft. Diese hatten in meinen Augen überhaupt keinen Mehrwert für das Thema, nämlich die Erebus. Und ganz ehrlich, wenn es mich interessieren würde, was für Leute Palin auf Falkland in irgendeiner Bar trifft, dann würde ich eins von seinen zahlreich veröffentlichten Reisebücher lesen. Hier empfand ich diese Einschübe als störend.

Fazit:


Ein informatives und interessantes Sachbuch rund um die Geschichte der HMS Erebus vom Stapellauf bis zum Wrack, das trotz ein paar Längen und unnötigen Einschüben zu unterhalten weiß. Palin ist ein hervorragender Geschichtenerzähler und versteht es sehr gut, trockene Historie nahbar und unterhaltsam zu erzählen.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Kein perfektes, aber ein gelungener Reihenfinale

Die Hexe und der Winterzauber
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Die Hexe und der Winterzauber ist ein Buch, auf das ich mich 2021 ganz besonders gefreut habe. Fand ich Der Bär und die Nachtigall noch gut, aber nicht überragend, konnte mich Das Mädchen und der Winterkönig ...

Die Hexe und der Winterzauber ist ein Buch, auf das ich mich 2021 ganz besonders gefreut habe. Fand ich Der Bär und die Nachtigall noch gut, aber nicht überragend, konnte mich Das Mädchen und der Winterkönig komplett überzeugen und so war ich mehr als gespannt, was das Finale der Winternacht Trilogie für mich bereithalten würde.

Rasanter Einstieg
Das Buch setzt nahezu nahtlos dort an, wo sein Vorgänger endete. Große Teile Moskaus sind den Flammen zum Opfergefallen, die Bevölkerung ist entsetzt und sucht einen Schuldigen und Priester Konstantin weiß natürlich genau, wer das sein soll: Wasilisa Petrowna. Wir starten also gleich rasant mit einem wütenden Menschenmob und auch sonst lässt uns Autorin Katherine Arden kaum Zeit, die Ereignisse zu rekapitulieren. Das führt auf der einen Seite dazu, dass man am Anfang erst wieder etwas reinkommen muss, wenn man den Vorgänger nicht direkt davor gelesen hat, auf der anderen Seite geht es gleich spannend los. Dieses Tempo wird auch in der ersten Hälfte des Buches hochgehalten und mündet dann in einen wirklich gelungenen ersten Höhepunkt. Was die zweite Hälfte angeht, komme ich gleich nochmal darauf zu sprechen, jetzt möchte ich euch erst noch erzählen, was mir an Die Hexe und der Winterzauber besonders gut gefallen hat.

Vom Wildfang zur unabhängigen Frau
Da ist an erster Stelle Wasjas Entwicklung zu nennen. Im ersten Band erleben wir sie als ungestümen Wildfang, ein mutiges und tapferes Mädchen. Band zwei lässt das Kind dann zum Teenager werden, inklusive des Dranges zur Entfaltung und der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, aber auch mit viel Übermut, dummen Entscheidungen und eine schwärmerische, etwas albernen Verliebtheit. Nun sind wir bei Band drei und Wasja ist wiederum an ihren Erfahrungen gewachsen. Statt wie zuvor im jugendlichen Übermut, mit dem Kopf durch die Wand rennen zu wollen, ist Wasja nun reifer, vorsichtiger und handelt überlegter. Diese Entwicklung hat mir wirklich sehr gut gefallen, gerade wenn man die Reihe als ganzes betrachtet. Wir erleben hier wie ein aufgewecktes Kind zu einer starken und unabhängigen Frau wird und das in einer Zeit, die alles daran setzt genau diese Unabhängigkeit zu verhindern. Natürlich hat Wasja auch falsche Entscheidungen getroffen, war an manchen Stellen egozentrisch und/oder leichtsinnig, aber wer war das, gerade in den Teenagerjahren nicht? Katherine Arden hat es geschafft Wasja authentisch zu machen und das ist in meinen Augen die eigentliche bewundernswerte Leistung. Nicht eine Powerfrau zu erschaffen, die sich gegen alle und jeden behauptet, sondern eine Frau, die ihren Weg erst finden musste und der man diese Entwicklung und diesem Reifungsprozess auch abnimmt.

Diese Weiterentwicklung ist auch in der Beziehung zwischen Wasja und Morosko zu beobachten. Wasja hat sich von ihrer teeniehaften Schwärmerei verabschieden und damit begegnen sich die Beiden nun mehr auf Augenhöhe. Sehr schön fand ich auch, dass diese Beziehung so ganz ohne Kitsch auskommt. Die Beiden mögen nicht das romantischste Pärchen in der Bücherwelt sein und die Entwicklung der Beziehung mag nicht jedem zusagen, ich empfand diese Beziehung aber gerade deswegen sehr erfrischend, denn nicht jeder Mensch äußerst seine Gefühle in großen Worten oder romantischen Gesten.

Zwei Bücher in einem
Kommen wir zurück zur oben bereits erwähnten zweiten Hälfte des Buches. Eigentlich kann man schon vom zweiten Teil reden, denn die Trennung des ersten und zweiten Handlungsstrangs ist schon ziemlich hart. Tatsächlich fühlt es sich an, als hätte man hier zwei Bücher in einem, wobei eins aber leider deutlich gelitten hat. Dies ist auch mein größter Kritikpunkt, denn die beiden Handlungsstränge fügen sich in meinen Augen nicht sehr harmonisch zusammen. Der Cut nach dem ersten Höhepunkt der Story ist zu streng, die Seiten danach, die den neuen Handlungsstrang erst wieder aufbauen, wirken langatmig und als dann das zweite Finale kommt, fällt dieses überraschend lahm aus. Alles in allem hatte ich bei der zweiten Hälfte oftmals das Gefühl, dass die Handlung künstlich verlängert wurde, ohne jedoch nochmal die Tiefgründigkeit und die Spannung des ersten Handlungsstranges zu erreichen. Da hätte man entweder den zweiten Handlungsstrang streichen sollen, oder diesen besser und detaillierter als vierten Band ausbauen sollen.

Fazit:


Auch wenn in diesem Finale die zweite Hälfte nicht mit der ersten mithalten kann, haben wir hier ein unterhaltsames Finale, in dem vor allen Wasjas Entwicklung und neue Reife glänzt. Alles in allem ein nicht perfekter, aber gelungener Abschluss dieser wunderbaren Reihe, die ich jedem Fan historischer Fantasy (und die die es werden wollen 😉) ans Herz legen kann.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Englands erste Königin nach eigenem Recht

Bloody Mary
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Mary Tudor ist für mich keine Unbekannte. Zum einen belegte ich in meinem Geschichtsstudium mal ein Seminar zu den Religionskonflikten in England in der Neuzeit, wo sie natürlich eine wichtige Rolle einnahm, ...

Mary Tudor ist für mich keine Unbekannte. Zum einen belegte ich in meinem Geschichtsstudium mal ein Seminar zu den Religionskonflikten in England in der Neuzeit, wo sie natürlich eine wichtige Rolle einnahm, zum anderen kam ich mit ihr zumindest als Randfigur auch schon im Roman Der Onyxpalast in Berührung. Königin Mary war mir also schon vertraut, trotzdem war ich sehr gespannt, wie ihr Leben als Graphic Novel adaptiert wird.

Klare Struktur und satte Farben
Was wir hier in Graphic Novel Format vorliegen haben, ist im Grunde eine Biografie. Dementsprechend beginnt Gehrmann bei Marys Geburt und endet bei ihrem Tod. Durch diese chronologische Erzählweise gibt es einen klaren roten Faden und der Geschichte lässt sich leicht folgen, auch von denjenigen, die mit Comics und Graphic Novels noch nicht allzu viele Berührungspunkte hatten. Auch die Panele sind übersichtlich und sehr klassisch, sprich größtenteils in “Ziegelmauerart” angeordnet. Große Splash Panele oder dynamischere Anordnungen kommen kaum vor. Auf der einen Seite fördert auch das die Lesbarkeit für Einsteiger, auf der anderen Seite kommt die Geschichte dadurch öfters etwas zu statisch daher, gerade im Kontrast zu einigen sehr dramatischen Stationen in Marys Leben. Etwas mehr Varietät wäre daher doch schöner gewesen.

Stilistisch fallen einem sofort die satten Farben auf. Die gesamte Graphic Novel ist wunderschön in Aquarell koloriert, was gerade bei den Kostümen seine volle Wirkung entfaltet. Die Zeichnungen an sich haben mir so weit auch ganz gut gefallen. Der Stil ist in der Figurenzeichnung etwas kindlich, dürfte also auch ein jüngeres Publikum ansprechen. Nur die Augen haben mir nicht so zugesagt. Wirken ansonsten die Gesichtsausdrücke lebendig, wirken die Augen leider oft eintönig und leer.

Englands erste Königin
Doch kommen wir zum Inhalt der Graphic Novel. Kristina Gehrmann hat auf alle Fälle gründlich recherchiert, das merkt man sofort und es gelingt ihr auch größtenteils die Fülle an Informationen leicht verständlich zu übermitteln. Selbst wie es zu der anglikanische Reformation im 16. Jahrhundert kam, ein durchaus komplexes Thema, wird gut verständlich erläutert, ich könnte mir die Graphic Novel daher problemlos als Ergänzung im Geschichtsunterricht in Schulen vorstellen.

Was darüber hinaus auffällt ist, dass die Autorin sich sehr viel Mühe gibt die Frau unter der Krone zu studieren. Intensiv beschäftigt sie sich mit Marys Gedanken- und Gefühlswelt. Das ist prinzipiell ein toller Ansatz, denn von Mary Tudor kennt man größtenteils nur Schauergeschichten, es ist also schön, wenn versucht wird eine historische Persönlichkeit von mehreren Seiten zu beleuchten und verstehen zu wollen. Leider schießt Gehrmann jedoch etwas übers Ziel hinaus, denn in dem Versuch die menschlichen Seiten von Mary Tudor aufzuzeigen, kehrt sie ihre Fehler fast komplett unter den Teppich. Während sie den Phasen in Marys Leben, in denen sie vor allem ein Opfer ihr Vaters, dessen Willkür, sowie politischen Intrigen ist, gut dreiviertel des Comics widmet, wird Marys Regierungszeit, in der sie hunderte Menschen verbrennen und/oder hinrichten ließ, geradezu abgehandelt. Und selbst dort, wo die Hinrichtungen und Scheiterhaufen zur Sprache kommen, scheint es, als ob Gehrman sich scheue, die Verantwortung dafür klar bei Mary zu suchen. Natürlich sollte man bei historischen Persönlichkeiten wie Mary Tudor immer die Ursachen untersuchen und alle Seiten betrachten, das darf aber nicht, wie hier, zu einer Verharmlosung der Taten führen.

Fazit:


Bloody Mary: Die Geschichte der Mary Tudor ist eine interessante Adaption des Lebens der ersten englischen Königin nach eigenem Recht. Strukturiert erzählt und bebildert in wunderschönen Aquarellfarben ergründet diese Graphic Novel den Menschen hinter der Königin, wenngleich dabei an manchen Stellen die negativen Seiten ihrer Persönlichkeit außen vor gelassen werden. Zeichnerisch konnten die Augen nicht vollends überzeugen, dennoch empfehle ich Bloody Mary alle, die sich für die englische Geschichte interessieren.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Ich hasse es, ich liebe es!

Ich bin Harrow
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Ich bin Gideon war ein Buch, mit dem ich zwar einen holprigen Start hatte, dessen Sogwirkung ich mich schlussendlich aber nicht entziehen konnte und das mich dann doch noch ziemlich begeistern konnte. ...

Ich bin Gideon war ein Buch, mit dem ich zwar einen holprigen Start hatte, dessen Sogwirkung ich mich schlussendlich aber nicht entziehen konnte und das mich dann doch noch ziemlich begeistern konnte. Umso neugieriger war ich daher auf den zweiten Band der Reihe und dachte dieses Mal sollte ich, da ich ja nun schon ein Band, gelesen hatte, mich besser in der Welt zurechtfinden. Doch bei allen guten Geistern, nichts und niemand hätte mich auf diesen zweiten Band vorbereiten können.

Es lebe das Chaos, es lebe das Genie
Wenn man sich bisherige Rezensionen zu Ich bin Harrow anschaut, findet man doch mehrere sehr enttäuschte Stimmen, die das Buch zu verwirrend, zu chaotisch, zu ansprechend fanden. Ich könnte jetzt an dieser Stelle versuchen diese Argumente zu zerstreuen und sagen, dass alles nur übertrieben und es in Wirklichkeit nur halb so schlimm wäre, aber das kann ich nicht. Denn ich bin ehrlich zu euch und so muss auch ich sagen, dass mir dieses Buch so einiges abverlangt hat. Es hat mich mehrere Anläufe gekostet und letztendlich brauchte ich ganze 17 Tage, um es durchzulesen (die vorherigen Versuche nicht mitgerechnet). Ich bin Harrow liest sich nicht leicht, ja manchmal hat man sogar das Gefühl, die Autorin will es bewusst uns Leser/innen schwer machen, doch was genau macht dieses Buch zu einer Herausforderung?

Nun, es sind vor allen zwei Faktoren, die maximale Verwirrung stiften: Zum einen wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen erzählt, das ist jetzt noch nicht allzu schwierig, die gegenwärtige Zeitlinie wird jedoch über weite Strecken des Buches in der 2. Perspektive, also der Du-Perspektive erzählt. Das ist tatsächlich erstmal etwas gewöhnungsbedürftig, macht aber im Verlauf der Handlung immer mehr Sinn und zumindest ich kam nach einer Eingewöhnungsphase relativ gut damit klar. Für viel mehr Fragezeichen hat da die Tatsache gesorgt, dass das, was wir aus Band eins zu kennen glauben, nicht das ist, woran Harrow sich erinnert. An dieser Stelle empfehle ich allen Leser/innen einfach zu akzeptieren, dass Harrow sich an eine andere Version erinnert. Die Antworten kommen dann irgendwann schon von ganz allein.

Man muss also als Leser/in an den Punkt gelangen, an dem man akzeptiert: Scio me nihil scire (Ich weiß, dass ich nichts weiß). Ist man gedanklich dort angelangt, wird alles leichter, versprochen und es entfaltet sich eine immer noch sehr komplexe, aber auch wahnsinnig kreative und innovative Story. Es fällt mir an dieser Stelle nicht schwer, das Wort Genialität in den Mund zu nehmen.

Harrow the Ninth
Was ebenfalls anders, als beim Vorgänger ist, ist die Protagonistin. Statt Gideon begleiten wir nun Harrow und ich gestehe, dass ich mir vor dem Lesen Sorgen machte, ob das für mich funktionieren würde, da ich Gideon absolut großartig fand, Harrow in Band eins jedoch nicht ganz so leiden konnte. Glücklicherweise schafft es Muir uns Harrow in diesen Nachfolger verständlicher zu machen. Der Roman nimmt sich sehr viel Zeit für Harrows Gefühls- und Gedankenwelt, bei der oft auch Illusion und Wahn eine Rolle spielen, sodass das Buch auf langen Strecken wie ein Psychothriller daherkommt. Das mag für manche langatmig sein, für mich war es aber genau das, was ich gebraucht habe, um Harrow nun ebenfalls ins Herz zu schließen.

Das Gefühl einen Psychothriller vor sich zu haben wird auch dadurch verstärkt, dass die Figurenkonstellation in diesem Nachfolger im Vergleich zu Ich bin Gideon deutlich reduziert ist. Der Schauplatz ist ähnlich isoliert wie Haus Caanan, doch mit weitaus weniger Geheimnissen und Mystik, sodass die Handlung dieses Mal vor allem von den Interaktionen des kleinen Figurenkreises getragen wird. Man muss sowas schon mögen, aber in meinen Augen gestaltet Tamsyn Muir ihre Charaktere alle so einzigartig und auch exzentrisch, dass es gut funktioniert und mir war tatsächlich auf 704 Seiten nicht langweilig. Im letzten Drittel belohnt die Autorin unser Durchhaltevermögen dann mit ein paar Antworten. Einiges hatte ich im Verlauf der Handlung schon erraten, anderes waren wirklich gelungene Twists und das Ende wirft einen dann wieder in eine völlig andere Situation, sodass ich schon jetzt den dritten Band kaum erwarten kann.

Fazit:


Während des Lesens habe ich dieses Buch in Gedanken gerne mit einem garstigen Biest verglichen. Es schnappt und wert sich gelesen zu werden und man muss regelrecht mit ihm einen Kampf ausfechten. Aber Himmel, Arsch und Zwirn (diesen Ausdruck würde Gideon lieben), es lohnt sich diesen Kampf aufzunehmen, denn wer das Biest bezwingt, wird mit einem fantastischen Serienuniversum belohnt, das vor kreativen Ideen nur so strotzt, bekommt eine absolut unvorhersehbare Handlung mit genialen Twists und Charaktere, die sich nie in die Karten schauen lassen. Ich bin Harrow ist keine leichte Kost, doch einmal in seinen Sog geraten, lässt es einen nicht mehr los.

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Veröffentlicht am 20.02.2022

Einsteigerfreundliche Adaption einer der bekanntesten Griechischen Tragödien

Mythen der Antike: Ödipus (Graphic Novel)
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Eine Graphic Novel Reihe zu den diversen Mythen der griechischen Antike? Das scheint ein wahr gewordener Traum von mir zu sein. Als ich diese Reihe aus dem Splitter Verlag entdeckte, stand für mich fest: ...

Eine Graphic Novel Reihe zu den diversen Mythen der griechischen Antike? Das scheint ein wahr gewordener Traum von mir zu sein. Als ich diese Reihe aus dem Splitter Verlag entdeckte, stand für mich fest: Die muss ich lesen! Da schon einige Bände erschienen sind und die Reihenfolge, da es sich um abgeschlossene Geschichten handelt, beliebig ist, hatte ich die Qual der Wahl. Ich entschied mich mit Oedipus zu starten, da dies tatsächlich ein Mythos ist, mit dem ich weniger vertraut bin und von dem ich nur die groben Grundzüge kannte. Daher war ich super gespannt auf diese grafische Umsetzung.

Eine durchweg runde Sache
Bei einer Graphic Novel wandert das Augenmerk natürlich zuerst auf den Zeichenstil. Die Reihe wird von wechselnden Künstlern illustriert. Im vorliegenden Band ist Diego Oddi der Hauptverantwortliche. Was auffällt ist die starke Strichführung, die gerade in den Umrissen deutlich wird und ein Fokus auf Gesichter und Mimik. Der Stil wirkt klar und realitätsnah, was ihn in meinen Augen auch sehr Comiceinsteiger freundlich macht, mehr, als beispielsweise ein abstrakterer Stil. Diese Einsteigerfreundlichkeit wird noch durch eine sehr strukturiert und “aufgeräumt” wirkende Panelanordnung verstärkt. Man kann der Geschichte leicht folgen, auch wenn man bisher noch nicht so viele Berührungspunkte mit Comics oder Graphic Novels hatte.
Neben der gelungenen grafischen Adaption bietet sich aber auch die Geschichte selbst sehr gut für den Einstieg in die Comic-, aber auch Mythenwelt an, denn wir begleiten den Oedipus von seiner Geburt, bis zum Tod, es gibt also einen klaren roten Faden, der sich ebenso wie den Bildern leicht folgen lässt auch ohne vorhandenes Mythologiewissen. Lediglich ganz am Ende könnten völlig Mythologie Unerfahrene etwas ins Rätseln kommen, wenn der Auftritt der Erinnyen, ohne wirkliche Erklärung ihrer Rolle in der griechischen Sagenwelt erfolgt.

Hier lernen selbst Mythologie Erfahrene noch was
Nun muss sich natürlich auch diese Mythologie Adaption meinen “Pingeligkeits-Test” stellen, hat aber eigentlich nichts zu befürchten. Zu meiner größten Zufriedenheit hält sich die Graphic Novel nah an den Quellen, in diesen Fall, bis auf das Ende, sehr nah an Sophokles Tragödie König Oedipus und dem Drama Oedipus auf Kolonos. Der/Die Leser/in bekommt hier also eine recht originalgetreue Version verständlich geliefert, ein Aspekt, der mir bei einer solchen Reihe, die den Anspruch hat die Mythen einem breiten Publikum näherzubringen, wichtiger ist, als zum Beispiel bei einer freien Belletristik-Adaption. Das einzige, was ich bemängeln kann, ist die bereits bei der Coverbesprechung erwähnten Begegnung mit der Sphinx auf der Stadtmauer, aber so pingelig dafür einen Punkt abzuziehen, bin dann selbst ich nicht.

Die Graphic Novel kann also durchweg überzeugen, aber das ist ja noch nicht alles. Am Ende findet sich nämlich noch ein von Luc Ferry verfasster Ergänzungsteil. Dieser setzt sich vor allem mit der Wiederlegung der psychoanalytischen Interpretation, zugunsten einer kosmologischen Deutung des Mythos auseinander. Klingt ziemlich wissenschaftlich? Ist es tatsächlich auch. Dieser kurze Aufsatz könnte in meinen Augen problemlos auch in Fachzeitschriften abgedruckt werden. Das kann man nun mögen oder nicht. Mir hat es eigentlich gefallen, ich hätte aber gerne noch eine breitere Analyse des Oedipus Mythos und vor allen seiner Bedeutung für die Nachwelt gesehen. Eine Auseinandersetzung mit der Interpretation der Sphinxszene als Darstellung der Überlegenheit des vernunftbegabten Mannes über “das Rätsel Weib” im Symbolismus des 19. Jahrhundert wäre zum Beispiel interessant gewesen, aber gut man kann ja nicht alles haben, deshalb werde ich auch dafür keinen Punk abziehen.

Fazit:


Diese Oedipus Adaption aus der Mythen der Antike Reihe überzeugt als einsteigerfreundliche Adaption einer der bekanntesten Griechischen Tragödien. Strukturiert, nah an den überlieferten Quellen erzählt und grafisch ansprechend auf den Punkt gebracht, bietet es den idealen Einstieg für eine Auseinandersetzung mit König Oedipus als klassische tragische Figur in den Fängen des Schicksals. Die drei erwähnten kleineren kritischen Anmerkungen reichen in diesem Fall nicht aus, um dafür einen ganzen Punkt abzuziehen.

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