Profilbild von Naraya

Naraya

Lesejury Star
offline

Naraya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Naraya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.03.2022

Tolle Sammlung!

In all deinen Farben
0

Psyche wartet schon lange auf die Gelegenheit, sich in der Redaktion des Fashion-Magazins „Olympus“ zu beweisen. Dabei steht jedoch nicht nur die komplizierte Beziehung zu ihrer Vorgesetzten Venus auf ...

Psyche wartet schon lange auf die Gelegenheit, sich in der Redaktion des Fashion-Magazins „Olympus“ zu beweisen. Dabei steht jedoch nicht nur die komplizierte Beziehung zu ihrer Vorgesetzten Venus auf dem Spiel, sondern auch die zu deren Bruder Eros, der Psyche vor einiger Zeit das Herz gebrochen hat. Siya führt eine Armee von Rebellen an, die den eigenen Onkel vom Thron stoßen soll. Um ihr Volk zu schützen, muss sie jedoch ein großes Opfer bringen. Studentin Thisbe nähert sich durch einen Riss in der Wand ihres Wohnheims ihrem Nachbarn Pyramus an; so teilen sie Playlists, aber auch tiefsinnige Gedanken miteinander.

Das sind nur drei Charaktere, die in Bolu Babalolas Kurzgeschichtenband „In all deinen Farben“ eine Rolle spielen. Insgesamt zehn von diesen Geschichten sind dabei berühmten Women of Colour gewidmet, die den Mythen unterschiedlichster Kulturen entstammen, so zum Beispiel der griechischen, nigerianischen oder persischen. Dabei verlegt sie einige Erzählungen in eine moderne Zeit, andere bleiben klassisch und zeitlos. Immer setzt Babalola jedoch den Fokus auf die weiblichen Figuren, ihre Stärken und ihre Rolle in der Gesellschaft. Drei weitere Geschichten entspringen komplett ihrer eigenen Phantasie, sind aber nicht weniger gelungen.

Sprachlich gelingen der Autorin kurze, prägnante Texte von unheimlicher Kraft. Ihre Protagonistinnen haben ein klares Profil, sind realistische Frauenfiguren mit Schwächen und Makeln, aber gleichzeitig dem Willen, Dinge in die Hand zu nehmen und sie für sich und die Menschen um sie herum zum Positiven zu wenden. Dabei gehen sie weit über ihre Grenzen hinaus, auch wenn die Möglichkeit des Scheiterns besteht.

Einziger Kritikpunkt an diesem Erzählband? Dass ich die Figuren aus den Geschichten nicht länger begleiten kann, denn der Autorin gelingt es, mir mit diesen kurzen Einblicken Lust auf das große Ganze zu machen, auf das gesamte Universum. Umso mehr freue ich mich darauf, in Zukunft noch mehr von Bolu Babalola zu lesen und zu entdecken, was sie vermag, wenn sie einen ganzen Roman Zeit hat, ihre Handlung aufzubauen. Eine tolle Sammlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.03.2022

Was für eine Lektüre!

Aufzeichnungen eines Serienmörders
0

Byongsu Kim ist ein Serienmörder, doch seine letzte Tat liegt bereits 25 Jahre zurück. Seit er seine Adoptivtochter Unhi bei sich aufgenommen hat, hat sich vieles verändert. Als jedoch eine neue Serie ...

Byongsu Kim ist ein Serienmörder, doch seine letzte Tat liegt bereits 25 Jahre zurück. Seit er seine Adoptivtochter Unhi bei sich aufgenommen hat, hat sich vieles verändert. Als jedoch eine neue Serie von Morden die Nachbarschaft erschüttert, erkennt Byongsu durch Zufall bei einem Auffahrunfall in seinem Gegenüber einen Gleichgesinnten und damit den Täter. Um Unhi zu schützen, beschließt er, den letzten Mord seines Lebens zu begehen – denn seine Demenz hat ihn fest im Griff und droht, ihm die Kontrolle zu entreißen.

Kim Young-Has besonderer Roman erschien bereits im Jahr 2020 als gebundene Ausgabe und wurde nun als Taschenbuch neu aufgelegt. Inhaltlich ist der Titel absolut Programm: Wir lesen die Aufzeichnungen des Protagonisten, die er anfertigen muss, um irgendwie gegen den Verlust seines Gedächtnisses ankämpfen zu können. Somit teilen wir auch seine Verwirrung über bestimmte Begegnungen und Gespräche und entdecken schon bald Widersprüche in seinen Worten. Manche Einträge umfassen nur wenige Zeilen, manche immerhin ein paar Seiten; das Buch eignet sich somit sowohl zum dosierten, als auch zum Lesen in einer einzigen Sitzung.

Im Verlauf der Handlung verschwimmen die Grenzen zwischen der Realität und Byongsu Kims Wahrnehmung davon immer mehr. Verzweifelt versucht er, sich an seinem Alltag festzuhalten - aus Angst, die Ermordung seiner Tochter nicht verhindern zu können. All das findet schließlich seinen Höhepunkt, als Unhi ihren neuen Partner mit nachhause bringt: eben jenen Serienmörder, den ihr Vater unbedingt zur Strecke bringen will.

„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ ist nicht nur ein klug erzählter Krimi mit einem überraschenden Ende, sondern auch eine Dokumentation dessen, was Demenz im Verstand eines Menschen und vor allem im Leben seiner Angehörigen anrichten kann. Byongsu Kim ist dabei ein unheimlich spannender Charakter, dem zwar das Schuldbewusstsein für seine grausamen Taten fehlt, der einem in den knapp 150 Seiten des Romans mit seiner Liebe zur Lyrik und seinem Pragmatismus aber auch irgendwie ans Herz wächst. Was für eine Lektüre!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.03.2022

Gelungene Sammlung von Essays

My Body
0

Mit dem Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie weltberühmt. Nun hat Model und Schauspielerin Emily Ratajkowski ihr erstes Buch veröffentlicht. In „My Body“, einer Sammlung von insgesamt zwölf Essays, ...

Mit dem Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie weltberühmt. Nun hat Model und Schauspielerin Emily Ratajkowski ihr erstes Buch veröffentlicht. In „My Body“, einer Sammlung von insgesamt zwölf Essays, schreibt sie über das Verhältnis zu ihrem Körper, wie das Modelbusiness, die sozialen Medien, aber auch die eigene Mutter es beeinflusst haben und wie die Geburt ihres Sohnes auf einmal den Fokus verschob.

2022 scheint für mich das Jahr der Essays und Kurzgeschichten zu werden – so viele interessante Sammlungen werden veröffentlicht und auch „My Body“ reiht sich in meine positiven Leseerfahrungen mit dieser Gattung ein. Schreiben kann Emily Ratajkowski definitiv, ihre Essays lesen sich angenehm modern, klar und vor allem persönlich. So berichtet sie z.B. immer wieder von sexuellen Übergriffen: in ihrer Jugend, am Set von „Blurred Lines“ oder auf Parties im Model Business. Ein erschreckendes Bild, das hier gezeichnet wird; vor allem, wenn man bedenkt, wie jung all die Frauen bzw. Mädchen sind, die wie Emily an die Spitze kommen wollen.

Die Essays enthalten jedoch auch jede Menge Selbstreflexion. Immer wieder nimmt Ratajkowski auf das eigene Körperbild Bezug, berichtet, wie sehr ihr Selbstwertgefühl von Likes und Followerzahlen beeinflusst wird und stellt immer wieder frustriert fest: ihr Körper gehört schon lange nicht mehr ihr selbst, ist zur Ware geworden. Sie versucht zwar, diesen Ausverkauf ihrer selbst immerhin zu den eigenen Bedingungen stattfinden zu lassen und ihn mit ihrem kommerziellen Erfolg zu rechtfertigen, das will aber nicht immer gelingen.

Ich hätte mir von Emily Ratajkowski noch weitergehende Konsequenzen gewünscht, in Denken und Handeln. Sie fokussiert sehr stark auf die eigenen Erlebnisse und kritisiert stärker Einzelpersonen und weniger die zugrunde liegenden Machtverhältnisse, die Männer zu Ausbeutern und Frauen manchmal sogar zu deren Komplizinnen machen. Sich selbst versteht sie als Feministin, in ihrer Arbeit ist sie dann eben doch auf den bewundernden Blick der Männer fixiert – ein Widerspruch, den sie für sich selbst nicht auflösen kann und den wir auch als Leser*innen aushalten müssen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.03.2022

Erschreckend, aber vermutlich Realität

Die Kinder sind Könige
0

Schon als junges Mädchen war Mélanie Dior ein Fan von Reality Shows, doch sie selbst scheiterte bereits in der ersten Episode von „Rendez-vous dans le noir“. Was liegt also näher, als diese Träume nun ...

Schon als junges Mädchen war Mélanie Dior ein Fan von Reality Shows, doch sie selbst scheiterte bereits in der ersten Episode von „Rendez-vous dans le noir“. Was liegt also näher, als diese Träume nun als Mutter auszuleben und ihre beiden Kinder vor der Kamera zu präsentieren. Auf ihrem Kanal „Happy Recré“ zeigt sie das tägliche Leben mit Sammy, Kimmy und Ehemann Bruno. Doch als eines Tages die kleine Kimmy verschwindet, wird das gesamte Ausmaß der Ausbeutung hinter den unschuldigen Videos sichtbar.

Delphine de Vigan greift in ihrem neuen Roman „Die Kinder sind Könige“ ein sehr brisantes und aktuelles Thema auf: die Präsentation der eigenen Kinder auf Social Media-Kanälen. Erzählt wird die Handlung dabei aus verschiedenen Perspektiven und ist wie eine Fallakte mit Vernehmungsprotokollen und Beschreibungen von Beweismitteln aufbereitet. Kriminalpolizistin Clara Roussel liefert uns dabei ihren Blick auf die Ereignisse. Mit den sozialen Medien hatte sie bisher wenig Berührungspunkte und ist daher auch geschockt, als sie den Kanal der Familie sichtet. Hat denn niemand festgestellt, wie traurig und abwesend die kleine Kimmy seit Wochen aussieht? Und wie sehr ihr großer Bruder Sammy sich abmüht, sie gleichzeitig zu schützen und den Fans eine gute Show zu bieten?

Der Roman ist definitiv kein Krimi, der Fokus liegt nicht auf der Lösung des eigentlichen Falls. Er ist viel mehr eine durchaus unterhaltsame, aber auch schockierende Sozialkritik an Eltern, die ihre Träume und Wünsche durch die eigenen Kinder ausleben wollen. Die sind dann zwar, wie der Titel es sagt, „Könige“ und haben materiell gesehen alles, was sie möchten. Versagt bleibt ihnen jedoch etwas viel Wichtigeres: eine Kindheit, bedingungslose Liebe und Privatsphäre. Vor allem Mutter Mélanie ist für das Leid ihrer Kinder entsetzlich blind.

Nach zwei Dritteln wechselt die zeitliche Ebene und wir erleben die Diors im Jahr 2031, in welchem die Autorin auslotet, welche Ausmaße die sozialen Medien angenommen haben könnten und gleichzeitig schildert, was aus der Familie geworden ist. Ein wirklich erschreckender Roman, der von der Realität gar nicht so weit entfernt sein dürfte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2022

Das Verschwinden der Agatha Christie

Mrs Agatha Christie
0

Im Dezember 1926 verschwindet Agatha Christie für elf Tage in ihrem Leben spurlos. Eine beispiellose Suchaktion beginnt, an der sich sogar Größen wie Dorothy Sayers und Sir Arthur Conan Doyle beteiligten ...

Im Dezember 1926 verschwindet Agatha Christie für elf Tage in ihrem Leben spurlos. Eine beispiellose Suchaktion beginnt, an der sich sogar Größen wie Dorothy Sayers und Sir Arthur Conan Doyle beteiligten und in deren Verlauf ihr Ehemann Archie immer mehr ins Kreuzfeuer der Ermittlungen geriet. Der Ausgang ist bekannt: Agatha taucht in einem Hotel in Harrogate wieder auf und gibt vor, sich an nichts erinnern zu können. Sie und Archie lassen sich scheiden und fortan wird sie nicht nur wieder heiraten, sondern vor allem eine Vielzahl großartiger Kriminalromane schaffen.

In „Mrs Agatha Christie“ erzählt Marie Benedict nun ihrerseits, was damals in diesen elf Tagen geschehen sein könnte. Dabei schildert sie das Geschehen aus zwei verschiedenen Perspektiven: In der Vergangenheit ist Agatha die Protagonistin und die Autorin verwendet die Ich-Form, um eine gewisse Verbundenheit herzustellen. Erzählt wird ausgehend von dem Moment im Oktober 1912, als Agatha und Archie sich kennenlernen. In der Gegenwart, am Tag nach dem Verschwinden seiner Frau, steht dieser im Fokus. Sein Handlungsteil ist jedoch in der Er-Form geschrieben – die Loyalitäten der Leser*innen sind sofort klar.

Gut recherchiert ist Benedicts Roman allemal, Namen, Orte, Daten, ja sogar Agathas Kleidung an ihrem Hochzeitstag werden genauestens dargestellt. Auch ihre Theorie über das Verschwinden der beliebten Autorin erscheint plausibel. Es ist allgemein bekannt, dass Archie eine Affäre hatte und diese heiraten wollte – Agathas Plan, ihm dafür gewaltig die Suppe zu versalzen, passt zu allem, was wir über ihren Charakter wissen und ist zudem mehr als nur einen Schmunzler wert.

„Mrs Agatha Christie“ ist in weiten Teilen – und damit war natürlich zu rechnen – eine Liebesgeschichte oder vielleicht eher eine Geschichte über das Scheitern einer Ehe und darüber, wie Frauen stets den Spagat zwischen Beruf und Familie, zwischen Ehemann und Kind schaffen müssen. Persönlich hätte ich mir einen größeren Fokus auf Agathas Schreiben und ihre Perspektive nach dem Verschwinden gewünscht. Dieses Risiko wollte die Autorin offensichtlich aber nicht eingehen, schade!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere