Urban Fantasy im Berlin der Goldenen Zwanziger
Anarchie DécoDas neuste Werk des Autorenduos J. C. Vogt heißt "Anarchie Déco" und ist ein historischer Urban-Fantasy-Roman, der im Berlin der Roaring Twenties des letzten Jahrhunderts spielt.
Worum es geht
Im Jahr ...
Das neuste Werk des Autorenduos J. C. Vogt heißt "Anarchie Déco" und ist ein historischer Urban-Fantasy-Roman, der im Berlin der Roaring Twenties des letzten Jahrhunderts spielt.
Worum es geht
Im Jahr 1927, knapp zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, befindet sich Berlin im Umbruch. Das ausschweifende, sexuell freizügige Nachtleben floriert, die Nationalsozialisten sind auf dem Vormarsch, und aus der Kombination von Kunst und Wissenschaft entsteht Magie, ein bisher kaum erforschtes Phänomen, welches sich aber auch außerhalb der Forschungslabors nicht nur in den Nachtclubs sondern auch auf den Straßen der Stadt ausbreitet. Statuen beginnen plötzlich zu leben, eine verschwundene Frau wird versteinert aufgefunden, und ein kommunistischer Politiker steckt tot in verflüssigtem Beton. Die junge Physikerin Nike Wehner, die gerade an ihrer Dissertation arbeitet, ist Expertin für das neue Phänomen und ist der Lage, auch selbst Magie anzuwenden. Nebenberuflich arbeitet sie für die Berliner Kriminalpolizei, denn mittels Zauberei lassen sich auch hervorragend Verbrechen begehen. Da Magie zusätzlich die Dualität von Mann und Frau braucht, erhalten Nike und die Ermittler Unterstützung durch den Künstler und Anarchisten Sandor Černý. Als sich herausstellt, dass auch unter den aufstrebenden Nazis Magier aktiv sind, droht die Situation Nike und Sandor zu überfordern, zumal immer unklarer wird, wem sie überhaupt noch vertrauen können.
Kritik
"Anarchie Déco" hat viele Aspekte: Einerseits ist es ein sauber recherchierter Roman über das Berlin der 1920er Jahre, in dem auch historische Persönlichkeiten wie Albert Einstein oder der legendäre Leiter der Mordkommission Ernst Gennat auftreten, welcher auch in Volker Kutschers Gereon-Rath-Zyklus vorkommt. Insofern weist das Buch gewisse Parallelen mit "Babylon Berlin" auf. Gennat zur Seite gestellt ist der fiktive Kommissar Seidel, welcher einer inoffiziellen Arbeitsgruppe für Magie vorsteht. Andererseits geht es aber auch um Generationskonflikte, Politik und Verschwörungstheorien. Gender mit LGBTQ+ Aspekten sind − gerade im Mittelteil − ein zentrales Thema. Darin eingebettet ist eine spannende Whodunit-Kriminalgeschichte, in der es auch um Grundstücksspekulationen und den damaligen Bauboom geht. Auch wenn man den Roman ins Genre der Urban Fantasy einordnen kann, spielen die phantastischen Elemente eher untergeordnete Rolle. Wer eine übernatürliche Handlung wie in den Serien "Die Flüsse von London" oder "Lockwood & Co." erwartet wird vielleicht eher enttäuscht sein. Denn erst zum Finale kommen die Fantasy-Elemente verstärkt zum Tragen.
Judith und Christian Vogt erzählen ihre gesellschaftskritische Geschichte mit wechselnden Perspektiven in einem flüssig zu lesenden Stil mit teils bissigem Humor. Der Genremix ist durchaus faszinierend, der Flair den Goldenen Zwanziger, aber auch die teils düstere politische Stimmung werden geschickt eingefangen. Handlung und Protagonisten wird ausreichend Zeit eingeräumt, sich zu entwickeln. Die Verknüpfung von Physik, Kunst und Magie ist ein faszinierendes Konzept. Leider wirkt der Roman thematisch etwas überladen, und Teilaspekte wie eine gendergerechte Sprache passen im Detail nicht in die Epoche. Viele der angerissenen Themen wie Antisemitismus, Wohnungsnot, Bauspekulation, koloniale Raubkunst sowie die Diskriminierung von Frauen und sind auch hundert Jahre nach der Handlungszeit des Romans immer noch aktuell. Insgesamt bricht das Buch eine Lanze für Diversität und individuelle Lebensentwürfe.
Fazit
Zusammenfassend erzählt "Anarchie Déco" eine interessante Geschichte mit vielen wichtigen Themenbereichen, wobei die Fülle dieser Themen etwas zu Lasten der Spannung und der Phanstasik geht. Ob als Einzelroman oder Auftakt zu einer Serie hat der Roman jede Menge Potential, den Leser gut zu unterhalten.
Mein Dank gilt Fischer TOR und NetGalley für dieses Rezensionsexemplar.