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Veröffentlicht am 20.05.2019

Hörbuchempfehlung!

Der goldene Handschuh
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Heinz Strunk gehört zu den Autoren, von denen man sich das Werk am besten selbst vorlesen lassen muss - daher also eine unbedingte Hörbuchempfehlung für die Autorenlesung (es gibt wohl auch noch ein Hörspiel, ...

Heinz Strunk gehört zu den Autoren, von denen man sich das Werk am besten selbst vorlesen lassen muss - daher also eine unbedingte Hörbuchempfehlung für die Autorenlesung (es gibt wohl auch noch ein Hörspiel, aber das kann ich nicht beurteilen).

Strunk erzählt hier, grob umrissen, die Lebens- und Leidensgeschichte von Fritz "Fiete" Honka, einer sogenannten "gescheiterten Existenz", der in den späten siebziger Jahren als Frauenmörder zu zweifelhaftem Ruhm gelangte. Leidensgeschichte deshalb, weil Strunk (der für seine Recherche exklusive Akteneinsicht erhielt) Honka von innen nach außen krempelt, ihn von seiner schweren Jugend, seinen ständigen Abstürzen, seinen Süchten und seinem Wahn so echt und nahbar erzählen lässt, dass man fast mit ihm leidet. Und das trotz seiner Perversion, seinem Hang zur Gewalt und seiner offensichtlichen sonstigen Gestörtheit - der man ist alkoholkrank, gewissermaßen lebensmüde und einfach kaputt. Und er ist bei weitem nicht der Einzige, denn neben Honka tummeln sich im "Goldenen Handschuh", der titelgebenenden 24-Stunden-Reeperbahn-Klitsche, allerlei zerbrochene, verwahrloste, abgestürzte Menschen, die den letzten Rest (sofern vorhanden) von Glück, Stolz, Würde und Lebenswille mit Bier und Schnaps wegspülen.

Den Gegenpunkt setzen die Kapitel, die von einer fiktiven reichen Reederfamilie in drei Generationen berichten - feine Leute der Hamburger Oberschicht dem Anschein nach, aber innerlich genauso verrotet wie die Kneipendauergäste. Ein schöner Kontrast, der mehr und mehr verblasst.

Das klingt alles sehr traurig, unappetitlich und unangenehm, aber Strunk schafft es, sich allen diesen Charakteren mit Respekt zu nähern, und sie "echt" erscheinen zu lassen - hier ist niemand übermäßig karikiert oder eines Witzes wegen ins Lächerliche gezogen. Das Buch ist an vielen Stellen witzig, durchaus - aber nicht auf Kosten der kaputten Typen, sondern wegen ihnen und/oder aus der Situation heraus. Es sind die Lebensweisheiten, die nur so an einem verdreckten Tresen entstehen können, es sind die Sprüche und Spitznamen, die nur in so einer Kaschemme das Licht der Welt erblicken können. Kurzum: Es ist eine äußerst stimmige Milieustudie - fast schon zu stimmig, denn das leichte Unwohlsein und der leichte Ekel beim Hören verschwinden nie ganz.

Ich kann dieses Hörbuch nur empfehlen, aber nicht ohne Warnung: Einige Szenen sind wirklich hart, die Sprache grundsätzlich rau und derbe, die Gewalt und Perversionen teils sehr extrem. Mich persönlich hat das nicht allzu schlimm belastet oder geschockt (was auch immer das über mich aussagen mag...), aber ich kann verstehen, warum dieses Buch durchaus kontrovers behandelt wurde. Für mich überwog am Ende das Gefühl guter, wenn auch "harter" Unterhaltung. Mein Freund und ich haben es, nachdem er mich eingeholt hatte, gemeinsam zu Ende gehört - und schlagen uns jetzt immer mal wieder wechselseitig die Lebensweisheiten von Käpt'n Kuddel und Bruder Siggi um die Ohren.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Erschreckend...

Das braune Netz
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Schon wieder so ein "Gruselbuch": Man liest es und hat das Gefühl (oder die stille Hoffnung?), eine Art alternative Geschichte in den Händen zu halten - denn klar war mir schon irgendwie bewusst, dass ...

Schon wieder so ein "Gruselbuch": Man liest es und hat das Gefühl (oder die stille Hoffnung?), eine Art alternative Geschichte in den Händen zu halten - denn klar war mir schon irgendwie bewusst, dass die alten Nazis nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht alle automatisch in der Versenkung verschwunden sind, aber dass es so schlimm war? Das hat mich dann an vielen Stellen doch ziemlich geschockt. Gut, die meisten "Größen" sind vor ihrer Verantwortung in der Tat geflüchtet - entweder via Übersee oder Suizid. Aber es gab eben viele, die übrig waren - und die nicht etwa ganz von vorne anfangen oder irgendwo in Schimpf und Schande ihr Dasein fristen mussten, sondern die einfach weitermachen konnten - unbehelligt, unverfolgt und - vielleicht am Erschreckendsten - ungemein wertgeschätzt.

Will Winkler nennt hierfür zahlreiche Beispiele aus den verschiedensten Bereichen, die sich in den jeweiligen Kapiteln wiederfinden: Politiker, Verwaltungsmenschen, Film- und Kunstschaffende, Journalisten und Schriftsteller, Professoren und Lehrende, Richter und Staatsanwälte, jede Menge weitere Personen des öffentlichen Lebens und natürlich Soldaten und Militärs (ja, hier wird wenig gegendert, aber die Beispiele beziehen sich bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen fast ausschließlich auf Männer, also seht es mir bitte nach). Klingt erschreckend? Sag' ich doch!

Wie muss man sich das vorstellen, in den ersten Jahren nach dem Krieg? Vereinfacht in etwa so: Wir brauchen Leute, die anpacken, die ihr Handwerk verstehen. Also schauen wir doch mal in den Bestand und besetzen z.B. den neuen Verfassungsschutz u.a. mit Ex-Gestapoleuten, tolle Idee, die kennen sich ja mit sowas aus (diese Verquickung zwischen Nazis und Verfassungsschutz ließ mich natürlich sofort an das denken, was Franziska Schreiber in "Inside AFD: Der Bericht einer Aussteigerin" publik gemacht und so im vergangenen Jahr den Stein in der "Causa Maaßen" ins Rollen gebracht hat - der Chef des Verfassungsschutzes warnt die Chefin der AfD vor anstehenden Untersuchungen, tsk, tsk, tsk). Oder die "Operation Gehlen", Vorgängerorganisation vom BND und "Parkplatz" für ehemalige Wehrmachts- und SS-Haudegen. Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden, also macht man mit Flick und Co. mal etwas kürzeren Prozess und entlässt sie möglichst schnell wieder in den Kreislauf. Natürlich will das Volk auf dem Weg in den Aufschwung unterhalten werden, deswegen darf "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan auch weiter munter Film drehen, nur halt ohne Rassismus und Kriegspropaganda. Von der Beihilfe zur Verfolgung durch seine volksverhetzenden Machwerke wird er freigesprochen, von einem (nanu!) Richter, der noch Jahre zuvor als NSDAP-Staatsanwalt an einem Sondergericht Todesurteile wegen "Rassenschande" erwirkt hat. Die Juden, so heißt es in der Urteilsbegründung aus dem Jahr 1950, hätten ja "schon damals, 1940/1941, ins Kino gehen und Strafantrag wegen Beleidigung stellen können". Was will man dazu noch sagen?

Beispiel derart nennt Winkler zuhauf, und er liefert auch Theorien, wie es überhaupt soweit kommen konnte und warum es bis zum Eichmannprozess 1961 und den Studentenunruhen ab Mitte bis Ende der 60er brauchte, um überhaupt so etwas wie einen Bewusstseinswandel in Gang zu setzen:

- Ab in die Opferrolle: Eigentlich waren ja sowieso die Deutschen die Opfer, immer und überall. Krieg, Bomben, alles kaputt, können wir nichts für, wollten wir ja eigentlich auch gar nicht, konnte ja keiner ahnen! Diese grundgedankliche Stimmung vereint - zum gemeinsamen trauern, Wunden lecken und Nachweinen der "guten alten Zeit" (nicht Hitler, der war natürlich böse, aber sonst, herrje!)

- Der wahre Widerstand: Von innen heraus! Ein "Argument" (ich muss es in Anführungen setzen, weil es so abstrus ist) vieler ehemaliger Nazis und Funktionäre: Sie waren ja eigentlich gegen das alles, und sind nur deshalb in Deutschland und dabei geblieben, um "Schlimmeres" zu verhinden (was hätte denn doch "schlimmer" werden können?). Sie haben also quasi den Widerstand von innen heraus geleistet und sich so nützlich gemacht - ganz im Gegenteil zu Typen wie Thomas Mann oder Willy Brandt, die Deutschland in dieser schweren Not bei erster Gelegenheit im Stich gelassen und das Elend aus der Ferne betrachtet haben. Dieses "Argument" erschließt sich mir so wirklich überhaupt nicht, kam aber, und das ist das eigentlich Erschreckende, in den 50er Jahren richtig gut an - vor allem auch vor Gericht. Dazu passt die absolute Gedankenverdrehung, dass die echten Widerständler - Elsner, Stauffenberg und Co. - nach wie vor eher als Verräter am deutschen Volk gesehen und ihnen zunächst jegliche Formen der Ehrung abgesprochen wurden.

- Gemeinsam gegen den neuen alten Feind: Der Russe kommt! Und Kommunismus ist sowieso die größe Bedrohung überall. Diese Einstimmung auf den neuen Feind von ganz links außen bringt Schwung in die Bude, schweißt zusammen und sorgt für ein gemeinsames neues Ziel im Sinne paranoider Verbrüderlichung. Das Volk hat wieder etwas, wovor es sich gemeinsam fürchten kann, die Amis brauchen dringend einen Puffer gegen den entstehenden Ostblock, Deutschland kann sich also wieder beweisen (mit Hilfe von Gehlen, Verfassungsschutz und Co., siehe oben - ja, klar bedient man sich dann halt bei SS, SA, Gestapo und Co., aber Hitler ist ja tot und der Russe sehr lebendig, da muss man halt Abstriche machen!).

Seht mir diese von Zynismus nur so triefende Review nach, aber dieses Buch hat mich inhaltlich sehr aufgewühlt. Ich denke an die heutige Zeit, an die Vorwürfe aus der neurechten Ecke, dass es Zeit sei, diesen "Vogelschiss" endlich mal gut sein zu lassen - und dann lese ich über alle diese Männer (und wenigen Frauen), und wie sie nach dem Krieg einfach weiter machen konnten, als wenn nichts gewesen sei. Wie ein ganzes Volk weiter gemacht hat, als wenn nichts gewesen sei - wenn die "bösen Amis" die Bevölkerung mal mit Fotos und Videos aus den KZs konfrontiert haben, dann war das, ja pfui, war das wirklich nötig, so was Verstörendes? Echte Aufarbeitung? Ne, danke, lass' mal gut sein mit diesem Zeug, ist doch vorbei, Hitler ist doch tot. Erschreckend und beschämend zugleich.

Auf emotionaler Ebene hat mir das Buch also sehr gut gefallen - es hat mich wirklich sehr aufgeregt und ein dringendes Mitteilungsbedürfnis ausgelöst, immer ein gutes Zeichen. Und Willi Winkler war sehr akribisch: Mehr als 40 Seiten Fußnoten, jeder Schnipsel, jedes Zitat ist genaustens belegt. Allerdings liegt hierin die für mich auch kleine bittere Note des Werks: An vielen Stellen zu viel, zu ausführlich und dadurch leider auch etwas trocken. Gerade die Namensflut war teils sehr ausufernd und ich hatte, trotz Wikipedia, Fußnoten und Co., hier und da Mühe, am Ball zu bleiben. Aber vielleicht muss man auch nicht jede kleinste Anekdote im Gedächtnis behalten - die Auswahl ist auch so erschreckend groß genug.

Veröffentlicht am 14.05.2019

kuriose Zusammenstellung, unterhaltsam allemal

Gute Nacht
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Eine Sammlung von Kolumnen, die alle das Thema "Sex" umkreisen - in so ziemlich jeder Art, die man sich vorstellen kann. Es wird abstrus und sehr ungewöhnlich, lustig und schlüpfrig, aber auch nachdenklich ...

Eine Sammlung von Kolumnen, die alle das Thema "Sex" umkreisen - in so ziemlich jeder Art, die man sich vorstellen kann. Es wird abstrus und sehr ungewöhnlich, lustig und schlüpfrig, aber auch nachdenklich machend. Eine recht kuriose Zusammenstellung, unterhaltsam allemal. Ich mag Andreskys Stil sehr gerne. Offen, direkt, wunderbar unverblümt und auch gerne mal etwas deftig. So kenn ich das, so mag ich das ;)

Veröffentlicht am 14.05.2019

Schweres Thema, gut und sensibel umgesetzt.

Rotkäppchen muss weinen
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Man kam gut rein in die Gedankenwelt einer fast 14-Jährigen, die nicht nur von den "üblichen" pubertären Themen (Stress mit den Eltern/Geschwistern, zaghafter Aufbau einer ersten Liebe, Loyalität zur besten ...

Man kam gut rein in die Gedankenwelt einer fast 14-Jährigen, die nicht nur von den "üblichen" pubertären Themen (Stress mit den Eltern/Geschwistern, zaghafter Aufbau einer ersten Liebe, Loyalität zur besten Freundin, Schwelle von Kind sein zu Erwachsen werden), sondern eben auch mit Missbrauch umgehen muss.

Ein eher kurzes Buch, in dem viel in kurzer Zeit passiert, dennoch las es sich für mich etwas schleppend an und kam erst ca. ab der Hälfte besser in Schwung.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Spannendes und sehr lehrreiches Buch

Die schwarze Macht
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Spannendes und sehr lehrreiches Buch, das ziemlich unaufgeregt (also recht sachlich, ohne unnötiges Aufgebausche) über ISIS bzw. IS bzw. Da'ish informiert (auch über die unterschiedlichen Bezeichnungen ...

Spannendes und sehr lehrreiches Buch, das ziemlich unaufgeregt (also recht sachlich, ohne unnötiges Aufgebausche) über ISIS bzw. IS bzw. Da'ish informiert (auch über die unterschiedlichen Bezeichnungen und ihre jeweiligen Bedeutungen).

Das Buch ist quasi zwei geteilt und bietet im ersten Teil eine Art Historie der Terrororganisation/-bewegung/des Kalifats: Wie wurde IS überhaupt gegründet? Wer sind/waren die Drahtzieher? Welche Rahmenbedingungen in Syrien und im Irak trugen dazu bei, dass der IS zu der Bedrohung werden konnte, die er heute ist? Wie ist die Verbindung zu al-Qaida? Zu den Rebellen in Syrien? Den Taliban? Im zweiten Teil werden eher einzelne Aspekte des IS beleuchtet: Seine "Beziehungen" zu Nachbarstaaten, sein Verhältnis zur Religion, seine PR-Strategie sowie der ganz "normale" Alltag im "Islamischen Staat".

Für mich persönlich bot dieses Buch genau den umfassenden Rundumüberblick, den ich mir gewünscht hatte, um die Geschichte des IS einmal verständlich und umfassend aufgezeigt zu bekommen und so die Hintergründe der fast täglichen Nachrichten besser zu verstehen und einordnen zu können.

Teilweise wird ein bisschen was an Wissen zur Lage in Nahost vorausgesetzt, aber nichts, was der allgemein politisch interessierte nicht Mensch nicht wissen könnte - und wenn doch nicht, hilft Tante Google doch immer gerne weiter.

Was ich mir noch gewünscht hätte, wäre ein übersichtliches Namen- bzw. Personenregister. Für mich waren sehr viele Namen neu und ungewohnt und teilweise auch sehr ähnlich, sodass ich eine entsprechende Auflistung zum Nachschlagen sehr hilfreich gefunden hätte.