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Veröffentlicht am 01.10.2019

Eine wahre Liebeserklärung an die grüne Insel

Irisches Tagebuch
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Meine Beziehung zu Irland:

Vor drei Jahren habe ich ich mich in die grüne Insel verliebt. Mit einer lieben Freundin war ich da und wollte so gerne bereits ein Jahr später wieder nach Irland reisen und ...

Meine Beziehung zu Irland:

Vor drei Jahren habe ich ich mich in die grüne Insel verliebt. Mit einer lieben Freundin war ich da und wollte so gerne bereits ein Jahr später wieder nach Irland reisen und dem Liebsten die tolle Landschaft und das Lebensgefühl näherbringen. Leider hat dies dann nicht geklappt, wie geplant. Im November ist es aber so weit. Wir werden endlich gemeinsam nach Irland reisen. Und wir nehmen nicht nur warme Kleidung mit, sondern auch vier liebe Menschen und ein weisses Kleid... Der Tag rückt immer näher, der Brautschleier kam am Samstag an, es wird konkret. Nach unserer standesamtlichen Hochzeit vor zwei Wochen dürfen wir uns auch in den wilden Weiten der grünen Insel die ewige Liebe schwören. Was könnte da nun besser passen, als eine Einstimmung durch den Grossmeister der Beschreibungen himself? Heinrich Böll, ein Menschenkenner, ein Künstler mit Wort, Witz und einem kritischen Auge.


Meine Meinung:

Fasziniert habe ich gelesen, wie Böll ein scheinbar aus der Zeit gefallenes Irland vor mehr als fünfzig Jahren erlebte. Ich las von einem grünen Niemandsland, strengem Katholizismus, einer Vorliebe für Tee und intensive Gespräche und erkannte in allen Anekdoten nicht nur den Wandel der Zeit, sondern auch Bölls liebevoll beobachtendes Auge auf Land und Leute. Nicht nur erkennt Böll auf seiner Irlandreise, was in Deutschland nicht läuft, wie es soll, sondern er findet auch immer neue Argumente für einen Besuch dieser Insel, die ihn so gastfreundlich empfangen hat. Natürlich ist ein Buch von Heinrich Böll immer politisch, immer kritisch, immer anti-nationalsozialistisch und vor allem auch immer äusserst scharfsinnig geschrieben. Dennoch erkenne ich im Buch "Irisches Tagebuch" auch eine Gelöstheit, eine Entspannung und ein Wohlwollen, das positiv auffällt und aus Bölls Schaffen herausragt.


Meine Empfehlung:

Dieses Buch hat mich berührt und immer mal wieder zum Schmunzeln gebracht, weil die Sprache einerseits so akribisch genau beschreibt, andererseits aber auch so viele persönliche Erkenntnisse und Erlebnisse des Autors einfliessen lässt. Und weil dieses Buch eine grosse Liebeserklärung an Irland ist und das ist ja eigentlich schon Argument genug

Veröffentlicht am 29.09.2019

Trotz einiger Längen sehr spannend und vielschichtig

Winterbirnen
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Inhalt und erster Eindruck:
Joe ist ein sehr aufmerksamer und sensibler Junge. Er sieht, dass Luisa kein Pausenbrot mitgebracht hat. Aber weil er die schrumpelige aber süsse Birne aus dem Garten dabei ...

Inhalt und erster Eindruck:
Joe ist ein sehr aufmerksamer und sensibler Junge. Er sieht, dass Luisa kein Pausenbrot mitgebracht hat. Aber weil er die schrumpelige aber süsse Birne aus dem Garten dabei hat und selber schon satt ist, gibt er ihr die köstliche Frucht. Seit diesem Tag halten die beiden Kinder zusammen. Gegen Kälte und ihre Familienprobleme und gegen die bösartige Kindergärtnerin Schwester Caritas. Dann beobachtet Joe eines Tages, wie Ben, der Neue, von Schwester Caritas gequält wird. Um ihm ein wenig Trost zu spenden, schenkt er ihm eine der Birnen, die er seit der Begebenheit mit Luisa immer bei sich trägt. Ben greift dankbar zu und gehört von da an auch zu ihrem kleinen Kreis. Dass ihre Freundschaft ein ganzes Leben andauern wird, wissen sie zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.
Aber als Joe und Ben bei einer Wanderung von einer Lawine verschüttet werden, beginnt Joe, sich Gedanken über sein Leben und die Freundschaft zu Ben und Luisa und weiteren guten Freunden zu machen. Schwester Amrei kümmert sich im Krankenhaus liebevoll um die beiden Überlebenden und als Joe merkt, dass die bezaubernde Krankenschwester sich für sein Leben zu interessieren scheint, erzählt er ihr die Geschichte ihrer Freundschaft. Von Ben, der immer beliebter bei den Frauen war und sich schlussendlich seine schöne Belle gesichert hat, aber auch mit ihr noch nicht genug hatte. Von Luisa, welche ein Geheimnis mit sich herum trägt und immer den schlichtenden und vermittelnden Part in ihren Beziehungen übernommen hat. Und auch von Lilly und Tom, Paul und Lucas und allen anderen, welche zum Kreis dazu gehören oder sonst irgendwie das Leben eines jeden anderen mitbeeinflussen.

Meine Meinung:
Die Idee der Geschichte mit dieser Rahmenhandlung zwischen Amrei, Ben und Joe und der eigentlichen Geschichte, welche Joe erzählt, finde ich sehr gelungen. Nur wirkt Joe nicht als Erzähler der einzelnen Rückblenden, sondern eine äussere und allwissende Erzählerfigur. Dies hätte aber gut zur Rahmenhandlung gepasst. Und ich finde es schade, dass die Rahmenhandlung, also Amrei und Joe, im Verlauf der Geschichte einschläft, weil fast nichts mehr von ihnen berichtet wird.
Auf 338 Seiten passiert so viel, dass ich den Autor Rolf Ersfeld für diese grandiosen Einfälle und Verstrickungen bewundere. Wie packt man so viel Handlung auf so wenig Seiten? Mein herzliches Kompliment zu diesem wahnsinnig starken Buch, auch wenn man an einigen Stellen die Länge gewisser Szenen bemerkt.

Veröffentlicht am 29.09.2019

Ein wenig zu düster, aber sehr philosophisch

Der andere Ort
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Erste Eindrücke:
Dieses Buch beinhaltet zehn Kurzgeschichten unterschiedlicher Länge. Besonders zu erwähnen ist die erste Geschichte, welche auch dem Buch den Namen gegeben hat und mit Abstand die längste ...

Erste Eindrücke:
Dieses Buch beinhaltet zehn Kurzgeschichten unterschiedlicher Länge. Besonders zu erwähnen ist die erste Geschichte, welche auch dem Buch den Namen gegeben hat und mit Abstand die längste Geschichte ist. Auf hundert Seiten entführt uns Stefan Stergiannis in das Leben eines zehnjährigen Jungen, welcher von seinem alkoholabhängigen Vater nur Zurückweisung und Gewalt erfährt und auch in der Schule von seinen Mitschülern gehänselt wird. Als Tom sich einmal wehrt, werden zwei Mitschüler leicht verletzt und er muss als Strafe Freiwilligenarbeit leisten. Seine Aufgabe ist es, den alten Mann Vladjo zu besuchen, dessen Einkäufe in die Mietwohnung zu schleppen und sich mit ihm zu unterhalten. Und die beiden unterschiedlichen Menschen werden bald so etwas wie Freunde und es ist Vladjo, der eine Lösung für Toms Probleme hat. Tom soll lernen, sich an den "anderen Ort" zu flüchten.
In seinen anderen Kurzgeschichten lässt uns Stefan Stergiannis tief in die Gedanken von Bäumen einblicken und er scheint sogar einen heissen Draht zu Gott zu haben. Auch ein Serienkiller aus dem Mittelalter und ein Heckenmonster kommen in den Geschichten vor und lassen jede einzelne Erzählung zu einem schaurig schönen und philosophischen Märchen werden.

Meine Meinung:
Vor allem die erste und längste Geschichte "der andere Ort" gefällt mir sehr gut. Auch einige der anderen Erzählungen wie "0800-Gott" und "die Rast" sprachen mich sehr an. Insgesamt sind mir die Geschichten in Kombination und somit das ganze Buch ein wenig zu düster und fatalistisch. Es fehlen mir dazwischen einige lebensbejahende und hoffnungsvolle Geschichten mehr. Ansonsten muss ich aber den Schreibstil sehr loben. Alles in allem ein Buch, welches ich neben und zwischen anderen Büchern lesen würde um immer wieder genug Pausen zwischen die einzelnen Geschichten machen zu können.
Mein herzlicher Dank gilt noch einmal dem C. F. Portmann Verlag für dieses philosophische Buch.

Veröffentlicht am 29.09.2019

Gemütlich und unterhaltsam

Schneeflockenträume
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Inhalt:

Josie ist kreativ, empathisch und erfolgreich und hat sich gerade einen neuen Job ergattert, der sie in das Restaurant einer Kochlegende führen wird und der sie auf der Karriereleiter hoffentlich ...

Inhalt:

Josie ist kreativ, empathisch und erfolgreich und hat sich gerade einen neuen Job ergattert, der sie in das Restaurant einer Kochlegende führen wird und der sie auf der Karriereleiter hoffentlich ein ganzes Stück nach oben bringt. Vorher kommt es aber noch, wie es kommen muss: sie verliebt sich in der Sommersaison in Alaska, in der sie in Ponder die Küche einer Lodge führt, in Palmer, einen gutaussehenden Schwertschmied. Josie will sich und Palmer das Herz nicht brechen, sie möchte aber auch nicht auf die einmalige Karrierechance verzichten, weshalb sie sich für einen Kompromiss entscheidet, der alles nicht einfacher macht.


Meine Meinung:

Debbie Macombers Bücher sind in der Regel ein Garant für kurzweilige, romantische Lesestunden und sie lassen mir zudem sehr oft das Wasser im Munde zusammenlaufen. Gut, letzteres war bei "Schneeflockenträume" definitiv nicht der Fall, da gefühlt ausschliesslich Elchfleisch konsumiert wird, aber kurzweilig und romantisch war mein Ausflug nach Ponder alleweil. Allerdings auch ein wenig schnell vorbei, insgesamt hätten die Polarlichter nämlich durchaus ein wenig intensiver glitzern und die Stunden am Kaminfeuer, im lustigen Schneetreiben oder auch in der Küche ein wenig ausgedehnter gestaltet werden können. Auch haben mir detaillierte Ausschmückungen der vorweihnachtlichen Stimmung, Dekoration und Gaumenfreuden ein wenig gefehlt, da war wohl die Zeit bis zum Abgabetermin oder die vorgegebenen Seitenzahl ein wenig zu knapp bemessen...

Abgesehen davon hat mich das Buch und vor allem der brummige aber herzensgute Jack, Palmers guter Freund und Ratgeber, sehr gut unterhalten, wenn auch die Rollenverteilung ein wenig gar stereotyp war. Dass die Köchin nunmal am Herd steht, ist mir natürlich bewusst. Dass es aber ausser Frage steht, dass der Mann ihrer Träume sein Leben hinter sich lässt und zu ihr zieht, dies aber umgekehrt von ihr erwartet, ist nicht mehr ganz zeitgemäss. Ausserdem haben mich zwei logische Fehler (woven einer ein Fehlerchen war) ein wenig aus dem Lesefluss gebracht.

SPOILER!!! Achtung, ich spoilere dies einmal, ihr lest folgende kursive Zeilen auf eigene Gefahr (wenn auch nicht viel Handlung verraten wird, ich will euch nur gewarnt haben):

Zum Einen besuchen Jack und Palmer Josie an ihrer neuen Arbeitsstelle und Josie linst um die Ecke, um zu sehen, ob es sich wirklich - wie sie aufgrund der Beschreibung ihrer Arbeitskollegin vermutet - um die beiden handelt. Sie sieht, dass es wirklich Jack und Palmer sind. Am Ende der nächsten Seite ist sie sich nicht sicher, ob es wirklich Jack und Palmer sind (obwohl sie dies ja unzweifelhaft mit eigenen Augen gesehen hat) und es bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Küche zu verlassen und sich davon zu überzeugen, wer wirklich vor ihr sitzt. Hää?

Zum Anderen spricht sie ca. in der Mitte des Buches davon, dass ein Food-Blog/Koch-Blog in Ponder nie rentieren würde. Am Ende des Buches führt sie einen ebensolchen Blog sehr erfolgreich und ist nicht einmal selber auf die Idee gekommen, sondern ist von Angie auf diese Idee gebracht worden. Die Idee hat sie aber hundert Seiten vorher noch verworfen, hat also damals effektiv mit dem Gedanken gespielt und weiss dies am Ende des Buches nicht mehr? Komisch...



Spoiler Ende!!!

Schreibstil:

Gewohnt flüssig, leicht und mit viel Wohlfühlcharakter erzählt Debbie Macomber von einer Landschaft, in die man sich definitiv verlieben kann und stattet ihre Figuren mit lebenswert-skurrilen Eigenschaften aus, die für viel Unterhaltungswert sorgen. Josie hat mir sehr gut gefallen und ich hätte gerne noch ein wenig mehr aus ihrem Leben erfahren. Wie die Beziehung zwischen ihr und Palmer sich entwickelt, war meiner Meinung nach realistisch erzählt und auch ihr Alltag im Beruf als Köchin hat sicher einiges mit der Wirklichkeit gemein, wenn auch ich es ein wenig schade fand, dass sie nicht ein paar Chancen mehr gehabt hat, sich als Köchin zu beweisen und als eher schwach und nicht sehr belastbar dargestellt worden ist. Wichtige Lebensentscheide hat sie allerdings komplett selber und sehr stark und mutig gefällt, ist für sich eingestanden und hat Palmer nicht zu leichtes Spiel gelassen, was mir gut gefallen hat.


Meine Empfehlung:

Dieses Buch (respektive: dieses Büchlein) ist ein kleiner Lesesnack, der schon ein wenig winterliche Stimmung verbreitet und leicht, romantisch und sehr liebevoll erzählt daherkommt. Das Buch ist kein Muss, aber eine schöne und entspannende Lektüre, welche mir meinen Sonntagnachmittag versüsst hat.

Veröffentlicht am 28.09.2019

Zu eindimensional, aber wichtig und wundervoll erzählt

Das Licht ist hier viel heller
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Der schwierige Einstieg:

Wer hier schon länger mitliest, weiss, wie begeistert ich war von Mareike Fallwickls Erstling "Dunkelgrün fast schwarz", weshalb ich mir natürlich auch ihr zweites Buch kaufen ...

Der schwierige Einstieg:

Wer hier schon länger mitliest, weiss, wie begeistert ich war von Mareike Fallwickls Erstling "Dunkelgrün fast schwarz", weshalb ich mir natürlich auch ihr zweites Buch kaufen wollte. Ich freute mich schon lange darauf - der Hype war Wochen vor dem Erscheinungstermin ausgebrochen - und stieg dann fast ganz ohne Vorwissen ein, was toll war. Nur leider gestaltete sich der Einstieg zäh. Obwohl ich die charakterstarke Sprache sofort wiedererkannte, waren mir die Figuren zu eindimensional und stereotyp gezeichnet. Fallwickl legt ihren Protagonisten schon in den ersten Kapiteln alles an Voruteilen in den Mund, was nur geht. Egal ob Deutsche, Schweizer, Bloggerinnen und Influencerinnen, und natürlich auch egal ob Frau oder Mann, da wird an niemandem ein gutes Haar gelassen. Gerade weil Fallwickl ihre Figuren in einem eher gebildeten Menschenschlag ansiedelt, war mir das ein wenig zu plakativ und undifferenziert, die Handlung floss dröge dahin, die ersten knapp zweihundert Seiten langweilten mich. Ich wartete auf Paukenschläge, Provokation, grosse Ereignisse und zum Nachdenken anregende Wendungen.


Und dann...:

Die Grundstimmung ändert sich plötzlich, das Erzähltempo wird gesteigert und Fallwickl macht genau das, was ihr Protagonist Wenger macht: sie wird konkret und ich fragte mich, was denn vorher dieses ganze Herumdümpeln in den seichten Gewässern von Coktailpartys und den leeren Weiten einer verranzten Wohnung sollte. Was die Frauen in "Das Licht ist hier viel heller" erleben und auch verbal über sich ergehen lassen müssen, ist uns allen sicher wohlbekannt. Wie die "Wengers" normalerweise davonkommen, wissen wir auch. Und es wird schnell klar, dass Fallwickln nicht eigentlich den "Typus Wenger", sondern vielmehr die ganze Gesellschaft, welche diesen Typus mitgeformt hat und weiterhin mitträgt, anklagt. Sie schafft es, ganz subtil aufzuzeigen, wie Grenzüberschreitungen geschehen können und welche Dominanz und Selbstverständlichkeit - und leider oft auch Akzeptanz - damit einhergeht. Aber die Subtilität und das Einschleichen solcher Muster in die Beziehungen zwischen Frau und Mann, sind nicht nur das grösste Plus dieses Buches, sondern auch seine grösste Schwäche. Ich höre die vielbesungenen "alten, weissen Männer" schon belustigt vor sich hin murmeln und ihre fetten Ärsche in den Ledersesseln knarzen, während sie sich genüsslich einen weiteren Brandy einschenken und sagen: "Aber der Wenger, der war ja nun wirklich arm dran. Der wurde von Frau und Kindern verlassen, verleumdet und letztendlich in eine Ecke gedrängt, in die er gar nicht gehört. Er hat sich ja sogar noch entschuldigt, der Gute. Der andere hat sich schon ein wenig daneben benommen, aber ich weiss wirklich nicht, was ihr alle habt, es ist ja gar nichts passiert." Und genau das ist es, was wütend macht. Dass wir, die wir wissen, von was Fallwickl schreibt, immer wieder niedergerungen werden von solchen, die sich alles schönreden und leider lässt sich auch dieses Buch schönreden. Leider war da dann doch zu wenig konkret, was hätte auf den Tisch gebracht werden müssen und leider gibt es sicher Menschen, welche genau falsch verstehen, was eigentlich gemeint war und ja, das ist nicht das Problem der Autorin. Aber es ist ein Problem, das weiter bestehen bleibt, solange subtile Fallstudien - auch wenn sie grandios romanesk verpackt werden - nicht eindeutiger, brutaler und ekeleregender erzählt werden und es ärgert mich, dass ich dies so fordern muss, weil offensichtlich "Das Licht ist hier viel heller" noch lange nicht reicht.


Die Nebenfiguren:

Wenn Wenger die Hauptfigur ist, sind seine Ex-Frau und seine Kinder die Nebenfiguren. Seine Frau bleibt hohl und blass und oberflächlich und befeuert leider weiter die Vorurteile, welche die hier kritisierten Herren der Schöpfung gerne über davonziehende Ehefrauen bemühen.

Aber bei Wengers Kinder läuft Mareike Fallwickl zu ihrer ganzen Grösse auf. Da zeigt sie, was eigentlich in ihr steckt und sie lässt die starke und mutige Zoey erzählen, selber denken und schwierige Entscheidungen treffen, ihren Vater und ihre Mutter kritisieren, die Gesellschaft anprangern und dabei Kunst erschaffen. Sie lässt Zoey zuerst leise und dann immer lauter Widerstand leisten und für sich einstehen, so wie wir alle für uns einstehen sollen. Und dann ist da Spin, Zoeys kleiner Bruder. Der einfühlsame und sympathische junge Mann, der sich abgrenzt von einem Männerbild, das ihm vorgelebt worden ist, der für seine Schwester einsteht, auch wenn er sie nicht immer versteht und schade, dass er schwul ist, es wäre so viel toller gewesen, wenn all diese Eigenschaften bei einem heterosexuellen Mann aufgetaucht wären, auch hier also leider wieder Stereotyp über Stereotyp. Aber die zärtlichen Beschreibungen der Geschwisterbeziehung zwischen Zoey und Spin ist etwas vom Schönsten, das ich je über Familien gelesen habe und es ist ein schriftstellerisches Meisterstück, wie Fallwickl es schafft, die positive Entwicklung dieser Menschen sanft und aufmerksam beobachtend in ihren Roman einzuflechten, wie sie deren Vergangenheit, die darin verarbeiteten Verletzungen und Enttäuschungen, aber auch zahlreiche Abenteuer einbaut und dabei stets die Handlung im Blick behält und die Geschwister miteinander und aneinander wachsen lässt, wie es schöner nicht erzählt werden könnte.


Meine Empfehlung:

Und allen Kritikpunkten zum Trotz ist dieses Buch somit natürlich ein Muss. Ein Muss, weil es anregt, weil es für Gesprächsstoff sorgt, weil es uns dazu bringt, nach mehr zu verlangen, zu erzählen, zu diskutieren, nach Lösungen zu suchen und nach Bestrafungen zu schreien. Und weil es von einer sprachlichen Schönheit ist, die ihresgleichen sucht, Regionalkolorit und eine breite Gefühlpalette beinhaltet und von einem scharfen Intellekt und einer Leidenschaft zum Erzählen geprägt ist.