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Veröffentlicht am 27.12.2024

Leidensgeschichte und Geisterglaube

So gehn wir denn hinab
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Annis wurde bereits als Sklavin geboren und wünscht sich doch nur die Freiheit und sich selbst zu gehören. Als Leser begleitet man sie auf ihrem höllischen Weg, eine Station noch schlimmer als die andere.
Dies ...

Annis wurde bereits als Sklavin geboren und wünscht sich doch nur die Freiheit und sich selbst zu gehören. Als Leser begleitet man sie auf ihrem höllischen Weg, eine Station noch schlimmer als die andere.
Dies hat mir gut vor Augen geführt, wie schlimm die Zustände für die Slaven damals eigentlich waren - man weiß es zwar, aber es in Romanform so direkt mitzuerleben ist nochmal etwas anderes.
Die Schilderungen hierzu waren erschreckend und traurig, besonders die Schicksale der Frauen, die den Männern komplett ausgeliefert waren.
In diesem Aspekt hat mir das Buch gut gefallen, ich finde es wichtig, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät und man durch die Lektüre noch etwas lernen kann.
Auch gab es zwischendurch immer wieder spannende Hintergrundinfos wie zu Pilzen, Zuckerrohrverarbeitung, afrikanischen Traditionen oder auch dem Geisterglauben.
Diese Geisterwelt wurde mir nur leider im Laufe des Buches doch etwas zu viel - ich kann total verstehen, dass man sich in so einer schlimmen Situation in diese Vorstellungen flüchtet, aber statt Einbildung wurden die ganzen Geister quasi als real dargestellt und haben mehr Handlungsanteile gehabt als die richtigen Menschen. Mehr Interaktionen mit den anderen Sklaven wären mir persönlich lieber gewesen als ständig die Geister, aber das ist vermutlich Geschmackssache.
Auch haben sich einige Teile der Geschichte doch etwas gezogen, beispielsweise der lange Marsch zum Sklavenmarkt - es passt stilistisch schon irgendwie, so werden die Gefühle der Slaven indirekt nochmal unterstrichen, es zieht sich, es nimmt kein Ende, jedoch hat es bei mir dafür gesorgt, dass ich das Buch dann doch erstmal weggelegt habe.
Absolut positiv bewerten muss ich hingegen die Sprache, diese ist an vielen Stellen wunderschön und poetisch, ein Highlight in all dem Leid.
Insgesamt durchaus ein gutes Buch, jedoch keine leichte Lektüre und als Leser sollte man auch sehr offen sein für übernatürliche Elemente.

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Veröffentlicht am 26.12.2024

Geschichtsstunde anhand vieler Schicksale

Suche liebevollen Menschen
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Zufällig findet der Autor heraus, dass sein Vater damals durch eine Zeitungsanzeige nach England vermittelt wurde, um der Verfolgung der Juden durch die Nazis zu entkommen.
Während seiner Recherche stößt ...

Zufällig findet der Autor heraus, dass sein Vater damals durch eine Zeitungsanzeige nach England vermittelt wurde, um der Verfolgung der Juden durch die Nazis zu entkommen.
Während seiner Recherche stößt er auf viele weitere, ähnliche Schicksale und berichtet über all diese Menschen in diesem Buch.
Die Gestaltung ist meiner Meinung nach sehr gelungen, durch viel Bildmaterial wie Fotos der Menschen oder Zeitungsausschnitte hat man direkt besser vor Augen, wie echt das alles ist, dass diese Menschen wirklich mal gelebt haben und nicht nur erfundene Romanfiguren sind.
Auch erzählt der Autor viel von seinem Vater sowie anderen Verwandten, was viele Teile des Buches sehr persönlich wirken lässt.

Die Schicksale der Kinder und ihrer Familien waren alle sehr berührend, teilweise traurig und oft auch erschreckend, wahrlich keine leichte Kost, aber dafür umso wichtiger.
Von den meisten historischen Begebenheiten hatte ich entweder noch nie etwas gehört oder nur sehr oberflächlich, durch das Buch konnte ich so viel dazulernen und in die Geschichte "eintauchen".
Lediglich die Strukturierung hat mir nicht so ganz zugesagt, diese war mir teilweise doch ein wenig zu chaotisch. Mitten im Abschnitt oder Kapitel zieht der Autor manchmal Vergleiche zu anderen Personen und wechselt plötzlich den Fokus, was gerade am Anfang oft verwirrend war, wenn man die ganzen Namen noch nicht auseinanderhalten kann.
Auch werden die Geschichten der Kinder oft mit historischen "Fun Facts" ergänzt, also Hintergrundwissen zu den Städten, Politikern etc. - dies liefert zwar interessanten Kontext, steht aber auch oft kaum in direkter Relevanz zu den einzelnen Schicksalen.
Als Leser sollte man offen für eine solch umfangreiche Geschichtsstunde sein und auch Interesse an der Zeit mitbringen, nicht nur an den Erzählungen über die Kinder.
Ein wirklich wichtiges Sachbuch, gegen das Vergessen und mit Lektionen für unsere heutige Gesellschaft.

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Veröffentlicht am 16.12.2024

Die Bedeutsamkeit der Veränderung

Für immer
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Die Grundidee des Buches ist wirklich spannend und interessant: Für die Menschheit bleibt die Zeit stehen, keiner stirbt oder wird geboren, Körper verändern sich nicht mehr.
Erzählt wird diese neue Situation ...

Die Grundidee des Buches ist wirklich spannend und interessant: Für die Menschheit bleibt die Zeit stehen, keiner stirbt oder wird geboren, Körper verändern sich nicht mehr.
Erzählt wird diese neue Situation für die Menschheit aus der Perspektive von einigen Personen, dazwischen bekommt man durch ihren Nachrichtenkonsum auch immer wieder mal Updates über die Lage in der Welt.
Der Schreibstil passt sich hierbei auch ein wenig den Charakteren an, durch den Aufbau der Texte lässt sich oft auf den Gefühlszustand der Menschen schließen. Die Autorin verwendet beispielsweise oft sehr lange Schachtelsätze, die ein wenig an fließende Gedanken erinnern. Wenn wir aufgewühlt oder beunruhigt sind denken wir schließlich nicht strukturiert, vielmehr springen die Gedanken hin und her und dies wird durch die Sprache hier gut eingefangen und hat mir besonders gefallen.
Dadurch ist es dem Leser zwar möglich, ein wenig in die Psyche der Charaktere einzutauchen, jedoch geschieht dies eher dezent. So kann es zwischendurch vorkommen, dass die Betrachtung ein wenig oberflächlich wirkt.

Schön fand ich, dass die einzelnen Charaktere durch Kleinigkeiten auch wieder miteinander verbunden werden und sich auch mal teilweise begegnen. Im Zentrum hiervon steht Jenny, bei der ich auch am Meisten mitfühlen konnte.
Auch gelungen war die die Beantwortung der Fragen, die man sich als Leser von Anfang an stellt. Hier wurden die Antworten geschickt in die Handlung eingebaut, wie z.B. das Schicksal von Unfallopfern während des Stillstandes.
Das Ende war für meinen Geschmack dann jedoch etwas zu plötzlich, aber das ist vermutlich Geschmackssache.
Insgesamt mochte ich diese Art von Gedankenexperiment "Was wäre wenn" sehr gerne und kann es durchaus als Unterhaltungslektüre weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 11.12.2024

Die ganze Bandbreite der Emotionen

Endlich das ganze Leben
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In "Endlich das ganze Leben" begleitet der Leser eine italienische Familie über viele Jahre hinweg, wobei sich die im Fokus stehenden Familienmitglieder abwechseln. Thematisch geht es vor allem um die ...

In "Endlich das ganze Leben" begleitet der Leser eine italienische Familie über viele Jahre hinweg, wobei sich die im Fokus stehenden Familienmitglieder abwechseln. Thematisch geht es vor allem um die Folgen einer tragischen Nacht, in der die junge Betta ihr Leben verliert, jedoch lernt man zunächst die Eltern und ihre Geschichte besser kennen. Dies mochte ich sehr, so sind sie mir als Charaktere direkt ans Herz gewachsen und ich habe eine Bindung zu ihnen aufbauen können.
Aber auch die später auftauchenden Charaktere waren großartig, sie alle hatten ihren Platz in der Geschichte und ihre ganz eigenen Stärken, Fehler und Sorgen. Kritisieren würde ich lediglich, dass manche Familienmitglieder zwar kurz erwähnt werden, dann jedoch später gar keine Rolle mehr spielen.

Der Schreibstil hat mir sehr zugesagt, ich war emotional immer komplett dabei und konnte auch in die Geschichte eintauchen, obwohl die Erzählperspektive im Grunde ja eher distanziert war. Das Ergebnis war eine bunte Mischung aus richtig schönen Momenten auf der einen Seite und Trauer und Verzweiflung als Kontrast dazu. Teilweise wirkte es auch ein wenig märchenhaft oder vielleicht auch kitschig, aber für mich hat es so gut gepasst - nach viel gelesener Traurigkeit habe ich mir auch wieder etwas Positives gewünscht. Für Fans von sehr realistischen und ungeschönten Romanen über dieses Thema mag dieses Buch daher evtl. nicht so passend sein, auch wenn es viele solcher Momente im Verlauf der Geschichte gibt.
Auch ein paar übernatürlich zu interpretierende Szenen kommen vor, jedoch meiner Meinung nach sehr dezent und geschmackvoll platziert. Sie haben das Geschehen für mich schön abgerundet statt störend zu sein.
Das Buch spielt generell gerne mit Metaphern und Parallelen in der Handlung, Ähnlichkeiten über mehrere Generationen. Ich mochte alle Handlungsstränge, daher fand ich den Fokuswechsel auch toll, immer wollte ich wissen, wie es weitergeht.
Von daher klare Empfehlung von mir, aber auch mit dem Hinweis, dass es wie erwähnt keine super realistische Geschichte in allen Punkten ist.

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Veröffentlicht am 10.12.2024

Aufwühlendes Porträt einer Familie in den Klauen von häuslicher Gewalt

Die Nacht der Bärin
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"Ich wollte das alles nicht."
Wie oft muss jemandem die Hand ausrutschen, bis es kein Ausrutscher mehr war? Wann ist genug wirklich genug?
Die Geschichte von Jules Familie wird abwechselnd aus Jules Perspektive ...

"Ich wollte das alles nicht."
Wie oft muss jemandem die Hand ausrutschen, bis es kein Ausrutscher mehr war? Wann ist genug wirklich genug?
Die Geschichte von Jules Familie wird abwechselnd aus Jules Perspektive in der Gegenwart und der ihrer Mutter in der Vergangenheit erzählt. Durch viele Parallelen ergibt sich so eine interessante Erzähldynamik - und doch herrschen total andere Atmosphären.
Die Vergangenheit ist unglaublich bedrückend, man kann kaum atmen, über allem thront der tyrannische Vater, lediglich während der Ausflüge in den Wald kann man als Leser Luft holen. Dazu im Kontrast steht Jule, die wie selbstverständlich zunächst bei der Entdeckung ihrer Familiengeschichte nur positive Gedanken hat und so gar nichts ahnt.
Auch die Zitate am Kapitelbeginn tragen dazu bei, dass man sich immer unwohler fühlt - Kleinigkeiten mit großer Wirkung. In dem Sinne ist dieses Buch keine nette Unterhaltung für zwischendurch, dafür aber ein umso wichtigeres Buch, das hoffentlich auch Betroffene wachrüttelt und ihnen Hoffnung schenkt.

Ähnlich wie ihm echten Leben wird hier nämlich aufgezeigt, dass es nicht bei "Kleinigkeiten" bleibt, sondern immer weiter eskalieren kann. Als Leser rätselt man die ganze Zeit mit Jule darüber, was damals passiert ist, während man sich im nächsten Kapitel davor fürchtet, was der Vater macht. Auch wenn man vielleicht einiges weiß oder erahnen kann, gibt es immer wieder Überraschungen und der Verlauf bleibt unvorhersehbar.
Manche Charaktere hasst man ohne Frage, andere sind wahre Schätze, doch manche sind bewusst sehr "grau" - voller Fehler und doch auch Opfer. Diese letzte Portion Menschlichkeit und moralische Schuldfrage runden die Geschichte perfekt ab und sorgen dafür, dass es wirklich komplett authentisch erscheint.

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