Eine spannende und unterhaltsam erklärte Chronik der Stadt Travnik
Wesire und KonsulnInhalt:
Die bosnische Stadt Travnik steht im 19. Jahrhundert unter türkischer Herrschaft. Ein Wesir kümmert sich mit Hilfe zweier Konsuln um wirtschaftliche und politische Angelegenheiten der Stadt. Durch ...
Inhalt:
Die bosnische Stadt Travnik steht im 19. Jahrhundert unter türkischer Herrschaft. Ein Wesir kümmert sich mit Hilfe zweier Konsuln um wirtschaftliche und politische Angelegenheiten der Stadt. Durch jahrelange Zwiste verunsichert und durch das Handeln und Einmischern einiger Fremden misstrauisch geworden, lassen sich die Bürger der Stadt Travnik allerdings nicht gerne fremdbestimmen. So verwundert es nicht, dass die beiden Konsuln aus Österreich und Frankreich nicht gerade freundlich empfangen werden. Im Gegenteil, bespuckt, beschimpft, gejagt und gemieden werden diese beiden Männer, welche mit ihren ganzen Familien und voller Tatendrang nach Bosnien ziehen, um dem Wesir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Berichte an das österreichische und das französische Reich fallen darum auch nicht nur immer positiv sondern zum Teil sehr verdrossen und beschwerdenreich aus. Die Melancholie der Stadt und die Sturheit deren Bewohner sowie die fremde Kost und Kultur machen den Konsuln zu schaffen. Auch ihre manchmal intriganten, manchmal übergehorsamen Dolmetscher und die ständige kriegerische Stimmung im Land und Ausland tragen nicht dazu bei, sich heimisch zu fühlen. Und doch versuchen die beiden Konsuln das Leben in Travnik zu geniessen, zu protokollieren, zu verstehen und sich anzupassen und sie werden nach und nach zu einem wichtigen und sogar akzeptierten oder zumindest gedudeten Teil der Gesellschaft. Doch Konstellationen und Machthaber ändern, Ämter werden neu besetzt und Kriege brechen aus, während an anderen Orten Frieden einkehrt. Und so beginnt das ganze Spiel von Vertrauen und Misstrauen, Verachtung, Eingewöhnung und Überheblichkeit von vorne.
Meine Meinung:
Die travniker Chronik, wie "Wesire und Konsuln" vom Autor genannt wurde, liest sich insgesamt einfacher als "Die Brücke über die Drina". Es ist jedoch unbestreitbar, dass diese beiden Chroniken irgendwie zusammen gehören und dass es sicher sinnvoll ist, die višegrader Chronik zuerst zu lesen, bevor man sich der travniker Chronik annimmt. So weiss man nämlich schon von einigen historischen Ereignissen, welche für die Politik und die gesamte Entwicklung von Bosnien und umliegenden Ländern wichtig waren und man erfährt nicht zuletzt einiges über die Kultur und die Menschen dieser Länder.
Es hat mich erstaunt, wie leicht sich "Wesire und Konsuln" liest und wie unterhaltsam, witzig und ironisch der Erzählstil ausgefallen ist. Dies liegt sicher daran, dass Andrić sich bewusst den verschiedenen Klischees und Rollenbildern annimmt und diese gezielt überspitzt und mit einem zwinkernden Auge hinterfragt. So überwiegen nicht etwa die negativen Gefühle, sondern vielmehr eine kontrolliert ausgelebte und auch sehr genossene Melancholie, die den Bosniern eigen ist und sich natürlich sehr stark und bis an die Grenze des nicht mehr ernst zu Nehmenden auf die ausländischen Gäste überträgt und deren Handeln und Denken beeinflusst.
Auch in dieser Chronik finden sich liebevoll ausgearbeitete Charaktere von den Haupt- bis hin zu den Nebenfiguren. Nicht zu unterschätzen sind dabei die komplex und feinfühlig gewebten undurchsichtigen Personen, welche vor allem im Hintergrund agieren. Diese lassen sich durch die ganze Erzählung nicht so richtig einschätzen, tragen aber einiges zum Gelingen und Misslingen verschiedenster Situationen bei und nehmen so eine Schlüsselrolle ein ohne sich aufzudrängen.
Einmal mehr muss und will ich euch ein Buch von Ivo Andrić empfehlen, weil es einfach überzeugt und dies in jeglicher Hinsicht. Auf literarisch höchstem Niveau wird eine komplexe Handlung mit viel Witz und Ironie gespickt und mit einem liebevoll-nüchternen Schreibstil erzählt.
Fazit:
Ein weiteres Buch von Ivo Andrić, welches ich allen historisch interessierten und hinterfragenden Menschen mit einem Faible für gehaltvolle und treffende Worte ans Herz lege.