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Veröffentlicht am 24.11.2018

Chaols und Nesryns Reise in den Süden

Throne of Glass – Der verwundete Krieger
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Seit der Zerstörung des gläsernen Schlosses ist für Chaol nichts mehr wie zuvor, denn er wurde im Kampf gegen den alten König gelähmt. Nun reist er auf Bitte von Dorian gemeinsam mit Nesryn nach Antica, ...

Seit der Zerstörung des gläsernen Schlosses ist für Chaol nichts mehr wie zuvor, denn er wurde im Kampf gegen den alten König gelähmt. Nun reist er auf Bitte von Dorian gemeinsam mit Nesryn nach Antica, der Hauptstadt des südlichen Kontinents. Dort sollen sie als Botschafter den regierenden Großkhan für den Kampf gegen die dunklen Mächte im Norden gewinnen. Gleichzeitig hofft Dorian, dass die legendären Heilerinnen der Torre Cesme ihm helfen können, wieder zu laufen. Doch kaum in Antica angekommen läuft alles ganz anders als geplant.

Seit mehr als fünf Jahren begleitet mich „Throne of Glass“ bereits, und nun ist das Finale endlich zum Greifen nah. Der fünfte Teil „Die Sturmbezwingerin“ endete hochdramatisch und machte wie immer Lust auf mehr. Dieser sechste Teil machte mich jedoch skeptisch: Er spielt nämlich parallel zum vorherigen Band, und Aelin kommt darin nicht vor. Stattdessen drehen sich die rund 800 Seiten ausschließlich um Chaol, Nesryn und einige neue Charaktere.

Chaol hat in dieser Reihe wirklich schon einiges mitmachen müssen. Als Leser hat man ihn nicht nur durch emotionale Höhen und Tiefen begleitet, sondern auch miterleben müssen, wie er schwer verletzte wurde und nun von der Hüfte abwärts gelähmt ist. Nachdem er im letzten Band fehlte, weil beide Handlungsstränge parallel verlaufen, war ich nun neugierig, ob ihm auf dem südlichen Kontinent geholfen werden kann. Gleich zu Beginn des Buches treffen er und Nesryn in Antica ein und werden von der Familie des Großkhans empfangen. Doch die Stimmung ist äußerst gedämpft, denn eine der Töchter ist drei Wochen zuvor unerwartet verstorben. Keine gute Ausgangsposition, um mit dem Herrscher über die Entsendung von Streitkräften zu verhandeln.

Auch im Hinblick auf die Heilung von Chaol tritt bald Ernüchterung ein. Die Heilerin Yrene scheint als einziges dazu in der Lage zu sein, doch sie floh einst aus Fenharrow und würde am liebsten niemandem helfen, der für den alten König gearbeitet hat. In ihren Sitzungen lernen sich die beiden allmählich besser kennen und bauen Verständnis füreinander auf. Doch Chaols durch Magie erlittene Verletzung ist anders als alles, was ihr je begegnet ist. Nesryn verbringt währenddessen Zeit mit Sartaq, einem Sohn des Großkhans und Kommandant der Ruk-Reiter.

Die Geschichte schlägt ein ruhiges Tempo an und entfaltet sich nur langsam. In dieser Zeit lernt man Chaol und Nesryn ebenso wie die zwei neuen Charaktere Yrene und Sartaq besser kennen. Sowohl die Heilerinnen als auch die Ruk-Reiter sind potentielle Verbündete und könnten über entscheidendes Wissen im Kampf gegen die Valg verfügen. Doch bis die ersten Geheimnisse gelüftet werden muss der Leser Zeit mitbringen. Es müssen sich erst Vertrauensverhältnisse aufbauen, was für meinen Geschmack viel zu ausführlich beschrieben wurde. Auch Aelins Abwesenheit vermisste ich schmerzlich. Für mich ist sie DIE Schlüsselfigur der Reihe und dieses Buch ohne sie las sich für mich eher wie ein Spin-Off als wie ein Vor-Finale.

Nach rund 500 Seiten kommt die Geschichte endlich wieder richtig in Schwung und bot dramatische Szenen, Spannung und Kämpfe. Meine Lust an dieser Reihe wuchs dadurch mit jeder Seite wieder. Endlich kommt es auch zu wichtigen Offenbarungen und Erkenntnissen, welche entscheidend für den Kampf im Norden sind. Ich bin schon jetzt gespannt, wie die im Norden verbliebenen Charaktere auf die Konsequenzen der in diesem Buch beschriebenen Reise reagieren werden. Insofern freue ich mich nun sehr auf den letzten Band der Reihe!

Veröffentlicht am 24.11.2018

Eine beeindruckende und berührende Biographie

Befreit
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Tara Westover wächst als jüngstes von sieben Kindern auf einem Berg in Idaho auf, wo ihr Vater einen Schrottplatz hat und ihre Mutter als Hebamme arbeitet. Statt eine Schule zu besuchen arbeitet sie früh ...

Tara Westover wächst als jüngstes von sieben Kindern auf einem Berg in Idaho auf, wo ihr Vater einen Schrottplatz hat und ihre Mutter als Hebamme arbeitet. Statt eine Schule zu besuchen arbeitet sie früh mit, sortiert Schrott-Teile und mischt Tinkturen an. Denn ihr Vater ist überzeugt davon, dass Schulen und Ärzte von den Illuminaten infiltriert werden. Theoretisch soll sie Heimunterricht erhalten, doch der findet quasi nicht statt. Auf Anregung ihres Bruders und voller Zweifel schreibt sie sich schließlich für ein College ein, dessen Aufnahmetest sie nach einem monatelangen Lernmarathon geschafft hat. Ein Schritt, der ihre Sicht auf die Welt und ihre Familie nachhaltig ändern wird.

Bevor ich mit der Lektüre begann habe ich mich nicht mit der Geschichte von Tara Westover beschäftigt. Aufgrund des Klappentextes wusste ich lediglich, dass sie mit 17 Jahren zum ersten Mal an formalem Unterricht teilnimmt. Warum ist sie vorher nicht zur Schule gegangen? Wo war sie stattdessen? Auf diese Fragen erhält man als Leser schon bald eine Antwort.

Schon im Prolog erfährt man, dass Tara jahrelang aus Sicht des Staates nicht existiert hat, denn sie wächst ohne Geburtsurkunde auf. Es gibt keine Schulbesuche und keine Arztbesuche, denn alles findet zu Hause statt – wozu sollte sie also eine brauchen? Mit klaren Worten zeichnet sie ein Bild von ihrem isolierten Leben auf einem Berg in einem winzigen Örtchen in Idaho. Ihr Vater wittert Gehirnwäsche in allen staatlichen Institutionen. Er baut sich ein möglichst unabhängiges Leben aufbauen und bereitet sich darüber hinaus auf das Überleben im Falle eines Weltuntergangs vor. Und so werden auch schlimme Verletzungen nur zu Hause behandelt, sie lernt zu Hause schreiben und etwas rechnen und hat sich ansonsten vor allem an der Arbeit auf dem Schrottplatz zu beteiligen.

Ich fand die Einblicke in Taras Leben, das Mitten in Amerika stattfindet und trotzdem alles andere als gewöhnlich ist, interessant. Tara hat jahrelang Tagebuch geschrieben und spricht im Rückblick sehr reflektiert über die Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugend. Ihr Vater stand mit seiner verqueren Meinung, mit Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen im Mittelpunkt der Familie. Diese hatte zu tun, was er wollte. Über die Jahre beginnt sich diese Konstellation jedoch zu verschieben. Einige Personen werden immer abhängiger von ihm, andere wollen sich lösen. Dabei ist Tara nicht die erste, die zum College geht, sondern ihr Bruder Tyler macht es ihr vor und ermuntert sie, seinem Weg zu folgen.

Im Fokus des Buches steht Taras Beziehung zu ihrer Familie, die durch verschiedene Ereignisse geprägt wird. Neben ihrem Entschluss, den höheren Bildungsweg einzuschlagen, ist das auch die Tatsache, dass sie in Bezug auf Vorfälle im Familienkreis die Wahrheit aussprechen will. Einer ihrer Brüder wurde jahrelang gegenüber ihr und auch anderen Familienmitgliedern physisch gewalttätig, doch darüber möchte niemand sprechen und man stellt sie lieber als Lügnerin hin. Offen schreibt die Autorin über ihre innere Zerrissenheit. Gut konnte ich verstehen, dass sie den Kontakt zu ihrer Familie halten will, sie durch die Erweiterung ihres Horizonts aber zum einen immer weiter zurücktreten kann und sieht, wie engstirnig diese ist, und zum anderen ein Selbstbewusstsein aufbaut und ihre Werte anpasst.

Tara Westover schildert „Befreit“ ihre persönliche Geschichte. Ich habe mich über ihren Mut gefreut, in die große Welt hinauszugehen, ärgerte mich über die Verschwörungstheorien und den Kontrollwahn ihres Vaters und wurde wütend, als sie über die Taten ihres Bruders sprach. Eine beeindruckende Biographie, die offen erzählt ist, nichts beschönigt oder dramatisiert und doch ganz viele Emotionen weckt. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 24.11.2018

Findet das Geheimnis von Jonas' Adventskalender heraus!

Der magische Adventskalender
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Jonas lebt gemeinsam mit seinem Vater, einem Schreiner, und seiner Schwester in dem kleinen Städtchen Ravenhagen. Er teilt nicht gern und stibitzt seiner Schwester sogar ihr Frühstück, wenn niemand hinschaut. ...

Jonas lebt gemeinsam mit seinem Vater, einem Schreiner, und seiner Schwester in dem kleinen Städtchen Ravenhagen. Er teilt nicht gern und stibitzt seiner Schwester sogar ihr Frühstück, wenn niemand hinschaut. Doch dann findet er vor dem Haus im Rinnstein einen Kasten, der sich als Adventskalender herausstellt. Doch die Türchen, die alle kleine Symbole zeigen, sind fest verschlossen. Sie deuten alle auf Personen in Ravenhagen hin, welche die jeweilige Tür als einzige öffnen können. Jonas ist fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Doch dazu muss er so manches Mal seinen Mut zusammen nehmen. Darüber hinaus will ihm jemand den Kalender streitig machen, und dieser entwickelt zunehmend ein Eigenleben…

Mit 24 Kapiteln und einem Epilog ist diese Geschichte ein Adventskalender in Buchform. Jeden Tag kann der Leser in eine kurze Episode eintauchen. Am ersten Tag findet Jonas den magischen Kalender vor seiner Tür und hat auch gleich eine Idee, wie er das verschlossene Türchen öffnen kann. Das Haus der Holzfäller ist abgebildet, und die können die Schokolade problemlos aus seinem Versteck befreien.

Die nächsten Tage werden zu einer größeren Herausforderung, denn oft symbolisieren sie Personen, mit denen Jonas bislang nicht oder nicht oft geredet hat. Bei einigen hatte er dazu bislang keinen Grund, vor anderen hat er eher ein bisschen Angst. Außerdem sind auch Personen wie zum Beispiel Lehrer dabei, mit denen er zwar oft spricht, bei denen er aber nicht so recht weiß, wie er seine Bitte, das Türchen zu öffnen, vortragen soll.

In einigen Kapiteln wird es auch spannend, denn Maik Mirscheidt, der mit Jonas zur Schule geht, will ihm den Adventskalender abluchsen. Immer wieder lauert er Jonas auf und dieser muss sich etwas einfallen lassen, um den Kalender zu beschützen. Außerdem hat der Adventskalender scheinbar noch mehr magische Eigenschaften als das exklusive Türchen-Öffnen, die es zu lüften gilt. Besonders erstaunt ist Jonas, als er feststellt, dass jemand im Kalender zu wohnen scheint…? Und was hat es eigentlich damit auf sich, dass jede Schokolade die Form eines Buchstaben hat?

Mir machte es großen Spaß, immer wieder in die Geschichte einzutauchen. Sie hat eine lockere Sprache und die Atmosphäre ist magisch durch die rätselhaften Mechanismen des Kalenders und die ungewöhnlichen Begegnungen, die Jonas macht. Sehr gefallen haben mir auch die schönen Illustrationen von Daniel Faller. In jedem Kapitel wartet eine ganzseitige Visualisierung der beschriebenen Szene auf den Leser. Die Geschichte lässt sich von Jung und Alt gleichermaßen lesen. Begebt Euch nach Ravenhagen und findet an Jonas Seite mehr über das Geheimnis des Adventskalenders heraus!

Veröffentlicht am 24.11.2018

Eintauchen ins Berlin der 1920er Jahre

Die Frauen vom Savignyplatz
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Im Berlin des Jahres 1916 soll die siebzehnjährige Vicky, deren Eltern eine Metzgerei gehört, mit dem Herrn Tucherben Ebert verheiratet werden. An dem deutlich älteren Mann, mit den sie kaum je ein Wort ...

Im Berlin des Jahres 1916 soll die siebzehnjährige Vicky, deren Eltern eine Metzgerei gehört, mit dem Herrn Tucherben Ebert verheiratet werden. An dem deutlich älteren Mann, mit den sie kaum je ein Wort gewechselt hat, reizt sie nichts. Dem tristen Alltag entfliehen kann sie am Besten durch Liebesromane, die sie gern auch an die Kundinnen der Metzgerei weiterempfiehlt. Als eines Tages Willi in den Laden kommt, der vier Jahre älter ist als sie, eigentlich Chemiestudent und in der Stadt, um etwas für seinen Hauptmann zu erledigen, ist es um sie geschehen. Als er schon zurück an der Front ist, merkt Vicky, dass sie schwanger ist. Neun Jahre später steht sie vor den Scherben ihres Lebens: Ihr Mann will sie und die vier Kinder verlassen. Wie soll sie allein zurecht kommen? Sein Vorschlag, eine Buchhandlung zu eröffnen, klingt für sie irrwitzig - oder könnte es wirklich funktionieren?

Die Buchbeschreibung verspricht einen Roman über eine Frau, die mit ihrer Freundin eine Buchhandlung nur für Frauen eröffnet. Ich freute mich sehr auf diese Geschichte im Berlin der 20er Jahre. Nach wenigen Seiten wird jedoch klar, dass Vickys Weg bis zur Eröffnung des Ladens länger ist, als die Beschreibung den Eindruck erweckt. Der Roman beginnt im Jahr 1916, wo ihre Hochzeit mit den deutlich älteren Herrn Ebert bevorsteht, einem Freund der Familie, den sie kaum kennt. Als sie sich Hals über Kopf in den Soldaten Willi verliebt und von ihm schwanger wird, muss sie eine wegweisende Entscheidung treffen.

Nach 40 Seiten macht die Geschichte einen Zeitsprung ins Jahr 1925. In diesem und im Folgejahr spielt der Rest der Geschichte. Inzwischen hat Vicky vier Kinder und ihr Mann eröffnet ihr, dass er sie für eine andere verlassen will. Vicky nimmt das zuerst nicht ernst, denn er ist ihr schon seit Jahren untreu und ist doch immer wieder zu ihr zurückgekommen. Doch jetzt hat er seine alte Flamme geschwängert und will mit ihr zusammenleben. Gut konnte ich mich in Vicky hineinversetzen und ihre Verzweiflung nachvollziehen sowie ihre Unsicherheit, was sie sich selbst nun zutrauen kann.

Zwei Personen spielen in Vickys Leben eine wichtige Rolle. Das ist zum einen ihr Bruder Bambi, der psychisch versehrt aus dem Krieg zurückgekommen ist. Nachdem er jahrelang gedanklich ganz abwesend war ist er inzwischen wieder klarer, weigert sich aber, Fleisch zu essen, was von seiner Umwelt mit Argwohn betrachtet wird. Doch mit seiner sanften und hilfsbereiten Art ist er eine wichtige Stütze für Vicky. Zum anderen ist da Lisbeth, Vickys beste Freundin, die ihr immer mit Rat und Tat zur Seite steht und sie motiviert, nicht aufzugeben.

Das Thema, als Frau in den 20er Jahren eine andere Rolle als die der Mutter und Hausfrau einzunehmen, steht im Zentrum der Geschichte. Die Autorin nutzt das Setting, um weitere Aspekte einzubringen: Vicky lehnt sich gegen ihre Eltern auf, von denen sie finanziell abhängig ist und die Resonanz der Gesellschaft auf ihre Idee, in einem Laden am Savignyplatz Liebesromane zu verkaufen, fällt höchst unterschiedlich aus. Sollten Frauen sich wirklich mit dieser „Dienstmädchenlektüre“ die Zeit vertreiben dürfen? Hier trifft Emanzipation auf konservative Einstellungen. Auch der erstarkende Nationalsozialismus spielt eine Rolle. Ich fand es interessant, in die Zeit einzutauchen und Vicky zu begleiten, die alles andere als perfekt ist, sondern Ecken und Kanten hat. Gestört hat mich jedoch das Hin und Her in Vickys Beziehung, das sich durch das gesamte Buch zieht. Sie und ihr Mann sprechen sich lange nicht richtig aus und die Entscheidung, wie es nun weitergehen soll, ändert sich mehrfach.

In „Die Frauen vom Savignyplatz“ wird Vicky von ihrem Mann verlassen und steht mit ihren vier Kindern allein da. Ihre Eltern, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist, wollen, dass sie möglichst schnell einen neuen Mann und Freund der Familie heiratet. Doch sie will lieber auf eigenen Beinen stehen – zu jener Zeit eine große Herausforderung für eine vierfache Mutter. Der Autorin gelingt es, die Zeit lebendig werden zu lassen und hat mich Vicky eine authentische Protagonistin geschaffen. Nur das andauernde Hin und Her in Sachen Liebe dauerte mir zu lang. Eine schöne Story für alle weiblichen Leserinnen, die Lust auf einen historischen Roman haben, der in Berlin spielt!

Veröffentlicht am 24.11.2018

Ein Buch, das mit authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistert

Mittagsstunde
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„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, ...

„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, tote Kinder. Marret Ünnergang, wie sie bald nur noch genannt wird, ist im kleinen Dorf Brinkebüll aufgewachsen, ihren Eltern gehört die Gastwirtschaft. Doch mit ihren Gedanken war sie immer schon ganz woanders. Mit siebzehn wird sie schwanger, danach noch sonderlicher. Jahrzehnte später kehrt ihr Sohn Ingwer ins Dorf zurück. Er ist promovierter Archäologe, steckt mit seinem Leben jedoch irgendwie fest und hat ein Sabbatjahr beantragt, um seine Großeltern zu pflegen. Nach vielen Jahren wird er wieder ein Teil der Dorfgemeinschaft und blickt mit einer frischen Perspektive auf deren Sitten und unausgesprochene Regeln. Doch wo ist sein Platz?

Der erste Roman der Autorin, „Altes Land“, hat mir sehr gut gefallen, weshalb ich mich auf diesen zweiten Roman gefreut habe. Auch „Mittagsstunde“ spielt in einem dörflichen Umfeld in Nordfriesland. Dort hat sich im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte einiges verändert. Zuerst begegnet der Leser der sonderlichen Marret Feddersen. Diese verkündet jahrelang den Weltuntergang und sieht in jedem einschneidenden Ereignis ein Zeichen dafür. Auf Klapperlatschen läuft sie durchs Dorf und erzählt jedem davon, eine alte Zeitschrift des Wachtturms ist ihr Beweis.

In der Gegenwart kehrt Marrets Sohn Ingwer ins Dorf zurück, dem er vor langer Zeit den Rücken gekehrt hat. Das Dorfleben hat sich inzwischen stark geändert: Der Dorfladen ist zu, die Schule auch, die meisten Bewohner haben das Vieh abgeschafft und die verlassenen Gebäude wurden von Stadtflüchtigen renoviert. Nur für Ingwers Großmutter Ella ist das alles noch lebendig, sie leidet an Demenz. Dafür ist die körperlich noch deutlich fitter als ihr Mann Sönke, der mit seiner zunehmenden Gebrechlichkeit hadert.

Die Geschichte springt zwischen den 60er Jahren und der Gegenwart hin und her, sodass für den Leser deutlich wird, was sich verändert hat und welche Entwicklung die Charaktere in dieser langen Zeitspanne gemacht haben. Dabei begegnen dem Leser viele Charaktere, die etwas schrullig und verschroben, aber irgendwie liebenswert sind. Der Leser erhält Einblick ins alltägliche Dorfleben, rauschende Feste, viel Getratsche und das starke Gemeinschaftsgefühl, dass die langjährigen Einwohner verbindet.

Es gibt viele unterhaltsame Szenen, zum Beispiel wenn Ingwers alter schmächtiger Schulkamerad plötzlich in Cowboykluft auftaucht, einen künstlichen Büffelschädel neben die Jagdtrophäen hängt und Zugezogenen Line Dance beibringt. Genauso oft gab es Momente, die mich berühren konnten. Denn wenn die Charaktere auf die letzten rund fünfzig Jahre zurückblicken und Bilanz ziehen, erinnern sie sich nicht nur an die schönen Momente, sondern auch an all das, was sie bereuen. Und da gibt es so einiges, vieles davon ist seit Jahrzehnten unausgesprochen.

Der Autorin gelingt es, den Verlust des Ursprünglichen und den Aufbruch in eine neue Zeit mit all seinen Konsequenzen deutlich zu machen. Dabei findet sie genau die richtigen Worte. Viele Stellen habe ich markiert, weil die Sätze nur allzu wahr und treffend sind. Die Charaktere schließt man schnell ins Herz, sie haben Tiefe und ich konnte mit ihnen mitfühlen. Der Fokus liegt darauf, Momente und Gefühle einzufangen. Für Ingwer steht schließlich eine wichtige Entscheidung an, die ich gut nachvollziehen konnte. Mich konnte das Buch mit seinen authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistern, sodass ich es gern weiterempfehle!