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Veröffentlicht am 13.11.2024

Eine Kombination aus Technik-Fachsimpeln und moralischem Lehrauftrag, untermalt von Klischee-Teenager-Gefühlsachterbahnen

Infernia
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Infernia lag leider während einer längeren Leseflaute bei mir auf Eis, bevor ich mich Anfang Juni endlich wieder kopfüber in Karl Olsbergs Welt aus Teenagergefühlschaos, Online-Gaming und einer gehörigen ...

Infernia lag leider während einer längeren Leseflaute bei mir auf Eis, bevor ich mich Anfang Juni endlich wieder kopfüber in Karl Olsbergs Welt aus Teenagergefühlschaos, Online-Gaming und einer gehörigen Prise Zukunftsmalerei stürzen konnte.

Schon seit ich damals Erebos von Ursula Poznanski gelesen habe, finde ich Bücher wie dieses faszinierend: sie malen ein Bild davon, wie sich die Welten In-Game und IRL (in real life) verbinden; welche Risiken, aber auch welche Potenziale sich damit entdecken lassen. Dabei ist es schwer, die richtige Balance zwischen diesen beiden Ebenen zu finden. Manche Bücher legen den Fokus zu sehr auf die Welt außerhalb des Spiels, sodass der technische Aspekt der Handlung mehr wie ein störender Nebeneffekt wirkt. Andere sind so auf die fantasievollen Beschreibungen des Spiels fokussiert, dass mich überhaupt nicht mehr interessiert, was außerhalb passiert.

Ein gutes Beispiel, wie man es absolut richtig machen kann, ist Richard Schwartz‘ Fluchbrecher, den ich leider immer als Maßstab verwende, seit ich diesen ersten Band der Eisraben-Chroniken-Trilogie gelesen habe. „Leider“ deshalb, weil für mich nur wenige andere Bücher in diesem Genre an dieses herankommen. Auch Infernia schafft das nicht.

Ich teile Infernia rückblickend in drei Abschnitte auf:

Im ersten Drittel spielt das Game mit der namensgebenden Welt Infernia kaum eine Rolle, viel wichtiger sind die Hauptfiguren und ihre Beziehungen zueinander. Mir sind einige Szenen deutlich in Erinnerung geblieben, in denen die fünfzehnjährige Emma die körperlichen Annäherungsversuche (CN: es bleibt bei vereinzelten kurzen Übergriffen) ihres Freundes Ben als bedrohlich empfindet und abblockt, was problematische Verhaltensweisen von Ben zur Folge hat.

Die beschriebenen Situationen sind schlimm, aber ich finde es gut, wie reflektiert (und dabei trotzdem altersgemäß) Emma und die Erzählstimme damit umgehen. Uns Lesenden ist in jedem Moment klar, dass Ben derjenige ist, der sich falsch verhält, obwohl Emma an sich selbst zweifelt. Das Game ist in diesem Abschnitt mehr Mittel zum Zweck, um die Entwicklung der Beziehung zwischen Ben und Emma zu untermauern.

Im zweiten Drittel gibt es nur wenige Szenen, die außerhalb des Games stattfinden. Emma rutscht in Verhaltensmuster ab, die – wie Emmas Mutter treffend kritisiert – an Suchtverhalten erinnern. Es wird erstmals beschrieben, wie die Interaktion vom Spieler zum Spiel aussehen, wie die Welt in-game funktioniert. Emma nimmt uns in Form ihres Spielcharakters mit auf Missionen und Abenteuer, wobei Ben zunehmend ein Feindbild darstellt – besonders, als Emma mehr Zeit mit dem NPC (non-playable character) Jero verbringt.

Ich fand es schade, wie schablonenhaft Emmas Mutter in diesem Abschnitt wirkt. Sie ist die Person, die als Moralapostel dasteht – aus Emmas Perspektive eben die blöde Mutter, die nicht verstehen will was ihre Tochter umtreibt und die nur Verbote verhängt, weil sie nicht will, dass ihr Kind ständig am PC hockt und dabei die Schule vernachlässigt. Das ist das Bild von Eltern, das in deutschsprachigen Produktionen leider so oft dargestellt wird und mich ebenso oft stört.

Damit meine ich nicht nur deutsche Jugendbücher, sondern auch alle Filme und Serien, die dieses Abziehbildchen von „strenge Mutter“ oder „desinteressierter Vater“ beinhalten. Die Figur hat neben „geht zur Arbeit“ und „meckert über das Kind“ bis kurz vor dem Ende keine andere Funktion in der Geschichte, und das nervt mich gewaltig. Es müssen nicht alle das andere Extrem, also Beste-Freundin-Figuren wie in Gilmore Girls sein, aber diese oberflächliche Darstellung finde ich schlicht langweilig, so sehr Emmas Mutter mit ihrer Kritik und ihren Sorgen auch richtig lag.

Das letzte Drittel driftet nach meinem Empfinden völlig unerwartet und aus dem Nichts in eine vollkommen neue Richtung ab. Emma erkennt die Problematik daran, dass das Spiel mit einer KI arbeitet, die nicht einmal ihre Entwicklerinnen so richtig verstehen; daran, dass heimlich die Daten von Spielenden gesammelt und für Zwecke eingesetzt werden, denen man als Spielerin wahrscheinlich nicht zustimmen würde.

Es geht von 0 auf 100 in Richtung Aufdecken einer Verschwörung, Kriminalisierung von Minderjährigen, Social Media Hype und (Cyber-) Mobbing an der Schule, bis wir schließlich in den Gefilden von Science Fiction ankommen. Letzteres wird dann untermalt von so vielen technischen Details, dass ich nicht mehr unterscheiden kann zwischen „das kann die Technik jetzt schon“, „das weiß die Forschung jetzt schon, kann es aber noch nicht umsetzen“ und „das ist reine Spekulation“. Ich hätte mir ein kurzes Nachwort hierzu gewünscht, in dem der fachlich scheinbar sehr gebildete Autor diese drei Aspekte aufschlüsselt.

Ich hätte Infernia wahrscheinlich lieber gemocht, wenn die handelnden Figuren alle so ausgebaut worden wären, wie es bei Emma der Fall war. Bis auf diese eine Figur, die zugegebenermaßen die Hauptfigur ist, haben alle anderen nur ein, zwei Eigenschaften, maximal. Bens Vater interessiert sich nur fürs Geld, Emmas Mutter habe ich ja oben schon beschrieben, Ben ist ein Idiot, der kaum bis zur eigenen Nasenspitze denken kann, wenn er denn überhaupt sein Gehirn zum Denken benutzt, eine neue Bekanntschaft von Emma ist clever und mutig, aber ich habe keine Ahnung, wofür er sich außerhalb des Spiel interessiert, Nora ist Bens neue Freundin und kann deshalb ja nur „eines von diesen Mädchen“ sein – und so weiter.

Ich brauche keinen langen Steckbrief für jede Figur, die irgendwo am Rande mal auftaucht, aber Personen, die irgendwie die Handlung beeinflussen, würde ich in ihren Entscheidungen und Taten schon gern besser verstehen können.

Auch ging mir der Wandel von dem Mädchen, dass ab und zu ein neues Spiel ausprobiert zu dem Mädchen, das haarscharf an einer ausgewachsenen Sucht vorbeischrammt zum Mädchen, das sich publikumswirksam (inkl. Fernsehauftritt) für bzw. gegen etwas einsetzt und schließlich zu dem Mädchen, dass gefühlt einen dritten Weltkrieg verhindert, viel zu schnell.

Ich habe lange kein Buch mehr gelesen, in dem ich den Spannungsbogen, der mir im Deutschunterricht beigebracht wurde, so deutlich habe durchschimmern sehen. Besonders gegen Ende bekam ich den Eindruck, als hätte der Autor sich vor dem Schreiben überlegt, wohin die Reise gehen soll, und dann irgendwie dort ankommen müssen, nachdem der Großteil von Infernia schon geschrieben war. Wo der Einstieg in die Geschichte langatmig war, hat sich das letzte Drittel fast überschlagen mit neuen Informationen und kritischen Entscheidungen, die getroffen werden mussten.

Und nebenbei wurde aus dem normalen Mädchen eine öffentlichkeitswirksame Galionsfigur für ein Thema, das sie in Talk Shows befördert hat. Meine Vermutung, dass Luisa Neubauer da vielleicht als Vorbild diente, ist möglicherweise gar nicht so abwegig …

Fazit


Eine Kombination aus Technik-Fachsimpeln und moralischem Lehrauftrag, untermalt von Gefühlsachterbahnen, die Erwachsene Teenagern gern andichten: So fühlte sich ein Großteil von Infernia beim Lesen an. Die In-Game-Welt wurde leider nie so ausführlich beschrieben, dass ich ein Bild vor Augen gehabt hätte, und das Motiv des Buchcovers, das mich mit seinen erkalteten Lava-Strömen überhaupt erst neugierig auf Infernia gemacht hat, kam nie richtig vor. Ich bekomme von diesem Buch allein den Eindruck, dass der Autor zwar viel von KI versteht, aber nicht wirklich etwas von Gaming, und dass mit Infernia ein paar deutliche moralische Botschaften vermittelt werden sollen, was man meiner Meinung nach etwas dezenter hätte umsetzen können.

Dabei kann ich leider nicht sagen, ob ich mehr Freude an Infernia gehabt hätte, wenn mir nicht Fluchbrecher von Richard Schwartz im Hinterkopf als ständiger Vergleich gedient hätte. Ich vermute allerdings, dass mich auch ohne dieses Positivbeispiel des Genres mindestens die oberflächlichen Figuren und die rasanten Veränderungen von Emmas Charakter gestört hätten.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Tolles Worlbuilding mit einer ganz eigenen Mythologie

A Magic Steeped in Poison – Was uns verwundbar macht
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Endlich gibt es mit A Magic Steeped in Poison mal wieder eine absolut neue und einzigartige Geschichte – jedenfalls für mich! Die Idee, Tee und Magie zu verweben, fand ich beim ersten Lesen des Klappentextes ...

Endlich gibt es mit A Magic Steeped in Poison mal wieder eine absolut neue und einzigartige Geschichte – jedenfalls für mich! Die Idee, Tee und Magie zu verweben, fand ich beim ersten Lesen des Klappentextes schon faszinierend, und die Umsetzung hat mir sehr gefallen.

Der Anfang war für meinen Geschmack etwas schleppend, aber ich hatte mich schon nach wenigen Kapiteln in die eigensinnige Welt von A Magic Steeped in Poison hineingefunden. Ning ist eine Hauptfigur, deren Entscheidungen nachvollziehbar sind und mit der ich gerne mitgefühlt habe: Trauer, Sorge, Angst, Zorn, Verwirrung, Entschlossenheit, Mut, Enttäuschung, Zögern, Freude – sie durchläuft so viele Emotionen und Veränderungen, während sie alles aufs Spiel setzt, um ihre Schwester zu retten.

Mir gefällt, wie die Autorin es schafft, all die Strippenzieher verborgen zu halten, bis ich als Leserin selbst auf die Lösung komme. Dabei habe ich die verschiedensten Leute verdächtigt, sogar Nings erste Freundin im Wettstreit. Und Bo – nein, Kang – ist zwar eine recht einfache Figur mit (so habe ich jedenfalls bisher den Eindruck) wenig Tiefgang, aber nach diesem Ende bin ich sicher, dass sich das im zweiten Band ändern wird.

Die Rahmenhandlung von A Magic Steeped in Poison ist nicht allzu außergewöhnlich: Oberhaupt des Landes verschwindet aus der Öffentlichkeit, junge Frau, die ihm auf den Thron folgen müsste, wird von (männlichen) Beratern aus allen Richtungen manipuliert, sie ermittelt im Geheimen zum Wohl der Bevölkerung, Intrigen, Verrat, die Hauptfigur schliddert irgendwie mitten in dieses Wespennest hinein, und so weiter. Das Besondere an diesem Buch macht für mich die Teemagie aus. Es sind Rituale, die tief in einer Kultur verwurzelt sind und die eine ganze Bevölkerung beeinflussen, die mit Legenden und Mythen verwoben werden und daraus eine ganz eigene Art von Zauber entstehen lassen. Hier zeigt die Autorin wirklich ein tolles Gespür dafür, Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen.

Stellenweise wurde ich an Momente aus dem Film Chihiros Reise ins Zauberland erinnert. Nicht, weil die Handlung irgendwie gleich gewesen wäre, sondern wegen des unruhigen, bedrohlichen Gefühls, das in mir ausgelöst wurde, und wegen der mythischen Kreaturen, die in einigen Szenen auftauchen und die ich wirklich bildlich vor Augen hatte. Und weil es mir manchmal einfach nicht schnell genug voran ging.

Die Autorin versteht es, eine Welt zu malen und die Geschichte wie einen Film durch meinen Kopf laufen zu lassen. Das habe ich schon länger nicht mehr in diesem Ausmaß erlebt! Ich bin sehr gespannt, wie das Abenteuer von Ning und ihren neuen Gefährtinnen nach A Magic Steeped in Poison weitergeht und stürze mich direkt in die Fortsetzung mit dem neugierig machenden Titel A Venom Dark and Sweet.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Nicht mein Fall

Room for Love 1. Two in a Room
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Ich bin auf Two in a Room aufmerksam geworden, weil ich von der Autorin Laura Labas bereits einige andere Bücher gelesen habe – allerdings nur Fantasy. Jetzt war ich neugierig, wie eine reine New Adult-Romance ...

Ich bin auf Two in a Room aufmerksam geworden, weil ich von der Autorin Laura Labas bereits einige andere Bücher gelesen habe – allerdings nur Fantasy. Jetzt war ich neugierig, wie eine reine New Adult-Romance von ihr aussehen würde.

Die Geschichte von Two in a Room erinnert anfänglich ein bisschen an eine Cinderella-Version: armes Mädchen, nicht auf den Mund gefallen, stolpert in die scheinbar sorgenfreie Welt des reichen Jungen und zusammen laufen sie zu aufs Happy End. Mir hat aber gut gefallen, dass die beiden Hauptfiguren etwas mehr Tiefgang haben als es sonst in diesem Genre so oft der Fall ist. Ja, sie denken öfter an Sex als an die Monatsmiete, aber beide haben ihr mentales Päckchen zu tragen, was sie menschlicher macht. Beide machen Fehler, gestehen sich diese aber auch ein und arbeiten an ihrer Beziehung, anstatt sie beim ersten Stolperstein aufzugeben. Diese Aspekte haben mir richtig gut gefallen.

Weniger schön fand ich die Erzählweise, die ich von Laura Labas so nicht gewohnt bin. Die Handlung kam eher schleppend voran und ich habe öfter längere Pausen eingelegt, weil ich mit Two in a Room einfach nicht richtig warm wurde. Manche Passagen, das muss ich gestehen, habe ich gegen Ende einfach überblättert. Ich brauchte nicht noch eine heiße Nacht im Hotel oder die drölfte Beschreibung von Miles‘ Sixpack, mich interessierte viel mehr, welchen Weg Shiloh für sich aussuchen und wie sich die neuen zarten Freundschaften entwickeln würden.

Stellenweise hatte ich den Eindruck, dass unbedingt hier und da und dort auch noch eine Sexszene in die Geschichte gequetscht werden musste, „weil das ja zu New Adult einfach dazugehört“. Normalerweise lese ich das auch ganz gern mal. Aber ich glaube, ein bisschen weniger triebgesteuerte Gedanken hätten Two in a Room sehr gut getan.

Apropos „Two in a Room„: Abgesehen von der anfänglichen gemeinsamen Nacht im Hotelzimmer kann ich mir den Titel leider nicht erklären. Er fühlt sich irgendwie falsch an für diese Geschichte, etwas unpassend. Mich hat der Titel eher an eine Situation denken lassen, in der man plötzlich zusammen wohnen muss, so ähnlich wie bei Begin Again von Mona Kasten.

Und auch das Cover finde ich persönlich nicht ansprechend. Ohne den Namen der Autorin hätte ich das Buch wahrscheinlich gar nicht genauer angeschaut, dabei hat die Geschichte selbst ja durchaus Potenzial. Nur der Erzählstil, der mir sonst so gut bei ihren Büchern gefällt, ist mir diesmal leider am negativsten aufgefallen. Dabei kann ich gar nicht so genau sagen, ob sie anders geschrieben hat oder ob ihr normaler Stil einfach nicht zu einem Nicht-Fantasy-Roman passt.

Im Endeffekt mochte ich den Kern der Handlung von Two in a Room und die Botschaft von „du bestimmst selbst über dein Leben, nicht die Idee, die sich deine Eltern in den Kopf gesetzt haben“, aber die Art, wie die Geschichte von Shiloh und Miles erzählt wird, holte mich leider nicht ab.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Das Rad wird nicht neu erfunden, aber sehr angenehm zu lesen

Lighthouse Bookshop
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Nach einem etwas zähen Einstieg in Lighthouse Bookshop habe ich schnell den Charme des titelgebenden Antiquariats im Leuchtturm und seiner Gäste und Besitzer erkennen können. Durch die wechselnden Perspektiven ...

Nach einem etwas zähen Einstieg in Lighthouse Bookshop habe ich schnell den Charme des titelgebenden Antiquariats im Leuchtturm und seiner Gäste und Besitzer erkennen können. Durch die wechselnden Perspektiven schauen wir mal in Rachels, mal in Tobys und mal in Gillys Kopf und auch die anderen Charaktere kommen nicht zu kurz. Bei einer größeren Gruppe wie dieser stört mich das oft etwas, weil meistens ein Paar oder wenige Figuren im Vordergrund stehen – da brauche ich keinen inneren Monolog von einer entfernten Freundin. Hier erfüllen aber tatsächlich alle Blickwinkel eine bestimmte Rolle und runden die Handlung ab, sodass es mir ausnahmsweise richtig gut gefallen hat. Das hat mir die Geschichte näher gebracht.

Etwas schade finde ich, wie schnell und leicht die teilweise großen Probleme einzelner Personen gelöst wurden. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Einmal war das Mittel der Wahl „du musst nur den Richtigen Menschen finden/dich neu verlieben“, einmal war es „so gut ich das Geld auch gebrauchen kann, ich bin lieber ein guter Mensch und tue das Richtige“, auch wenn das „Falsche“ gar kein großes Drama gewesen wäre.

Ja, Lighthouse Bookshop erzählt eine romantische Kleinstadtgeschichte (ein bisschen hat es stellenweise an Gilmore Girls erinnert), da ist es nicht immer gewollt, möglichst realistisch oder ernst zu schreiben. Bei den hier behandelten Themen aber hätte es mir besser gefallen, wenn sich das jeweilige Problem nicht gefühlt von selbst und im Verlauf von wenigen Seiten gelöst hätte. Dass Gut gegen Böse siegt, ganz plakativ gesagt, war sehr befriedigend. Aber eben auch etwas einfach aufgebaut.

Trotzdem – oder gerade deshalb – ließ sich Lighthouse Bookshop gut lesen. Die wichtigen Charaktere haben alle ein für sie irgendwie passendes Ende bekommen, auch wenn nicht alle roten Fäden komplett zusammengeführt wurden. Besonders Ron, Gilly und Edie haben es mir angetan. Ron, weil zu seiner Figur so viel angedeutet und so wenig explizit geschrieben wird, dass es viel Interpretationsspielraum lässt. Die fünfzehnjährige Gilly, weil sie mir sehr authentisch vorkommt: Oft werden Jugendliche von Erwachsenen zu bemüht jugendlich geschrieben, sodass es aufgesetzt und, ja, eben bemüht wirkt, aber nicht authentisch.

Hier schafft die Autorin es aber ziemlich gut, die innere Reife einer jungen Frau, die viel zu früh auf sich allein gestellt war, mit der Sehnsucht nach Zuneigung und der Wankelmütigkeit von Jugendlichen zu vermischen – und ihr dabei die richtigen Worte in den Mund zu legen. Edie, weil sie so offen für Neues und mutig ist, wie ich es von Frauen in ihrem Alter nur selten erlebe, auch nicht in Büchern, und dabei trotzdem eine realistische Figur bleibt, ohne zur guten Fee zu mutieren.

Rachel war mir bis zum Ende etwas unsympathisch, wobei ich nicht klar benennen kann, woran es lag. Toby machte auf mich den Eindruck, dass die Autorin einfach einen Mann brauchte, dessen psychischer Knacks von einer neuen Liebe geheilt werden konnte. Er wirkte trotz der tiefergehenden Beschreibungen auf mich einfach und oberflächlich.

Etwas störend fand ich die Tatsache, dass das Buch kein Korrektorat bekommen hat oder dieses nicht genau genug gearbeitet hat: Ich bin immer wieder über Stellen gestolpert, wo Leerzeichen gefehlt haben und dadurch Wörter zusammengezogen wurden oder andere Flüchtigkeitsfehler zu erkennen waren. Das hätte nicht sein müssen.

Kurz:
Den großen Charme von Lighthouse Bookshop machen für mich die Nebenfiguren und die junge Ausreißerin Gilly aus. Es geht um Nächstenliebe und irgendwie auch darum, die Welt optimistisch zu betrachten. Für mich ist Lighthouse Bookshop keine herausragende Entdeckung, aber eine angenehme Unterhaltung für zwischendurch – gerade an so nassen und kalten Herbsttagen wie jetzt gerade.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Für alle gern lesenden Dr. House-Fans und Medizinstudenten auf der Suche nach leichter und wissensvermittelnder Lektüre: Lesen!

Housemedizin
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Eine Gast-Rezension von meiner Schwester

In Marburg lehrt der sogenannte deutsche Dr. House Medizin. Er heißt Prof. Dr. Jürgen Schäfer und ist so großer bekennender Dr. House-Fan, dass er im Jahr 2008 ...

Eine Gast-Rezension von meiner Schwester

In Marburg lehrt der sogenannte deutsche Dr. House Medizin. Er heißt Prof. Dr. Jürgen Schäfer und ist so großer bekennender Dr. House-Fan, dass er im Jahr 2008 angefangen hat, Seminare zu dieser Serie anzubieten. Sie haben auf freiwilliger Basis viele Studierende der Universität Marburg angezogen (und tun es immer noch regelmäßig am Dienstagabend). Ziel ist es, anhand der Patientengeschichten von Dr. House und der Differenzialdiagnosen am White Board selbst besser zu lernen, Krankheiten zu identifizieren.

Den Reiz machte dabei aus, dass man so das Angenehme (Unterhaltsame) mit dem Nützlichen (Wissen) verbinden kann – und es sich so (besser?) merkt. Dass Prof. Dr. Schäfer menschlich die Figur des zynischen, unempathischen Dr. House als nicht erstrebenswert betont und oft auf die ethischen Probleme seiner Art und teilweise der Behandlungen hinweist, ist ihm sehr wichtig.

Nun gibt es mit dem Buch Housemedizin – Die Diagnosen von Dr. House die Möglichkeit nachzulesen, ob die Serienepisode gerade absoluten Quatsch enthält (Diagnosesicherung durch Stiche mit Nadel ins Auge, Vergiftungssymptome einer bestimmten Substanz, intramuskuläre statt intravenöse Adrenalininjektion). Sehr oft sind die Fallbeispiele in den einzelnen Folgen lehrbuchreif recherchiert. Das Prinzip dieses Buches folgt demselben Ziel wie das Seminar von Prof. Dr. Schäfer in Marburg. Dabei bleibt es laienverständlich formuliert und spricht damit auch nicht-medizinisch vorgebildete Serienfans an, die sich fragen, was an diesen Geschichten wahr ist.

Die TV-Serien-Vorlage Dr. House


Da ist in der Serie zum Beispiel die Porphyrie, eine Blutkörperchensynthesestörung, das Chamäleon Lupus, der Morbus Wilson (eine Kupferspeicherkrankheit), diverse Vergiftungen (Blei, Drogen) und, in der Notaufnahme immer wieder unterhaltsam eingeblendet, die für Dr. House langweiligen „Alltagsdiagnosen“ von Erkältungen bis zu seinen verhassten STDs (sexuell übertragbare Krankheiten) thematisiert.

In seine Fälle aufgenommen werden Menschen, die lange von Arzt zu Arzt laufen, ohne eine Erklärung für ihre Krankheit zu bekommen. Oft sind es sogenannte Multisystemekrankheiten, das heißt, sie greifen mehr als ein Organ an. Aus der richtigen Kombination von Symptomen und Testergebnissen kommt Dr. House mit seinem Team – oft erst nach mehreren falschen Versuchen – letztendlich auf die richtige Diagnose.

Das besondere an dieser Serie ist, dass er den Betrachter mit auf die Suche nimmt, ähnlich wie in einem Krimi. Viele andere Krankenhausserien (Grey’s Anatomy, Die Schwarzwaldklinik, etc.) stellen die Medizin als Kulisse dar, um die interpersonellen Beziehungen zu betonen. Medizin ist dort nur am Rande relevant. Bei Dr. House ist es mindestens ausgeglichen.

Anhand von Staffel 1, Episode 6 (Schizophren?) illustriere ich kurz das Konzept der Serie:
Eine Filmsequenz wird eingeblendet, die in wenigen Minuten zeigt, wie der Patient zu Dr. House kommt. In dieser Folge ist es eine Mutter Mitte 30, die von ihrem minderjährigen Sohn betreut wird, weil sie schizophren sei, das heißt: Dinge sieht, die es nicht gibt (halluziniert), z.B. einen sprechenden Frosch auf dem Schreibtisch im Rahmen eines offensichtlich wichtigen Termins „auf dem Amt“.

Auf Dr. Houses Diagnosetafel stehen am Ende:

Psychose wegen Halluzinationen (Schizophrenie?)
Magen-Darm-Blutung
tiefe Venenthrombose mit Lungenembolie (Gefäßverschluss)
Leberzirrhose (Leber versagt durch Umbauprozesse. Eine der häufigsten Ursachen: Alkoholkonsum über Jahre)
Nach der Fehldiagnose „Alkoholiker“ kommen Dr. House Zweifel an der Vordiagnose Schizophrenie, die sich in der Regel deutlich vor dem 36. Lebensjahr im jungen Erwachsenenalter manifestiert. Aus der Kombination Psychose und Leberzirrhose finden sie die richtige Diagnose, Morbus Wilson. Jetzt stellt sich die Frage:

Was davon stimmt medizinisch?


Hier verrät das Buch von J. Schäfer: Die Venenthrombose ist Quatsch. Blutungen stimmen aufgrund der Leberzirrhose, außer Psychosen sind auch andere neurologische Störungen wie ein bestimmtes Zittern (flapping tremor) möglich. Besonders auffällig lässt sich am Auge manchmal der sogenannte Kayser-Fleischer-Ring um die Iris finden. Ursache ist eine Kupferkanalmutation, durch die sich Kupfer in Zentralem Nervensystem, Leber und Auge ansammelt. Morbus Wilson wird autosomal rezessiv vererbt und kommt mit einer Frequenz von 1:30.000 in der Bevölkerung vor.

Prof. Dr. Schäfer hat mit seinem Seminar so viele Journalisten angezogen, dass er weit bekannt wurde und viele Patienten ihm ihre Leidensgeschichten schrieben, mit der Bitte, von ihm diagnostiziert zu werden. Mittlerweise gibt es deshalb in Marburg ein Zentrum für unerkannte und seltener Erkrankungen. In seinen Büchern betont er immer die Wichtigkeit von Teamarbeit. Von daher ist es nicht ganz richtig, von „seinem Zentrum“ zu sprechen. Nichtsdestotrotz ist er damit zum sogenannten deutschen Dr. House geworden.

Durch sein humorvolles und wissensvermittelndes Buch Housemedizin – Die Diagnosen des Dr. House auf ihn aufmerksam geworden, habe ich auch sein 2. Buch Der Krankheitsermittler gelesen. Darin beschreibt er eine Auswahl seiner Fälle in bekannter „House-Manier“, d. h. er schreibt aus wechselnden Perspektiven über das, was seinen Patienten passiert, analysiert danach medizinisch, was falsch läuft in deren Körpern, und beschreibt, wie sie am Ende in ihrem Team auf die Diagnose gekommen sind. Es ist also gewissermaßen eine Ergänzung zur Dr. House-Serie – nur eben mit echten Patienten.

Ich selbst habe die Serie sehr gerne geschaut. Gerade die Kombination aus genialem Diagnostiker und menschlichem Antipath macht Dr. House zu etwas Besonderem unter all den anderen Arztserien. Es wäre wahrscheinlich eine Doku-artige Nachmittagssendung, wenn er so nett wäre wie sein Gegenpart, der immer verständnisvolle, freundliche Onkologe Dr. Wilson.

Fazit


Ich kann mir dank dieser Bücher und der Filme die seltenen Krankheitsbilder, die sogenannten Kolibris, besser merken, die der normale Arzt vielleicht einmal oder zumindest sehr selten in seinem Medizinerleben sehen wird. Mein Medizinlehrbuch verrät mir zusätzlich die Laborparameter und Therapie. Dank des Films bzw. Buches habe ich ein Bild im Kopf, merke mir das Krankheitsbild plastisch und kann es am echten Patienten leichter wiederkennen.

Für alle gern lesenden Dr. House-Fans und Medizinstudenten auf der Suche nach leichter und wissensvermittelnder Lektüre: Lesen!