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Veröffentlicht am 03.03.2020

Für Genrefans empfehlenswert

Der nasse Fisch
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Mit "Der nasse Fisch" legt Volker Kutscher den ersten Band seiner Reihe um den Kommissar Gereon Rath vor, der im Berlin der 1920er/1930er Jahre Mordfälle aufklärt. Die Reihe ist mittlerweile um einige ...

Mit "Der nasse Fisch" legt Volker Kutscher den ersten Band seiner Reihe um den Kommissar Gereon Rath vor, der im Berlin der 1920er/1930er Jahre Mordfälle aufklärt. Die Reihe ist mittlerweile um einige Bände angewachsen und erlangte vor wenigen Jahren zusätzliche Bekanntheit, als sie unter dem Namen "Babylon Berlin" als Vorlage für eine aufwändig produzierte Fernsehserie diente.

In dem Fall, der den Neu-Berliner Gereon erst zur Sittenpolizei, dann zur Mord bringt, fließen die Ansätze verschiedener Ermittlungen zusammen. Es geht um Pornofotos mit Doppelgängern der Politprominenz, um verschwundenes Gold, um Machtkämpfe zwischen Bolschewiken und Zaristen, um die aufkeimende Nazibrut und verbotene Militärs. Mittendrin unser Ermittler, skandalumwoben und frisch verliebt in Charly, eine kompetente Stenotypistin.

Das Buch liest sich flott weg und ist sehr unterhaltsam. Der solide Kriminalfall bietet viele Wendungen und falsche Fährten, die Auflösung ist stimmig. Die eingeführten Charaktere bleiben zwar teils noch etwas blass, bieten aber auf jeden Fall genug Raum für weitere Entfaltung in kommenden Bänden. Auch die zeitgenössische Stimmung kommt gut rüber - der Filter des Berlins der 20er Jahre sitzt.

Dennoch habe ich mich dazu entschieden, die Reihe nicht weiterzulesen. Der Grund hierfür liegt darin, dass ich die Serie bereits kenne - die ersten beiden Staffeln habe ich mehrfach gesehen, die dritte live auf Sky, während ich dieses Buch las. Und ich muss sagen, dass ich mich im "Serienuniversum" sehr viel wohler fühle. Das liegt vor allem daran, dass mich das zusätzliche Material der Serie besonders fasziniert, hier spreche vor allem von den weit komplexeren Charakteren, allen voran den Frauen. Die Serien-Charlotte finde ich weitaus faszinierender, die unfassbar tolle Gräfin spielt im Buch nur eine verschwindend kleine Rolle, Helga Rath gar keine. Der Kriminialfall war, zumindest im ersten Band, erstaunlich nah dran am Buch. Keine Ahnung, ob das in den nächsten Bänden auch so ist, aber ich werde vorsichtshalber lieber am Bildschirm miträtseln und mich nicht vom Buch spoilern lassen - soll es ja auch geben, sowas ;)

Abgesehen von dieser, meiner persönlichen Entscheidung, ist dieser grundsolide Krimi mit einem ordentlichen Schuss deutscher Geschichte für Genrefans durchaus empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 26.02.2020

Ein großartiges, sehr berührendes Buch

Kurt
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Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive ...

Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive gewählt und dann ihre Geschichte erzählt, die ich am liebsten als "echt" beschrieben möchte. Weil alles so nahbar, authentisch und wirklichkeitsnah wirkt und wirklich sehr gut beobachtet und feinfühlig erzählt ist. Hier braucht es keinen übertriebenen Kitsch oder überzeichnetes Drama für die ganz großen und vielen kleinen Gefühle - Respekt.

Erzählt wird die Geschichte von Lena, die mit ihrem Partner (Kurt) aus Berlin in den Brandenburger Speckgürtel zieht. Statt komödiantischem Kulturschock eines hippen Großstadtpaares auf dem Land gibt es hier ganz viel Offenheit für das Ländliche und die Natur. Die Aufgaben, die so ein Umzug mit sich bringt, wie Heimwerken, Gärtnern und Co. werden nicht als lästige Pflichaufgabe in der neuen Dorfheimat, sondern - vor allem das Gärtnern - als neue Leidenschaft entdeckt. Das Landleben komplettiert ein zweiter Kurt, der kleine: Kurts Sohn aus erster Ehe, für den er sich das Sorgerecht mit seiner Ex teilt. Lenas Perspektive ist also nicht nur die einer Großstädterin in Brandenburg, sondern auch die einer quasi-Stiefmutter - spannend.

Lena und die beiden Kurts konnten mich unfassbar schnell für sich gewinnen: alle drei für sich, Kurt und Lena als Paar, Kurt und Kurt als Vater-Sohn-Gespann, Lena und Kurt als vielleicht-irgendwann-Stiefmutter und -sohn und alle drei als lebhafte und liebenswerte Patchworkfamilie. Bonuspunkte für Jana, Kurts Ex, weil sie zwar nicht unbedingt einfach ist, aber das nicht anklagend dargestellt wird und sie vor allem keine keifende, nachtragende Ex oder Ähnliches ist - danke dafür.

Doch das Hauptthema dieses Buches ist ja eigentlich ein ganz anderes. Es geht um Trauer, um den Verlust eines geliebten Menschen, um den Umgang mit der Welt ohne die geliebte Person und um den Umgang der Hinterbliebenen untereinander. Für Lena nach "die Neue im Dorf" und "die Neue in unserer Familie" schon wieder eine neue Rolle - doch eine, in die es sich besonders schwer hineinfinden lässt.

Jeder Mensch trauert anders. Jeder Mensch liebt anders. Jede Beziehung - ob zwischen Liebenden oder Eltern und Kindern - ist anders. Und dennoch: So, wie Sarah Kuttner es erzählt, ergibt es alles Sinn und ist schlüssig. Ich kann es nicht besser beschreiben, aber ich habe irgendwie alles nachvollziehen, mitfühlen, verstehen können, auch wenn ich aus einer ganz anderen Lebensrealität komme.

Ein großartiges, sehr berührendes Buch, das mich vor allem als Hörbuch sehr begeistert hat. Zwar klingt Sarah Kuttner hier und da wie kurz vorm Lungenkollaps, aber sie trägt ihre Geschichte genau richtig vor. Was für ein schönes (aber natürlich sehr melancholisches) Hörerlebnis!

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Veröffentlicht am 26.02.2020

Nicht für mich...

Power
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Ach ne, das war mal überhaupt kein Buch für mich. Um fair zu sein: Ich hätte es ahnen können. Eine Geschichte über Kinder, mit ein bisschen Märchenflair, hieß es - das passt jetzt nicht wirklich in mein ...

Ach ne, das war mal überhaupt kein Buch für mich. Um fair zu sein: Ich hätte es ahnen können. Eine Geschichte über Kinder, mit ein bisschen Märchenflair, hieß es - das passt jetzt nicht wirklich in mein übliches Beuteschema. Aber hey, ein frischer Roman, der direkt für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wird, der spannende, aktuelle Themen verarbeitet - das hat mich dann schon neugierig gemacht.

Und was soll ich sagen? Mein Instinkt hatte Recht. Kinderprotagonist*innen sind für mich immer ein Risiko. Was andere vielleicht als niedlich oder pfiffig empfinden, geht mir rasch auf den Zeiger. Hier war es ähnlich: Kerze, die elfjährige Hauptdarstellerin des Romans, wird im Klappentext als "selbstbewusst" beschrieben. Ich habe sie als klugscheißerisch und ätzend empfunden. Ein Kind, das zu anderen einfach nur sch... ist. Das war also schon mal der erste große Nervfaktor.

Der zweite: Die Handlung - nach der ich so lange vergebens gesucht habe. Also ja, da verschwindet Power, der Hund einer alten Nachbarin Hitschke. Kerze nimmt "den Auftrag an", den Hund zu finden. Immer mehr Kinder schließen sich ihr an - bis die Kinder irgendwann alle als quasi Rudel im Wald leben. Und dort machen, was Kinder eben so machen, die Hund spielen: auf allen Vieren laufen, sich die Gesichter ablecken, sich gegenseitig am Po riechen... aha, nun ja. Das hat mir einfach nicht gereicht. Ab dem zweiten Drittel schwenkt der Blick ab und an mal häufiger auf die Erwachsenen, z.B. den Sohn des obersten Dorfbauerns und der alten Nachbarin, und es sind, zumindest ansatzweise, quasi schemenhaft, interessante Szenen und Charakerbeschreibungen zu erkennen. Mir kam das leider zu spät und war auch zu wenig, um meinen gelangweilten Gesamteindruck noch irgendwie zu verbessern.

Punkt drei: Die Sprache. Sehr repetitiv, sehr "mein schönstes Ferienerlebnis", sehr ermüdend.

Punkt vier: Die Botschaft. Wo war sie? Was war sie? Landflucht, Alt vs. Jung, Radikalisierung, Gruppenzwang, Ausgrenzung, Umgang mit Alten, Umgang mit Kindern, Vereinsamung, Sündenböcke undwasweißichnoch - das alles sind Punkte, die im Buch irgendwie angeschnitten, gewissermaßen thematisiert werden. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn kein Thema wird so richtig greifbar, weitergedacht oder gar ausformuliert. Ich wusste also weder während des Lesens, noch nach dem Beenden, was dieses Buch mir sagen wollte. Es bietet viel Projektionsfläche für zahlreiche Themen, das ist ja nichts grundsätzlich Schlechtes. Aber hier gibt es halt nur die leere Projektionsfläche - und keinen Hinweis, was denn nun genau gesagt werden soll. Das ist mir zu wenig, da hätte ich mir schon mehr Positionierung gewünscht.

Abschließend muss ich leider sagen, dass auch die Hörbuchversion, gelesen von der Autorin selbst, mich nicht vom Hocker gehauen hat. So bleibt für mich unterm Strich nur eine sinnentleerte, größtenteils langweilige Geschichte, die mich mehr und mehr genervt hat. Ich sag ja: So gar nicht mein Buch.

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Veröffentlicht am 26.02.2020

Toll erzählt, faszinierende Charaktere

Die Geheimnisse meiner Mutter
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Eine sehr gut erzählte Geschichte auf zwei verschiedenen Zeitschienen und mit wundervoll facettenreichen weiblichen Charakteren.

Ein Teil der Geschichte spielt in den frühen 80ern. Zusammen mit Elise, ...

Eine sehr gut erzählte Geschichte auf zwei verschiedenen Zeitschienen und mit wundervoll facettenreichen weiblichen Charakteren.

Ein Teil der Geschichte spielt in den frühen 80ern. Zusammen mit Elise, Anfang 20, treffen wir Connie, eine etwa 15 Jahre ältere Schriftstellerin. Die beiden Frauen verlieben sich und werden ein Paar. Zwei Jahre später: Elise und Connie reisen von London nach L.A., wo Connies Roman verfilmt werden soll. Connie fühlt sich in der Traumfabrik Hollywood gleich zuhause, Elise eher weniger: Sie hat Zweifel an allem und jedem. Sie beginnt, sich nur als hübsches Anhängsel ihrer Partnerin zu sehen, die wiederum Hollywoods Elite zu umgarnen weiß. Elises Ängst und Unsicherheiten wachsen rasant, bis sie handelt - was ernsthafte Konsequenzen zur Folge hat.

35 Jahre später zieht Rosie ein Zwischenfazit über ihr Leben: A Freund mit vielen Träumen aber wenig Elan, ein Job, der sie weder befriedigt noch fordert, sowie das größte Fragezeichen von allen: Ihre unbekannte Mutter - Elise, die sie verlassen hat, als Rosie noch ein Baby war. Zufällig erhält Rosie die Chance, Assistentin der Schriftstellerin Connie (ja, genau der) zu werden, die nach Jahrzehnten ein neues Buch schreibt. Rosie schmuggelt sich heimlich in Connies Leben, um mehr über ihre Mutter zu erfahren.

Die ist eine ruhige, von den Charakteren getriebene Erzählung, in der doch einiges passiert. Mit haben beide Zeitstränge gleich gut gefallen, ebenso wie die vielen Frauencharaktere, die alle interessant und faszinierend auf ihre Weise sind. Sie sind voller Unzulänglichkeiten, aber auch voller Liebe: Sie machen schlimme Dinge, obwohl sie es eigentlich gut meinen. Es geht um Freundschaft, Liebe, Vertrauen und Betrug - und um das gute alte Mutter-Tochter-Thema.

Die grundsätzliche Botschaft des Buches: Selbststärkung. Selbstwahrnehmung. Aus Fehlern lernen. Und zu wissen, wann es Zeit ist, zu gehen. Sei du selbst - nicht bloß die Person, die andere in dir sehen (wollen). Steh zu dir!

Veröffentlicht am 26.02.2020

Mutig

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
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Respekt an die Autorin für eine derart unsympathische und unangenehme Hauptfigur - die sie nicht nur zum Leben erweckt, sondern sie "ihr Ding" auch mehr oder weniger kompromisslos von Anfang bis Ende durchziehen ...

Respekt an die Autorin für eine derart unsympathische und unangenehme Hauptfigur - die sie nicht nur zum Leben erweckt, sondern sie "ihr Ding" auch mehr oder weniger kompromisslos von Anfang bis Ende durchziehen lässt.

Wir haben es hier mit einer eher seltenen Erzählperspektive zu tun: Missbrauch, vor allem emotionaler Natur, aus Sicht der Täterin. Dabei handelt es sich um Rosalinde, eine grausame, aus eigener Anschauung aber allen anderen in allen Belangen deutlich überlegene Ehefrau, Mutter und später auch Großmutter. Rosalinde lebt gewissermaßen in einer völlig eigenen Welt, in der sie die einzige ist, die Durchblick hat und überhaupt dafür sorgt, dass alles läuft - ohne sie wären ihre Angehörigen hoffnungslos verloren. Vielleicht kennt ihr ähnliche dominante Frauengestalten aus eurem eigenen Umfeld, mir zumindest kamen einige Szenen und Aussagen Rosas - wenn man das völlig Überzeichnete mal abzieht - durchaus bekannt vor.

Die Geschichte beginnt Ende der 70er Jahre in einem abgelegenen Teil der Sowjetunion, Rosalindes noch junge (und völlig dumme, häßliche und unfähige) Tochter Sulfia ist schwanger. Was folgt ist ein Familiendrama über drei Generationen hinweg, das in der Fastgegenwart in Deutschland endet.

Grob gesagt habe ich das Buch in vier Teilen "erlebt". Der Anfang war ziemlich heftig, denn die innerfamilären Beziehungen werden in ihrer brutalen Direktheit gleich auf dem Silbertablett präsentiert. Das hat mich zunächst einmal interessiert: Schafft die Autorin es, Rosalinde durchgängig zu unsympathisch zu erzählen, ohne dass es am Ende ins Kitschige oder gar Belanglose abdriftet? Nun, grundsätzlich hat sie das für mich geschafft, auch wenn der Weg nicht immer ganz leicht war. Denn nach dem Auftakt kam für mich eine ziemliche Durststrecke, ca. das zweite Viertel. Da passierte nichts genug, um mich mitzunehmen, und ich fand es eher langweilig.

Dann wartet der Plot ab ca. der Hälfte allerdings mit drei nacheinanderfolgenden dramatischen Wendungen auf, die mich ziemlich mitgenommen haben. Da war das Buch ganz stark: Zwar weiterhin größtenteils sehr unangenehm zu lesen, denn der emotionale Missbrauch schlug wirklich sehr eklige Wege ein, aber ich war fasziniert, auf eine angewiderte-mitfühlende Weise.

Das Ende, also ca. das letzte Viertel, fiel dann wieder etwas ab, da wurde es mir ein wenig zu "schrill". Ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht ganz sicher, ob da am Ende alle Erzählstränge der tatsächlichen Realität entsprechen oder Rosa sich nicht immer weiter in ihre eigenen Illusionen und falschen Wahrnehmungen geflüchtet ist. Ihr ursprüngliches Verhalten wurde durch die grausame Kindheit und zahlreichen damit verbundenen Entbehrungen angedeutet: Verdrängen, Vergessen, das Schaffen einer eigenen Realität - das half Rosalinde beim Überleben. Nicht ausgeschlossen, dass sie bei den späteren Schicksalsschlägen wieder in diese psychologischen Muster zurückfiel.

So oder so, ein mutiges Buch, mit dem die Autorin ein ziemliches Wagnis eingegangen ist. Fröhlich geht anders, auch würde ich es nicht als "schwarzen Humor" klassifizieren - eher nur schwarz. Also nicht für jeden, aber wer mal Lust auf etwas Abgründiges aus sehr ungewöhnlicher, unbequemer Perspektive hat, kann ja mal reichschauen.