Eine Theatervorführung von König Lear in Toronto: Das ist der schicksalhafte Angelpunkt des Buches. An jenem Abend stirbt Arthur Leander, der den Lear spielte, mitten auf der Bühne. Er hinterlässt drei Ex-Frauen und einen Sohn. Jeevan, Sanitäter und Ex-Paparazzi, stürmt aus dem Publikum auf die Bühne, kann aber nicht mehr helfen. Die achtjährige Kinderschauspielerin Kirsten muss alles beobachten. Kurz nach diesem Ereignis soll nichts mehr sein wie es war, denn eine Krankheit löscht den Großteil der Weltbevölkerung aus.
Im Jahr 20 nach dem Untergang der Zivilisation ist Kirsten Teil der Fahrenden Symphonie, die von Ortschaft zu Ortschaft zieht und den Überlebenden Shakespeare vorspielt. Ein Aufeinandertreffen mit einem Mann, der nur als Prophet bekannt ist, bringt ihre Gruppe in Bedrängnis. Immer mehr Puzzlestücke in der Vergangenheit und Gegenwart schlagen eine Brücke vom Tod Arthur Leanders bis hin zu Kirstens aktueller Situation…
Als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm, wusste ich nicht genau, was mich erwartet, nur, dass es sich um einen Endzeitroman handelt. Auf den ersten Seiten gibt es mit dem Tod des Schauspielers Arthur Leander einen traurigen Zwischenfall, doch die Welt scheint noch in Ordnung zu sein. Die Andeutungen häufigen sich aber bald, dass das nicht so bleiben wird. Ich wurde immer neugieriger darauf, was denn passieren wird, und so wurde der Sog des Buches mit jeder Seite stärker.
Nachdem klar ist, dass das Leben auf der Erde nicht mehr weiter gehen wird wie bislang macht das Buch nach 40 Seiten einen Zeitsprung von zwanzig Jahren. Sofort drängte sich mir die Frage auf, was in der Zwischenzeit geschehen ist und wer es auf welchem Wege geschafft hat, zu überleben. Ich musste mich aber noch ein wenig gedulden, bis diese Fragen nach und nach beantwortet wurden.
Zunächst lernte ich Kirsten, die Fahrende Symphonie und den unheimlichen Propheten kennen. Dieser Erzählstrang ist die chronologisch erzählte Konstante des Buches. Von diesem aus springt die Erzählung immer wieder in die Vergangenheit, zu verschiedenen Menschen, Orten und Zeiten vor und nach dem Untergang der Zivilisation. Auf den ersten Blick mögen diese Sprünge chaotisch wirken und es ist kein Zusammenhang zwischen einigen Erzählsträngen zu erkennen. Doch genau hier liegt die große Kunst des Romans: Mit jeder Seite gelangt wieder ein Puzzlestück an seinen Platz, sodass man allmählich ein großes Ganzes erkennen kann.
Die Charaktere des Buches wurden nicht mit dem Ziel entworfen, sie besonders sympathisch oder unsympathisch wirken zu lassen. Sie haben allesamt ihre Schattenseiten, doch während der Untergang der Zivilisation in einigen viel Schlechtes hervorgebracht hat, sind viele in diesen schwierigen Zeiten um Menschlichkeit und Courage bemüht. Auch in der Welt vor der Katastrophe hat die Autorin interessante Charaktere geschaffen, welche ich nicht sofort durchschaute und die mich mit ungeahnten Facetten überraschen konnten.
Dieses Buch ist alles andere als ein klassischer Endzeitroman. Die Autorin versteht es, die Atmosphäre greifbar zu machen und den Leser die Mischung aus Hoffnung und Kampfgeist sowie Zweifel und Wut fühlen zu lassen, welche sich durch die gesamte Geschichte zieht. Dabei driftet sie jedoch nie gänzlich ins Dramatische ab, sondern es schwingt immer ein wenig Optimismus mit. Das machte das Buch für mich zu einer rundum gelungenen Sache.
„Das Licht der letzten Tage“ ist ein überraschend tiefgründiger Endzeitroman. Die Katastrophe selbst steht dabei gar nicht im Vordergrund, stattdessen wird eine Brücke vom Davor zum Danach geschlagen und immer mehr Zusammenhänge kommen ans Licht. In ruhigen Tönen nimmt Emily St. John Mandel den Leser mit auf eine Reise, während der man die Charaktere mit jeder Seite besser zu kennen meint und doch wieder von ihnen überrascht wird. Ich empfehle das Buch daher sehr gern weiter.