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Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannend und dystopisch - alles andere als ein Prinzessinnen-Buch!

Das Juwel - Die Gabe
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Violet Lasting ist im Sumpf aufgewachsen, dem ärmsten Stadtteil der Einzigen Stadt. Doch sie hat eine besondere Gabe: Sie kann Farbe und Form von Dingen verändern und sie zum Wachsen bringen. Seit dies ...

Violet Lasting ist im Sumpf aufgewachsen, dem ärmsten Stadtteil der Einzigen Stadt. Doch sie hat eine besondere Gabe: Sie kann Farbe und Form von Dingen verändern und sie zum Wachsen bringen. Seit dies vier Jahre zuvor festgestellt wurde lebt sie in der Verwahranstalt Southgate, in der sie zum Surrogat ausgebildet wird. Doch nun ist der Tag gekommen, in dem sie in den Stadtteil des Adels gebracht wird, dem Juwel. Hier wird sie an die meistbietende Adelige versteigert, um als Leihmutter ihr Kind auszutragen. Violet findet sich in einer Welt voller Luxus wieder, die ihre kühnsten Vorstellungen übertrifft. Doch als Surrogat ist sie stärker gefangen als je zuvor und wird behandelt wie ein willenloses Ausstellungstück und Mittel zum Zweck. Dennoch ist Violets Wille noch nicht gebrochen…

Das Cover des Buches ist in meinen Augen ein echter Hingucker. Ein Mädchen, vermutlich Violet, sitzt dort in einem wunderschönen Kleid, auf dem Perlen glitzern, die man sogar ertasten kann. Doch sie sieht nachdenklich, fast traurig aus, ganz so wie jemand, der sich in der Welt des Luxus nicht wohl fühlen kann. Warum das wohl so ist? Neugierig wagte ich mich zwischen die Seiten und hinein in die Einzige Stadt.

Der Einstieg ist mir leicht gefallen. Man lernt Violet an ihrem letzten Tag in der Verwahranstalt kennen, am nächsten Tag ist sie nur noch eine Nummer, die versteigert wird. Violet weiß nicht so recht, was sie von all dem halten soll, weiß aber, dass sie keine Wahl hat. Schnell fühlte ich mich ihr vertraut. An ihrer Seite lernte ich die Welt außerhalb der Verwahranstalt kennen, denn nach vier Jahren darf sie vor ihrer Versteigerung noch ein letztes Mal ihre Familie im Sumpf besuchen. Mit jeder Seite verstand ich besser, welche Last ihre Gabe für Violet bedeutet. Ihre Fähigkeiten machen sie nicht nur zu einer Gefangenen mit einem unbekannten Schicksal, nein, sie kann die Gabe nicht einmal einsetzen, ohne Schmerzen zu erleiden.

Bald beginnt die Reise ins Juwel zur Auktion und man findet sich in einer Welt voller Luxus wieder. Doch vieles ist hier nur Fassade, denn Lügen und Intrigen sind an der Tagesordnung. Desto mehr ich über das Leben und Schicksal der Surrogate im Juwel erfuhr, umso schockierter war ich. Das kann doch nicht der Ernst der Adeligen sein…?! Die Ereignisse stießen mich ab, doch gleichzeitig übte das Leben in Juwel eine Faszination auf mich aus, sodass ich die Geschichte nur schwer aus der Hand legen konnte. Ich bangte gemeinsam mit Violet und fand mit ihr Freunde an ungeahnten Orten. Doch sie muss sich entscheiden, was ihr am wichtigsten ist: Freiheit, Freundschaft oder Liebe? Und welches Wagnis ist sie bereit, dafür einzugehen?

Amy Ewing hat mit der Einzigen Stadt eine übersichtliche, gut durchdachte dystopische Welt geschaffen. Die Charaktere sind allesamt recht einfach gestrickt können schnell durchschaut werden. Violets Love Interest ist dafür äußerst charmant, sodass man ihn einfach ein bisschen anhimmeln muss. Die Spannung baut sich über das Buch langsam auf. Nachdem es immer wieder zu dramatischen Momenten kam steht am Ende alles auf dem Spiel. Ein gemeiner Cliffhanger lässt mich nun ungeduldig auf den zweiten Teil warten – wie wird es in der Einzigen Stadt weitergehen?

„Das Juwel“ ist alles andere als eine Prinzessinnen-Geschichte. Die Autorin hat eine dystopische Welt geschaffen, in der Mädchen aus ärmsten Verhältnissen mit besonderen Gaben als Leihmütter für den Adel herhalten müssen. Das Buch lässt den Leser in eine Welt voller Luxus und Prunk eintauchen, hinter dessen Fassade Intrigen und Grausamkeit lauern. Auch wenn vieles vorhersehbar ist, hat mich die ungewöhnliche Idee mit all ihren Konsequenzen fesseln können. Von mir gibt es sehr gute vier Sterne und eine Einladung an Euch, gemeinsam mit Violet ins Juwel zu reisen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die perfekte Träum-dich-weg Sommerlektüre!

Ein Sommer und vier Tage
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Paula ist sechzehn und träumt davon, aufregende Orte zu besuchen. Doch statt diesen Traum zu verwirklichen, fährt sie in den Sommerferien in ein Lerncamp in Amalfi, Italien. Schließlich ist es beschlossene ...

Paula ist sechzehn und träumt davon, aufregende Orte zu besuchen. Doch statt diesen Traum zu verwirklichen, fährt sie in den Sommerferien in ein Lerncamp in Amalfi, Italien. Schließlich ist es beschlossene Sache, dass sie nach dem Abi International Business in Hamburg studiert! Schon bei der Abfahrt passiert etwas Verrücktes, denn ausgerechnet sie, die unscheinbare Paula, zieht die Aufmerksamkeit des coolen und süßen Lewis auf sich. Als die beiden dann auch noch an einer Raststätte in Norditalien vergessen werden, ist Paulas Chance auf ein Abenteuer endlich gekommen. Gemeinsam mit Lewis macht sie sich auf eigene Faust auf den Weg Richtung Süden und besucht dabei Städte, die sie schon immer sehen wollte.

Die Protagonistin Paula habe ich schon nach wenigen Seiten ins Herz geschlossen. Man merkt gleich, dass in ihr eine Abenteuerlust brodelt, die sie unterdrückt, um sich bestens auf ihre Zukunft vorzubereiten. Doch Paula ist gar nicht so überzeugt davon, dass sie diesen Weg wirklich einschlagen will. Sie braucht einfach nur den richtigen Anstoß, um sich voll und ganz auf das Leben mit all seinen Ungewissheiten einzulassen.

Hier kommt Lewis ins Spiel. Er ist ein echter Schnuckel, für den Paula vom ersten Moment an schwärmt. Als er sie anspricht und sich dabei auch noch als überaus nett und witzig herausstellt, habe ich mich riesig für Paula gefreut. Das scheint ja doch kein so langweiliger Lernurlaub zu werden! Als die beiden dann plötzlich allein an der Raststätte stehen, ist für Paula der Moment gekommen, sich einfach fallen zu lassen, Lewis zu vertrauen und sich auf ein Abenteuer einzulassen.

Paula und Lewis sind ein richtiges Traumpaar. Die beiden sind recht unterschiedlich und ergänzen sind dadurch perfekt. Ihre Reise lädt dazu ein, dem Alltag für ein paar Momente zu entfliehen, sich selbst in die schönsten Städte Italiens zu träumen und mit den beiden durch die Straßen zu schlendern in Richtung des nächsten Lieblingsmoments. Natürlich kommt es auf der Reise auch einmal zu Komplikationen, doch das Buch behält durchgängig seine Leichtigkeit. Adriana Popescu erzählt in diesem Buch, wie aufregend, zuckersüß und kompliziert einfach die erste Liebe sein kann. Damit spricht sie nicht nur Jugendliche an, sondern auch ältere Leser, die sich an diese turbulente Zeit zurückerinnern möchten.

Für mich ist „Ein Sommer und vier Tage“ die perfekte Träum-dich-weg-Sommerlektüre. Lasst euch mit Paula und Lewis durch Italien treiben und surft auf der Welle der Leichtigkeit, die dieses Buch versprüht. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung – nicht nur an Jugendliche!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Für Peter geht es raus auf's Land

Fingerhut-Sommer
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Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London ...

Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London nun für eine Weile den Rücken kehren: In Nord-Herefordshire werden zwei Mädchen vermisst. Die ersten Indizien deuten darauf hin, dass sie sich am späten Abend aus ihren Betten geschlichen und kurz darauf ihre Handys verloren haben, die defekt aufgefunden wurden. Nightingale schickt Peter raus aufs Land, um zu prüfen, ob es sich um eine Entführung mit magischem Hintergrund handelt. Dort begegnet er ländlichen Vorurteilen, einem in die Jahre gekommen Zauberer und lernt wieder so manches über die große, gefährliche und verrückte Welt der Magie…

Nach dem spannenden und offenen Abschluss von „Der böse Ort“ habe ich auf das Erscheinen des inzwischen fünften Buches der Peter Grant-Reihe regelrecht hingefiebert. Wie wird es nun für Peter weitergehen? Auf den ersten Seiten erwartete mich hier leider eine kleine Enttäuschung, denn die Aufarbeitung der Ereignisse wird nur kurz und am Rande erwähnt. Dann wird Peter auf der Basis eines vagen Verdachts von Nightingale, dass das Verschwinden der beiden Mädchen irgendetwas mit Magie zu tun hat, gleich aufs Land geschickt.

Zu Beginn wirkt Peters Auftrag wie eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Peter, um ihn von seinen schmerzhaften, frischen Erinnerungen abzulenken. Dass Peter der Abstand von London gut tut merkt man spätestens, als er proaktiv anbietet, tiefer in den Fall einzusteigen und bei der Ermittlung mitzumischen. Was folgt, ist der erste Fall für Peter Grant, in dem der Leser London nicht wiedersehen soll.

Die Handlung mal raus aus der Großstadt und auf’s Land zu verlegen bringt sicherlich frischen Wind in die Reihe. In meinen Augen hatte das sowohl vor- als auch Nachteile.

Pro: Der Leser lernt viele neue Charaktere kennen, so mancher davon ein klischeehafter und dadurch unfreiwillig unterhaltsamer Landbewohner. Besonders gefallen hat mir Dominic, der im Dorf einfach jeden kennt, sehr locker drauf ist und so manche skurrile Bekanntschaft pflegt. Auch für Beverley hat Peter endlich ausgiebig Zeit, worüber ich mich richtig gefreut habe. Und auch die Kategorie „magische Wesen, von denen du bislang keine Ahnung hattest“ kriegt vor der neuen Kulisse ordentlich Zuwachs. Hier hat der Autor seiner Kreativität wieder freien Lauf gelassen und überzeugt mit bislang unbekannten Wesen und Ereignissen, die mich bestens unterhalten konnten.

Contra: Zum Vorgänger sagte ich noch, dass es durchaus eine Herausforderung ist, einen Überblick über die vielen Handlungsstränge zu behalten. Doch das habe ich in dieser Reihe inzwischen zu schätzen gelernt, sodass mir aufgrund der Abwesenheit der zahlreichen Nebenhandlungen jetzt etwas fehlte. Nightingale hält sich stark im Hintergrund, ebenso wie eine ganze Reihe der anderen liebgewonnenen Nebencharaktere. Besonders schade fand ich, dass die Ereignisse rund um den Gesichtslosen diesmal kaum erwähnt und nicht vorangetrieben wurden. Stattdessen kommen alle Freunde von Wald und Wiesen hier voll auf ihre Kosten – für meinen Geschmack stapft Peter allerdings ein bisschen zu häufig durch die Landschaft.

Nach einem kreativ-verrückten Finale weist das Buch ein für die Reihe untypischerweise in sich abgeschlossenes Ende auf, was ich sehr gut fand. Ich hoffe, dass in Band 6 die bändeübergreifende Handlung wieder stärker vorangebracht wird. Ein neuer, magisch-abgedrehter Fall darf natürlich auch nicht fehlen. Das ist bei dieser Reihe ja die Hauptsache.

In „Fingerhut-Sommer“ geht es für Peter Grant raus aus London und auf’s Land. Hier beteiligt er sich an den Ermittlungen rund um zwei vermisste Mädchen, bei deren Verschwinden eine magische Ursache nicht auszuschließen ist. Ich fand es erfrischend, Peter in einem ganz neuen Umfeld ermitteln zu sehen, aber sehr schade, dass so mancher Handlungsstrang dafür auf Eis gelegt wurde. Der Autor bleibt seinem kreativen Stil treu, sodass ich im Hinblick auf abstrusen Sch*** wieder voll auf meine Kosten kam. Für Peter in der Pampa gibt es daher von mir vier Sterne.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ganz besonderer, überraschend tiefgründiger Endzeitroman

Das Licht der letzten Tage
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Eine Theatervorführung von König Lear in Toronto: Das ist der schicksalhafte Angelpunkt des Buches. An jenem Abend stirbt Arthur Leander, der den Lear spielte, mitten auf der Bühne. Er hinterlässt drei ...

Eine Theatervorführung von König Lear in Toronto: Das ist der schicksalhafte Angelpunkt des Buches. An jenem Abend stirbt Arthur Leander, der den Lear spielte, mitten auf der Bühne. Er hinterlässt drei Ex-Frauen und einen Sohn. Jeevan, Sanitäter und Ex-Paparazzi, stürmt aus dem Publikum auf die Bühne, kann aber nicht mehr helfen. Die achtjährige Kinderschauspielerin Kirsten muss alles beobachten. Kurz nach diesem Ereignis soll nichts mehr sein wie es war, denn eine Krankheit löscht den Großteil der Weltbevölkerung aus.

Im Jahr 20 nach dem Untergang der Zivilisation ist Kirsten Teil der Fahrenden Symphonie, die von Ortschaft zu Ortschaft zieht und den Überlebenden Shakespeare vorspielt. Ein Aufeinandertreffen mit einem Mann, der nur als Prophet bekannt ist, bringt ihre Gruppe in Bedrängnis. Immer mehr Puzzlestücke in der Vergangenheit und Gegenwart schlagen eine Brücke vom Tod Arthur Leanders bis hin zu Kirstens aktueller Situation…

Als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm, wusste ich nicht genau, was mich erwartet, nur, dass es sich um einen Endzeitroman handelt. Auf den ersten Seiten gibt es mit dem Tod des Schauspielers Arthur Leander einen traurigen Zwischenfall, doch die Welt scheint noch in Ordnung zu sein. Die Andeutungen häufigen sich aber bald, dass das nicht so bleiben wird. Ich wurde immer neugieriger darauf, was denn passieren wird, und so wurde der Sog des Buches mit jeder Seite stärker.

Nachdem klar ist, dass das Leben auf der Erde nicht mehr weiter gehen wird wie bislang macht das Buch nach 40 Seiten einen Zeitsprung von zwanzig Jahren. Sofort drängte sich mir die Frage auf, was in der Zwischenzeit geschehen ist und wer es auf welchem Wege geschafft hat, zu überleben. Ich musste mich aber noch ein wenig gedulden, bis diese Fragen nach und nach beantwortet wurden.

Zunächst lernte ich Kirsten, die Fahrende Symphonie und den unheimlichen Propheten kennen. Dieser Erzählstrang ist die chronologisch erzählte Konstante des Buches. Von diesem aus springt die Erzählung immer wieder in die Vergangenheit, zu verschiedenen Menschen, Orten und Zeiten vor und nach dem Untergang der Zivilisation. Auf den ersten Blick mögen diese Sprünge chaotisch wirken und es ist kein Zusammenhang zwischen einigen Erzählsträngen zu erkennen. Doch genau hier liegt die große Kunst des Romans: Mit jeder Seite gelangt wieder ein Puzzlestück an seinen Platz, sodass man allmählich ein großes Ganzes erkennen kann.

Die Charaktere des Buches wurden nicht mit dem Ziel entworfen, sie besonders sympathisch oder unsympathisch wirken zu lassen. Sie haben allesamt ihre Schattenseiten, doch während der Untergang der Zivilisation in einigen viel Schlechtes hervorgebracht hat, sind viele in diesen schwierigen Zeiten um Menschlichkeit und Courage bemüht. Auch in der Welt vor der Katastrophe hat die Autorin interessante Charaktere geschaffen, welche ich nicht sofort durchschaute und die mich mit ungeahnten Facetten überraschen konnten.

Dieses Buch ist alles andere als ein klassischer Endzeitroman. Die Autorin versteht es, die Atmosphäre greifbar zu machen und den Leser die Mischung aus Hoffnung und Kampfgeist sowie Zweifel und Wut fühlen zu lassen, welche sich durch die gesamte Geschichte zieht. Dabei driftet sie jedoch nie gänzlich ins Dramatische ab, sondern es schwingt immer ein wenig Optimismus mit. Das machte das Buch für mich zu einer rundum gelungenen Sache.

„Das Licht der letzten Tage“ ist ein überraschend tiefgründiger Endzeitroman. Die Katastrophe selbst steht dabei gar nicht im Vordergrund, stattdessen wird eine Brücke vom Davor zum Danach geschlagen und immer mehr Zusammenhänge kommen ans Licht. In ruhigen Tönen nimmt Emily St. John Mandel den Leser mit auf eine Reise, während der man die Charaktere mit jeder Seite besser zu kennen meint und doch wieder von ihnen überrascht wird. Ich empfehle das Buch daher sehr gern weiter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Blick hinter die Kulissen der Salpêtrière

Runa
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Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine ...

Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine psychisch erkrankte Jugendliebe Pauline zu retten. Wie jede Woche besucht Jori Charcots gut gefüllte Hypnosevorstellungen, als eine junge Patientin nicht auf Charcots Hypnoseversuche reagiert. Als Charcot laut überlegt, an ihr die neueste Theorie eines Dr. Burckhardt auszuprobieren, die krankhaften Stellen aus dem Hirn zu schneiden, meldet sich Jori für diesen gewagten Versuch. Bald werden Wetten auf sein Gelingen abgeschlossen, und er gerät zunehmend unter Druck: Hat die Idee Aussicht auf Erfolg? Wer wird ihn unterstützen? Und welches Geheimnis verbirgt das junge, apathische Mädchen namens Runa? Gleichzeitig tauchen überall in der Stadt kryptische Nachrichten auf. Stehen sie in einem Zusammenhang mit den Ereignissen an der Salpêtrière?

Als ich zum ersten Mal den Klappentext von „Runa“ gelesen habe, löste dieser bei mir Faszination aus. Ich interessiere mich sehr Medizingeschichte und die Anfänge der Behandlung psychisch Kranker, gleichzeitig wurde mir eine mysteriöse Geschichte voller Spannung versprochen. Hierzu passen auch die dunklen Farben des Covers und das auf dem Kopf stehende Mädchen. Die Bedeutung der Tropfen erschließt sich hingegen erst während des Lesens.

Nach einem rätselhaften Prolog aus der Ich-Perspektive eines unbekannten Erzählers lernt der Leser auf den ersten Seiten den Protagonisten Jori und seine Arbeit kennen. Er begegnet ihm zum ersten Mal, als er eine „Irre“ abholt, die von ihrem Vater mehrere Monate lang in einen Verschlag gesperrt wurde. Hier und auch wenig später in der Salpêtrière begreift man, wie gering die Aussichten auf Heilung zu jener Zeit sind. Zwar versteht der Neurologe Charcot es, die Patientinnen der Menge wie Puppen vorzuführen und ihnen seinen Willen aufzuzwingen, doch von einer nachhaltigen Heilung psychischer Erkrankungen ist man noch weit entfernt.

Immer wieder musste ich schaudern, während die Autorin Einblicke in das Leben der Patientinnen der Salpêtrière gibt. Hier wurde ich als Leserin Zeugin von so manchem fragwürdigen, teils grausamen und teils herzlosen Vorgehen. Aus heutiger Sicht wirken die Versuche jener Zeit geradezu niederschmetternd. Joris Beschluss, Runa einen Teil des Hirns wegzuschneiden, ist schließlich die Spitze des Grauens. Gleichzeitig wurde mir Jori als Mensch so nahe gebracht, dass ich seine Motivation nachvollziehen konnte. Er erhofft sich schließlich, dass ihm damit ein großer medizinischer Durchbruch und die Heilung des kleinen Mädchens gelingt.

Während Jori zweifelt, hofft und versucht, Zugang zu Runa zu finden, erzählt ein zweiter Handlungsstrang von dem selbsternannten Verbrecher und Ex-Polizisten Lequoc. Aus reiner Neugier möchte er die Umstände eines Mordes klären und kommt damit auf die Spur mysteriöser Nachrichten. An Lequocs Seite lernt man das alltägliche Pariser Leben zu jener Zeit besser kennen. Er ist ein ungewöhnlicher und geheimnisvoller Charakter, bei dem ich nie das Gefühl hatte, ihn wirklich durchschaut zu haben. Die Verbindungen dieses Handlungsstrangs zu dem von Jori wurden schließlich mit jedem Buchabschnitt klarer.

Die Geschichte enthält viele interessante Schilderungen über den Stand der Medizin, die Zustände in der Salpêtrière und das Leben in Paris im Jahr 1884. Man spürt, dass die Autorin ausführlich recherchiert hat, um trotz fiktiver Geschichte möglichst nah an der Realität zu bleiben. In dieser Hinsicht hat mich das Buch begeistern können, auch wenn viele Schilderungen noch schauriger waren, als ich erwartet hätte. Das Buch ist ganz sicher keine leichte Kost! Etwas schade fand ich es, dass die Handlung nur langsam voranschreitet. Es werden viele Seiten mit den Überlegungen, Abwägungen und Erinnerungen der Charaktere gefüllt. Diese lernt man dadurch noch besser kennen, drosselte aber das Tempo. Erst im letzten Buchabschnitt fährt die Autorin schwere Spannungsgeschütze auf, die für dramatische Szenen und einen starken Showdown sorgten.

„Runa“ erzählt die fiktive Geschichte eines ambitionierten Medizinstudenten, der sich als erster an einem psychochirurgischen Eingriff versuchen will. Durch seine Augen blickt man hinter die Kulissen der Salpêtrière blickt und entdeckt lauter fragwürdige, aus heutiger Sicht schaurige Methoden und stets auf den eigenen Vorteil bedachte Ärzte. Gleichzeitig folgt ein Ex-Polizist der Spur mysteriöser Zeiten quer durch Paris. Vera Buck hat spannende Fakten der Medizingeschichte mit einer Handlung verknüpft, die man in der Kategorie Mysterythriller einordnen könnte. Ihr interessiert euch für die Anfänge der Psychochirurgie und seid in Stimmung für ein düsteres Buch? Dann ist „Runa“ definitiv das Richtige für euch!