Der schwierige Einstieg:
Wer hier schon länger mitliest, weiss, wie begeistert ich war von Mareike Fallwickls Erstling "Dunkelgrün fast schwarz", weshalb ich mir natürlich auch ihr zweites Buch kaufen wollte. Ich freute mich schon lange darauf - der Hype war Wochen vor dem Erscheinungstermin ausgebrochen - und stieg dann fast ganz ohne Vorwissen ein, was toll war. Nur leider gestaltete sich der Einstieg zäh. Obwohl ich die charakterstarke Sprache sofort wiedererkannte, waren mir die Figuren zu eindimensional und stereotyp gezeichnet. Fallwickl legt ihren Protagonisten schon in den ersten Kapiteln alles an Voruteilen in den Mund, was nur geht. Egal ob Deutsche, Schweizer, Bloggerinnen und Influencerinnen, und natürlich auch egal ob Frau oder Mann, da wird an niemandem ein gutes Haar gelassen. Gerade weil Fallwickl ihre Figuren in einem eher gebildeten Menschenschlag ansiedelt, war mir das ein wenig zu plakativ und undifferenziert, die Handlung floss dröge dahin, die ersten knapp zweihundert Seiten langweilten mich. Ich wartete auf Paukenschläge, Provokation, grosse Ereignisse und zum Nachdenken anregende Wendungen.
Und dann...:
Die Grundstimmung ändert sich plötzlich, das Erzähltempo wird gesteigert und Fallwickl macht genau das, was ihr Protagonist Wenger macht: sie wird konkret und ich fragte mich, was denn vorher dieses ganze Herumdümpeln in den seichten Gewässern von Coktailpartys und den leeren Weiten einer verranzten Wohnung sollte. Was die Frauen in "Das Licht ist hier viel heller" erleben und auch verbal über sich ergehen lassen müssen, ist uns allen sicher wohlbekannt. Wie die "Wengers" normalerweise davonkommen, wissen wir auch. Und es wird schnell klar, dass Fallwickln nicht eigentlich den "Typus Wenger", sondern vielmehr die ganze Gesellschaft, welche diesen Typus mitgeformt hat und weiterhin mitträgt, anklagt. Sie schafft es, ganz subtil aufzuzeigen, wie Grenzüberschreitungen geschehen können und welche Dominanz und Selbstverständlichkeit - und leider oft auch Akzeptanz - damit einhergeht. Aber die Subtilität und das Einschleichen solcher Muster in die Beziehungen zwischen Frau und Mann, sind nicht nur das grösste Plus dieses Buches, sondern auch seine grösste Schwäche. Ich höre die vielbesungenen "alten, weissen Männer" schon belustigt vor sich hin murmeln und ihre fetten Ärsche in den Ledersesseln knarzen, während sie sich genüsslich einen weiteren Brandy einschenken und sagen: "Aber der Wenger, der war ja nun wirklich arm dran. Der wurde von Frau und Kindern verlassen, verleumdet und letztendlich in eine Ecke gedrängt, in die er gar nicht gehört. Er hat sich ja sogar noch entschuldigt, der Gute. Der andere hat sich schon ein wenig daneben benommen, aber ich weiss wirklich nicht, was ihr alle habt, es ist ja gar nichts passiert." Und genau das ist es, was wütend macht. Dass wir, die wir wissen, von was Fallwickl schreibt, immer wieder niedergerungen werden von solchen, die sich alles schönreden und leider lässt sich auch dieses Buch schönreden. Leider war da dann doch zu wenig konkret, was hätte auf den Tisch gebracht werden müssen und leider gibt es sicher Menschen, welche genau falsch verstehen, was eigentlich gemeint war und ja, das ist nicht das Problem der Autorin. Aber es ist ein Problem, das weiter bestehen bleibt, solange subtile Fallstudien - auch wenn sie grandios romanesk verpackt werden - nicht eindeutiger, brutaler und ekeleregender erzählt werden und es ärgert mich, dass ich dies so fordern muss, weil offensichtlich "Das Licht ist hier viel heller" noch lange nicht reicht.
Die Nebenfiguren:
Wenn Wenger die Hauptfigur ist, sind seine Ex-Frau und seine Kinder die Nebenfiguren. Seine Frau bleibt hohl und blass und oberflächlich und befeuert leider weiter die Vorurteile, welche die hier kritisierten Herren der Schöpfung gerne über davonziehende Ehefrauen bemühen.
Aber bei Wengers Kinder läuft Mareike Fallwickl zu ihrer ganzen Grösse auf. Da zeigt sie, was eigentlich in ihr steckt und sie lässt die starke und mutige Zoey erzählen, selber denken und schwierige Entscheidungen treffen, ihren Vater und ihre Mutter kritisieren, die Gesellschaft anprangern und dabei Kunst erschaffen. Sie lässt Zoey zuerst leise und dann immer lauter Widerstand leisten und für sich einstehen, so wie wir alle für uns einstehen sollen. Und dann ist da Spin, Zoeys kleiner Bruder. Der einfühlsame und sympathische junge Mann, der sich abgrenzt von einem Männerbild, das ihm vorgelebt worden ist, der für seine Schwester einsteht, auch wenn er sie nicht immer versteht und schade, dass er schwul ist, es wäre so viel toller gewesen, wenn all diese Eigenschaften bei einem heterosexuellen Mann aufgetaucht wären, auch hier also leider wieder Stereotyp über Stereotyp. Aber die zärtlichen Beschreibungen der Geschwisterbeziehung zwischen Zoey und Spin ist etwas vom Schönsten, das ich je über Familien gelesen habe und es ist ein schriftstellerisches Meisterstück, wie Fallwickl es schafft, die positive Entwicklung dieser Menschen sanft und aufmerksam beobachtend in ihren Roman einzuflechten, wie sie deren Vergangenheit, die darin verarbeiteten Verletzungen und Enttäuschungen, aber auch zahlreiche Abenteuer einbaut und dabei stets die Handlung im Blick behält und die Geschwister miteinander und aneinander wachsen lässt, wie es schöner nicht erzählt werden könnte.
Meine Empfehlung:
Und allen Kritikpunkten zum Trotz ist dieses Buch somit natürlich ein Muss. Ein Muss, weil es anregt, weil es für Gesprächsstoff sorgt, weil es uns dazu bringt, nach mehr zu verlangen, zu erzählen, zu diskutieren, nach Lösungen zu suchen und nach Bestrafungen zu schreien. Und weil es von einer sprachlichen Schönheit ist, die ihresgleichen sucht, Regionalkolorit und eine breite Gefühlpalette beinhaltet und von einem scharfen Intellekt und einer Leidenschaft zum Erzählen geprägt ist.